Claudia am 19. Juli 2014 —

Wie kommt der Druck in Moskau an? Korrespondenten-Interview auf PHOENIX – transkribiert

Wenn ich halbwegs ausgewogene Nachrichten und Einschätzungen sehen will, ist PHOENIX eine unverzichtbare Quelle. Das Folgende stammt aus der Nachrichtensendung DER TAG vom 18.7.2014.

Ab Minute 3.20 sehr hörenswertes Interview mit Bernhard Lichte, Korrespondent in Moskau, das ich für Euch transkribiert habe.

Klaus Pömpers leitet das Gespräch mit einem Verweis auf die Situation in der laufenden Sitzung des UN-Sicherheitsrat ein, in der Russland doch ziemlich isoliert dort stehe. Es gäbe zwar ein gewisses Verständnis für die historische Situation, das vom chinesischen Präsidenten Lio ausgedrückt wurde, aber sonst… und fragt, ob und wie dieser „Druck“ in Moskau ankommt bzw. welche Folgen er haben könne.

Lichte: „…Was man hier allerdings jetzt schon feststellen kann, ist dass es andere Töne gibt. Putin hat – heute war ein Treffen bei der orthodoxen Kirche. es gibt einen hohen Feiertag heute hier – hat er noch einmal einen Waffenstillstand gefordert. Er hat dieses soweit ich mich erinnere zum ersten mal getan ohne dass er daran Vorbedingungen geknüpft hat. Und ich kann mir vorstellen, dass es da ein gewisses Umdenken bereits gegeben hat, dass man diese Seperatisten ja wie soll ich jetzt sagen loswerden möchte … Putin hat sie aus der Flasche gelassen und er kann sie jetzt nicht mehr kontrollieren. Diese Raketen, die da im Einsatz waren gestern, die dieses Flugzeug abgeschossen haben, sind wohl der letzte Beweis dafür, dass hier sich etwas verselbständigt hat, was man nicht oder nur schwer wieder unter Kontrolle bringen kann. Und Putin wird es wahrscheinlich nur können, indem er die Seperatisten förmlich fallen lässt.

Auf der anderen Seite kommt hier natürlich nicht besonders positiv an, dass schon wieder alle Urteile festzustehen scheinen. Egal wer sagt, „die Russen stecken hinter allem!“
Die Beweise dafür, dass Waffen über die Grenze gekommen sind, hab ich bis heute nicht gesehen, es wird immer nur behauptet, auch was jetzt diese eingesetzten Raketen angeht. Natürlich sind sie russischen Ursprungs, weil Russland in dieser Region eben den Waffenmarkt dominiert. Sie können aber genausogut aus Raubzügen auf ukrainische Kasernen kommen und die Seperatisten haben sie sich angeeignet. Sie erinnern sich vielleicht auch, dass es immer diese Erfolgsmeldungen gegeben hat, dass so viele Soldaten übergelaufen seien zu den Seperatisten. Da wird der eine oder andere dabei gewesen sein, der diese so hochkomplexen Waffensysteme bedienen kann. Und ich glaube, es wäre wirklich zielführender, wenn man versuchen würde, Putin einzubinden, anstatt ihn weiter zu isolieren.“

Frage: „Aber ist nicht genau das geschehen schon vor dem Abschuss oder Absturz der Maschine, mit diesem massiven Druck, der vom Geldmarkt ausgegangen ist, auf die russischen Unternehmen von den neuen Sanktionen – ist da nicht ein doppelter Druck Richtung Moskau, der im Zweifel auch zuviel Druck auf Putin ausübt?“

Lichte: „Ja aber es ist doch – verzeihen Sie mir jetzt diesen Vergleich – in weiten Teil der hohen Politik ist es doch wie im Kindergarten: Druck erzeugt eine Trotzreaktion und dann hat man wirklich eine lange Strecke zu überbrücken bis man wieder die Möglichkeit hat, miteinander zu reden. Ich fürchte fast, dass hier das Kind mit dem Bade ausgeschüttet wird, dass man sich selber unter Zugzwang setzt. Es gibt diesen Katalog mit Sanktionsstufen 1 2 und 3, dann gibt es diese Gipfeltreffen, auf denen dann die Presse lamentiert, dass „wieder mal nicht konsequent weiter gegangen“ wird von der einen Stufe in die nächste, so dass da von der anderen Seite ein doppelter Druck aufgebaut wird. Man müsste vielleicht mal einen Strich ziehen, alles auf Null stellen und neu beginnen.“

Frage: „Haben Sie den Eindruck, dass es entweder durch diesen Absturzt/Abschuss der Maschiene jetzt zu einer möglichen doch baldigen Lösung kommt oder doch eben zu einer Verschärfung der Lage?“

