Claudia am 19. Januar 2001 — 5 Kommentare

Nebel, Traum, Dr.Fine, Webdiarys

Unglaublich eintönig verstreichen die Tage, der neblig-trübe Himmel, das kühle Licht des Monitors, tagein tagaus dasselbe. Vormittags ein Besuch bei den Hühnern, Frischfutter verteilen, Scheiße von der Leiter kratzen, sie ein bißchen anstaunen: wie sind sie doch lebendig! Und wie sie mich ansehen – wie das wohl für sie ist?

Heute hat mich ein Traum in ein anderes Dasein katapultiert. Ich weiß nichts, wirklich gar nichts mehr von diesem Traum, außer dass er auf einer ganz anderen Ebene der Lebensenergie spielte: hoch spannend, erotisch, bis hin zu fast religiöser Ekstase. Eine Gefühlserinnerung, sonst nichts.

Ich lese gerade „Dr.Fine“ von Samuel Shem. Es ist die Geschichte eines Psychoanalytikers, der seit seiner Lehranalyse nicht mehr in der Welt, sondern in deren psychoanalytischer Deutung lebt. Es ist zum Schreien komisch, spannend, tragisch, herzergreifend und bildend, also alles, was man heute von einem Unterhaltungsroman wünschen kann. Und es geht – das tun nur ganz wenige – über diese Ebene hinaus, es vermittelt ein „mehr“, ohne dieses mehr zu benennen.

Ich frage mich immer, was es ist, das bei dem einen Autor sofort in die Geschichte hinein zieht, ohne Zögern und Stolpern, ohne „Längen“, aber doch mit genug Stoff, um die Personen lebendig zu machen, so lebendig, dass sie zu Freunden oder Feinden werden und das eigene Leben tendenziell aus dem Bewußtsein verschwindet. Ein geistiges Wunder, das – je älter ich werde – immer seltener geschieht. Und nur dann, wenn der Autor eine für mein Empfinden vollständig flüssige Sprache spricht, funktioniert es.

Update 2019 / Und hier der verdiente Werbelink:

Dr.Fine bei Amazon

Diarys und Öffentlichkeit

In der CT dieser Woche ist ein Artikel über Webdiarys erschienen, der mal ein bißchen MEHR bringt als das blosse Staunen über den Exhibitionismus der Schreibenden. Die Diary-Szene boomt mittlerweile, Hunderttausende schreiben ihre täglichen Eindrücke auf, manche geben tatsächlich Einblicke in intimste Gedanken und Gefühle, berichten über ihr Liebes- und Sexleben, ihre Ängste und Verrücktheiten. Es hat schon ein bißchen was von „Big Brother für Alphabeten“, keine Frage!

Obwohl ich selber die Ebene des totalen sozialen Outings vermeide, lese ich manches dieser Diarys ganz gern und frage mich gelegentlich, ob das nicht doch ein Übergangsphänomen ist: Wenn die Netzkompetenz der breiten Massen weiter wächst, werden viele das Suchen & Finden lernen und spasseshalber die Namen ihrer Freunde, Kollegen, Bekannten und Verwandten recherchieren. (Man glaubt ja gar nicht, was Google.com alles findet!) Und dann wird es immer öfter passieren, dass jemand mit einem selbstentblößenden Tagebuch morgens von seinem Arbeitskollegen wütend empfangen wird, weil er oder sie sich tags zuvor im Web allzu deutlich über den neuesten Streit ausgelassen hat. Damit nicht zu rechnen, ist nicht Mut, sondern Unwissenheit und Naivität, freundlich ausgedrückt. Selbst wer seine Seiten NICHT in den Suchmaschinen anmeldet, wird früher oder später von Robots verdatet, von anderen gelinkt oder die URL wird auch schon mal ganz unwissentlich von Lesern weiter verbreitet. (In meiner Referenzliste mit den automatisch erfaßten Adressen, WOHER die Leser kommen, fand ich schon manche Website, von deren „Öffentlichkeit“ der Verfasser sicher nichts ahnte.)

