Claudia am 20. Dezember 2002 — Kommentare deaktiviert für Weihnachten IV: Durch die Wüste zu den Sternen

Weihnachten IV: Durch die Wüste zu den Sternen

Draußen dröhnt ein Preßlufthammer. Wieder reissen Arbeiter das Pflaster auf, das gerade mal ein paar Wochen seit der letzten Baustelle hinter sich gebracht hat. Zwar nehme ich den Lärm wahr, wenn ich einen Eindruck meiner Umwelt aufschreiben will, doch im Grunde berührt er mich nicht. Seit der Rückkehr aus Mecklenburg im Mai 2001, dem Land der großen Stille und Weite, ist diese Veränderung erstaunlich stabil: Lärm geht einfach durch mich hindurch, da ist nichts mehr, dass sich dagegen sträubt und sagt: Was für eine rücksichtlose Schweinerei! Wie soll ich da bloß arbeiten?

Die eingetretene Veränderung hab‘ ich nicht „gemacht“, beabsichtigt, gewünscht oder gar herbei geübt. Es war auf einmal so, ohne dass ich es auch nur bemerkte. üblicherweise nimmt das Bewußtsein die Abwesenheit eines Ärgers ja gerade NICHT wahr. Erst duch die Beschwerden meines Lebensgefährten ist mir dann aufgefallen: wo ist eigentlich MEIN „Leiden am Lärm“ hin gekommen?

Und hier ist sie nun, die Wegscheide: Soll ich jetzt etwa danach SUCHEN? Soll ich „in mich gehen“ bis ich das verlorene Leiden wieder finde? Soll ich in die hinterletzten Winkel meiner Psyche schauen, ob nicht vielleicht eine bloße VERDRÄNGUNG vorliegt oder ob ich mir das nur EINBILDE? Ob also mein Eindruck des Nicht-vom-Lärm-Betroffen-Seins vielleicht nur Illusion, Selbstbetrug und Heuchelei ist???

Habe ich nicht die Pflicht zu solcher Suche, wenn mir Wahrheit etwas bedeutet? Jahrzehntelang dachte ich so, suchte also ständig nach Unter- und Hintergründen und fand auch immer genug: unter der Oberfläche des alltäglichen So-Seins (meines, deines, unser aller…) liegt eine unerschöpfliche Mine, man kann bis in alle Ewigkeit Gold und Scheiße finden, alles Gefundene mit Staunen betrachten, es gar ausstellen – und dann?

Wer solche Erkundungen niemals angestellt hat, ist gut beraten, bei der näheren Untersuchung eines Leids nicht nur im Äußeren nach den Ursachen zu forschen, keine Frage! Diese Denkweise kann sich allerdings – auf Dauer gestellt – verselbständigen: das beobachtenden Hinterfragen wird zum Selbstzweck und raubt die Kraft und den Willen zum Handeln in der Welt. Sie wird grau und wüstenhaft, ihre Blumen verdorren, ihre Düfte verschwinden und verlieren alle Lockungen, ihre ureigenen Schönheiten verkommen zu weniger als Nichts, zur bloßen Spiegelung eines Ich, das nichts mehr außer sich selbst für wahr und betrachtenswert hält: verliebt in sein Elend weint Narziss seine Tränen am Rand des Brunnens der Wirklichkeit, spiegelt sich darin und seufzt: All das bin ICH!

Wer zur Welt und zu sich selbst immer schon eine negative Einstellung pflegt, wird kein Problem damit haben, in dieser Lebenshaltung bis zum Ende aller Tage zu verharren. Schließlich ist die Welt voller Schrecken und Ungerechtigkeit, ist Fressen und Gefressen werden, ist Kampfzone, vor der uns auch der Sozialstaat nicht mehr wirklich retten kann, wie wir derzeit zur Kenntnis nehmen müssen. Was stünde dem Geistesmenschen besser an als ein Leben im Modus der Klage und Anklage?

Hier müssen wir jeder für sich die je eigene Antwort finden und entscheiden, ob wir unser Glück oder unser Elend schmieden wollen – und damit letztlich auch das „der Welt“. Persönlich ziehe ich das Erstere vor, denn ich habe etwas bemerkt, das ich nicht mehr ignorieren kann: Ich FINDE de Wahrheit nicht nur vor, ich SCHAFFE sie auch! Je leerer ich bin, desto besser sehe ich: schon die geringste Erwartung eines bestimmten innerpsychischen Fakts kann diesen Fakt von der bisher nur gedachten Möglichkeit in die folgenreiche Wirklichkeit katapultieren. (Ein Phänomen, das nicht nur erkannt werden, sondern – es liegt auf der Hand! – auch ANGEWENDET werden kann.)

Wohlgemerkt, ich sage nicht, dass ich die Wirklichkeit NUR schaffe und dass es gar nichts zu finden gäbe! Nach meiner Erfahrung gibt es beides, aber in einem von mir letztlich nicht vollständig analysierbaren Geflecht – wer kann schon sagen, wo „ich“ endet und „Welt“ anfängt??? Im Grunde ist alles Teil der Oberfläche des einen Seins – um es mal ein bißchen mystisch auszuzdrücken. Wie weit „meine“ Wirkungen reichen, kann ich nur von Fall zu Fall ausprobieren – nicht ein für alle Mal erforschen, in Gesetze fassen und mich dann darauf verlassen.

Genau das werde ich jetzt bewußter tun! Nichts macht tatsächlich mehr Freude, als sich ganz in etwas hinein zu geben, von Augenblick zu Augenblick den Impulsen zu folgen und dann zu sehen, was kommt, was ES GIBT. Lass die Füße entscheiden, wohin du gehst, sagt ein alter Weisheitsspruch – in diesem Sinne ist auch der Geist nichts anderes als Fuß: ist er in Erwartung einer Katastrophe, wird sich alles zur Ver-wirklichung der Katastrophe verdichten, ist er in Angst, werden immer neue Monster sich zeigen. Gibt er sich dem Haß und dem Ressentiment hin, werden „die Anderen“ immer feindlich wirken und niemals Freunde sein. Erwartet er jedoch das Glück, das Wunderbare, das Abenteuerliche, und ist voller Freude und Zuversicht, dann können auch die hellen Seiten zur Wirkung kommen, indem sie von der Möglichkeit in die Wirklichkeit umschlagen.

Grübeln und Herumrechten, Bedenken tragen und ohne Ende Motive hinterfragen, mit vorgestanzten Wirkungen rechnen und Absicherungen gegen alle denkbaren Unwägbarkeiten anstreben – all das ist der Grauschleier über dem Leben, ist die selbst gebaute Käfiglandschaft, in der wir (ich, du und alle, die das allzu gern so machen!) dann jammernd auf nicht allzu hohen Stangen sitzen und die Krätze kriegen.

Anstatt zu sehen, dass die Tore immer offen stehen und zu fliegen.

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Claudia am 18. Dezember 2002 — Kommentare deaktiviert für Weihnachten III: Vom Weihnachts-Irresein

Weihnachten III: Vom Weihnachts-Irresein

„All‘ überall auf den Seelenspitzen sehe ich blinkende Bomben sitzen, und
innen, aus dem Herzenstor, schaut‘ mit großen Augen die Neurose
hervor…“

Diesen „Weihnachtsreim“ schrieb mir ein Freund, der als Arzt mit vielen Menschen regelmäßig in Kontakt kommt. In diesen allzu heiligen Tagen spitzen sich offenbar die Dinge zu: was lang ertragen wurde, wird jetzt unaushaltbar; das bisher locker Weggesteckte tötet den letzten Nerv. Der kleine Ärger wächst sich zum Großkonflikt aus, die Beziehung kriselt, der Lehrer entläßt entnervt die unbelehrbaren Schüler – der Mitmensch ist alles in allem eine richtige Katastrophe. Zwar sind viele damit beschäftigt, Geschenke einzukaufen, doch die Gedanken an „die Anderen“ werden nicht freundlicher, im Gegenteil. Und die Festtage selbst – so erzählen zumindest immer wieder die Polizeiberichte – beinhalten Dramen und ausagierte Feindseligkeiten, die den Rest des Jahres an Häufigkeit und Intensität deutlich übertreffen.