Lichte: „Also gegenwärtig ist beides möglich. Wenn man Putin so in die Enge treibt, dass er die Seperatisten eben NICHT fallen lässt, dann riskiert man, dass es wieder zu einen neuen kalten Krieg kommt. Wenn man ihm hilft, sich von den Seperatisten zu lösen, dann wird er vielleicht auch einfacher leichter und schneller vor allem in die Weltgemeinschaft, in die Arme derselben zurückkommen. Das ist das was ich mir vorstellen kan. Er hat ja auch heute Abend schon gesagt, er sei bereits in direktem Kontakt mit dem ukrainischen Präsidenten Poroschenko. Wrum will man so etwas nicht unterstützen statt jetzt wieder nur zu sagen „du musst jetztUploads von PHOENIX.

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Diskussion

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7 Kommentare zu „Wie kommt der Druck in Moskau an? Korrespondenten-Interview auf PHOENIX – transkribiert“.

  1. Das ist doch eine Umkehrung aller Logik und selbst für Herrn Putin gilt doch die Unschuldsvermutung bis zuletzt bzw. bis zum Beweis des Gegenteils“ sagt Herr Lichte (und nicht nur er), und das ehrt ihn und alle besonnen Stimmen, die (noch) zu lesen, aber, so fürchte ich, laufend weniger werden und immer weniger gut zu vernehmen sind im Chor der Mutmaßer und Davonausgeher und ihren offenbar jeden Anstand hinter sich lassenden Handlangern in den hiesigen Meinungsmassagemedien.

    In Gaza und Israel kommen gerade jeden Tag dutzende unschuldige Menschen um und wird die Lebensgrundlage ganzer Generationen (die materielle der Palästinenser durch die Sprengkraft der israelischen Bomben und die moralische der Israelis durch ihre Schuld an den Hunderten von Toten) vernichtet, und jeder, der seine Augen öffnen und lesen kann, wäre in der Lage, sich die Interessen, die dahinter stecken, die Verantwortlichen, die jeden neuen Anschlag und jede neue Kampagne herbei führen, die Helfershelfer, die an beidem verdienen und die Weggucker, denen das alles zumindest nicht schadet, zu benennen.

    Nichts davon aber geschieht, stattdessen wird woanders (weil es offenbar der angesagten Agenda mehr entspricht, die Welt überall ein Stück konfrontativer zu gestalten als einen Konflikt weit hinter der Türkei sich genauer zu betrachten) in einem Umfang wild in die Weltgeschichte hinein vermutet, das nur noch von der Berichterstattung über Fußball spielende junge Männer in Brasilien übertroffen wurde. Es gibt scheinbar kein allgemeines Interesse an einer erklärenden Logik für tagesaktuelle Vorgänge, an einer prozedural korrekt beweisbaren Schuld oder an einer nachhaltigen, möglichst alle Interessen ausgleichenden Politik, welches sich gegen das Interesse am eigenen Standpunkt, am eigenen Wohlstand und an der Unversehrtheit der eigenen Grenzen und Überzeugungen durchzusetzen vermag.

    Es bleibt nur eine einzige Frage, das glaube ich langsam immer mehr, und die lautet schlicht: Was können die Völker dieser Welt dagegen tun, daß ihre Eliten (plus deren Speichellecker) ganz offensichtlich Amok laufen? Und ich sehe leider nur eine einzige Antwort: Zuschauen und die Suppe auslöffeln und, weil sie vermutlich dabei gefilmt werden, in die Kamera lächeln. Falls überhaupt etwas zum Auslöffeln für sie übrig bleibt, denn das ist die andere, böse Vermutung, die mir ebenfalls beständig im Kopf umher geht: Sollten die Eliten dieser Welt vielleicht auf eine Idee gestoßen sein, wie sie demnächst ohne diese Welt auskommen? Und ist diese Idee ebenso spinnert wie das meiste, was man von ihnen zu hören bekommt, wenn sich einmal unversehens der Mantel des spin doctors geöffnet hat? Wird etwa der von seiner Mission felsenfest überzeugte Selbstmordattentäter zum Paradigma des modernen Menschen, welches das frei entscheidende Subjekt ablöst und zumindest das Problem der Überbevölkerung qua Selbstregulierung langfristig in den Griff bekommen wird?

    Das waren die Neuigkeiten aus aller Welt, und nun schalten wir um zum Sport..

  2. „Was können die Völker dieser Welt dagegen tun, daß ihre Eliten (plus deren Speichellecker) ganz offensichtlich Amok laufen?“

    Vielleicht mal die peinlich blöde Angewohnheit ablegen, sich eine „Elite“ überhaupt zu denken?