In jüngeren Jahren hätte ich vielleicht die Ansicht vertreten, dass totale Offenheit überall und zu jeder Zeit – also auch in der Öffentlichkeit – das anzustrebende Ideal sei. Davon bin ich allerdings weggekommen, denn: Was ich ausspreche, gar aufschreibe und in die weite Netzwelt schicke, gewinnt auch ganz ohne Absicht einen gewissen Ewigkeitswert. Schubladen in fremden Köpfen werden errichtet, die so ohne weiteres nicht mehr wegzukriegen sind – auch wenn das Ereignis, das mich gerade bewegt, meine Leiden und Freuden und meine Gedanken darüber morgen schon wieder ganz anderns aussehen mögen. Auf diese Weise baue ich mit an der eigenen Unfreiheit, mache mich erreichbar und definierbar – doch das bin ich nicht!

Diary-Schreiben ist für mich eher eine Form, Distanz zu mir selbst zu gewinnen. Wenn ich an ganz konkreten Dingen leide, die mit meinen Nächsten zusammen hängen, fühle ich natürlich den Impuls, zu schreiben. Doch gerade die Anforderung, Intimität und Privatheit niemals zu verraten, unterstützt mich dabei, das Konkrete auf eine allgemeinere Ebene zu heben. Es bringt mich weg vom Kreisen im eigenen psychischen Sumpf und damit ist der Hauptzweck schon erreicht.

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Claudia am 15. Januar 2001 — Kommentare deaktiviert für Von Arbeit verschluckt

Von Arbeit verschluckt

Das Esoterik-Thema vom letzten Mal lass ich noch ein bißchen abkühlen bis zur Wiederaufnahme. Es ist schon erstaunlich, wie sehr das die Gemüter erregt, positiv wie negativ! Die zustimmenden Leser schreiben ins Forum (herzlichen Dank!), die Ablehner mailen privat, bis hin zu Hassmails anonymer Idioten! Egal, klick und weg… Weiter → (Von Arbeit verschluckt)

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Claudia am 11. Januar 2001 — Kommentare deaktiviert für Esoterik?

Esoterik?

Ein Oliver schrieb mir ins Forum, wenn ich Lust auf Wünsche hätte, solle ich doch die Seite www.baerbelmohr.de/ aufsuchen. Und gleich haben zwei andere Leser mal eben den virtuellen Hammer gezückt und auf die „esoterischen Nebelwerfer“ kurz abgelästert. So weit, so üblich. In diesem Diary ist das hoch umstrittene Thema bisher aus gutem Grund nicht vorgekommen, doch heute hab‘ ich Lust, es nicht wie sonst zu ignorieren. Weiter → (Esoterik?)

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Claudia am 08. Januar 2001 — Kommentare deaktiviert für Wieder wünschen lernen

Wieder wünschen lernen

In den letzten Jahren hab‘ ich es geradezu kultiviert, von Wünschen jeder Art Abstand zu nehmen. Das ist Mitte vierzig auch nicht besonders schwer, wenn man wie ich lange Zeit ein Leben „ohne Bremse“ geführt hat. Kein berufliches Engagement länger als zwei Jahre, dereinst wilde Aktivitäten in der Protest- und Alternativ-Szene Berlins, ein abwechslungsreiches Beziehungsleben, immer wieder mit voller Verschmelzung, den üblichen Rosa-Brille-Illusionen, dann Enttäuschung, Elend, Entfremdung. Dabei in diesem Leben kaum eine Droge ausgelassen, viele Male umgezogen, Reisen im Aussen und Innen, jede Menge Experimente mit der eigenen Psyche, und zeitweise auch „ruhmvolle Funktionen“, in denen man JEMAND ist und lernen kann, was der Preis dafür ist.

Aus alledem dann irgendwann in ruhigeres Fahrwasser gekommen: Es gab kein Motiv mehr, irgend etwas von dem zu wiederholen, was ich bereits gehabt hatte. Auf materiellen Besitz, den man unendlich aufeinander stapeln kann, war ich noch nie aus gewesen: Immer schon gemerkt, dass „das Ding“, wenn es endlich mir gehörte, einfach gar nichts mehr auslöste. Ab ins Regal damit (Schublade, Keller…), bis zum nächsten Ausmisten. Reines „Geld raffen“ war mir andrerseits zu abstrakt: Warum sich anstrengen, nur damit Zahlen auf Kontoauszügen sich verändern? Wünsche für die Zukunft? Hatte ich nicht, wenn überhaupt, wollte ich etwas SOFORT, nicht irgendwann später. Und mein Problem war nicht, etwas NICHT zu bekommen, sondern: es zu bekommen und dann zu erleben, was es mit mir macht.