Was ist nur los an Weihnachten, dem „Fest der Liebe“? Vielleicht – ich spekuliere mal wild drauf los – ist es der Unterschied zwischen Anspruch und Wirklichkeit, der in diesen Tagen nicht mehr tolerierbare Ausmaße annimmt. Einerseits Friede, Freude, Lebkuchenduft und Lichterglanz, das Beschwören einer Harmonie, die auch mitten im vervielfältigten Konsumgeschehen Ziel bewußter oder unbewußter Wünsche ist; andrerseits der Blick auf die Realität, die in diesem Vergleich weit dunkler wirkt als üblicherweise: Niemand liebt. NIEMAND!

Was wir üblicherweise Liebe nennen ist ein ausgesprochen bedingtes und daher flüchtiges Erleben: Solange du meine Erwartungen zu einem gewissen Prozentsatz (der nach eigener Tagesform schwanken kann) bedienst, liebe ich dich – sobald das aufhört, erkenne ich Dich als Fremden: Himmel, was habe ich eigentlich mit dir zu tun? Und je nachdem, wie abrupt sich solche Bewußtwerdungen ereignen, umso unbehauster und verweifelter, einsamer und verlassener mag man sich dabei fühlen: ent-täuscht! Und dann?

Werden die persönlichen Welten aus Selbstbetrug und krampfhaft aufrecht erhaltenen Illusionen in Frage gestellt, reagieren viele äußerst feindselig, Wut, Ärger und Agressionen aller Art suchen ein Ventil – und in der Weihnachtszeit explodiert so mancher ganz unvermittelt, von dem man derartiges gar nicht erwartet hätte – nicht jetzt, nicht so!

Nun, das ist das „Weihnachtsirresein“ – und keiner ist davor sicher. Es ist kein wirkliches „Irre sein“ im Sinne von „ver-rückt“- im Gegenteil, es entsteht duch das Hereinbrechen des Lichts, in diesem Fall des Lichts der Erkenntnis über das, was ist. Wir sehen: aha, ich liebe nicht! Aha, auch der Andere liebt mich nicht, er schätzt es nur, wenn ich dies oder jenes ´rüber reiche: Streicheleinheiten, Vergnügen, Schutz, Anerkennung, Ermunterung, Dankbarkeit und so manches, das ich mir offensichtlich alleine nicht verschaffen kann.

Geschäftsbeziehungen sind von allen Beziehungen die ehrlichsten, denn sie formulieren üblicherweise einen Vertrag über Geben und Nehmen, über die Bedingungen des Miteinander, die sonst so gern verborgen bleiben. Je unausgesprochener und unbewusster diese „Bedingungen“, desto größer das Konfliktpotenzial, wenn das Licht darauf fällt, wenn sichtbar wird, dass sie nicht bzw. nur unbefriedigend erfüllt werden: zwischen Lebenspartnern, unter Freunden, in Familien, bei Kollegen, im Verhältnis zwischen Lehrer und Schüler und selbst zwischen Autor und Publikum – wer schreibt schon gern für die Schublade?

Im christlichen Kontext des Weihnachtsfestes steht der kommende (lat: „ad-venit“) Jesus Christus für das In-die-Welt-Kommen einer bedingunglosen Liebe, einer Liebe, die nicht tauscht und berechnet: genau der Liebe eben, zu der wir nicht fähig und gewöhnlich auch nicht willens sind.

Diese große Erzählung ist von wunderbarer Symbolkraft! Jeder kann sich davon ergreifen lassen, zumindest in diesem potenziell Gemeinschaft-stiftenden Moment der Sehnsucht: Wir erkennen einander als Unzufriedene, als Sehnende nach einer Liebe, die außerhalb unseres allzu menschlichen Vermögens liegt.

Dazu muss ich nicht mal Christ sein. Religionen sind ja ganz allgemein Tröstungssysteme, Therapeutika gegen die Unbehaustheit des Menschen in einem unfassbaren Universum. Wer es schafft, die eine oder andere religiöse Tröstung zu verinnerlichen, ist im Grunde zu beneiden – wir anderen dürfen hoffen, dass der Preis nicht zu hoch ist, dass nicht gleich das Fanatische die Oberhand gewinnt, um die gewonnenen Gewißheiten gegen „Ungläubige“ durchzusetzen. „Innere Sicherheit“ der einen kann Krieg gegen die Anderen bedeuten, wie wir wissen.

Was ist aber jenseits religiöser Geisteswelten, die ja nicht mehr für alle begehbar sind, zu alledem zu sagen? Gibt es auch ohne Jesus Christus, ohne Buddha, Dharma und Sangha einen aufrechten Gang? Ein Dasein, das nicht auf Illusionen baut, aber doch auch den Bezug zu jener unbedingten Liebe – und sei sie noch so unnerreichbar – nicht einfach negiert?

Tja, jetzt steht sie da, diese Frage! Ich kann bis zu ihr vordringen, sie aber nicht beantworten. Sowieso bestünde eine Antwort nicht aus Worten, sondern das je eigene Leben von Augenblick zu Augenblick ist die Antwort – oder ein Versagen. Immerhin erkenne ich immer besser, dass ich die Antwort nicht üBERNEHMEN kann: nicht aus Büchern und auch nicht von lieben Freunden und Lehrern. Sie geben zwar Hinweise, machen mit ihren je eigenen Antworten VORSCHLÄGE – aber all diese Vorschläge, und seien sie noch so intelligent, großartig, gar eingebunden in große Traditionen, werden als „übernommene“ immer auch relativiert, nämlich durch das konkrete Leben ihrer Verbreiter, soweit es auch in seinen Abgründen und Verfehlungen sichtbar wird.

Von Lehre und Leben

Lothar Reschke hat unter dem Titel „Heilige“ hierzu einen interessanten Beitrag verfasst – aus der Sicht desjenigen, der die „Heiligkeit“ als eine Art Bringschuld verspürt: wer sich lebenslang mit sich selber auseinander setzt und hier und da auch von anderen als Lehrender wahrgenommen wird – hat so einer nicht die Pflicht, im Alltag mehr als nur „politisch korrekt“ zu agieren? Sprich: immer lächelnd, alles verstehend, unangreifbar, über den Dingen schwebend ??? Sich also niemals über den Lärm des Nachbarn aufregen, niemals streiten und aus der Haut fahren? Immer hübsch gelassen bleiben???

Natürlich nicht. Wie Lothar das Ganze beschreibt, wird das Absurde gut spürbar, das in der Erwartung der „Heiligkeit“ liegt. Ganz erschöpft ist das Thema damit allerdings nicht: die angeführten Beispiele sind duchweg so, dass man sie unter „gerechter Zorn“ bzw. berechtigter Ärger subsumieren könnte – wie aber würde es sich bei echten Verfehlungen darstellen? Zum Beispiel beim Guru, der seine Schülerinnen sexuell ausbeutet? Oder beim Therapeuten, der Authentizität im Hier & Jetzt lehrt, aber die Trennung von seiner ahnungslosen Frau lang im voraus plant? Und was ist von „Lebensberatern“ zu halten, die bei eigenen Konflikten erstmal die Kommunikation abbrechen und sich in den Schmollwinkel zurück ziehen?
Können sie alle trotzdem Lehrer und Helfer sein?