  3. Etwas Existierendes kann man nicht einfach wegdenken – nur verschieden benennen.

    Hier spricht mal einer der 0,01% Klartext (hat jetzt nix mit dem Artikelthema zu tun):

    http://www.politico.com/magazine/story/2014/06/the-pitchforks-are-coming-for-us-plutocrats-108014.html

  4. @Uwe: An sich keine schlechte Idee, sie hört sich zumindest täuschend echt wie Nachdenken 2.0 an. Nur müßte ich dann konsequenterweise annehmen, daß es die Völker dieser Welt sind, die Amok laufen – was die Zahl der Freiheitsgrade für heilende Überlegungen doch arg einschränkte.

    Da schiebe ich den ganzen Mist lieber den (für Dich nur gedachten, für mich leider sehr wirklichen) Eliten in die Maßeschneiderten und sonne mich in der Hoffnung, das Hauptgericht sei nicht schon deswegen vergiftet, weil die Nachspeise Schimmel angesetzt hat.

  5. @Claudia: Dieser Text des Mr. Hanauer ist sicherlich sehr nett geschrieben und seine Intentionen sind auch alle sehr nett gemeint – er ist aber letztlich nur das rückgratlose Jammern des Angsthasen unter lauter Wölfen, die ihre Beute niemals teilen werden. Wenn die Geschichte etwas lehrt, dann doch, daß Konzessionen der Mächtigen stets den Beginn ihres baldigen Machtverlustes markieren und nie verhindern, was sie (sei es als Nebeneffekt, sei es als moralisches Feigenblatt, sei es als ernst gemeinte Absicht) so gern abwehren wollen.

    Das Unangenehme der aktuell Mächtigen scheint mir leider zu sein, daß die Mistforke, auf der sie sicherlich (von wem oder wie auch immer) eines Tages aufgespießt werden, nicht zwischen ihnen und allen anderen wird unterscheiden können, weil der Misthaufen einfach zu riesig geworden ist und zu sehr zum Himmel stinkt, um ihn entsorgen zu können, ohne daß gleich der ganze Basuernhof mit dran glauben muß. Diese Karte, so mein Eindruck, spielen sie daher bis zum bitteren Ende, was ich als Amoklauf (betrachtet man die Sache vom Standpunkt der Nachhaltigkeit) bezeichnen würde.

  6. Hm, ich weiß ja nicht, ob so ein Hanauer wirklich ANGST hat… dazu scheint mir die Mistgabel-Revolution derzeit doch zu weit entfernt, bzw. per Polizeistaat verhinderbar.

  7. Mr. Hanauer ist, so mein Eindruck, da weitsichtiger und versteht unter ‚der Mistgabel‘ nicht nur bewaffnete Oppositionelle, die seinesgleichen am nächsten Laternenmast aufhängen, bevor sie das gleiche etwas später mit ihresgleichen tun. Das wäre bloß Revolution 1.0 (irgendwie liebe ich ja diese perfide Art, mit einer Zahl zu argumentieren, ohne überhaupt zu argumentieren, sorry).

    Wovor ein Mr. Hanauer meiner Interpretation nach Angst hat (und sie meiner Auffassung nach auch dringend haben sollte) sind seine eigenen Leute (nennen wir sie abkürzend die Eliten), die dermaßen verantwortungslos (= gierig, dumm, kurzsichtig, egozentrisch, selbst-referentiell und was weiß ich noch alles…) werden bzw. bereits geworden sind, daß sie buchstäblich die Welt zum Teufel jagen, von der sie leben, und zu der gehören die immateriellen Momente von Gesellschaft (wie gesicherte Mechanismen zur Einlösbarkeit von Geld in Waren und Dienstleistungen und solche der Legitimation von Herrschaft statt ihrer gewaltsamen Durchsetzung) wie ihre materiellen (Menschen, Wasser, Luft und Boden), und das ist anscheinend gerade genau das, was aktuell Stück für Stück kaputt gemacht wird oder dessen Erosion zumindest niemand aufzuhalten gewillt ist. Als ein paar Beispiele für die aktuell angewandte, ’nachhaltige Intelligenz‘ seien etwa die Wertschöpfung durch bloßes Buchungsgeld, die Plünderung der Wasservorräte zwecks Auswringen der letzten Ölschichten, der Ersatz des ‚consent of the governed‘ durch digitale Überwachungsendgeräte mit Spaßfaktor oder die Renaissance so intelligenter Energiekonzepte wie die Kernspaltung genannt.

    Das sind Punkte, die Mr. Hanauer scheinbar glaubt, auffangen zu können, indem die Reichen ein wenig Reichtum nach unten durchreichen. Ich dagegen fürchte, daß genau das nicht reichen wird für die Reichen. Und dummerweise für alle anderen auch…