Claudia am 19. Dezember 2007 —

Fest der Liebe: Einsamkeit an Weihnachten?

Als Jahresendzeit-Muffel meide ich die festlichen Verstrickungen rund ums Fest der Feste seit Jahrzehnten. In der wilden Jugendzeit empörte ich mich noch über die Geschenke-Orgie, das „lieb sein auf Kommando“ und das ganze kommerzielle Geschwurbel, das in den Supermärkten schon im September beginnt. Später wurde ich dann milder, gönnte den Leuten ihren Spaß, hielt mich gleichwohl raus und genoss die stillen Tage als verdiente Auszeit, in der ich endlich Dinge tun kann, die sonst im Tagesgeschäft wenig Platz finden, z.B. viel im Diary schreiben, aufräumen, ausmisten, Klarheit und Überblick auf allen Ebenen schaffen – wie angenehm!

Da ich zur Zeit die im Netz schwer „gehypten“ Communities erforsche, bekomme ich mit, wie massiv das Thema Weihnachten die Gemüter bewegt. Vor allem fällt mir auf, dass Weihnachten offensichtlich viele dazu motiviert, sich als „Einsame“ zu outen und ihre ganze Bedürftigkeit in die Online-Welt zu schreiben – ein Verhalten, das sie nicht unbedingt attraktiver macht, aber immerhin allerlei Ermunterungen und Mitleidsreaktionen von Seiten der Leser auslöst. Andere werden nicht müde, ihren extrem hohen Grad des „eingebunden seins“ zu verkünden: überquellende Mail-Accounts, hektische Festvorbereitungen, aufwändige Festivitäten mit Famile und Hinz und Kunz – es wird vorgetragen wie ein Status-Symbol: seht her, ich bin NICHT einsam!

Was ist nur los mit den Leuten? Warum haben so viele Probleme damit, sich als Alleinstehende sinnvoll zu beschäftigen? Sie scheinen sich als Mängelwesen und Vollversager zu empfinden, wenn sie am heiligen Abend nicht irgendwo unterm Weihnachtsbaum sitzen und am 1.Weihnachtsfeiertag niemand eine Gans in den Ofen schiebt. Ist das die dunkle Rückseite des „Fests der Liebe“ – die Hölle der Einsamkeit?

Wenn ich dann genauer hinsehe und zum Beispiel die Profile derjenigen lese, die so jammervoll ihre Sehnsucht nach Liebe in Gedichten und Prosa verlautbaren, ist der Grund ihrer Einsamkeit leicht erkennbar: Sie schauen nur auf sich, auf ihre Bedürfnisse und Mangelgefühle, zudem haben sie sehr konkrete Vorstellungen, wie die- oder derjenige sein soll, der sie aus ihrer Verlassenheit endlich erlösen möge. Sie interessieren sich im Grunde für nichts außer sich selbst und pflegen einen komplett egozentrischen Blick auf die Welt – ist es da ein Wunder, dass sie einsam sind?

Einsamkeit ist ein selbst gemachtes Mangelgefühl. Anstatt sich zu fragen, was fehlt und was sie gerne hätten, könnten diese Menschen (wenigstens zu Weihnachten!) sich zur Abwechslung fragen, was gebraucht wird und was sie geben könnten. Und dann einen Schritt nach draußen tun und einfach damit anfangen: es gibt so viele Möglichkeiten, sich zu engagieren, zwischen den Jahren und an den Festtagen irgendwo mitzuhelfen, wo helfende Hände dringend gebraucht werden. Auch gibt’s vielleicht Menschen im Bekanntenkreis, die ebenfalls alleine sind: anstatt auf Einladungen zu warten könnte man doch selbst auf andere zugehen und etwas veranstalten. Aber nein, sie sitzen ja so viel lieber vor dem Monitor und hämmern ihr Elend in die Tastatur!

Aufmerksamkeit und Zuwendung ist nicht nur etwas, das wir alle gerne haben wollen, sondern vor allem etwas, das wir GEBEN können. Ein Geben, das seinen Lohn in sich trägt, denn als Gebender bekommt man automatisch das zurück, wonach das Herz verlangt – und ganz ohne suchen und bemühtes „Pfauenrad-schlagen“ nach dem Motto: schaut, wie toll ich bin, will mich denn keiner?

Es braucht nur eine Änderung der Blickrichtung um 180 Grad: nach außen, zu den Anderen schauen – und nicht auf die eigene „Verlassenheit“. Dann ist Einsamkeit nie wieder ein Thema, nicht mal zur Weihnachtszeit.