Und ich frage weiter: Warum sollte ich eigentlich den kompromisslosen Ansichten eines Menschen folgen, mit dessen Leben in dieser Welt ich auf keinen Fall tauschen wollen würde? Kann denn ein katholischer Priester aus seinem Zölibat heraus Ratschläge bezüglich erotischer Vertrickungen geben? Ist liebendes Mitgefühl von jemandem zu lernen, dem andere Menschen in ihrer Beschränktheit so spürbar auf die Nerven gehen? Kann ich mein Leben besser ordnen mit Hilfe der Tipps eines Ratschlagenden, dessen Dasein an dieser oder jener Stelle ein Chaos ist?

Nein! Ganz spontan sage ich dazu nein. Aber stimmt das, auf’s Ganze gesehen? Man muss vorab unterscheiden, was mit „Lernen“ gemeint ist: Ich kann natürlich durch einen Choleriker, der laufend aufbraust und mich anschreit, Gelassenheit erlernen, genauso wie ich in südlichen Ländern lerne, mit sehr viel weniger Wasser auszukommen. Ich lerne hier DURCH eine Person oder ein Phänomen, also durch Lebenserfahrung, durch Praxis. Auf diese Weise kann ich von allem übel und jedem Schurken sehr viel lernen – und doch bleibt er ein Schurke!

Etwas Anderes ist das übende Erlernen einer Lehre, einer überlieferten oder neu propagierten Weisheit oder das übernehmen einer Theorie oder Weltanschauung: HIER ist das Spielfeld der oben gestellten Fragen nach dem Verhältnis von Lehre und Leben. Kann ich jemandem folgen, der selber nicht verwirklicht, was er lehrt?

Ja und nein! Es kann genauso lange funktionieren, soweit meine EIGENE MOTIVATION trägt. Schließlich spricht nichts dagegen, dass einer in einem bestimmten begrenzten Bereich ein guter Lehrender sein kann, auch wenn er nicht alle Erwartungen, die ich (!) mit der Lehre verknüpfen mag, im eigenen Dasein verwirklicht. Diese je eigene Motivation speist sich aus zwei Quellen: aus Erleben und aus Glauben bzw. Hoffen. Um überhaupt etwas verändern zu wollen, muss es mir spürbar schlecht gehen. Ich greife zu einer Lehre, einer übung, einer anderen Praxis, Lebens- oder auch nur Denkweise, um mich bzw. meine Lage zu verbessern. Unzufriedenheit und Leiden können hier ganz subtile Formen annehmen, doch bilden sie IMMER den Motivationhintergrund. Der zweite Punkt ist die Einsicht, das Denken und Auf-die-neue-Praxis-Hoffen, gespeist durch Worte, Texte und Vorbilder (!), evtl. die Kraft einer Gruppe, allesamt eher virtuelle Aspekte, die solange tragen sollen, bis sich spürbare Ergebnisse in der Lebenswelt manifestieren.

Je nach persönlichem Temperament und kulturellem Kontext sind wir hier mehr oder weniger Warte-bereit: Christen warten seit über 2000 Jahren auf die Wiederkunft Christi, Jehovas Zeugen warten insbesondere auf das Gericht und die Rettung der 144000, Buddhisten werden eingestimmt auf unzählige Leben, die bis zum Erreichen des Nirvana oder gar der Erleuchtung aller fühlenden Wesen noch durchzuhalten sind – während ich das schreibe fällt mir auf, dass Religionen sich offensichtlich darum bemühen, unseren Erwartungshorizont ins schier Unnerreichbare zu verschieben. Warum eigentlich?

Wäre es nicht besser, wir vertrauten dem eigenen Urteil? Ich probiere etwas eine Zeit lang aus – entweder es tut mir gut und bringt mich weiter oder eben nicht. Je nachdem, wie es sich damit verhält, verwerfe ich es wieder und gehe weiter, oder baue es ganz oder in Teilen für immer in mein Leben ein. Ich könnte auch experimentieren, eigene Varianten erforschen, vielleicht selber lehren, oder ich mache kein weiteres Aufhebens, sondern sehe zu, dass MEIN Nutzen durch Tun & Handeln in dieser Welt auch zum Nutzen anderer wird. Und entdecke vielleicht über kurz oder lang wieder eine andere Art Leid, das mich motiviert, wieder nach etwas Ausschau zu halten, zu suchen – das Leben ist Bewegung, kein Verharren in Stille. Ich beschwer mich da nicht.

Der Vorbildcharakter eines Lehrers ist also alles in allem hilfreicher Aspekt, keine notwendige Bedingung. Ein Vorbild benötige ich nur, solange ich nicht selber spüre, wie gut „die Sache selbst“ ist, ein Zustand, in dem wir so kurz wie möglich verweilen sollten. Glauben und Hoffen kann Erleben nicht wirklich ersetzen – mittlerweile haben das sogar die Börsianer gemerkt und das läßt für diese Welt hoffen.

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Claudia am 14. Dezember 2002 — Kommentare deaktiviert für Weihnachtsstimmung ?

Weihnachtsstimmung ?

Ein paar Tage ohne Diary verbracht, dafür umso aktiver das Webwriting-Magazin angeschoben. In den nächsten Tagen wird sich da einiges tun. Das Log auf Seite 1 scheint zu gefallen und ich bekomme viele positive Mails. Dass ein Leser auf den Nielsen-Artikel auch gleich mit einer Virus-Attacke reagiert hat, gehört wohl dazu: Manchen fehlen eben die Worte, ihre andere Meinung anders auszudrücken.

Aber genug davon. Es ist Mitte Dezember, noch zwei Wochen bis zum dunkelsten Tag des Jahres. Trotz Weihnachtsbeleuchtung, die auch hier im Dorf Gottesgabe Volkssport ist, will eine weihnachtliche Atmosphäre nicht aufkommen. Die warmen Stürme, der Matsch, der alle unversiegelten Oberflächen zu Gummistiefelfallen macht, die orkanartigen Böen, die hier im Schloßwald ein beeindruckendes Dröhnen hören lassen: Weihnachtsstimmung ist das nicht gerade.

Was aber wäre denn Weihnachtsstimmung? Ich erinnere mich daran, wie es mir als Kind schon ab zehn zunehmend PEINLICH wurde, wenn der Event namens „Bescherung“ auf die Jahr für Jahr gleiche Weise zelebriert wurde. Fast bin ich vor Scham in den Boden versunken, wenn wir drei Kinder am sogenannt heiligen Abend mit einem Glöckchen zu Konservenklängen von „Ihr Kinderlein kommet“ ins geschmückte Weihnachtszimmer mit brennendem Lichterbaum geklingelt wurden. Wie in der Auslage eines Warenhauses hatten meine Eltern die Geschenke arrangiert:

Bescherung, altes Foto

Alles war natürlich schon ausgepackt, denn allzu viel Verpackungsmüll verträgt sich nicht mit echten Wachskerzen am Baum. Trotzdem standen hinter dem Baum noch zwei Eimer mit Wasser, man weiss ja nie!

Auch wir Kinder hatten erstmal „staunend davor“ zu stehen. Denn erst mußte das Lied zu Ende gesungen sein, bevor es uns erlaubt war, „jubelnd“ auf die Geschenke zu stürzen. Erlaubt? Ich jubelte schon, ehe ich überhaupt alles gesehen hatte, denn ich wollte dieses „Kinderjubeln“ schleunigst hinter mich bringen, das meine Eltern offenbar so sehnlichst erwarteten. Was mir an der ganzen Sache so peinlich war und von Jahr zu Jahr immer peinlicher wurde, konnte ich gar nicht sagen. Man hätte Weihnachten jedenfalls ersatzlos streichen können, ich wäre erleichtert gewesen. Doch so gab ich zur Zufriedenheit meiner ahnungslosen Eltern das „jubelnde Kind“, Jahr für Jahr wieder, bis mir der Geist des Protestes von 1968 endlich eine Sprache gab, um meinem Unmut Ausdruck zu verleihen: konsumorientierter stockspießiger Scheiß! Alles Lüge!

