Thema: Schreiben & Bloggen

Claudia am 23. Januar 2006 — 3 Kommentare

Vom Schreiben und Erkennen

Heute las ich im Logbuch von Gerd Lothar Reschke den Satz:

„Schreiben will etwas; es hat einen Grund, eine Aufgabe. Es geht um Erkenntnis – und nicht um „mich“, mein Denken, meine Gefühle oder sonstigen Interessen, Wünsche oder Vorbehalte. Und es geht nicht um Kunst, Kultur, „Resonanz“. Es ist die Anwendung eines Instruments auf die Sache – auf die Situation, das Ausgangsmaterial.“

Dieser Satz steht im Rahmen einiger Reflexionen über das Herausgeben von Büchern, darüber, in welcher Weise das den Autor vom „Eigentlichen“ ablenken kann. Fragen der Vermarktung, der Selbstdarstellung und der damit verbundenen Eitelkeiten drängen sich vor, und wer das nicht bemerkt, wird flugs verschluckt von der Eigendynamik des „Geschehens“, wie J. Krishnamurti das Alles-Was-Ist zu nennen pflegte. Weiter → (Vom Schreiben und Erkennen)

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Claudia am 30. Juli 2004 — Kommentare deaktiviert für Vom kreativen Leerlauf

Vom kreativen Leerlauf

In meinen Schreibkursen gebe ich manchmal die Aufgabe, den „inneren Kritiker“ zu Wort kommen zu lassen. Es entstehen dann lustige Texte, in denen sich diese „Teilwesenheit“, die nichts im Sinn hat außer Nörgeln und Niedermachen, voll ausleben darf. Besonders für Anfänger ist es eine tolle Übung, sie befreit von der Dominanz dieses Kritikers und zeigt, dass niemand anders als der Autor bzw. die Autorin in den inneren Welten letztlich das Sagen hat. Der Kritiker ist Dienstpersonal, man kann ihn rufen, wenn man ihn braucht, ihm aber auch für eine gewisse Zeit den Mund verbieten.

Für mich ist dieses spezielle „Gespenst“ kein Problem mehr, dafür kann mich eine andere Teilwesenheit aus dem inneren Kosmos zur Weißglut treiben: die „Kreative“. Ich sollte sie vielleicht besser die „Kreativ-Maschine“ nennen, eine, die sich selber einschalten kann und nur mit größter Mühe zum Stoppen zu bringen ist.

Ideen haben, womöglich ganz neue, Konzepte und Projekte entwerfen, die einigermaßen Hand und Fuß haben, all das gilt in der Infogesellschaft als hoher Wert. Ist ja auch schön, wenn einem leicht „was einfällt“, etwas, das tatsächlich „umsetzbar“ erscheint und gleich auch Spass, Spannung, ja sogar Möglichkeiten, Geld zu verdienen in Aussicht stellt.

Was aber, wenn sich solche Ideen und Projekte „am laufenden Band“ ins Bewusstsein drängen? Wie soll ich damit umgehen? Kaum ein lockeres Gespräch, zu zweit oder zu mehreren, in dem meine Ideenmaschine nicht anspringt: man könnte doch auch… wie wäre es denn mit… mal angenommen, man würde… – und schon bin ich mitten drin, im Kopf entsteht ein tolles „Projekt“, fächert sich auf in schillernde, verführerische Möglichkeiten. Je nachdem, wer gerade mein „Kreativpartner“ ist, entwickeln sich in Windeseile ganze Jahresprogramme möglicher Aktivitäten, die sich, wenn ich sie einzeln bedenke, durchaus weiter auffächern in noch mehr „interessante Projekte“. Im Kopf hab‘ ich so schon jede Menge Arbeitsplätze geschaffen – warum zum Teufel wird davon sowenig Wirklichkeit?

Können? Wollen?

Es liegt nicht an mangelnden Fähigkeiten. Ich KANN umsetzen, wenn ich… ja WAS???? Was ist es, das aus Ideen und Plänen Wirklichkeit schafft? Ich beobachte das schon lange, versuche, heraus zu spüren, was es ist, das mich zu Taten treibt oder, wie in den meisten Fällen, einfach zur Tagesordnung übergehen lässt, bis zum nächsten „Anfall“.

Erfolge kann ich bei dieser Beobachtung noch kaum vorweisen. Es ist, als stocherte ich in einer Nebelbank herum, die mir die Sicht vertellt. Wenn ich nichts sehe, kann ich nur denken, nur spekulieren, und das ist ein sehr begrenztes Instrument in Sachen Selbsterkenntnis.

Immer wieder erlebe ich, dass meine Ideen nur wenig später von anderen verwirklicht werden. Klar, es gibt viele kreative Geister und die Themen liegen quasi „in der Luft“. Einerseits fühle ich mich dadurch bestätigt: Ich spinne nicht nur wild herum, meine Ideen sind tatsächlich „machbar“. Andrerseits frag ich mich: Warum machen es Andere, während ich weiter hier herum sitze, meine üblichen Aufgaben abarbeite und zeitweise lieber nicht auf den Kontostand gucke?

Bin ich schlicht zu faul? Was ist Faulheit? Ich gehöre zu denen, die lieber arbeiten als ausspannen, denen der reine Müßiggang nur kurze Zeit Freude macht. Gelegentlich muss ich mich geradezu zwingen, mich vom Computer zu entfernen und mir mal die Beine zu vertreten. Vor dem Monitor bin ich „im Cockpit der Macht“ – aber was MACHE ich wirklich? Jetzt zum Beispiel schreibe ich Diary, zuvor war der morgendliche Mail-Check dran, eine kurze Antwort an jemanden, der vielleicht demnächst seine Website umgebaut haben will. Mehr „Arbeit“ war da fürs erste nicht. Nachher werde ich die Texte meiner Kursteilnehmer kommentieren und neue Schreibaufgaben stellen. Meinen alten PC muss ich heut‘ auch noch verpacken, denn mittags holt ihn ein befreundeter Familienvater ab, der ihn dringlich für seine Kinder braucht. Wie schön: ich kann einer Familie nützen, ein bisschen Stress abbauen helfen mit einem Gerät, das bei mir nur sinnlos Platz wegnimmt.

Und dann? Das ist für heute das „Minimum“. Jeder Tag beinhaltet so ein Minimum absolut zwingender „To-Dos“, die ich auf jeden Fall abarbeite. Jenseits dieser unaufschiebbaren Dinge liegt dann das Feld der „auch noch anstehenden“ Aufgaben: weniger dringliche, aber doch klar definierte Arbeiten: ein Update auf Schreibimpulse.de, ein bisschen Pflege für eine Kunden-Website, ein Brief ans Finanzamt (ihhhh!) – wenn ich länger überlege, kommt da einiges zusammen, teils sind es reine Idiotenarbeiten, teils Dinge, die mich kreativ fordern und auch Freude machen, wenn ich erst mal „drin“ bin. WENN….

Heute ist Freitag, sagt eine innere Stimme. Wochenende! Gönn dir einen frühen Schluss, geh‘ raus und genieße den Sommer! Richtig ranklotzen reicht auch ab Montag noch gut – und wenn’s dir danach ist, kannst du ja auch Samstag mittag oder Sonntag früh was tun, in diesen wunderbar stillen Stunden, in denen niemand aus der Arbeitswelt mit Recht etwas von dir wollen kann!