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Diskussion

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15 Kommentare zu „Fest der Liebe: Einsamkeit an Weihnachten?“.

  1. sehr schön geschrieben, claudia.

  2. Hallo Claudia,

    aus meiner Sicht irrst Du hier. Den von Dir beschriebenen Menschen fehlt die Fähigkeit eigene Maßstäbe für sich zu finden.

    Sie orientieren sie ausschließlich !!! an anderen Meinungen.

    Viele haben eine Weltanschauung ohne die Welt geschaut und reflektiert zu haben. Aber das ist eigentlich nichts Neues, wurde schon von den alten Griechen beklagt.

    Frohe Weihnachten und ein gesundes, erfolgreiches Jarh 2008
    wünscht
    Hanskarl

  3. Für mich wäre das Netz ohne Claudia
    sehr viel ärmer.
    Ich lese soo gerne hier, DANKE

  4. „Einsamkeit ist ein selbst gemachtes Mangelgefühl.“

    Dazu passt ein Zitat von Werner Schneyder:
    „Einsamkeit ist Belästigung durch sich selbst.“

    Komme immer wieder gerne hierher zum inspirativen Lesen.

    Wünsche eine schöne Zeit!
    Matthias

  5. Ich danke Euch, bin richtig gerührt!

  6. Einsamkeit und Alleinsein – zwei völlig verschiedene Dinge!

    Alleinsein ist die faktische Abwesenheit von (mir persönlich bekannten) Menschen. Punkt.

    Einsamkeit hingegen ist ein Gefühl – das Gefühl es Alleingelassen- und Verlassenseins.

    Wenn ich allein bin, fühle ich mich nie einsam.
    Einsamkeit spüre ich nur, wenn ich mit anderen Menschen zusammen bin. Und nicht weiß, was mich mit ihnen verbindet. Einsamkeit spüre ich auf nahezu jeder Familienfeier.

    Meine Frau und ich feiern Weihnachten in trauter Zweisamkeit. Keine Reisen, kein Familienstreß. Und das ist gut so.

    Gruß
    Ralf

  7. Da hast du so einen schönen Text geschrieben, und dann am Ende kommt: Dann ist Einsamkeit nie wieder ein Thema

    Den Satz verstehe ich in dem Kontext dieses und anderer Texte, die ich bei dir gelesen habe, gar nicht. Ist das, was er aussagt, für mich doch nur der immer gleiche Ball, der zwischen den Zwillingen ‚Ich-bin-so-einsam-und-verlassen‘ und ‚Meine-Familie/Umgebung-läßt-mich-gar-nicht-zur-Ruhe-kommen‘ hin und her gespielt wird – was du oben auch so genau beschrieben hast. Diese beiden Spieler wollen Einsamkeit zuschütten, auf Gedeih und Verderb, entweder mit einem Schwall aus Tränen wie die Trauernden an einem Grab, oder mit allerlei Gerümpel wie die Menschen, die unentwegt Gartenfeste feiern müssen.

    Aber Einsamkeit gehört doch zum Leben wie Sehnsucht, Freude, Schmerz, Traue usw. Denkst du wirklich, sie würde niemals mehr Thema, wenn du nur auf die Anderen schaust? Welche entsetzliche Aussicht! Irgendwann möchte ich aus der belebten Fußgängerzone heraus und in eine leere Seitengasse, wo ich Atem schöpfen und mir die Häuser in Ruhe begucken kann.

    In sich, denke ich, ist jeder Mensch einsam, egal ob allein oder mit anderen zusammen. Ist das denn so schrecklich, daß es unbedingt Rezepte braucht, davon irgendwie abzulenken? Müssen wir uns unserer Einsamkeit so sehr schämen?

    Frohes Fest dir
    Susanne

  8. Liebe Susanne,

    verwechselst du nicht grade Einsamkeit und allein sein? Ich bin gerne alleine, brauche sogar recht viel Zeit zum alleine sein – aber EINSAM fühl ich mich dabei nicht. Einsamkeit ist ein Leiden, ein Mangelzustand, weil man sich irgend etwas vorstellt, was sein sollte, aber nicht ist – anstatt sich umzusehen und zu schauen, was ist, was gebraucht wird, wo man mitwirken kann und dabei ganz natürlich auch Menschen trifft. Das war als Empfehlung für Einsame gedacht, nicht als Dauerrezept für alle Zeit, bewahre!! :-)