Gerade in der wunschlosen Zeit, seit ich nicht mehr so vom Ehrgeiz geleitet bin, bekam ich erstmal besonders viel vom Leben geschenkt: Endlich dauerhaftere Inspirationen zum Arbeiten (PC, Internet), längerfristige und stabilere Freundschafts- und Arbeitskontakte, bessere Wohnungen, schlussendlich die Gelegenheit, hier in dieses wunderschöne Gutshaus auf dem Land zu ziehen: „gehobener Standard“ – und das mir!

Und jetzt? Ich habe das Gefühl, ich muss die Wünsche wieder zu mir einladen, damit sich etwas bewegt. Es kann doch definitiv nicht sein, dass ich die nächsten 30 Jahre hier von morgens bis abends vor dem Compi sitze, Webseiten bauend, Texte schreibend; zwischendurch mal ein Spaziergang ums Dorf oder eine kurze Fahrt in den nahe gelegenen Supermarkt, alle Woche die Sauna, damit ich mal ein paar mehr Menschen sehe…

Dass dieses Leben keineswegs das ist, was ganz organisch und sinnvoll am Ende einer bewegten Entwicklung steht, merke ich schon an meinem (zum Glück erst mäßigen) Übergewicht und an der fortdauernden Auseinandersetzung mit den üblichen Giften. Da kann ich mir lange sagen, dass es – spirituell gesehen – Unsinn ist, nach Kicks zu streben: Mich lebensweltlich in die große Ruhe zu manövrieren und die Unruhe nur noch per Internet zu besichtigen ist offensichtlich keine „Endlösung“, nicht jetzt, nicht schon Mitte vierzig, vielleicht ja NIE ?

Veränderungen bringen immer auch Ärger und Leiden. Und es wäre doof, wenn es wieder diesselben Leiden wären wie gehabt. Mich aber deshalb freiwillig wie eine Rentnerin aufzuführen, packe ich nicht, ich sehe es langsam ein.

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Claudia am 05. Januar 2001 — Kommentare deaktiviert für Der heilige Gral der Arbeit

Der heilige Gral der Arbeit

Derzeit überkommt mich oft das Verlangen, einfach abzuschalten, den Kopf in irgend einen Sand oder unter die Decke zu stecken. Dabei droht ja nichts, definitiv steht keine erkennbare Gefahr vor mir, jedenfalls nichts, was über das Übliche hinausginge. Was aber ist „das Übliche“?

Es fällt mir schwer, das einzukreisen, weil es eben so normal ist. DA IST EIGENTLICH NICHTS, nur in bestimmten Stimmungen kommt es mir so vor, als gäbe es Grund zum Weglaufen – und dann geht wieder die Sonne auf, die Laune bessert sich, ich fühle mich stark und initiativ und ein Blick auf „die Lage“ ergibt: alles im grünen Bereich! Die Chancen stehen sogar super, ich brauche bloss loszulegen…

Luxusprobleme

Während ich das so hinschreibe, fällt mir eine weitere Spaltung auf, die das sporadische Fluchtverlangen noch verstärkt: Immer, wenn meine Welt mir problematisch erscheint, muss ich mich entscheiden, ob ich etwas an ihr zu verändern suche, oder ob ich mich besser selbst verändere. Ersteres könnte z.B. bedeuten, eine Liste zu machen und anstehende Arbeiten abzuhaken, letzteres kann heissen, in die Sauna gehen, eine Stunde Yoga oder einen Spaziergang machen – oder auch Diary schreiben, um klarer zu werden. Immer wieder erwische ich Momente des Zweifels, ob nun das eine oder das andere angesagt ist – kurzum: ich habe Luxusprobleme!

Bevor ich mich diesen zuwende, nochmal ein Blick auf das, was gelegentlich nervt:

  • Vielfalt,
  • Komplexität,
  • Unsicherheit,
  • schnelle Veränderungen.

Manchmal habe ich Angst, dass mir alles entgleiten könnte, wenn es auf einmal nicht mehr gelingen sollte, auch nur sporadisch den Überblick über alles zu gewinnen, was „im Auge behalten“ werden will oder muß. Dann fürchte ich, einfach zu ertrinken in den unüberschaubar vielen Themen und Ebenen, mit denen ich täglich in Kontakt komme, schlicht zu versacken in der Beschäftigung mit Randproblemen oder unwichtigem, aber Zeit fressenenden technischem Kleckerkram. Und dass mich das alles so frustriert, dass ich völlig die Lust verliere und einfach keine Energie mehr aufbringe, überhaupt noch einen Mausklick zu tun.