Je nachdem, wie erfolgreich diese Schluss-für-heut-Stimme ist, komme ich an einem ganz normalen Tag von den unaufschiebbaren Arbeiten zu mehr oder weniger „anstehenden“ Aufgaben. Und dann gelüstet es mich nach „Freizeit“, wobei es mir meistens reicht, mal kurz einkaufen zu gehen, mir was zu kochen oder draußen zu essen. Wenn ich dann nicht verabredet bin, lande ich schon bald wieder vor dem PC, auch mal vor der Glotze, oder ich leg mich mit einem Buch ins Bett. Ah, endlich nicht mehr sitzen!

So sind meine „ganz normalen Tage“.. Sie haben ihre eigene Schwerkraft, ihre beflügelten und eher langweiligen Phasen. Ich schaffe mehr oder weniger, bin entsprechend zufrieden oder unzufrieden mit mir – aber dahinein nun allein aus mir heraus ein neues Projekt zu platzieren, scheint so entlegen, wie zwischendurch mal eben auf den Teufelsberg zu steigen. Ja, der Teufelsberg ist tatsächlich näher, denn er bietet immerhin körperliche Abwechslung.

Begeisterung und innere Filter

Für ein neues Projekt brauche ich auch fürs Umsetzen den inneren Kontakt zur Begeisterung, die ich beim „Ausspinnen“ empfinde. Zumindest, um damit zu beginnen. Bin ich mal drin, entfaltet sich die Freude am kreativen Tun von selber, da muss ich mich dann nicht mehr groß kümmern. Aber wie gelange ich dahin, zu diesem ernsthaften „Beginnen“?

In vielen Fällen zeigt mir ein nüchterner Blick auf das neulich noch so begeistert entwickelte Ideen-Werk: Ja, das ist gar nicht schlecht, sogar durchaus realisierbar – aber will ich das? Will ich tatsächlich im Rahmen dieses Vorhabens monatelang arbeiten und Verantwortung tragen? Wird mir das Tun als solches wirklich Freude machen? Will ich die Menschen, die ich dafür treffen muss, wirklich sehen und für sie arbeiten? Es ist eine Sache, eine „Zielgruppe“ ins Auge zu fassen, die vielleicht diese oder jene Dienstleistung gut brauchen könnte – eine andere Frage ist, ob ich mit dieser Zielgruppe persönlich etwas zu tun haben will.

Oder, das kommt auch vor, die Idee führt mich zu weit weg von den Arbeitsfeldern, die ich gut kenne. Luxuswohnungen an reich gewordene Chinesen zu verkaufen ist gewiss eine gute Idee, zum Marketing fällt mir auch jede Menge ein – aber meine Erfahrungen und Kompetenzen als Immobilienhändlerin sind nun wahrlich nicht groß! Klar, ich könnte mit meinen Ideen zu einem Makler gehen, der solche Wohnungen anbietet – aber es ist erst mal eine „Hürde“, ein neues Feld, auf das ich mich innerlich einstellen müsste. Und meistens liegt es dann weit näher, „das Übliche“ zu tun und nicht das Neue.

Der Druck, Geld zu verdienen, motiviert mich nicht dazu, mit neuen Projekten anzufangen, sondern drückt mich eher dahin, die schon vorhandenen Dienstleistungen auszubauen: neue Webdesign-Kunden finden, wenn man eine lange Latte Referenzen zeigen kann, erscheint sehr viel erfolgversprechender als das mit den Chinesen! :-) Endlich die Schreibkurse für den Herbst ins Web stellen liegt weit näher, als einen „Gedicht-Shop“ zu realisieren (nein, nicht einfach Gedichte verkaufen, das läuft nicht – aber…. das verrat ich jetzt nicht, vielleicht mach‘ ich’s ja doch noch mal!).

Träge Sommertage

Entweder, die Ideen scheitern aus solchen Gründen, oder aber – meistens! – versacken sie einfach im Alltag. Sobald ich morgens Mail abrufe, bin ich mitten drin im Business as usual, und damit auch in einem Bewusstseinszustand „wie gewöhnlich“.

Aber im Gewöhnlichen erschafft sich das Neue nicht! Wenn ich das will, muss ich mir nicht nur „einen Ruck geben“, sondern dafür sorgen, mir den Zustand der Begeisterung zu erhalten, bzw. ihn neu zu erzeugen, wenn ich mit der Arbeit beginne.

Einmal hat das schon gut geklappt. Ein lieber Freund hat mich als Coach dazu bewegt, morgens nicht mit „dem Üblichen“ zu beginnen, sondern mit dem Neuen: Frech das eigene, gerade mal als Ideensammlung vorliegende Vorhaben mitten in die Hauptarbeitszeit legen. Das hat es gebracht! So ist im Sommer 2003 das Kursprojekt schreibimpulse.de entstanden, das ich auch tatsächlich als „zweites Bein“ in meiner Arbeitswelt etablieren konnte. Es macht wirklich Freude und ich entwickle es weiter, aber ich kann es zeitlich nicht so verdichten, dass es mehr Einkommen bringt. Mein inneres Potenzial, mit Gruppen zu arbeiten, ist begrenzt, ich kann mich nicht vervielfachen, brauche Pausen und Phasen „ohne Gruppe“.

Also wär‘ eigentlich das nächste Projekt dran. Ein „drittes Bein“ – aber welches? Unermüdlich arbeitet die innere Kreativ-Maschine, nutzt jeden inspirierenden Dialog, um ihre Einfälle in die Welt zu bringen, die dann auf die beschriebene Weise an den persönlichen „Filtern“ scheitern oder im Alltag versacken.

Der Sommer ist eine Zeit allgemeiner Verlangsamung. Das Draußen lockt, viele sind in Urlaub, alles Organisatorische zieht sich länger hin als sonst – es ist, als hätte die Welt auf einmal einen längeren, entspannteren Atem. Eine schöne Zeit! Aber gleich danach, das kenn ich schon gut, folgt eine Phase verstärkter Aktivität. Im frühen Herbst geht es wieder richtig los. Und ja, ich würde gerne mitgehen, zu neuen Ufern aufbrechen, eines meiner Projekte umsetzen – aber WIE überwinde ich nur dieses innere „Hängertum“?

Es beobachten ist das erste, drüber schreiben das zweite. Schon viele Male hat sich dann „etwas ergeben“, als gäbe es eine innere Instanz, die man nur genug in den Hintern treten muss – oder sie anbetteln: Nun mach doch bitte mal!!! Und irgendwann passiert er dann ganz plötzlich: der „Ruck“, der erste Schritt in die Verwirklichung, der die nachfolgenden leicht macht.

Na, ich arbeite dran und hoffe das Beste. Noch ist ja Sommer…

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Claudia am 07. Juni 2004 — Kommentare deaktiviert für Vom Buchstabenglück

Vom Buchstabenglück

Schreiben heißt, ganz nah bei mir zu sein.

Jetzt steht er da, dieser Satz. Zwar ist er nicht in Stein gemeißelt, hört sich aber so an. Und gleich fühlt sich das Denken provoziert und rattert Kommentare herunter: Stimmt nicht, wenn du über Berlin oder HTML schreibst, bist du nicht bei dir. Und wenn dir nichts einfällt, wo bist du dann? Und überhaupt, was soll der Scheiß? Wer bitte ist hier bei wem? Woher fällt etwas ein – und wohin fällt es dann? Weiter → (Vom Buchstabenglück)

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Claudia am 14. Januar 2004 — Kommentare deaktiviert für Schreiben hilft – aber wie?

