Claudia am 17. Dezember 1999 —

Babylon

Back home: Der kurze Ausflug nach Berlin mußte sein, doch bin ich froh, jetzt wieder hier im Ruhigen zu sitzen, dort draußen die leicht verschneite Wiese und den winterlichen Wald zu sehen – und sonst gar nichts!
Als wir uns in den Moloch einfädelten, eine Stunde Fahrt durch das Häusermeer, durch Unterführungen und Tunnels, dahingleitend in einem mehrspurigen Autostrom (glücklicherweise ohne Stau), konnte der Kontrast zum Dorf in Mecklenburg kaum größer sein. Nach so langer Stadt-Abstinenz war es, als würde ich in einen Film eintreten, alles nicht so ganz real.

Dann ein Stadtbummel, diesmal City West, Kuhdamm, Weihnachtsmarkt, KaDeWe – ich spielte Touristin und war begeistert von der überwältigenden Vielfalt der Formen und Farben, vom glitzernden Reichtum, den vielen Menschen und ihren wuselnden Bewegungen. Anders als im Sommer ist um diese Zeit der Stadtlärm erträglich und auch die Luft beleidigt die Nase nicht. Im Chamissokiez angekommen, in dem ich 20 Jahre wohnte, freute ich mich über die Selbstverständlichkeit des großstädtischen Stils der Kneipen, Cafés und Läden: alles STIMMT, ohne allzu glatt zu wirken, jeder Raum hat eine eigene kunstvoll-gepflegte Atmosphäre, und die Menschen PASSEN in die jeweilige Umgebung.

Hier dagegen, in den wenigen Lokalen, die ich in und um Schwerin bisher gesehen habe, wirkt das meiste aufgesetzt, ein Bemühen, als würde mit großer Anstrengung „Gastronomie“ gespielt, weil das heute nun mal sein muß. Die Menschen sitzen um die Tische und schauen diejenigen, die zur Türe hereinkommen, verwundert an, als wäre etwas falsch. Und sehen selbst aus, als wären sie angestrengte Schauspieler im Bühnenstück »Heute gehen wir aus«. Provinz eben!

Die ersten Stunden spürte ich den Wunsch, wieder in Berlin zu leben, die unendlichen MÖGLICHKEITEN ständig zu spüren und niemals an mangelnden Eindrücken von außen zu leiden. Eindrücke, an denen man sich erfreuen kann, ohne selbst bemerkt zu werden, in der vollen Anonymität der Stadt, wo alle in einer Art Halbschlaf aneinander vorbei sehen, jeder in sich und die eigenen Ziele versunken.

Doch lange hielt die Freude nicht. Eine große Müdigkeit überkam mich, die ich zwar zu übergehen bereit war, aber nicht übersehen konnte. Und am nächsten Morgen auf der Autobahn, als die Stadt hinter uns lag, der Blick wieder frei bis an den weiten Horizont schweifen konnte, fühlte ich die Wiederkehr der Ruhe. Wie angenehm! Und heute, daheim im Schloß, wo so garnichts geschieht außer dem Wechsel des Wetters, spüre ich: DAS EREIGNIS will ich selber sein, auch dann, wenn nichts stattfindet und Langeweile aufkommt. Ich möchte nicht umgeben sein von millionen Aktivitäten, die mir in jedem Moment das Gefühl vermitteln, ich könnte (sollte?) vielleicht doch etwas anderes tun als das, was ich gerade mache.

Diesem Blog per E-Mail folgen…