Damit war erstmal Schluß mit Weihnachten und ähnlichen „hohlen“ Ereignissen, denen ich mich fortan zu verweigern suchte. Wenn das absolut nicht ging (jetzt zeigte sich der Zwangscharakter der Sache: ich MUSSTE mitmachen!), dann stand ich allenfalls mäkelnd dabei und verdarb den anderen wenigstens erfolgreich die Stimmung. Mit jeder Geste schwitzte ich meine Kritik aus, dass nämlich weder Kerzenduft noch Lichterglanz, weder die gefüllte Riesenpute noch die Zwangsbeschallung mit Weihnachtsliedern darüber wegtäuschen könne, was in unserer Familie IN WAHRHEIT Sache war: blanker Hass und Machtkämpfe Tag für Tag, halt so ein ganz normales Familienleben.

Seither ist viel Zeit vergangen, so richtig warm bin ich mit Weihnachten nie geworden, zumindest nicht in seinem mehr denn je dominanten Shopping-Event-Charakter. Das eigentliche Anliegen solcher Feste kann ich heute verstehen und gutheißen. Sie sollen nicht etwa eine üblicherweise schlimme zwischenmenschliche Realität für einen Tag oder für Stunden einfach nur verbergen, mit Glitzerkram und Hulligully zuschütten. Sondern sie sind als Ausdruck eines Konsenses gemeint, der in Worten lauten könnte: Ja, wir wissen, dass wir alle Egoisten sind und DER ANDERE uns normalerweise nicht viel bedeutet. Dieses Fest ist Ausdruck unserer Unzufriedenheit mit diesem Zustand: Wir leben mal für ein paar Stunden, wie wir es „eigentlich“ gerne hätten, wenn…. tja, wenn wir nicht solche Bestien wären, wie wir es nun mal sind.

Gerade von dieser weihnachtlichen Wahrheit spüre ich allerdings wenig im Bewußtsein meiner Mitmenschen. Die meisten glauben von sich, sie seien ganz wunderbare Typen, stets bereit zu helfen und über alles zu reden, immer auf der Seite des GUTEN, Wahren und Schönen. Und wenn ausnahmsweise mal nicht, dann sind Andere oder „die Umstände“ schuld. Diesen Glauben möchte kaum jemand erschüttert sehen und ein erfolgreich inszeniertes Weihnachten mit maximalem Warenumschlag gehört eben einfach zum Leistungsspektrum erfolgreicher Individuen.

Der Bericht hier wäre unvollständig, ohne anzufügen, dass ich „trotz alledem“ auf Weihnachten konditioniert bin. Ich mußte feststellen, dass ich glitzernden Baumschmuck, den Duft angesengter Tannennadeln, jubelnde Familien und die großen Fressen zu Weihnachten irgendwie mag. Die sinnlichen Einzelheiten des Weihnachtsszirkus‘ sind tief in mich eingeschrieben, in die Schicht, die nicht diskutiert, sondern nur fühlt und reagiert. Und DARÜBER reg‘ ich mich heute nicht mehr auf, sondern genieße es, soweit das im Überangebot der dreimonatigen Kommerzweihnachten überhaupt noch möglich ist.

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Claudia am 07. Dezember 2002 — Kommentare deaktiviert für Weihnachtszeit II: Geben wir’s weiter?

Weihnachtszeit II: Geben wir’s weiter?

Ob sie denn nur eine übriggebliebene Unverbesserliche sei, fragt Marianne in derselben Mail, in der sie mich auf die Aktion *„Gib es weiter“ aufmerksam macht. Offensichtlich haben wenige Stunden gereicht – die Website ist seit dem 4. Dezember online – um die verschiedensten freundlichen und unfreundlichen Kritiker herauszufordern: Das geht nicht, weil…, das kann doch nicht klappen, das ist doch total naiv! Deutschland im Stimmungstief ist nicht so easy in adventliche Nächstenliebe oder gar Weltverbesserungslust zu versetzen!

Worum geht’s? Ich surfe hin und lese:

Das Gib-es-weiter-Prinzip:

Du tust etwas für einen Menschen. Wenn möglich, einen großen Gefallen. Es sollte etwas sein, was diese Person alleine ohne Hilfe nicht bewältigen kann. Anstatt eine Gegenleistung oder Dank zu erwarten, erlegst du ihr auf, dass sie es an 3 andere Menschen weitergeben soll.

War da nicht mal so ein amerikanischer Film, in dem alle ständig gestrahlt und liebevoll gelächelt haben? Die Erinnerung an den Trailer untermalt den Ansturm meiner ganz persönlichen Niedermach-Gedanken: Das geht doch nicht! Das ist doch unendlich naiv! Wer will denn wissen, was für einen Anderen ein „großer Gefalle“ ist? Vielleicht reißt ihn ja genau die Wunscherfüllung, die ich ihm ermögliche, vollends in den Abgrund? Helfen ist doch nicht SO einfach, ja, praktisch ganz unmöglich…. und überhaupt: Tu ich nicht auch ohne Aktion etwas „für einen Menschen“? Bin ich nicht die Hilfsbereitschaft in Person? Soll ich denn jetzt auf die Straße rausgehen und rufen: Hallo, braucht jemand was???

Ich guck eine Zeit lang diesem inneren Theater zu und meine Sympathie für die Aktion steigt. Was solche Widerstände auf den Plan ruft, trifft auf jeden Fall ins Schwarze. Anstatt mit eigenen Argumenten über Sinn und Unsinn einer solchen Initiative zu streiten und so nur den graubraunen Sumpf der üblichen Scheiße einmal gut umzurühren, könnte man einfach der Empfehlung folgen und sehen, was passiert. Gewiß würde man etwas Neues erleben, denn etwas „Unmögliches“ wäre auf einmal möglich geworden – jenseits aller zweifelhaften Ideen vom Helfen-Wollen-Können-Sollen ist es DAS, worauf es ankommt!

Wer ist „man“? Die Widerstände wirken bis in die Wortwahl hinein: werde ICH denn der Empfehlung folgen? Oder möchte ich nur dem geneigten Surfer Ratschläge geben, deren Verwirklichung ich doch lieber bei Anderen beobachte als sie selber auszuprobieren?

Mal sehen, ehrlicherweise lasse ich das offen. Es kommt drauf an, wer bzw. was für eine Aktivität sich mir als Gelegenheit anbietet, „es weiter zu geben“. Dass da etwas kommen wird, ist gewiß, wenn ich mich für die Idee öffne – und zumindest dafür hat mir Mariannes Inititative den Anstoß gegeben.

übrigens: nicht nur, weil es weihnachtet, unterstütze ich diese Idee. Ich würde gerne für viel MEHR Initiativen, Ideen, konkrete Projekte und ungewöhnliche Vorgehensweisen den roten Teppich ausrollen, wenn sie nur EINES leisten: einen Kontrapunkt in dieses Jammertal Deutschland setzen, in dem zur Zeit alle in kollektiver Untergangslust an den Ästen sägen, auf denen sie sitzen und ihr je eigenes entrüstetes „So nicht!“ in die Welt hinaus rufen. Ich kann es nicht mehr hören: Wie hier jeder versucht, sich und die je eigene Interessengruppe mit großer Geste als das lange schon gemolkene Opfer darzustellen! Oder gar immer noch mehr rauszuholen, egal, ob die öffentlichen Haushalte den Bach runter gehen und dann eben noch ein bißchen mehr gestrichen und entlassen werden muss. Hauptsache, die Bediensteten mit den vergleichsweise sicheren Jobs bekommen ein paar Euro mehr – all das lässt eigentlich keine Weihnachtslaune aufkommen, im Gegenteil.