  9. Ich fühle mich dieser Beschreibung von Ralf sehr nah:
    „Wenn ich allein bin, fühle ich mich nie einsam.
    Einsamkeit spüre ich nur, wenn ich mit anderen Menschen zusammen bin. Und nicht weiß, was mich mit ihnen verbindet. Einsamkeit spüre ich auf nahezu jeder Familienfeier.“
    – Und nicht weiß, was mich mit ihnen verbindet. –
    Ja, genau, Einsamkeit entsteht immer dann, wenn ich mit Menschen zusammen bin und es keinen einzigen Anknüpfungspunkt zwischen uns für irgendetwas gibt. Und der „Fluchtweg“ versperrt scheint. Wir treffen uns, weil wir irgendwelche Verpflichtungen/Erwartungen/Rituale erfüllen/bedienen. Manchmal frage ich mich dann, ob wir vielleicht zu wenig nach Anknüpfungspunkten suchen. Es ist mir seit Jahren zudem ein Rätsel, wieso solche (Familien)- „Treffen“ immer und immer wieder zustande kommen, auf denen jedoch wirkliche Begegnungen gar nicht stattfinden (können/sollen).

    Euch allen einen schönen Jahreswechsel. :-) In der S-Bahn habe ich heute einen Bayern getroffen, der auf der Suche nach irgendwelchen Bergen(!) hier in Berlin war. Er sagte immer wieder, irgendwie müsse man ja die Zeit überstehen und er vermisse seine Berge. Zum Schluß der Bahnfahrt hat er mir noch Frohe Ostern gewünscht, die seien ja auch bald. Ich fand´s ein sehr amüsantes Gespräch. ;-)

  10. Ach, schade. Ich habe jedoch eher den Eindruck, daß du beides miteinander verwechselst.

    Ralf hat es auf den Punkt gebracht:
    „Einsamkeit und Alleinsein – zwei völlig verschiedene Dinge!
    Alleinsein ist die faktische Abwesenheit von (mir persönlich bekannten) Menschen. Punkt.
    Einsamkeit hingegen ist ein Gefühl“

    Aber du packst auf das Gefühl der Einsamkeit gleich deine Bewertung („Einsamkeit ist ein Leiden, ein Mangelzustand, weil man sich irgend etwas vorstellt, was sein sollte, aber nicht ist“), die für mich dann im Folgenden („anstatt sich umzusehen und zu schauen, was ist, was gebraucht wird, wo man mitwirken kann und dabei ganz natürlich auch Menschen trifft.“) sofort zum Rezept führt, wie es anzustellen sei, nicht allein zu sein, weil du das Gefühl, einsam zu sein, glaubst meiden zu müssen und es durch Kontakt mit und Funktion für andere Menschen zudecken willst.

    Ob das immer mit Einsamkeit zu verbinden wäre, kann ich nicht einsehen. Natürlich kann diese als Mangel empfunden werden, aber auch als Reichtum. Natürlich kann das Gefühl gemieden werden, aber doch auch gesucht. Immer bleibt, daß Einsamkeit zu dir gehört und dich nie verlassen wird. Wie sehr du dich auch anderen mit-teilen kannst – deine Gefühle, dein Inneres zu teilen ist dir, glaube ich, niemals möglich. Auch wenn die Sehnsucht danach sehr mächtig ist und es Momente großer Annäherung an ein Aufheben dieser Schranke gibt. Ein Leben ohne Einsamkeit aber kann ich mir ebenso wenig vorstellen wie eines ohne Freude, Schmerz, Glück, Angst, Spaß, Ekstase, Tristess….

  11. Liebe Suzanne,

    mein Eindruck von Einsamkeit ergab sich im Lauf der letzten Wochen durch Teilnahme an einer Community, in der ich viele Menschen erlebte, die offensiv ihre (vor Weihnachten offenbar verstärkt gespürte) Einsamkeit beklagten. Mir ging oft regelrecht der Hut hoch angesichts dieses passiven „ich sitze hier und schneide Speck und wer mich lieb hat, holt mich weg!“ Von daher mag mein Artikel das Phänomen ein wenig einseitig dargestellt haben, aber das ist nun mal meine aktuelle Sicht.

    „Einsamkeit unter Menschen“, wie sie Ralf anspricht, kenne ich wohl, z.B. von irgendwelchen geselligen Gelegenheiten, die ich aus äußeren Gründen aufsuchte, wo man smalltalkt und die „Stimmung“ erst besser wird, wenn der Alkoholpegel steigt – in der Konsequenz meide ich solche Veranstaltungen, das stimmt!