Schreiben hilft – aber wie?

Eine Kursteilnehmerin stellte kürzlich die Frage nach dem Schreiben als einem „Sich auskotzen“. Alles mal rauslassen, was auf der Seele liegt und schmerzt, einfach mal hemmungslos jammern, klagen, schimpfen – ist das nicht befreiend und erleichternd? Reinigend wie ein Gewitter nach einer langen staubigen Dürre?

Wer noch kaum Schreibpraxis hat, wird vielleicht gerade diesen Zugang wählen. Für den Moment fühlt es sich womöglich auch gut an – aber dann? Ist damit etwas gewonnen, wenn ich irgendwelche Leiden und Schwierigkeiten, sowie alle negativen Gefühle, die damit zusammenhängen, in die Tasten fließen lasse? Ich spreche jetzt nicht vom Veröffentlichen, sondern einzig vom Aufschreiben, vom „heraus schreiben“ – ist es dann weg oder gebessert?

Gestern war mir das egal. Ich war bereit, zu jammern. Mein letzter Artikel begann ursprünglich mit der Überschrift „Ich will auf den Arm!“ und das entsprach genau meinem aktuellen Gefühl am Ende einer etwas depressiven Phase. Dann aber merkte ich, dass es nicht möglich war, einfach abzubilden, was in mir wühlte, nicht einmal „nur für mich“. Zu sehr ist mir in Fleisch und Blut übergegangen, dass Worte und Sätze ein magisches Handeln sind. Mit allem, was ich niederschreibe, erschaffe oder verfestige ich eine Realität. Solange sich die Gedanken als frei fließender Strom im Kopf bewegen, ist alles plastisch, änderbar von Augenblick zu Augenblick. Wenn ich aber hinschreibe „X ist ein Eumel!“ oder „mein Chef macht mich krank!“ oder auch „ich fühl mich so beschissen und leide unter XYZ“, dann hab‘ ich mich fortan mit einer Realität auseinander zu setzen, die nach Konsequenzen verlangt: Was tu ich jetzt? Wie begegne ich in Zukunft diesen Eumeln? Was muss ich ändern, um mich vom Leiden zu befreien?

Vermutlich benutzen viele das Schreiben genau dafür: Realität fassbar machen, sich damit auseinander setzen und etwas ändern. Oft ist das aber genau der Weg, erst richtig ins Leiden hinein zu kommen. Bliebe es beim Gedankenstrom, würde dieser sich binnen kurzer Zeit mit großer Sicherheit von selber andere Themen suchen, er kann gar nicht anders. Stimmungen und Gefühle als „Schreibimpulse“ wechseln so schnell wie das Wetter in der Eifel. Besser, ich passe einen ab, der mich nach vorne bringt – und „vorne“ ist immer da, wo ich mich wieder besser fühle!

Also alles ignorieren, was nervt? Das nicht. Es geht einfach nicht – nicht, solange ich in den entsprechenden Gefühlen und Gedanken kreise, nicht im „Raum des Leidens“, der seine Schreibimpulse setzt wie alle anderen Lebensräume. Was raus will, muss raus – aber WAS ist DAS? Dieses „Etwas“ kann ich in bestimmten Grenzen frei wählen. Und stelle fest: der schlichte „tagebuchartige“ Bericht aus dem Leben wäre die schlechteste Wahl, würde nur meine miesen Empfindungen noch verstärken und mein Selbstmitleid vergrößern. Statt dessen können „Randaspekte“ wirklich gut tun – und diese erschließen sich mittels anderer „Textsorten“. Der Artikel „Schlimmer als Mundgeruch“ handelt zum Beispiel von Bedürftigkeit: Es hätte eine Aufzählung werden können von allem, was ich gerade entbehre, wonach es mich verlangt, was ich zu brauchen meine, um mich wieder besser zu fühlen (auch das lässt sich so abstrakt formulieren, dass keinerlei Intimitäten verletzt werden). Statt dessen ist es – und zwar ganz „von selber“ – eine kleine, selbstironisch-zynische „Brandrede“ geworden. Ein kurzer, dichter Text rund um den „Randaspekt“: Was mich hindert, einfach mal so zu jammern und zu klagen. Diese „Hinderungen“ werden durch den Kakao gezogen und zum Abschuss frei gegeben, dem großen Gelächter über menschliche Schwächen überantwortet. Als Negativbild dieser „Demontage“ wird das Leiden, das sie ausgelöst hat, sichtbar – jedoch ohne definiert und damit fest-geschrieben zu werden. Hinterher fühlte ich mich um Klassen besser! Konnte wieder über mich lachen, die Luft war wieder frisch und schon bald floss der Gedankenstrom weiter zu anderen, beglückenderen Themen.

Das ist nicht die einzige „Methode“. Es gibt andere, zum Beispiel die direkte, ins Extrem gesteigerte „Brandrede an das Böse“, oder, unauffällig aber wirksam, die Darstellung einer belastenden Angelegenheit in der dritten Person: als wäre ich lediglich Journalistin und berichtete über etwas, das mich selber gar nichts angeht.

Es ist recht neu für mich, das eigene Schreiben so zu rationalisieren und zu analysieren. Schließlich habe ich mir diese „Methoden“ nicht ausgedacht. Sie sind mir zugewachsen, einfach aufgetaucht in all den Jahren, in denen mir das Schreiben zur selbstverständlichen Geste geworden ist: als Selbstausdruck, zur Gewinnung von Klarheit, zur Bearbeitung jeglicher Formen von Leiden, zur Lebensbewältigung ganz allgemein. Durch die Schreibimpulse-Kurse bin ich auf einmal gefragt: WIE und WARUM schreibst du eigentlich? Warum so und nicht anders? Zu Beginn kam ich mir dabei vor wie der Tausendfüßler, den man fragt, wie er denn seine vielen Beine beim Gehen ordnet. Dabei ist es zum Glück nicht geblieben: wo gefragt wird, entstehen auch Antworten, eine ständige Praxis lässt sich tatsächlich „von außen“ ansehen und in Worte fassen. Ob allerdings meine Antworten auch für Andere nützlich sein können, müssen diese Anderen für sich selber ausprobieren. Schreibend!

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Claudia am 15. November 2003 — 1 Kommentar

Mein Nachlass im PC

Dieser Text entstand im Rahmen eines von mir im November 2003 veranstalteten Online-Schreibkurses – da er sehr persönlich ist, übernehme ich ihn hier ins Digital Diary. Er basiert auf dem Gedankenspiel, dass ich plötzlich verstorben bin und nun jemand meinen PC sichtet. Weit in der Zukunft natürlich, was man beim Lesen bemerken wird.