Meine vorindustriellen Arbeitsmethoden sind nicht das Problem, aber auch nicht sehr hilfreich, wenn es darum geht, sich mittels formaler Ordnung zu beruhigen: Rational strukturierte und konsequent geführte Notizbücher, Adresskarteien, Terminkalender, Themen-Ordner und dergleichen waren nie mein Ding. Ausschließlich gestützt vom jederzeit befragbaren Internet und den unzähligen Daten in zigtausenden Mails in den Ordnern meines Mailprogramms lebe ich (fast) im papierlosen Büro. Alle Versuche, ein ordentliches papiergestütztes „Selbstmanagement“ einzuführen, liegen lange hinter mir. Ich habe es aufgegeben, anders sein zu wollen als ich nun mal bin: Was ich nicht im Kopf habe, fällt aus meiner Welt heraus. Früher hab‘ ich das allein als Defizit und Unfähigkeit gesehen, doch während eines sehr komplexen Projektleiterjobs, in dem ich ständig Fragen beantworten, Besprechungen abhalten, Konzepte verfassen, Behörden kontaktieren und Leute motivieren mußte, sagte mal eine Kollegin zu mir: „Ich fasse es einfach nicht, wie du das alles schaffst. Auf deinem Schreibtisch herrscht der totale Verhau, aber in deinem Geist ist Klarheit und Ordnung.“

Ich bin ihr heute noch dankbar für diese freundliche Bemerkung, denn für mich war das die Wende: Das Defizit wurde in meiner Selbsteinschätzung zum Plus, zum Pfund, mit dem ich künftig wuchern konnte (frei nach dem Motto: Das Brett vor’m Kopf zur Kasse machen :-).

Allerdings: Seither hat sich die Komplexität der Arbeits- und Aktionsfelder vervielfacht, die Kapazitäten in meinem Hirn und Gemüt aber nicht. Immer wieder besteht die Arbeit darin, Vielfalt zu reduzieren, Nutzloses zu streichen, sogar Nützliches und Vielversprechendes loszulassen, weil es ZU VIEL ist. (Auch dieses Diary ist aus einem „zu viel“ entstanden, nämlich aus zu vielen interessanten Privatmails, deren Ansprüche ich irgendwann nicht mehr erfüllen konnte: Mehr als ein paar wenige intensive Gespräche kann ich nicht führen, ob nun von Angesicht zu Angesicht oder per E-Mail, ist ziemlich egal. Also spreche ich SO mit Euch…)

Selbständiges (und zunehmend auch unselbständiges) Arbeiten bedeutet heute kundiges Jonglieren mit Optionen, ständiges Abgleichen von Möglichkeiten und dauerndes Neu-Profilieren und Umkonfigurieren der „Marke“, zu der man als Dienstleisterin werden muß, um erfolgreich zu sein, bzw. um in der Menge überhaupt wahrgenommen zu werden. Die positive Möglichkeit liegt darin, das ganze als ein Spielfeld zu sehen, auf dem es durch ständigen Wandel und immer neue Versuche, Projekte, Experimente und Herangehensweisen gelingen kann, zu dem zu werden, was man immer schon ist, aber eben nicht „immer schon“ sehen, geschweige denn leben konnte. Der heilige Gral der Arbeit heisst: Für DAS nachgefragt und bezahlt werden, was ich „von selber“ bin, nicht für das, was ich angestrengt vorspiele, weil es nun mal verlangt wird.

Viele Menschen haben gar nicht die Hoffnung, letzteres sei möglich, und konzentrieren sich nur darauf, „irgendwas“ anzubieten, was der Markt verlangt. Es war nicht meine Wahl oder gar Leistung, dass ich nie so werden konnte. Ich MUSSTE in allem, was ich tue, nach dem suchen, was mich innerlich befriedigt und glücklich macht, und weitestgehend alles verweigern, was dem entgegen steht. Mich aufzuteilen zwischen dem Reich der Notwendigkeit und dem Reich der Freiheit ist mir nie gelungen, ja, ich glaube nicht mehr an die Wahrheit dieser Unterteilung. Ohne Druck von außen bricht man nicht auf zu neuen Ufern, unternimmt keine Anstrengungen, das herauszufinden, zu perfektionieren und zu nützlichen Dienstleistungen auszuarbeiten, was einem persönlich liegt und entspricht. Kurz gesagt: Stoffwechsel muß sein.