Wie kommt man aber von einem Bewusstsein, das immer nur die einstmals errungenen Besitzstände verteidigt, zu einem Denken & Fühlen, das immer zuerst fragt: Was kann ich beitragen? Was kann ich noch abgeben? Wie kann ich Neues schaffen, damit mehr zum Verteilen da ist? Was kann ich dazu tun, damit diese miese Stimmung sich bessert? Denn aus den Stimmungen entstehen die Gedanken, aus den Gedanken die Pläne und Vorhaben, und schließlich folgen die entsprechenden Handlungen.

Wer hier kreativ ist, tut uns allen einen Gefallen. Wer dazu Ideen hat und gar selber ein paar Finger rührt, gehört mit Orden bekränzt und mit Lob überhäuft . Und wenn DU, geneigte Leserin und lieber Leser, dich heute oder in den nächsten Tagen von einem lieben Mitmenschen oder einfach vom Leben beschenkt fühlst, dann behalt es nicht für dich, sondern gib es weiter!

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Claudia am 04. Dezember 2002 — Kommentare deaktiviert für Weihnachtszeit

Weihnachtszeit

Es schmerzt mich fast körperlich, dass mein Schreiben so begrenzt ist. Ich sage „mein“ Schreiben, um nicht den Gedanken aufkommen zu lassen, ich wolle mich hinter einer Allgemeinheit oder hinter einer Art Naturgesetz verstecken. Und doch ist es vielleicht so ein Gesetz: zumindest als Prosa läßt sich immer nur Negatives ausdrücken, mehr noch, man liest auch nur gern, wenn der kalte Hauch des Schreckens, des Leidens, der Endlichkeit oder der Gefahr zumindest andeutungsweise duch die Sätze weht. Ein bißchen Tod und Sterben muß schon sein, zumindest ein paar „ordentliche Probleme“, der Autor möge doch bitte durch die Höllen gehen und erzählen, wie es war und wie er wieder heraus gekommen ist. Die Landschaften aus Langeweile und ÖÖdnis hätten wir gern kurzweilig beschrieben und zur Mittagspause serviert, damit wir wissen, wie schlimm es sein kann und wie gut wir es doch haben – vergleichsweise.

Nahezu zwanghaft gerate ich schreibend immer wieder in dieses Fahrwassser des Negativen, selbst bei den sachlichsten Gegenständen darf die Würze nicht fehlen, die das Ganze interessant und für Andere konsumierbar macht: ein bißchen Häme hier, ein wenig Spott da – selbst im Geist großzügigster Gelassenheit läßt sich immer noch sagen, dass das, was Andere zu diesem Gegenstand gedacht, gesagt, geschrieben haben, doch ein ziemlicher Schrott ist! Wenn nicht im eigenen Elend gerührt wird (was auch den Leser anrührt), muß halt der Andere dran glauben, dann ist eben ein bißchen Krieg angesagt!

Gibt es eine Alternative? Wenn ich mich wehre, wenn ich dem verrückten Impuls, dem Schönen durch Ausmalen des Häßlichen zu dienen, widerstehe, werde ich langweilig oder verstumme gleich ganz. Auch selber lesend bin ich kaum in der Lage, über die ersten Sätze eines „positiven“ Textes hinaus zu kommen: Gott, wie naiv! Es scheint unvermeidlich zu sein, einem Schreibenden die Sicht aufs Ganze als Pflicht aufzuerlegen – und wenn er sich dann heraus nimmt, der Welt zu applaudieren, und sei es nur bezüglich eines kleinen Insekts, das immerhin einige Millionen Jahre erfolgreich hinter sich gebracht hat, dann kann man ihn schon nicht mehr ganz ernst nehmen.

Bis hierhin ist gerade mal an der Oberfläche gekratzt. Aber will ich denn überhaupt tiefer? Ich wüßte nicht, wie ich das tun könnte, ohne in die beschriebenen Fahrwasser zu geraten. Gedichte schreiben, ja, das wäre eine Möglichkeit, oder malen, singen – alles Abschiede von der mir so vertrauten Form der Kommunikation, in der ich immer noch ausharre, die ich weiter betreibe, selbst wenn ihre Grenzen lange erreicht sind. Ich tue so, als wollte ich mit Anderen reden – aber in Wahrheit ist das schon lange nicht mehr der Fall. Was gäbe es denn auch zu sagen? Immer klarer steht mir vor Augen, dass es exakt drei Sätze sind, die wir endlos variieren können, mit mehr oder weniger Vergnügen:

1. Die Welt ist schlecht, das Leben furchtbar.
2. Die Welt ist wunderbar, das Leben ist schön.
3. Es ist, wie es ist.

Über alles, was damit gemeint ist, spannt sich natürlich noch ein ganzer Kosmos aus Psychismen, aus übergflüssigen Problemen erregungssüchtiger Egos, (klar, ich spreche von mir!) die beim Blick in die aufgehende Sonne nicht zur Sonne werden können, sondern sagen müssen: guck mal, was für ein toller Sonnenaufgang! Für dieses Leiden an der Großhirnrinde gibt es kein Heilmittel außer der Ausbildung der Fähigkeit, sie auf Standby zu schalten und nur im Bedarfsfall zu aktivieren – genau das übe ich aber nicht ein, indem ich darüber schreibe.

Immerhin muß ich mir nicht mehr vormachen, ich würde schreibend etwas „klären“, um hinterher daraus Nutzen zu ziehen. Es gibt da kein Um-Zu mehr, insofern bin ich mir schreibend selber voraus. Vielleicht ist das mit ein Grund, dass die Buchstaben immer wieder ihren Weg finden.

Jetzt geh ich mal ein paar Schritte um die Häuser. Zur Zeit kann ich nicht lange vor dem PC sitzen, der Körper sendet deutliche Signale. Sowieso warte ich darauf, dass mich die Muse küßt: die letzte Website, die in diesem Jahr für eine Kundin zu gestalten ist, muß das Licht der Welt erblicken. Und wie immer, kann ich es nicht auf die Stunde genau zwingen, spazierengehen ist dann besser, als auf eine weiße Fläche schauen.

Mir gefällt die Weihnachtszeit, endlich! Früher konnte ich das gar nicht wahrnehmen, so sehr war ich im Sumpf der Konsumkritik gefangen, in diesem nichts übrig lassenden „Das.ist-doch-nur“, das sich für den Gipfel der Erkenntnis hält, aber mit dem Leben dafür bezahlt. Jetzt freu ich mich an den Lichterketten, die in den Zeiten der Krise in Berlin offenbar besonders hell strahlen, hab mir beim ÖÖko-Stand einen „besonderen“ Adventskranz gekauft (irgendwo muss das „besonders“ ja hin…) und jetzt geh ich in den Supermarkt und kauf ein paar Lebkuchen. Manchmal sind sogar die Menschen in der Adventszeit fröhlich und freundlich – da mach‘ ich ein bißchen mit.

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Claudia am 21. November 2002 — Kommentare deaktiviert für Wohnen & Wünschen

Wohnen & Wünschen

über die Frage nach dem richtigen Wohnen tut sich mir die Welt des Wünschens wieder auf. Es erscheint mir als ein kleines Wunder und fühlt sich völlig neu an. Ihr könnt ruhig darüber lachen, doch ich habe tatsächlich geglaubt, ich wäre da heraus gewachsen, geläutert, ein Stück weit heilig geworden, weil vermeintlich frei von materiellen MEHR-Bedürfnissen. Schließlich hegte ich Jahre lang keine konkreten Vorstellungen mehr, WIE und WAS ich im persönlichen Umfeld gerne anders gewollt hätte, als es war und noch ist.