„Der Tunnelblick verengt sich“ – der Dateiname im Ordner „Verschiedenes_sortieren“ springt mir ins Auge. Oh, wie wäre ich dankbar für eine gewisse Verengung, für mehr Konzentration, für irgend einen roten Faden, der mich durch dieses Chaos leitet. Claudia, was hast du uns da angetan! Ich fange beim Lesen immer mit dem „Vermischten“ an, deshalb jetzt auch der Blick ins „Verschiedene“ – aber verdammt noch mal, so wie der riesige Rest aussieht, ist das alles VERSCHIEDENES. Liebe Verschiedene, erscheine mir bitte im Traum und sag mir, was ich machen soll! Weiter → (Mein Nachlass im PC)

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Claudia am 11. September 2003 — Kommentare deaktiviert für Sich veröffentlichen: Vom Schreiben und vom NICHT schreiben

Sich veröffentlichen: Vom Schreiben und vom NICHT schreiben

Ein Webtagebuch ist keine “technische Weiterentwicklung” eines traditionellen Tagebuchs. So manche fragend-kritisch hochgezogene Augenbraue (”Ach, du führst ein Tagebuch im Web??”) erklärt sich aus dieser schlichten Verwechslung: für die Schublade schreiben, womöglich noch in eines dieser “abschließbaren” Poesie-Alben-artigen Leerbücher, wie es viele zu Teeny-Zeiten praktizierten, ist etwas gänzlich Anderes, als sich mit persönlichen Texten einer unüberschaubaren Öffentlichkeit auszusetzen. Das gilt selbst dann, wenn im Einzelfall die Inhalte dieselben sein mögen: Im “geheimen Tagebuch” will sich der Schreibende verbergen, im Webtagebuch will ich mich zeigen.

Sich zeigen??

Wer vor den Zeiten der Ich-AG sozialisiert wurde, empfindet bei der Vorstellung, sich zu zeigen, einen gewissen Schauer von Sündhaftigkeit. Allerlei frühe Konditionierungen schlagen zu: Wer bin ich, dass ich von mir so ein “Aufhebens” machen sollte? Was habe ich schon zu sagen? Bescheidenheit, Zurückhaltung, Sich-nicht-vordrängeln, nicht “angeben”, das Persönliche hinter das Allgemeine zurück stellen – eine ganze Lawine von “Du-sollst” bzw. “Du-sollst-nicht”-Geboten purzelt aus den Schränken des Unbewussten und ergibt eine Gemengelage, deren Entwirrung sich viele lieber nicht zumuten. Der Exhibitionismus-Vorwurf droht, die Welt der Massenmedien, die ja “für die Allgemeinheit” bzw. große Zielgruppen gemacht werden, tradiert beiläufig eine Art gesellschaftliches Tabu gegenüber dem Persönlichen: Erst mal zehn erfolgreiche Romane schreiben, dann darf der Autor auch eine Autobiografie wagen! Oder Außenminister werden, und dann über den “Langen Lauf zu mir selbst” berichten.. Als veröffentlichungswürdig gilt nur das möglichst objektive Allgemeine, bzw. Verallgemeinerbare, aber weil es so schön Quote bringt, Tabus auch wieder zu brechen, werden Menschen andrerseits dazu benutzt, ihr möglichst exotisches Intimleben in unsäglichen Talkshows zum Besten zu geben. Nicht gerade förderlich, um ein entspanntes Verhältnis zum “Sich-Veröffentlichen” zu gewinnen!

Eines der ersten Webtagebücher, das ich zu Gesicht bekam, war untertitelt mit dem Satz “Diese Seite dient allein der eitlen Selbstdarstellung – was sonst?” Die Autorin hatte die “Rezeptionsproblematik” voll erkannt und sich entschlossen, den Stier mutig bei den Hörnern zu packen. Sie zeigte möglichen Kritikern lächelnd den Stinkefinger und schrieb, was sie schreiben wollte – natürlich nicht nur “eitle Selbstdarstellung”. Sie schrieb über alles, was sie beeindruckte und zum Ausdruck drängte, und war damit vielen Ermunterung und Beispiel, es ihr nachzutun.

Die Frage “Was soll ich schreiben?” ist damit im Grunde beantwortet: Wir bringen das, was uns beeindruckt, zum Ausdruck. Bereits die Eindrücke – seien es Sinneswahrnehmungen, Alltagserlebnisse, Medien-Inhalte oder Beobachtungen im Rahmen einer Introspektion – sind ganz persönlich, individuell völlig unterschiedlich. Der Schnee, der vom Himmel fällt, ist nicht für jede und jeden gleich kalt. Vom Liebsten verlassen zu werden oder eine Arbeit zu verlieren, berührt jedes Individuum anders – und das ist interessant! Indem wir uns zu lesen geben, wie wir die Eindrücke verarbeiten, was wir mit den Beglückungen und Katastrophen anfangen, die von allen Seiten täglich über uns herein stürzen, zeigen wir uns gegenseitig echte Alternativen auf. Egal, ob es sich um Großereignisse oder “Banalitäten” handelt: Wenn ich beschreibe, wie es mir damit ergeht, und zwar ohne bewusste Schönung oder sonstige Verfälschung, gibt es immer jemanden, der verwundert denkt: Ach, so geht das also auch, so kann das auch erlebt werden!

“Von sich schreiben” ist im besten Fall zweckfrei, aber deshalb nicht nutzlos. Jedes “andere Erleben”, das mir glaubwürdig und echt erscheint, obwohl es nicht das meine ist, erweitert den Raum dessen, was ich “für möglich halte” – und damit den Raum meiner Freiheit. Das je Eigene zum Ausdruck bringen ist also eine natürliche, lebensfreundliche, sowohl den Schreibenden als auch den Lesenden dienende Aktivität. Wer dazu Lust hat, ist gut beraten, die oben genannten “moralischen Vorhaltungen” locker zu ignorieren – sie treffen einfach nicht den Punkt.

Die Freiheit, NICHT zu schreiben

Wenn ich von mir schreibe, schreibe ich die Wahrheit – MEINE Wahrheit, soweit ich sie in diesem Moment erkennen bzw. überblicken kann. Manchmal ist völlig klar, über was ich schreiben werde, wenn ich mir die Zeit dafür nehme: etwas hat mich so beeindruckt, dass alle anderen Themen nicht in Frage kommen. Oft ist es auch so, dass ich mich hinsetze und warte, in mich hinein lausche und dabei regelrecht beobachten kann, wie mehrere Themen miteinander “konkurrieren” – das sitze ich dann aus, bis sich ein Inhalt erfolgreich durchgesetzt hat und ich mit dem ersten Absatz beginnen kann.

Diese Haltung zum Inhalt, der sich ausdrücken will, ist passiv, ist eher ein “Hören” als ein “Machen”. Es klappt nur, wenn ich mich unter keinerlei Druck gesetzt fühle, weder von außen, noch von einem selbst geschaffenen “Du sollst”. Es war immer gut für mich, mir in jedem Moment bewusst zu sein, dass ich auf meiner Website Königin bin: Was ich nicht zeigen will, kommt da auch nicht hin. Nichts und niemand auf dieser Welt zwingt mich, von dieser Haltung auch nur einen Millimeter abzurücken, gar wegen ihr Schuldgefühle zu empfinden! Ja, sie ist mir Voraussetzung, mich immer weiter vorzuwagen zu Themen, die bisher vielleicht “unschreibbar” wirkten, zumindest in einem öffentlichen Webdiary. Eindrücke drängen zum Ausdruck – das ist “Druck” genug!

Wenn ich zum Beispiel befürchten muss, dass etwas, das ich gerne schreiben würde, eine nahe stehende Person verletzt, dann lasse ich es. Oder wenn mich Bedenken überfallen, dass mein Auftraggeber X. bei der kirchlichen Einrichtung XY das jetzt mitlesen könnte und mich vielleicht nie wieder beauftragen wird, dann lasse ich es auch. Es bringt mir und auch niemand Anderem etwas, wenn ich mich da zugunsten einer “Offenheit” vergewaltige, die nicht WIRKLICH Tatsache ist! Die ich nicht tatsächlich spüre als vollständige Gelassenheit in Bezug auf das “Befürchtete”, sondern die ich mir sozusagen “verordne” – etwa, weil das meiner Bewusstheit und Selbsterkenntnis dienlich sei. Es ist gut, immer zu wissen, dass ich zu meiner Freude schreibe, nicht um mich unter einen “spirituellen Entwicklungsstress” zu setzen. Es genügt, wenn ich hinsehe, wenn ich zusehe, wie die Inhalte sich entfalten wollen und WARUM es an manchen Stellen hakt – dann ent-wickelt sich alles von selbst.