Mal sehen, wie ich heute die Kurve nehme.

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Claudia am 02. Januar 2001 — Kommentare deaktiviert für Der digitale Irrtum

Der digitale Irrtum

Wer mal Gitarre oder ein anderes Instrument gelernt hat, weiss, dass es schier endloser Wiederholungen bedarf, bis ein Stück „sitzt“, bis es einfach so flutscht und man während des Spielens nicht mehr daran denken muß, wie die Finger bewegt werden müssen. Auch alle handwerklichen Tätigkeiten brauchen diese Lernzeit: Die ersten Tapetenbahnen werden meistens schief oder fallen gleich wieder von der Wand, die erste eigene Lackierung bekommt Risse, das erste Augen-Make-Up verschmiert gnadenlos, anspruchsvollere Künste benötigen gar Jahre der Übung. Ebenso verhält es sich mit dem Tanzen (jenseits des sogenannten „Freistils“) und den unterschiedlichen psychophysischen Übungssystemen wie z.B. Yoga oder Tai Chi: zu Anfang kommt man sich vor wie ein Sack Holz. Weiter → (Der digitale Irrtum)

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Claudia am 29. Dezember 2000 — Kommentare deaktiviert für Keine Visionen, aber gute Laune

Keine Visionen, aber gute Laune

Immer kommt es anders. Ganz darauf gefaßt, in stillen Tagen & Nächten schwer besinnlich zu werden und das Jahr angesichts des Todes zu bilanzieren (Was war? Was bleibt? Was bedeutet das?) stelle ich fest: Die Muse küsst mich nicht. Die Götter lassen mich alleine wursteln, kein Engel streift mich mit den Flügeln, keine bedeutungsschwangeren Träume stören den Schlaf. Große Worte vermögen es derzeit nicht, mein Herz zu ergreifen; eher denke ich daran, nachher den Hühnerstall auszumisten, weil es mittlerweile wieder stinkt. Offensichtlich schiebt die Eksistenz Dienst nach Vorschrift, schickt mir keine Visionen und nicht den allerkleinsten Hinweis, dass da irgendwo MEHR sei, als das, was eben IST.

Und weil das Schreiben eine gewisse Eigendynamik entwickelt, kann ich mich nur mit Mühe zurückhalten, jetzt das Lob dessen, was ist, anzustimmen. Das würde hier nämlich gut passen, es folgt eigentlich immer an dieser Stelle: Man schreibt dann getragene Sätze über DAS WUNDER des ganz banalen und normalen Da- und So-Seins bis man selber dran glaubt, bis Schreiber und Leser ausreichend gerührt und ergriffen sind von der Tatsache des Etwas im Großen Schwarzen Nichts…. ABER wenn dieses Etwas dann in Gestalt der zuständigen Sachbearbeiterin im Finanzamt Schwerin mich am Tag nach Weihnachten morgens um zehn anruft und mit erhobener Stimme fragt, WANN ich denn bittschön die Rechnungen vom 2. und 30. Juni versteuert hätte – tja, dann wird die Liebe zum Wunder des Daseins auf eine harte Probe gestellt!

Ich habe sie versteuert, das konnte ich ihr am folgenden Tag („Ich verlange ja nicht von Ihnen, dass Sie SOFORT Auskunft geben“) Zahl für Zahl vorrechnen, womit die Obrigkeit für dieses Mal zufrieden gestellt ist, dem Himmel sei Dank! Der unverhoffte Amtskontakt erinnert mich aber daran, dass ich mir bald mal wieder Gedanken um meine professionelle Zukunft machen muß: Wohin will ich eigentlich? Besser gefragt: Wohin soll ich streben, angesichts der Tatsache, nichts Bestimmtes zu wollen?

Der Möglichkeiten sind viele, die naheliegendste ist sicher ein Update meiner Webdesigner-Existenz: Endlich eine „richtig kommerzielle“ Angebots- und Selbstdarstellungs-Site mit aktiver Ansprache meiner Wunschzielgruppen. Oder aber ich investiere weit intensiver in die Know-How-Vermittlung und überlege mir dafür praktische und einträgliche Erwerbswege (Bücher + Kurse + Seminare…). Möglich wäre auch die weitgehende Abwendung vom Nützlichen zugunsten des Schönen und/oder Sinnvollen: Schreiben, Kunst, sogar Politik lockt mich gelegentlich. Allerdings würde dann die Finanzierung wieder sehr viel problematischer, doch muß das ja kein Hindernis sein, schließlich war ich die meiste Zeit meines Lebens „arm“. Zu guter letzt, so unter der Überschrift „völlig verrückt“ denk‘ ich manchmal daran, einen E-Shop aufzumachen und Gips-Skulpturen für Haus und Garten zu verkaufen. Ganz besondere Skulpturen, die ich erst selber produzieren lassen müßte, womit diese Idee schon wieder verdammt aufwendig wird!