Welch ein Irrtum! Ich war einfach erstarrt in einer lange Jahre eingeübten Haltung, die ein bestimmtes Leben zu zweit erst ermöglichte: eine Form, die ja in jedem Fall ein Konstrukt aus Kompromissen ist. Wenn man dann noch den Frieden über alles setzt und Auseinandersetzungen meidet, muss man sich nicht wundern, dass die Form sich nicht mit der eigenen Veränderung entwickelt, sondern nach und nach zum festen Gehäuse erstarrt, das nicht mehr allzu viel Leben beinhaltet.

Im Zuge des Umziehens entschwindet nun nicht nur DIESE, sondern – zumindest für den Moment – JEDE Form eines gewohnheitsgestützten Alltagslebens. Ich kann mich nicht mehr wirklich an ein „vorher“ erinnern, in das ich zurückfallen könnte – und stehe so vor dem Nichts, vor einer Leere.

Diese wirkt allerdings – wieder nur für den Moment gesprochen – nicht gefährlich, sondern als die Fülle, zumindest der Möglichkeit nach. Wobei diese Fülle noch nicht durch bestimmte Wunschbilder ausdefiniert ist, sondern da ist einfach nur offene Weite – freier Raum, noch ganz ohne Stress, ihn irgendwie füllen zu müssen.

Ausnahme: über die künftige Wohnung nachdenkend, die Basistation zur Erkundung dieser unbekannten Fülle, erlebe ich auf einmal wieder konkrete Vorstellungen und Wünsche! Es ist, als fließe eine neue Energie durch meine Nervenfasern und alles fällt an seinen Platz: Die Wahrnehmung, die Aufmerksamkeit, das leibhaftige Erleben und spürende Erleiden der jeweiligen Umwelt, das mir – anders als früher – heute selbstverständlich ist, bekommt auf einmal den Sinn, der ihm für mein Empfinden lange fehlte: ich richte mich danach! Wenn mich Morgensonne froh stimmt, dann ist ein Ostzimmer morgens genau richtig. Wenn ein Blick in die Weite für meine Psyche ein Lebenselexier bedeutet, werde ich mich nicht in einen Stadtteil vergraben, in dem es nur Häuserschluchten gibt – und seien die Häuser und Menschen dort noch so interessant.

Spüren, fühlen, leben…

Es scheint auf einmal möglich, auf eine Weise zu leben, die ich bisher nur als Herangehensweise bei der Gestaltung von Webseiten kannte: wenn eine Proportion nicht stimmt, eine Farbe sich mit der anderen beisst, tut das richtig WEH – und ich ändere es. So entstehen meine Webwelten, von denen viele sagen, sie seien recht ansprechend. Warum nur ist es so unendlich schwer und langwierig, mit der Lebenswelt auf dieselbe Weise zu verfahren???

Was ich hier sagen will, klingt vermutlich für viele ganz banal: Wer richtet sich denn NICHT nach den eigenen Wünschen? Wer möchte NICHT die Dinge so gestalten, dass sie ihm behagen und Zustände vermeiden, die unangenehm wirken?

Ich kann den Unterschied, den ich meine, an mir selbst am besten erläutern: natürlich hatte ich von Kindheit an „Wünsche“, wollte dieses und jenes haben, strebte nach Bewegungsfreiheit, nach Anerkennung, und nach allem, was bei den Menschen, die mir wichtig waren, „angesagt“ schien. Später begann ich, gesellschaftliche Werte in dieses Motivationskorsett einzubauen: was dem (recht abstrakten!) „Gemeinschaftsgedanken“ nützt, ist auch gut und soll verwirklicht werden – ein Motiv, das bei entsprechender Gemütslage gern auch ins Gegenteil umkippt: alles, was der Selbstverwirklichung des Individuums nützt, ist gut!

So füllt sich das Pantheon der obersten Werte: nach Peergroup, Individum und allerlei Gemeinschaften folgen Friede und soziale Gerechtigkeit, Erhaltung der Natur, bis hin zur Gesundheit, die in vorgerücktem Alter ins Zentrum des Interesse rückt – eine Gesundheit, die man sich dann meist von Labors ertesten und vom Arzt bestätigen lassen muss, weil jeder direkte Zugang dazu verloren gegangen ist.

Damit ist angesprochen, was ich meine: alle diese Wertsetzungen hatten nichts mit mir zu tun, sondern wurden von wem auch immer übernommen bzw. aus abstraktem Denken hergeleitet. Dazu dient auch der irrsinnige Input aus Geschriebenen, die vielen Worte der Weisen und die Erkenntnisse der Wissenschaften bis hin zum ständigen Trommelfeuer der Werbung, die uns vor Augen führt, wie wir sein sollen und leider immer noch nicht sind.

Im Normalfall kommt mensch vielleicht gar nie auf die Idee, mal zu bemerken: all das hat ja gewiss seine Wahrheit und seinen Sinn – aber WAS BITTE hat das mit mir zu tun? Mit dem ganz konkreten Menschen, der ich über die Jahre geworden bin?

Und selbst wenn er aufkommt, dieser Gedanke, so ist doch nichts gewonnen, solange er allein bleibt, solang ihm kein Erleben, Leiden, Genießen, Verlangen, kein FüHLEN zur Seite steht. Als reiner Gedanke wird er gleich wieder vom nächsten verdrängt, der mit gleichem Recht sagt: Interessiert doch eh niemanden, wichtig ist jetzt der Ausgleich zwischen der ersten und der dritten Welt, die Rettung des Rentensystems, die Verhinderung des IRAK-Kriegs oder auch die Weiterentwicklung der „Grünen Meme“ in den gelben Bereich hinein. Im übrigen zeigt deine Körperfettmessung katastrophale Werte an, kümmer dich lieber mal darum!

Diese, so normal wirkende Art und Weise des „Lebens aus dem Denken“, gerät schnell zu einer Hetze, einem ewigen Pendeln zwischen Anstrengung und Scheitern, zwischen Euphorie und Zynismus, und echte Befriedigungen sind selten – was sollte das auch sein? Kurze Momente des Erfolgs, wenn etwas erreicht wurde, das von solchen Wertsetzungen bzw. Autoritäten gefordert ist? Nur Momente, nur Gedanken – üblicherweise gedacht in einem Körper, dessen Brust- und Zwischenrippenmuskulatur kaum mehr beweglich und zu echter Freude physisch gar nicht mehr fähig ist.

…atmen!

Seit einigen Wochen assistiere ich Dienstags meinem Lehrer Hans-Peter Hempel im Kurs „Yoga für Anfänger“ an der Technischen Universität – es sind immer so zwischen 14 bis 24 Studentinnen und Studenten, junge Leute, bei denen eigentlich noch nicht so viel kaputt sein dürfte. Aber wie sie ATMEN, bzw. NICHT ATMEN! Es erschreckt mich – und doch erinnere ich mich, dass ich mit 36 ganz genauso war und alles ganz normal fand. (Dass es mir körperlich total beschissen ging, hatte ich zu ignorieren gelernt).

Es ist jedoch alles andere als „normal“, wenn man als Norm einen beweglichen und durchatmeten leibseelischen Gesamtorganismus setzt. Dieser würde nach einer Anstrengung, wie sie eine Yoga-übung darstellt, in einer Art Resonanz bzw. in einem Nachhall „automatisch“ ca. dreimal verstärkt einatmen. Und zwar deshalb, weil während der Anstrengungsphase üblicherweise eine gewisse Atemnot aufkommt (erst der weit fortgeschrittene Yogi hat gelernt, auch WÄHREND der Anspannung genügend einzuatmen und hat diese Reaktion nicht mehr nötig).