Es wird zum Beispiel dahin kommen, dass ich mich von der Person, die mich in Bezug auf gewisse Themen “im Ausdruck behindert” soweit entferne, dass keine Verletzungen mehr drohen. Oder ich entwickle eine andere Art, mein ökonomisches Überleben zu sichern, das mich weniger abhängig von einzelnen Auftraggebern macht. Die Impulse WIRKEN ja im Leben weiter, auch wenn ich nicht alles schreibe, weil ich dafür noch nicht frei genug bin. Bewusstheit und Selbsterkenntnis gewinne ich, indem ich all das bemerke und beobachte – und Schreiben ist ein wunderbares Mittel, da immer am Ball zu bleiben. Wenn ich FÜHLE, wie sich etwas ausdrücken will, was ich aber leider nicht “raus lassen” kann, aus welchen Gründen auch immer, dann versetzt mich das in Bewegung: wie ein Bach, der sich an einem Hindernis staut, wird der (immanente, nicht äußere!) Druck irgendwann so groß, dass ich in meinem Leben etwas verändere.

Deshalb: Auch “nicht schreiben” ist nützlich – aber nur für den, der “normalerweise” alles schreibt und auch veröffentlicht.

***

Da heute der 11.September ist, las ich mal wieder meinen ersten Diary-Eintrag nach dem Ereignis – tagelang war ich verstummt, beobachtete in mir teils erschreckend abgründige Gefühle, schnell wechselnde Meinungen, verstörende Empfindungen. Anders als sonst wusste ich, dass ich dem Thema nicht einfach ausweichen können würde. Doch während sich aller Orten die Leute mittels “spontaner Statements” in regelrechte “Flame-Wars” verstrickten, Foren schlossen, Freundschaften zerbrachen und Stockhausen ein Engagement verlor, weil er den Anschlag “Kunst” genannt hatte, schrieb ich keine Zeile. Ich wartete ab, bis ich etwas ruhiger geworden war, setzte mich dann hin und ließ heraus, was ‘raus wollte – auch die verstörenden Gefühle, mein “Gefallen” an der Katastrophe. Ich vertiefte mich solange in den “Abgrund”, bis ich durch den Boden desselben in sein Gegenteil fiel – alles zusammen konnte ich dann schreiben und rundum dazu stehen.

* Digital Diary, 18.09.01: Vom Glück mitten im Grauen

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Claudia am 30. Juni 2003 — Kommentare deaktiviert für Von sich schreiben – Reflexionen in der ersten Person

Von sich schreiben – Reflexionen in der ersten Person

„Kann man irgendwo lesen, was du zum Thema »Von sich schreiben« gesagt hast?“, fragt mich eine Leserin per E-Mail. Ich fühl‘ mich einerseits geehrt, andrerseits kalt erwischt: genau darüber will ich seit Monaten schreiben! Drei angefangene Artikel hängen unvollendet im Ordner „eigene Dateien“, es gibt Stichwortsammlungen auf Papier und Mindmaps mit hübschen Wolken und wilden Assoziationen – sogar bis zu einer Gliederung hab ich’s mal gebracht und dann doch wieder aufgegeben. Kein Artikel – was ist daran nur so schwer??

Frag einen Tausendfüßler, wie er es schafft, beim Laufen die vielen Beine zu koordinieren – er wird ins Grübeln verfallen, erschreckt bemerken, dass er es selber nicht weiß, und nicht mehr von der Stelle kommen – ist es vielleicht diese Angst? Eigentlich nicht. Wer Jahr um Jahr ein Web-Diary führt, in Mailinglisten und auf Webboards in derselben Manier das je Eigene der Welt verkündet, muss nicht wirklich fürchten, auf einmal keinen Text mehr zustande zu bringen. Alle meine Texte entstehen ja wie von selbst: nicht das Schreiben ist ein Problem, eher die Unmöglichkeit, es dem planenden Denken zu unterwerfen – und auch das ist nicht wirklich ein „Problem“, denn üblicherweise ist mein Schreiben spontan, ohne Ziel und Zweck. Wenn ich beginne, weiß ich nicht, wo ich im Lauf des Textes ankommen werde.

Gerade das macht einen wichtigen Reiz aus: Ich will nichts verkünden, es gibt keine vorab feststehende Botschaft, sondern ich setze mich schreibend dem Thema aus, lasse es wirken, beleuchte es von verschiedenen Seiten – und tippe alles in die Tasten, was dazu an Gedanken, Gefühlen und Erlebnissen ins Bewusstsein tritt. Wenn gerade nichts kommt, bearbeite ich den letzten Absatz, stelle Worte und Sätze um, so dass sie „den richtigen Sound“ entfalten. Das ist ein Wechsel vom rein beobachtenden Geist („Was ist?“) ins ästhetische Empfinden („Hört es sich gut an?“), der dem „Selbst-Beobachten“ eine Pause gönnt, was dem Fortgang des Textes äußerst dienlich ist. Es ist dasselbe Oszillieren zwischen Inhalt und Form, wie sie etwa beim Clustering bzw. Mindmapping auf Papier zur Ideenfindung angeraten wird: Ein Wort, ein Satz, eine Assoziation wird nieder geschrieben, und bis die nächste kommt, malt man Wolken um die Worte, verbindet sie mit Strichen, kritzelt so ein bisschen vor sich hin – und schon fallen neue Ideen ein – anstrengungslos.

Aus den Schubladen aussteigen

In den Schulen wird das „intuitive“ Schreiben nicht gelehrt. Dass es mir zunächst nicht gelungen war, das Thema „Von sich schreiben“ wirklich anzugehen, verdanke ich einem Rückfall in genau jene Schreibtradition, die dort mit aller Kraft eingeübt wird: das vermeintlich objektive Schreiben, z.B. in Gestalt der „Erörterung“, zwingt dazu, zunächst einen Überblick über den Stoff zu geben, Fragestellungen zu entwickeln, Argumente zu sammeln und in eine Reihenfolge zu bringen, möglichst viele Sichtweisen zu diskutieren, um ganz am Ende – vielleicht – noch zwei drei Sätze „eigene Meinung“ drunter zu setzen. Das ist Schreiben, wie es im Berufsleben meist gebraucht wird: Konzepte, Berichte, wissenschaftliche Arbeiten, journalistische Artikel – ein Schreiben aus dem „Willen zur Macht“: ein Thema, ein Stück Welt soll in den Griff genommen werden, es geht um Übersicht, Orientierung, Meinungsbildung, um handlungsleitende Verlautbarungen.