    In deinem letzte Absatz sehe ich wieder das Allein-Sein angesprochen, das erst zu „Einsamkeit“ (für mich ein Mangelzustand, sonst hätten wir ja nicht zwei verschiedene Begriffe) wird, wenn man es ablehnt. Die Getrenntheit, die da als Leiden empfunden werden kann, entsteht erst aus der Absicht, sie aufzuheben. Zwar können wir nicht wirklich „das innere teilen“, doch ist es nicht auch so, dass dieses „Innere“, sobald die ABSICHTEN schweigen, genau dasselbe „Innere“ ist, wie bei allen anderen Menschen? Die Getrenntheit also eine Illusion?

  12. @Ina, ja – wie gerade gesagt: DAS kenne ich auch! Und es stimmt: es kommt auf die eigene Offenheit an und ob man bereit ist, Energie aufzuwenden, diese Situation zu verändern. Wobei das im Zwiegespräch oder zu dritt weit besser geht als zu mehreren.

    Witzig: Berge suchen in Berlin!! Man könnte ihn in die märkische Schweiz schicken, da sind ein paar Hügel, Täler und Seen und so weit ist das gar nicht.

  13. Eben bin ich ganz per Zufall auf diese Seite gekommen – und einfach nur begeistert von den Themen und Ansichten, die hier geäussert und diskutiert werden.
    Ich war Weihnachten und Silvester mit einem alten Kollegen, den ich seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen habe, an der Nordsee, nachdem wir fast 3 Monate lang täglich mindestens 1 Stunde telefoniert haben und viele lustige Mails gewechslt haben, und uns in der Zwischenzeit für 1 bis 3 Tage mal besucht haben. Verliebtheit pur in dieser Zeit – und ein jäher Absturz im Urlaub.
    Kuscheln, Umarmen, Lachen, Reden, Wind, Salzwasser auf der Haut spüren, sich bewegen und freuen – Emotionen: igitt, Geruch: igitt, Nähe: igitt, Reden: mit Zeitlimit …
    So eine tiefe Einsamkeit habe ich noch selten im Leben erlebt, und war am glücklichsten, wenn ich alleine spazieren gehen konnte.
    Eigentlich sollte mir so ein Mann sehr leid tun, aber mein Mitleid war ziemlich schnell verflogen, als er mich wegen meiner Bedürfnisse nach Geborgenheit und Zärtlichkeit aggressiv weggestossen hatte.

    Neues Jahr – neues Glück – für Euch alle

  14. Das ist ja ein heftiges und gewiss auch verletzendes, traurig stimmendes Erlebnis! Aber es wundert, da Ihr Euch doch immerhin schon „1 bis 3 Tage besucht hattet – da war es mit ihm vermutlich ANDERS?? Ich meine: war er immer schon so und du hast es nur nicht sehen wollen? Oder war sein Verhalten eine Abwehr, weil er vielleicht fürchtete, dass du nun „mehr willst“?? (Evtl. wegen des bedeutungsschwangeren Weihnachtsfests mit seinem FAMILIEN-Hypes?).

    Egal wie: ER ist tatsächlich der Bedauernswerte, denn er hat etwas Schönes verpasst, ja aktiv verhindert – wogegen du offen für ihn warst und für alles Schöne, was hätte sein können, wenn er sich nicht verweigert hätte.

    Schön, dass du hierher gefunden hast!
    Lieben Gruß

    Claudia

  15. Hallo Claudia und danke für Deine herzliche Begrüssung.

    doch, doch, ich hab vieles schon gesehen, und bin in die obligatorischen Fallen getappt: Ärgere Dich nicht über solche Kleinigkeiten, sieh und fördere das Positive … diskutiere nicht am Telefon, in der Realität sieht manches sowieso anderes aus, und du schaffst das schon, ihn zu überzeugen …

    Aber Menschen, erst recht mit fast oder über 50, lassen sich
    nicht wirklich ändern, ausser von sehr geduldigen ausgebildeten Therapeuten.

    In Paarbeziehungen gehts offenbar wirklich nur um die Frage:
    passt man zusammen oder nicht. Wahrscheinlich sind dort die gegenseitigen Erwartungen ganz einfach zu hoch, um Freundschaften – wie es meiner Erfahrung nach unter Frauen üblich ist – ganz einfach wachsen und reifen zu lassen.

    Obs Männern eigentlich geht?

    Liebe Grüsse
    Marion