Statt dessen: Nichts! Bei bestimmt zwei Dritteln bewegt sich der Brustkorb praktisch gar nicht mehr. Sie sind auch allesamt sehr still: kein Stöhnen, kein hörbares Ausatmen – zu jeder eigentlich „natürlichen“ psychophysischen Lebensäußerung müssen sie erst langwierig ermuntert, gefordert, motiviert werden – und gelgentlich auch BERüHRT. Sonst wüßten sie vielleicht gar nicht, WO der Brustkorb ist, bzw. kennen ihn nur als Bild aus dem Spiegel, wenn sie kontrollieren, ob der eigene Body den Bildern aus den Medien ähnelt (…Waschbrettbauch? Bauch/Beine/Po? ).

Bin ich abgeschweift? Eigentlich nicht. Der Körper ist die Basis allen In-Der-Welt-Seins. Als Instrument der Wahrnehmung von Qualitäten kann er nur funktionieren, wenn alle seine Systeme frei funktionieren, in ständiger Interaktion mit der Welt und mit den eigenen Prozessen. Auf dieser Basis steht die Zwischenwelt der Empfindungen und Gefühle, die einerseits als körperliche Phänomene spürbar, andrerseits von der Welt des Denkens her beeinflussbar sind – Empfindungen („ahhhh, was für ein schöner Raum!“) eher weniger, Gefühle wie Zorn, Trauer, Sympahtie eher mehr.

Einem Menschen, der von Kind an in ein hypertrophiertes Denken hinein erzogen wird und dessen Körper- und Gefühlsebenen entsprechend verkümmert sind, dem bleibt nur das „rechnende Denken“, das Denken in Quantitäten und abstrakten Werten. Wobei für den, der im konkreten Einzelfall eigentlich nichts mehr spürt, abstrakte Werte nichtssagend und beliebig gegeneinander austauschbar sind. Ein diffuses Gefühl der Verweiflung ist das Ergebnis, gewisse Reste von Impulsen streben immer noch nach dem Guten/Wahren und Schönen, nach dem Angenehmen und Freudvollen, Nach Liebe, sonne, Wärme und Zärtlichkeit – aber ein übergroßer Teil des eigenen Wesens schneidet diese Impulse ab und sagt: Das gibt es nicht! Du träumst! Sei vernünftig! Und was dergleichen Teufelssprüche mehr sind.

Ich hör jetzt auf, denn die Arbeit ruft. Sollte ein lieber Leser jetzt meinen, mit dem, was ich hier schreibe, werde weder die Welt gerettet noch ein Staat gemacht, dann kann ich nur sagen: Wir haben ja schon eine Welt und einen Staat – von denen „gemacht“, die kaum mehr atmen und fast nichts spüren, die also hauptsächlich abstrahieren und berechnen anstatt mitzufühlen, zu sorgen und zu lieben. Zufrieden damit???

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Claudia am 21. November 2002 — Kommentare deaktiviert für Fühlen, schlemmen, zu viel sitzen

Fühlen, schlemmen, zu viel sitzen

Die Wohnungssuche schreitet voran! Ich hab‘ etwas in Aussicht und recht gute Chancen, es auch zu bekommen. Mein erster Plan, die Wohnung direkt neben der jetzigen zu mieten, die seit längerem leer steht, war vor ein paar Wochen gescheitert, doch jetzt auf einmal bietet die Hausverwaltung sie mir DIREKT an – ohne Makler. Plötzlich hab ich freie Auswahl, aber mein Gefühl hat schon anders entschieden: nicht mehr der TOP-STANDARD eines grundsanierten Altbaus, sondern eine Wohnung als „Aufgabe“, zwar von der Mieterin modernisiert, aber doch so, dass für mich – SOFERN es überhaupt klappt – jede Menge zu tun bleibt. Einen wunderbaren Blick in die Weite bietet die Wohnung auch – ein echter Glücksfall.

Freu dich nicht zu früh, sagt mir ein lieber Freund. Wenn es sich dann zerschlägt, bist du enttäuscht! Was aber, das frag ich mich dann, sollen wir im Leben eigentlich fühlen, wenn wir uns dem Verlangen, der Sehnsucht, der Hoffnung verweigern, weil wir die Enttäuschung, die Traurigkeit, den Verlust scheuen?

Viel essen, gut essen und trotzdem abnehmen – wer wünscht sich das nicht? Und genau das erlebe ich seit etwa zwei Wochen! Seit ich im Mai mit dem Rauchen aufgehört hatte, war ich kontinuierlich schwerer geworden, so drei, vier Kilo, mit der Tendenz zum weiter wachsen. Das hat mir nicht mehr gefallen, bin also mal dem Hinweis aus einer Mailingliste gefolgt: Kohlsuppendiät! Das hört sich dermaßen absurd an, aber ich dachte: WENN ich schon sowas Irres mache wie eine Diät, dann kann es ruhig gleich was ganz Verrücktes sein! Natürlich hab‘ ich nicht „5 Kilo in einer Woche“ abgenommen, wie es der Umschlag des kleinen Buches „die magische Kohlsuppe“ versprochen hatte (sie meinten damit auch den Verlust an Wasser, der bei völliger Befolgung der Rezepte und weitgehendem Salzverzicht einsetzt). Aber ich hab‘ eine neue Weise des Essens kennen gelernt: warme Suppen am Mittag, richtig scharf statt besonders salzig, über den Tag dazu jede Menge Obst und/oder Gemüse, gelegentlich Fisch und Geflügel – also das ist wirklich eine Essweise, die mich zufrieden stellt. Und ich nehme täglich ab, tatsächlich, obwohl ich soviel esse wie sonst nie.

Was mir hauptsächlich in dieser Erfahrung aufgefallen ist: Wie sehr man doch gewisse Überzeugungen verinnerlicht hat, die gar nie im Bewußtsein stehen und deshalb auch nicht mehr hinterfragt werden! Man schleppt sie als Altlasten mit sich, sie bestimmen das Leben und man denkt, die Welt sei nun mal so – dabei schaffen diese überzeugungen ihre jeweilige Erfahrung!
So ist offensichtlich bei mir die Überzeugung sehr stark gewesen, eine „gesunde“ Ernährung, die auch noch zum Abspecken führt, sei in jedem Fall eine Form von Darben, von Sich-Zusammen-Reißen, von kontrolliertem Essen, das nie den tatsächlichen Appetit befriedigt. Vielleicht im schlimmsten Fall mal für ein paar Tage lebbar, aber gewiß nicht als Alltag! Für eine abstrakte Gesundheit und ein sowieso unerreichbares (ebenso ungesundes, bzw. verrücktes!) Hungerharken-Schönheitsideal ein viel zu hoher Preis.

Tatsache ist, ich hab noch selten so viel geschlemmt wie derzeit! Der trübe November macht echt Appetit, ich halte mich (mal versuchsweise) an keinerlei Mengen- und Zeit-Vorgaben, sondern esse, wann und wieviel ich Lust habe. Dabei erlebe ich wirklich jede Menge „Du sollst nicht-…“, die sich protestierend zu Wort melden, wenn ich etwa den dritten Teller Suppe verdrücke – ODER wenn ich schon eine Stunde später einen Obstsalat zubereite. Mein Askese-Über-Ich schlägt die Hände über dem Kopf zusammen – und ich nehme ab! Fühl mich dabei ganz wunderbar, denn schon zwei Kilo weniger ergeben ein Gefühl zunehmender Leichtigkeit. Mittlerweile hat auch dieses gesteigert Eßbedürfnis wieder deutlich nachgelassen.

Arbeiten und Sitzen

Immer noch bzw. schon wieder arbeite ich ungeheuer viel. Komme praktisch nicht mehr zu privaten Dingen, keine Mailinglisten mehr, kein Herumsurfen, lange schon kein Diary-Eintrag. Ein paar liebe Leute müßten Mail von mir bekommen, andere will ich eigentlich anrufen, die Gründung meiner Coaching-Gruppe zum hoffentlich nützlichen regelmäßigen Austausch (Freiberuflerinnen) schleppt sich auch so dahin und wartet auf meinen Einsatz – Himmel, es kann sich eigentlich nur noch um Stunden, wenige Tage handeln, bis sich der Dschungel lichtet!