Genau so hatte ich nun versucht, über das „persönliche Schreiben“ in Webtagebüchern, Blogs, in Foren und Mailinglisten einen möglichst umfassenden Artikel zu erstellen: Stoffsammlung, Überblick, Beispielsammlung, Kriterien zu deren Bewertung – und meine „innere Schreiberin“ trat prompt in den Streik. Schreibend kann ich offensichtlich nicht zwei Herren dienen: einen „pressemäßig korrekten“, möglichst objektiv klingenden Rumdumschlag in die Welt setzen UND dabei den Geist und die Herangehensweisen meines „Schreibens in der ersten Person“ vermitteln. Gerade bei diesem Thema ist mir das schier unmöglich, aber – und das sei allen Interessenten als Warnung ans Herz gelegt! – auch bei allen anderen Themen verliert sich die Lust an der „objektiven Schreibe“. Es fühlt sich mühsam an, die persönliche Sicht wieder beiseite zu lassen bzw. sie zu verstecken, wenn man einmal in die Praxis des freien Schreibens richtig eingestiegen ist. Das Bedienen von Schubladen, das sich Hinein-Zwängen in allseits erwartete Formen („Formate“), wie es z.B. das Schreiben für Zeitungen und die meisten Magazine erfordert, ist mir schon nach etwa zwei Jahren eigendynamischen Schreibens im Netz derart lästig geworden, dass ich es 1998 mit Freude aufgab. (Die üblichen Honorare waren, als Schmerzensgeld betrachtet, auch kaum geeignet, mich bei der Stange zu halten.).

Die persönliche Sicht

Von meinem Fenster aus sehe ich auf einen Spielplatz, Kinder fahren zu zweit auf kleinen Fahrrädern rund um den riesigen Sandkasten. Gelegentlich höre ich das entfernte Geräusch der S-Bahn, doch außer im Winter bekomme ich die Züge nicht zu Gesicht: große Linden und Ahornbäume lassen die Augen im Grün ausruhen, genau das Richtige für eine wie mich, die fast den ganzen Tag auf einen Monitor starrt. Wenn der Schreibfluss mal stockt, ist es immer gut, sich vom Thema zu lösen und umzusehen, die physische Umgebung zu betrachten, das Zimmer, den Schreibtisch, die eigene körperliche Befindlichkeit. Wenn ich verkrampft sitze, Schultern und Hals verspanne, wird kaum je ein lockerer Text in die Tasten fließen. Ich stehe auch mal auf und gehe herum, trete auf den Balkon oder in die Küche – Schreibpausen sind auch zum beiläufigen Aufräumen und Herumputzen gut geeignet, ich mach dann ja nicht einfach Hausarbeit, sondern „diene dem Fortgang des Textes“!

Schreib ich denn nun wirklich „von mir“, wie es die interessierte Leserin mit dem Subject „Von sich schreiben“ voraus setzt? Viele Diary-Schreiber und Blogger tun erst mal genau das: Sie teilen der Welt mit, was in ihrem Alltag passiert, berichten von der Arbeit, den Erlebnissen in der Freizeit – und bekommen dann üblicherweise Probleme, wenn „brisante“ Themen berührt werden: Konflikte mit Nahestehenden, üble Gefühle, unerfüllte Wünsche, eigene Schwächen. Die meisten lassen dergleichen einfach aus, ihre Diarys sind entsprechend langweilig, insbesondere, wenn ihr Leben von den äußeren Umständen her keine lesenswerten Besonderheiten bietet. Andere setzen sich wild entschlossen über jedwede Hemmungen hinweg und empfinden sich selbst als sehr mutig. Sie nutzen ihr Schreiben entweder als Waffe im täglichen Kampf (wenn etwa die Kontrahenten mitlesen), oder auch als Kanal, um Zuspruch, Ermunterung und Beistand vom Publikum zu bekommen, das ganz wie bei einer „Daily Soap“ in voyeuristischen Freuden schwelgt und gerne Tips gibt, wie in diesem oder jenem Konflikt nun weiter zu verfahren sei.

Andere vermeiden diese „Niederungen“ von vorn herein, indem sie die „Formate“ der üblichen Presse nachempfinden. Sie schreiben zu allgemeinen Themen, jedoch mit deutlicher Präferenz der eigenen Meinung: Brandreden zu diesem und jenem, wie sie auch mal im Lokalblatt unter „Meinung“ oder „Leserbrief“ stehen könnten. Sind es schreiberisch begabte Autoren, liest sich das ganz nett, allerdings fragt man sich, warum es als Web-Diary daher kommt: als Leserin ist mir die Meinung eines Unbekannten nur eine Meinung mehr auf dem großen Haufen der täglichen Meinungsäußerungen, die aus allen Kanälen sprudeln, wenn man in die traditionellen Medien bzw. die ihnen zugehörigen Websites schaut. Auf persönlichen Seiten will ich nicht „noch eine Meinung“, sondern etwas über den Menschen selbst erfahren: Warum denkt er so? Wie erlebt er das, worum es hier geht? Was fühlt er, dass er zu dieser oder jener Meinung neigt?

Ich schreibe also nicht „über mich“, aber auch nicht einfach nur „über die Welt“. Eher ist es ein Schreiben „aus mir heraus“, ein „Ver-äußern“ dessen, was ich gerade (jetzt!) bin in Bezug auf das Thema, über das ich schreibe. Neulich stieß ich auf den Begriff „selbstreflexives Schreiben“, der es ganz gut trifft. Das „Selbst“, das hier reflektiert wird, ist die Gesamtheit aller Empfindungen und Gefühle, das physische und psychische Erleben, dazu die Gedankenwelt mit ihren Bewertungen, Plänen, Zielen, Ängsten, Wünschen und Meinungen, bis hin zu Intuitionen und Meta-Ebenen, die nur schwer in Worte zu fassen sind.

Die richtige Haltung

Diesem „Selbst“ gegenüber nehme ich schreibend dieselbe Haltung ein, wie ich sie auch gegenüber „der Welt“ pflege, wenn ich nicht gerade ein bestimmtes Ziel erreichen will: einfach nur Hinsehen und registrieren, was ist. Jegliches Beurteilen, jedes Sortieren in „angesagt“ oder „unmöglich!“ verstellt die Sicht, verzerrt und verfälscht die Wahrnehmung. Ich darf nicht mit der Vorstellung „So bin ich“ in dieses Beobachten gehen, sondern muss völlig offen sein gegenüber allem, was sich da zeigen mag.

Als ich damit anfing, gab es noch jede Menge innerer Verbote, die Liste der „unbeschreibbaren“ Themen war lang. Reine Meinungsartikel „über die Welt“ oder Schmunzelstoff aus dem Alltag waren die Regel, aber langsam wuchs mir größere Freiheit zu. Ich lernte, den inneren Zensor immer öfter auszutricksen, der mir zwar die Wahrnehmung nicht mehr verstellte, aber doch seine „Do’s und Dont’s“ vor dem Niederschreiben, erst recht vor dem Veröffentlichen errichtete. Immer mehr Themen wurden möglich: Schwächen, verworrene psychische Zustände, Krankheiten, Not-PC-Meinungen, finstere Aspekte der eigenen Vergangenheit, Vater, Mutter, das Geschlechterverhältnis, allerlei Süchte und Unfähigkeiten – all das ist durchaus schreibbar, sobald ich mich in der richtigen „Haltung“ einrichte: Ich schreibe, wie die Dinge gerade für mich aussehen, wie ich erlebe, fühle, darüber denke, bin aber mit alledem, was ich da berichte, nicht voll identifiziert. Befinde mich also schreibend nicht „im Kampf“, sondern „in Touch“ – in Berührung mit mir selbst, was eine dermaßen angenehme, herzerwärmende Erfahrung ist, dass schon dadurch die Motivation immer mehr steigt, dem Zensor Paroli zu bieten.

