Claudia am 21. November 2002 —

Fühlen, schlemmen, zu viel sitzen

Die Wohnungssuche schreitet voran! Ich hab‘ etwas in Aussicht und recht gute Chancen, es auch zu bekommen. Mein erster Plan, die Wohnung direkt neben der jetzigen zu mieten, die seit längerem leer steht, war vor ein paar Wochen gescheitert, doch jetzt auf einmal bietet die Hausverwaltung sie mir DIREKT an – ohne Makler. Plötzlich hab ich freie Auswahl, aber mein Gefühl hat schon anders entschieden: nicht mehr der TOP-STANDARD eines grundsanierten Altbaus, sondern eine Wohnung als „Aufgabe“, zwar von der Mieterin modernisiert, aber doch so, dass für mich – SOFERN es überhaupt klappt – jede Menge zu tun bleibt. Einen wunderbaren Blick in die Weite bietet die Wohnung auch – ein echter Glücksfall.

Freu dich nicht zu früh, sagt mir ein lieber Freund. Wenn es sich dann zerschlägt, bist du enttäuscht! Was aber, das frag ich mich dann, sollen wir im Leben eigentlich fühlen, wenn wir uns dem Verlangen, der Sehnsucht, der Hoffnung verweigern, weil wir die Enttäuschung, die Traurigkeit, den Verlust scheuen?

Viel essen, gut essen und trotzdem abnehmen – wer wünscht sich das nicht? Und genau das erlebe ich seit etwa zwei Wochen! Seit ich im Mai mit dem Rauchen aufgehört hatte, war ich kontinuierlich schwerer geworden, so drei, vier Kilo, mit der Tendenz zum weiter wachsen. Das hat mir nicht mehr gefallen, bin also mal dem Hinweis aus einer Mailingliste gefolgt: Kohlsuppendiät! Das hört sich dermaßen absurd an, aber ich dachte: WENN ich schon sowas Irres mache wie eine Diät, dann kann es ruhig gleich was ganz Verrücktes sein! Natürlich hab‘ ich nicht „5 Kilo in einer Woche“ abgenommen, wie es der Umschlag des kleinen Buches „die magische Kohlsuppe“ versprochen hatte (sie meinten damit auch den Verlust an Wasser, der bei völliger Befolgung der Rezepte und weitgehendem Salzverzicht einsetzt). Aber ich hab‘ eine neue Weise des Essens kennen gelernt: warme Suppen am Mittag, richtig scharf statt besonders salzig, über den Tag dazu jede Menge Obst und/oder Gemüse, gelegentlich Fisch und Geflügel – also das ist wirklich eine Essweise, die mich zufrieden stellt. Und ich nehme täglich ab, tatsächlich, obwohl ich soviel esse wie sonst nie.

Was mir hauptsächlich in dieser Erfahrung aufgefallen ist: Wie sehr man doch gewisse Überzeugungen verinnerlicht hat, die gar nie im Bewußtsein stehen und deshalb auch nicht mehr hinterfragt werden! Man schleppt sie als Altlasten mit sich, sie bestimmen das Leben und man denkt, die Welt sei nun mal so – dabei schaffen diese überzeugungen ihre jeweilige Erfahrung!
So ist offensichtlich bei mir die Überzeugung sehr stark gewesen, eine „gesunde“ Ernährung, die auch noch zum Abspecken führt, sei in jedem Fall eine Form von Darben, von Sich-Zusammen-Reißen, von kontrolliertem Essen, das nie den tatsächlichen Appetit befriedigt. Vielleicht im schlimmsten Fall mal für ein paar Tage lebbar, aber gewiß nicht als Alltag! Für eine abstrakte Gesundheit und ein sowieso unerreichbares (ebenso ungesundes, bzw. verrücktes!) Hungerharken-Schönheitsideal ein viel zu hoher Preis.

Tatsache ist, ich hab noch selten so viel geschlemmt wie derzeit! Der trübe November macht echt Appetit, ich halte mich (mal versuchsweise) an keinerlei Mengen- und Zeit-Vorgaben, sondern esse, wann und wieviel ich Lust habe. Dabei erlebe ich wirklich jede Menge „Du sollst nicht-…“, die sich protestierend zu Wort melden, wenn ich etwa den dritten Teller Suppe verdrücke – ODER wenn ich schon eine Stunde später einen Obstsalat zubereite. Mein Askese-Über-Ich schlägt die Hände über dem Kopf zusammen – und ich nehme ab! Fühl mich dabei ganz wunderbar, denn schon zwei Kilo weniger ergeben ein Gefühl zunehmender Leichtigkeit. Mittlerweile hat auch dieses gesteigert Eßbedürfnis wieder deutlich nachgelassen.

Arbeiten und Sitzen

Immer noch bzw. schon wieder arbeite ich ungeheuer viel. Komme praktisch nicht mehr zu privaten Dingen, keine Mailinglisten mehr, kein Herumsurfen, lange schon kein Diary-Eintrag. Ein paar liebe Leute müßten Mail von mir bekommen, andere will ich eigentlich anrufen, die Gründung meiner Coaching-Gruppe zum hoffentlich nützlichen regelmäßigen Austausch (Freiberuflerinnen) schleppt sich auch so dahin und wartet auf meinen Einsatz – Himmel, es kann sich eigentlich nur noch um Stunden, wenige Tage handeln, bis sich der Dschungel lichtet!

Das sag ich mir und anderen schon ein paar Wochen lang, aber bisher hat es sich dann immer anders dargestellt. Nun ja, ich will ja umziehen, ich werde Geld brauchen, zudem sind meine Kunden allesamt wirklich angenehme Menschen, mit denen ich gern Kontakt habe – und trotzdem ist es manchmal heftig für mich. Im Grunde bin ich eine weniger „ausgelastete“ Gangart gewöhnt – vielleicht aber auch einfach mal urlaubsreif?

Manchmal macht der Körper nicht mehr mit. Das viele Sitzen auf dem tollen Grahl-Duo-Back-Bürostuhl, den ich mir für teueres Geld vor ein paar Jahren als letzte und beste Lösung zugelegt hatte, macht mich krank! Ich sitze offensichtlich so bequem, dass ich (erstmal) alles Physische vergesse – nur meine Wirbelsäule vergißt nicht. Über den Tag staucht ständiges Sitzen sie zusammen, was zunehmend unerträgliche Folgen zeitigt. Und ich MERKE es dann doch, es ist ja nicht so, dass es mir schlecht ginge und ich müßte mich fragen: Woher kommt das jetzt wohl? Nein, ich merke oft und oft über den Tag, dass es nun eigentlich reicht – und doch gibt es nun mal Zeiten, wo ich dieser Einsicht nicht folge. Bis es schlicht nicht mehr geht und es mich vom Stuhl weg treibt! Gestern hab ich den tollen Stuhl mal beiseite gestellt und einen schlichten Holzstuhl benutzt, es war eine Erholung. Da kann man nämlich gar nicht erst solange drauf sitzen.

Tja, die einfachen Dinge, die Basics, sind die interessanten Spielfelder, auf denen sich immer wieder etwas ändert, sich immer wieder Herausforderungen und Leiden zeigen, aber auch erstaunliche neue Erfahrungen machen lassen. Wohnen, essen, sitzen. Handeln, fühlen, das ganz Konkrete erleben – so komme ich zum Mittelpunkt der Welt.