Wenn ich in solche Überlegungen verfalle, nehme ich mich selber nicht ganz ernst: Bisher hat sich letztlich immer alles „von selber“ ergeben, und das viel besser, als ich es selber hätte planen und machen können. Das heißt aber nicht, dass ich nun dasitzen und Däumchen drehen könnte bis die richtige Eingebung kommt. Es ist wie in den Yoga-Übungen (Asanas): Man muß voll konzentriert und engagiert zwischen Anspannung und Entspannung wechseln, um letztlich in der „rechten Spannung“ mit dem Leben mitschwingen zu können. Reines Abhängen macht schwach, dauernde Anstrengung verkrampft, weder das eine noch das andere ist Ziel oder Sinn, sondern das Geschehen selber, bewußt erlebt. („Form ist Leere, Leere ist Form“).

Ein Wunder eigentlich, diese gute Laune. Viel öfter ist mir in letzter Zeit nach Verschwinden zumute, nach dem endgültigen Abwenden von Mensch und Gesellschaft. (Warum? Nur das Übliche: immer mehr Kommerz & Konsum, Gier, Hass und Verblödung, Mord & Totschlag, Krieg & Umweltzerstörung, schlußendlich Medien, die all das verstärken, so gut sie können – kotz!). Wohin aber sollte ich schon abhauen? Robinsonaden liegen mir genauso wenig wie Sekten oder Landkommunen. Mein Temperament neigt nicht die Bohne zum Selbstmord und – sofern ich gesund und nüchtern bleibe – krieg ich nicht mal tageweise eine Depression hin. Wenn ich dann noch den Morgen mit Yoga beginne und mittags mal ’ne Runde ums Dorf gehe, fühle ich mich körperlich so wunderbar wohl, dass es aufs Denken und Fühlen übergreift und auf einmal ist es ganz unmöglich, alles schlecht zu finden: weder mich, noch die anderen, noch die ganze Welt!

Wow, die Sonne scheint, ich muß mal raus.

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Claudia am 25. Dezember 2000 — Kommentare deaktiviert für Sich verändern?

Sich verändern?

Nicht weit von Gottesgabe liegt am Rande von Schwerin das Sieben-Seen-Center: Eine Shopping-Mall, ein Baumarkt und Mecklenburg-Vorpommerns größter Sportpark. Dazu gehört die wunderbare Saunalandschaft, die ich des öfteren besuche, ein Fitness-Bereich mit den bekannten Kraftmaschinen, auch Tennis, Squash und jede Menge Kurse für Leute, die lieber im Kollektiv zu fetziger Musik schwitzen als alleine mit einem Gerät.

An diesen Geräten hab‘ ich mich schon vor zehn Jahren in Berlin versucht. Eine Probestunde mit Trainer erlebt, Mitglied geworden, noch ca. dreimal hingegangen, Ende. An den Apparaten bin ich vor Langeweile fast gestorben, es war einfach kein Anreiz da, mich anzustrengen, mich irgendwie zu malträtieren und die Trägheit zu überwinden. Natürlich wäre ich gern schlank und fit gewesen, doch diese Wunschbilder in meinem Kopf waren kraftlose Vorstellungen, so wie man manchmal an den Strand denkt und doch in der Stadt wohnen bleibt, Träume ohne Bezug zur wirklichen Welt.

Sind Änderungen machbar?