Den inneren Zensor austricksen

Ein paar Überlegungen sind dafür hilfreich, die ich anstelle, wenn die „Bedenken“ überhand nehmen wollen:

  • Ich schreibe aus dem JETZT: was ich heute zu einem Thema sage, muss nicht für alle Zukunft und angesichts der gesamten Vergangenheit das letzte Wort sein.
  • Ich schreibe FÜR MICH. Es ist schön, wenn das jemand lesen will, aber ich schreibe niemandem nach dem Munde und bediene keine Zielgruppen.
  • Perfekt sein langweilt: Auch meine Leserinnen und Leser sind keine Superfrauen und Männer. Sie kennen die Niederungen des Lebens und finden es vermutlich ganz spannend, wenn ich mal ein „brisanteres“ Thema anfasse, mit dem ich so meine Probleme habe oder hatte.
  • Anders sein ist interessant und erlaubt – aber keine Pflicht! Manchmal ist es sogar mutiger, sich als zum (vermuteten) Mainstream gehörig zu outen, anstatt das „besondere Indivíduum“ zu zelebrieren. Manchmal bin ich die Stimme der „schweigenden Mehrheit“ – na und?
  • Ich bin potenziell ALLES, nicht immer nur bei „den Guten“. Und nicht nur ich bin so, sondern alle, ob sie es wissen (wollen), oder nicht.
  • Ich – mein Empfinden, Fühlen, Denken – gehöre nur mir selbst. Niemand hat das Recht, mir zu verbieten, von mir zu schreiben.

Wenn diese Einwände die Bedenken nicht auszuschalten vermögen, dann schreibe ich eben nicht. Sich selbst unter Druck setzen, ist kontraproduktiv, denn dann „trauen“ sich die wahren Empfindungen und Gedanken schon gleich gar nicht mehr ans Licht des Bewusstseins. Ich lasse alles kommen, was dann wirklich „raus geht“, kann ich immer noch ganz frei entscheiden. Und vielleicht ist das Thema ja an einem anderen Tag, in einer anderen Situation auf einmal „schreibbar“. Wichtige Dinge kommen sowieso immer wieder.

Wahrheit und Wahrhaftigkeit

Wer bis hierher mitgelesen hat, wird verstehen, dass diese Art des „freien Schreibens“ nur funktioniert, wenn ich nichts verfälsche: Keine bewussten Verbiegungen und Schönungen, schon gar keine richtigen Lügen! Schließlich ist das Ganze eine Praxis der Selbsterforschung und Erfahrung. Würde ich die Ergebnisse wissentlich falsch darstellen, entfiele die ganze Motivation, das Abenteuerliche, das Spannende. Wahrhaftigkeit ist fürs selbstreflexive Schreiben also nicht moralische Bringschuld, sondern konstituierende Basis.

Allerdings ist die „Wahrheit“ immer eine punktuelle, relative, aus dem Augenblick und dem jeweiligen Standpunkt erlebte und geschriebene Wahrheit. Ich bin kein statisches Wesen, verändere mich ständig, und ich habe auch nicht immer den gesamten Überblick. Es gibt in meinem Webdiary Artikel, da schreibe ich sogar wissend aus einer aktuellen Verblendung heraus (zum Beispiel über die Freude, wieder zu rauchen) . Aber diese Verblendung ist dann halt Tatsache, da mögen sich die Leser amüsieren, für mich ist es ok, auch dann zu schreiben: zwar „wahrhaftig“, aber mit Blindheit geschlagen.

Über Andere schreiben?

Zuletzt will ich noch einen Punkt behandeln, der speziell Diary-Schreibenden auf dem Herzen liegt: Mein Leben gehört mir, aber in diesem Leben kommen Andere vor: Beziehungspartner, Freunde, Auftraggeber und Mitarbeiter, Verwandte und Bekannte – kann ich auch über sie schreiben? Ist nicht jedes Schreiben „über mich“ auch ein Schreiben „über sie“, sobald diese Anderen zu meinem Erleben beitragen?

Ja, ein heißes Thema, und ich kann nur meine ganz persönlichen Antworten bieten: „Über sie“ schreibe ich grundsätzlich nicht. Das ergibt sich schon daraus, dass die ganze Form nicht pseudo-objektiv angelegt ist. Im reinen Erzählen des Alltags können Andere schon mal vorkommen, doch würde ich nie auf die Idee verfallen, etwa schreiben zu wollen „was mein liebster Freund für einer ist“. Das kann ich letztlich nicht wissen, ich erlebe ja immer nur die eigene Wahrnehmung, die eigenen Urteile – und da ist unerforschlich viel Eigenanteil darin, Objektivität ist nicht möglich.

Aber auch das eigene Erleben zu schildern, ist problematisch. Ich gebe zu, dass ich schon mal interessiert mitlese, wenn jemand sich über das langweilig gewordene Liebesleben mit seiner Frau auslässt – aber gleichzeitig läuft mir ein Schauer über den Rücken! Ich empfinde das als eine Art Verrat, eine Illoyalität gegenüber der Intimität der Beziehung, die auch dadurch nicht „geheilt“ wird, dass so mancher das dann seiner Frau auch noch zu lesen gibt – so ganz offen und ehrlich…! Manchmal fühlen sich die Autoren in der Anonymität relativ sicher: insbesondere in den ersten Jahren des Netzes war es eher unwahrscheinlich, dass das eigene Umfeld mitliest, was man im Web so verbreitet. Das hat sich mittlerweile drastisch geändert und gelegentlich konnte ich mitbekommen, wie hart es für die Autoren manchmal war, wenn der „Clash of Cultures“ plötzlich DOCH statt fand.

Es macht dabei sicher einen Unterschied, ob der Schreibende etwas berichtet, was er auch dem „Gemeinten“ in aller Offenheit ins Gesicht sagt, oder ob es etwas ist, das dem Betroffenen ganz neu ist. Zuhause den Mund nicht aufkriegen, aber im Web jammern, klagen, schimpfen, fordern, das ist so ziemlich die unterste Stufe möglichen Verhaltens, wenn man es moralisch betrachtet – und das tue ich hier, es geht ja um „die gute Sitte“ im persönlichen Schreiben.

Doch auch wenn „nur“ geschrieben wird, was auch dem Betroffenen bekannt ist, ist es doch ein Übergriff auf dessen Leben: Er oder sie muss gewärtigen, dass nun irgend jemand aus dem Bekannten- oder Kollegenkreis haarklein darüber Bescheid weiß, was zu Hause gerade los ist – kein schöner Zustand. Es gibt vielleicht Menschen, die ganz frei mit so etwas umgehen können, aber der Normalfall ist es gewiss nicht. Eher bedeutet es eine Art mediale Vergewaltigung, das Intimleben eines anderen öffentlich zu machen. Deshalb sind dem ja auch in der Welt traditioneller Medien rechtliche Grenzen gesetzt.