Immerhin hab‘ ich mittlerweile die Stadt verlassen. Nicht in einem Hau-Ruck-Entschluß, sondern indem ich über mehrere Jahre immer deutlicher bemerkte, was mir die Metropole gegeben und genommen hat. Das immense Kulturangebot, die unendlichen Möglichkeiten, die unzähligen Veranstaltungen gingen zunehmend an mir vorbei, wie viele Berliner lebte ich „im Kiez“, das ich nur ungern und selten verließ. Als auch meine Arbeit nicht mehr an den Ort gebunden war, fragte ich mich immer öfter: Warum bleibe ich hier? Warum tue ich es mir an, täglich von morgens bis nachts diesen Lärm, dieses ständige Hintergrundgetöse zu ertragen? An die dreckige Luft ist man als Städter ja eigentlich gewöhnt, doch jahrelange Yoga-Übungen machen jede Nase empfindlicher, ich konnte nicht mehr so leicht ignorieren, was ich da von früh bis spät einatmete. Am meisten nervten mich gegen Ende die vielen Eindrücke, die strömenden Menschenmengen, die Läden, Lichter und Schlagzeilen, der ganze Glitter und das ganze Elend: Die aufgemotzen reichen Selbstdarsteller genauso wie die „Haste mal ne Mark“-Jugendlichen, die vielen Hunde und die viele Hundescheiße… ich verweigerte einfach die Wahrnehmung und lief völlig „dicht“ durch die Straßen, Bekannte mußten schon laut rufen, damit ich sie überhaupt bemerkte.

Schließlich hatte ich genug und beschloß, Berlin zu verlassen und mir im Speckgürtel etwas zu suchen. Es fand sich auch „wie von selbst“ eine Möglichkeit, in ein altes Bauernhaus in der Nähe von Potsdam zu ziehen. Eine Berlinerin hatte es gekauft und suchte händeringend nach Mietern. Zuerst gefiel es mir recht gut und ich unterzeichnete schon bald den Mietvertrag, doch irgendwie erschien mir das ganze NICHT REAL. Monate gingen ins Land und die versprochenen Modernisierungen kamen nicht zustande, ich glaubte immer weniger daran, dass ich Berlin jemals verlassen würde. Letztlich war es mir auch nicht recht vorstellbar, ohne meinen langjährigen Lebensgefährten wegzuziehen. Der aber wollte erstmal in der alten Wohnung bleiben.

Zieh doch mit uns weg!

Dann, gerade als ich den „Traum vom Land“ praktisch schon aufgegeben hatte, kam auf einmal das Angebot von Freunden: Zieht doch mit uns nach Gottesgabe, wir haben da ein frisch renoviertes Schloß! Plötzlich waren wir in der Lage, sehr schnell ja zu sagen. Nicht allein, sondern zusammen, nicht zum Speckgürtel von Berlin, sondern zum dünn besiedelten Mecklenburg! Selber wäre ich da nie drauf gekommen….

War dieses „aufs Land ziehen“ ein aktives Tun? Ich fühlte mich die meiste Zeit eher passiv, mit Ausnahme der Phase mit dem Potsdam-Plan, der auch prompt nicht funktionierte. Tatsache war die wachsende Sensibilität, die vom Körper ausging und mich immer mehr an der Stadt leiden ließ – man kann es auch Weichheit und Schwäche nennen. Tatsache war das Internet, das mich vom Raum unabhängig machte. So viele Dinge spielten bei dieser großen Lebensveränderung eine Rolle – mein Anteil daran ist eher gering.

Ich führe mir all das vor Augen, weil ich darüber nachdenke, wie man sich verändert, in der Wirklichkeit, nicht in der Vorstellung. Es scheint, dass es dieses Jahr auch gelungen ist, vom Rauchen so weit wegzukommen, wie noch niemals zuvor (100%ig ist es noch immer nicht, ich rauche gelegentlich eine mit, fühle keine Sucht, sondern ein „nicht GANZ loslassen wollen“). Auch das ist nach dreissig Jahren mit 20 bis über 40 Zigaretten am Tag eine spektakuläre Veränderung. Eine, die ebenfalls nicht per Einsicht, Entschluß und Willenskraft zustande kommt, sondern durch längeres Leiden und wiederholtes Wahrnehmen psychisch günstiger Gelegenheiten, durch beiläufige Experimente mit Körper und Geist – bloss nicht so hoch hängen wie 1998, als ich anläßlich eines Aufhörversuchs gleich ein ganzes Nichtrauchertagebuch schrieb und in den Texten geklungen habe, als wolle ich eine Sekte aufmachen!

Wirkliche Veränderungen scheinen leise zu geschehen. Man ist nicht unbeteiligt, kann sie aber auch nicht „machen“. Die Gelegenheit im Sportpark werd‘ ich mal versuchsweise ergreifen – nicht die Geräte, sondern die Fitness-Kurse. Vielleicht ist mein Horror vor körperlichen Anstrengungen ja nur noch eine alte Vorstellung….

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