Was also tun, wenn mich etwas heftig bewegt, ich aber wirklich nicht berichten kann, was los ist, ohne eine ganz bestimmte Person „öffentlich zu besprechen“? Das Thema wird erfahrungsgemäß jedes Mal in den Vordergrund drängen, wenn ich mich zum Schreiben hin setze. Ich kann beobachten, wie es „sich schreiben will“, betrachte mir das ein bisschen und lehne dankend ab. Es wird wieder kommen, doch nicht mehr in derselben Form. Die innere Schreiberin ändert ihre Methoden, man muss nur abwarten! Meist verstreicht dabei ein wenig Zeit und die ganze Konfliktlage entspannt sich: nicht nur im Schreiben-Wollen, sondern auch in der Realität. Nun finden sich auf einmal Formen, darüber zu schreiben, ohne die konkrete Person erwähnen zu müssen. Es sind abstrahiertere, verallgemeinerte Darstellungsweisen, die aber trotzdem nicht langweilig sein müssen, wenn man dicht an den eigenen Gefühlen bleibt. Bezüge zur Vergangenheit sind auch eine mögliche Form. Wenn ich – ohne Namen und Einzelheiten – über eine Beziehung, die zehn oder zwanzig Jahre her ist, schreibe, interessiert keinen Menschen mehr, WER das nun war, das Erlebte ist zum „allgemeinen Beispiel“ geworden, durchaus schreibbar.

Manchmal erübrigt sich auch die Notwendigkeit, über das aktuelle Erleben „mit dem Anderen“ zu schreiben. Schließlich geht es um mich, und ich konzentriere mich immer sehr bald auf das, was mich weiter bringt. Über das Wieder-alleine-Leben zu schreiben, ist dann zum Beispiel sehr viel nahe liegender als über die Gründe einer Trennung.

Mehr als Text

Wer sein Schreiben ernst nimmt und daraus eine regelmäßige Praxis macht, merkt schnell, dass es weit mehr ist, als nur das Produzieren mehr oder weniger lesenswerter Texte. Dieser Artikel ist zudem nur eine Annäherung: Das „Wie“ hab‘ ich angerissen, kaum noch das „Was“ und auch nicht die konkreteren Umstände und Rahmenbedingungen des Schreibens im Web. Insofern ist das gewiss nicht der letzte Beitrag zu diesem wundervollen Thema – wer mag, schaut mal wieder rein!

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Claudia am 12. August 2002 — Kommentare deaktiviert für Wochenende in Waldeshöh – drei Tage schreiben

Wochenende in Waldeshöh – drei Tage schreiben

Drei Tage schreiben ohne aufzuhören, drei Tage mit dreizehn anderen Schreibenden, drei Männer, neun Frauen, mitten im tiefsten Mecklenburg, dazu Wolken, Sonne, Wind, alte Bekannte, auch ein paar neue Gesichter. Das mußte einfach mal wieder sein!

Mit dieser Gruppe werde ich alt. Es ist der einzige Zusammenhang, den ich schon seit zwanzig Jahren kenne und – in immer neuen Formen – immer wieder aufsuche. Entstanden aus Volkshochschulkursen im Kreativen Schreiben, weiter geführt in privaten, selbst organisierten Schreibtreffen alle paar Monate, auch mal ausgeufert in eine dreijährige Gestalt-Gruppe, vierzehngtägig, weil Rainer, unser aller hoch geschätzter Schreib-Animateur sich zum Gestalttherapeuten weiter bildete. (Warum nicht nehmen, was sich gerade bietet, auch wenn mal nicht geschrieben wird?) autobiographisches Schreiben, Selbsterfahrungs-orientiertes Schreiben, es hat gelegentlich andere Namen, aber die sind nicht so wichtig. Immer ist es schön, manchmal tief, meistens lehrreich – und dann die Wochenenden! Seit etwa fünfzehn Jahren treffen wir uns alle Jahre im Haus eines Mitschreibers, mal in Mecklenburg, mal in der Rhön, ich lasse auch mal ein Jahr oder gleich mehrere aus. Wie wundervoll, dies jetzt alles wieder zu treffen, wieder zu erleben, mitzubekommen, wie wir alle älter werden, wie wir uns verwandeln oder uns gleich bleiben. (Krankheit, Tod und Sterben schlägt jetzt schon im allernächsten Umkreis ein, das ist nicht zu übersehen).

Aber davon ein andermal. Es ist jetzt acht Uhr morgens und als ich vorhin die Mailbox abrief, waren da 770 Mails in meinem Arbeits-Account (für den auch 15 Mailinglisten abonniert sind) und 79 im privaten. Etwa 50 hab ich schon als SPAM gelöscht, die anderen benötigen eine Reaktion. In den zwei Mailinglisten, in denen ich mich gerade am Gespräch beteilige, erfordern zwei ein intensiveres Eingehen. Daneben will ich von mir aus an einige Menschen schreiben, um die Fäden der gemeinsamen Aktivitäten wieder aufzunehmen – und die Arbeit schreit nach mir, vor mir liegen sehr disziplinierte Tage, ich muss jede Menge schaffen!

Anstatt jetzt also länger über einem Diary-Beitrag zu sitzen, setze ich mal nur einen Text von der art ein, wie er für diese Art Schreibgruppen üblich ist. Man schreibt nach der Uhr, einfach das, was in den Sinn kommt, ohne irgend einen Wert auf Form, Stil, Inhalte oder sonst etwas zu legen. Je mehr Erfahrung man darin hat, desto besser läuft es, desto weniger ist man vom eigenen Schreiber-Ego blockiert. Der „Anspruch“ ist nicht derselbe, wie in den meisten Veröffentlichungen: dass man anstrebt, etwas für andere Interessantes, Unterhaltsames oder Hilfreiches zu verfassen. Es sind Lockerungsübungen und es macht einfach Spaß. Mehr ist dazu eigentlich nicht zu sagen.

10 Minuten ohne vorgegebenes Thema

Zehn Minuten ohne vorgegebenes Thema, einfach drauf los schreiben, weiter schreiben, im Fluss bleiben. Eigentlich ist es wie sonst auch, wie jeden Tag, wie immer, von der Wiege bis zur Bahre: einfach drauf los leben und dann sehen, was kommt. Man sieht es ja früh genug, man erblickt es, wenn es sich zeigt, und oft will man sich nicht anfreunden. Nicht mit dem, was kommt und erst recht nicht mit dem, was sein Kommen ankündigt, beziehungsweise androht. Immer scheint es das Unerwünschte zu sein, selten das Wunderbare, das Paradies. Das 13. Monatsgehalt des Lebens erwarten wir eher nicht. Die Kündigung dagegen, die Abmahnung, das niedergelegte Schriftstück, kommende Krisen und abstürze, alle Formen von Gemeinheiten – all das sind wir gewohnt und nehmen es ohne Murren in Kauf, sobald wir die 40 überschritten haben. auch Leben muss man üben, locker lassen sich Jahrzehnte verschwenden, bevor man endlich begreift, dass kein Thema vorgegeben ist. alle tun nur so, bzw. die, die vor uns gelebt haben, versuchen, uns ihre Themen aufzudrücken. Gut, wem selber nichts einfällt, der hat vermutlich kein Problem damit, bedenkenlos fremde Filme abzuspulen, doch in den Zeiten der Ich-AG ist man schon gefordert, den eigenen Businessplan zu erstellen. Und – anders als im Geschäftsleben – bekommen wir vom Universum allen Kredit, wir müssen ihn bloß abfordern.

Draußen zwitschert ein Vogel, ein recht junger Vogel. Ob der wohl erschüttert ist, wenn es demnächst Winter wird? Oder ob er das ganz locker wegsteckt, einfach so von augenblick zu Augenblick? Es ist ja doch immer nur Leben, ohne besondere Vorgaben. Wer will mir also vorschreiben, wann ich entsetzt zu sein habe? Bloß, weil irgend ein Tag mein letzter sein wird?

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