Das sag ich mir und anderen schon ein paar Wochen lang, aber bisher hat es sich dann immer anders dargestellt. Nun ja, ich will ja umziehen, ich werde Geld brauchen, zudem sind meine Kunden allesamt wirklich angenehme Menschen, mit denen ich gern Kontakt habe – und trotzdem ist es manchmal heftig für mich. Im Grunde bin ich eine weniger „ausgelastete“ Gangart gewöhnt – vielleicht aber auch einfach mal urlaubsreif?

Manchmal macht der Körper nicht mehr mit. Das viele Sitzen auf dem tollen Grahl-Duo-Back-Bürostuhl, den ich mir für teueres Geld vor ein paar Jahren als letzte und beste Lösung zugelegt hatte, macht mich krank! Ich sitze offensichtlich so bequem, dass ich (erstmal) alles Physische vergesse – nur meine Wirbelsäule vergißt nicht. Über den Tag staucht ständiges Sitzen sie zusammen, was zunehmend unerträgliche Folgen zeitigt. Und ich MERKE es dann doch, es ist ja nicht so, dass es mir schlecht ginge und ich müßte mich fragen: Woher kommt das jetzt wohl? Nein, ich merke oft und oft über den Tag, dass es nun eigentlich reicht – und doch gibt es nun mal Zeiten, wo ich dieser Einsicht nicht folge. Bis es schlicht nicht mehr geht und es mich vom Stuhl weg treibt! Gestern hab ich den tollen Stuhl mal beiseite gestellt und einen schlichten Holzstuhl benutzt, es war eine Erholung. Da kann man nämlich gar nicht erst solange drauf sitzen.

Tja, die einfachen Dinge, die Basics, sind die interessanten Spielfelder, auf denen sich immer wieder etwas ändert, sich immer wieder Herausforderungen und Leiden zeigen, aber auch erstaunliche neue Erfahrungen machen lassen. Wohnen, essen, sitzen. Handeln, fühlen, das ganz Konkrete erleben – so komme ich zum Mittelpunkt der Welt.

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Claudia am 17. November 2002 — Kommentare deaktiviert für Vom Wohnen

Vom Wohnen

Vom Wohnen

Es ist Sonntag. Der Tag, für den ich mir extra angewöhnt habe, nichts „Richtiges“ zu arbeiten, ganz gewiss keine Arbeit für Geld. Seither gibt’s für mich (endlich!) ein stinknormales Wochenende, spät, aber doch noch. Und kaum ist das Normalität geworden, gehts schon nicht mehr anders: selbst wenn ich – wie jetzt – plötzlich arbeiten WILL. Den ganzen Tag schon sag ich zu mir: jetzt klotz erstmal zwei-, drei Stunden ran, mach diesen Entwurf zur Website, wie versprochen – und DANACH kannst du ja dann Diary schreiben, in die Sauna oder ins Fitness-Center gehen, einen Spaziergang machen, lesen oder einfach abliegen und den atem spüren. Es ist genug Zeit dafür – danach! aus alledem ist aber nichts geworden: Weil ich es nicht über mich bekomme, heute am Sonntag ernsthaft zu arbeiten, und seien es nur zwei Stunden, wie ich es mir ausnahmsweise verordnet hatte. (Derzeit schaffe ich nicht alles in der Woche). So kann es gehen mit der Selbsterziehung: Man hat Erfolg, und dann ist’s auch wieder nicht recht.

*

Das Wohnung-Suchen hat noch nicht sehr ernsthaft angefangen. Bis Ende Januar will ich umgezogen sein, da ist es noch lange hin! Wenn ich in den Wohnungsanzeigen wühle, merke ich, dass ich innerlich noch nicht so weit bin. Da ist einfach keine Vorstellung, WIE ich wohnen will. Nach zehn Jahren wieder alleine zu leben, erscheint mir als die größtmögliche Veränderung – darüber hinaus auch noch kreativ an die Wohnungsfrage selbst heran zu gehen, überfordert mich.

Doch empfinde ich eine starke Veränderung in Sachen „wohnen“ gegenüber früher. auf einmal ist mir nämlich wichtig, WIE ich wohne. Mit fünfundzwanzig und fünfunddreißig war allein die Miethöhe und die Lage wichtig, der richtige Stadtteil mit „Anschlüssen“ an die richtigen Kiez-Öffentlichkeiten. (In Berlin hatte ich Anfang der 80ger „das Dorf“ entdeckt.) Und dann noch ein paar selbstverständliche Basiseigenschaften: genug Licht, genug Platz – ansonsten war ich kompromissbereit, Hauptsache, die Lage und der Preis stimmten. Im Grunde konnte man mein „mieten“ auch kaum „wohnen“ nennen, denn ich war damals eher selten zuhause, eigentlich ständig unterwegs. Oder mit dem jeweiligen Liebsten zusammen, jedenfalls nie allein.

Heute bin ich über’s Netz an meine Öffentlichkeiten „angeschlossen“, der Stadtraum spielt eher eine ästhetische, denn eine kommunikative Rolle: ich möchte kurze Gänge machen können, ohne depressiv zu werden, ohne immer nur miesepetrige Menschen auf den Straßen zu begegnen. Und ich liebe es locker, leger und informell. Die bedeutungsgeile Gestelztheit, die vom kontinuierlichen Besser-Verdienen kommt, ist mir ein Graus. andrerseits finde ich dieses Friedrichshainer „Szene-Viertel“ um Simon-Dach-Straße und Boxhagener Platz auch selber einen Zacken ZU schmuddelig: relativ viel Müll, alles voller Graffiti, viele Kneipen, viele Penner und Besoffene zwischen all den Studenten und Lebenskünstlern – und nur wenige Ältere, kaum Alte. Naja. So ist’s halt im „sozialen Brennpunkt“, Sanierungsgebiete im Umbruch waren immer so.

Was mich wirklich in der Gegend hält, ist der Blick in die WEITE, den ich seit den zwei Jahren in Mecklenburg nicht mehr missen will. Ich gehe nur fünf Minuten bis zu den S-Bahn-Geleisen und hab‘ den Blick auf die Skyline von Berlin, toll. Und noch ein wenig weiter die Spree, die Rummelsburger Bucht, die Halbinsel Stralau – komisch, dass mir „Gegend“ plötzlich unverzichtbar ist – noch vor zehn Jahren war ich es zufrieden, wie ein Maulwurf immer nur die Wände vor mir zu sehen – ich hab‘ ja eh nicht hingeguckt, sondern war immer „in Gedanken“.

Gut, soviel zur Gegend. Das Wohnen hat ja noch viel mehr Aspekte: Es beginnt mit dem Körper, geht weiter mit der Kleidung, dann kommen die Zimmer und ihre Einrichtung, die Gegenstände, mit denen ich mich umgebe – dann das Haus: In welche Himmelsrichtung öffnen sich die Fenster oder der Balkon? Das ergibt gänzlich unterschiedliche Lebensgefühle, man kann es gar nicht wichtig genug nehmen: Was soll ein Spätaufsteher mit einem Ost-Zimmer? Für mich aber wär‘ es langsam genau das Richtige!

Dann die Straßen: wie ist es eigentlich möglich, dass so viele Menschen DIREKT an lauten Verkehrsstraßen wohnen? Wie halten die das aus? Den Lärm, den Staub, den Gestank – die ganze Palette schädlicher Einflüsse scheint Hunderttausenden nichts aus zu machen. Hier im Gebiet ist es gar nicht einfach, eine relativ ruhige Bleibe zu finden – komplizierter noch, wenn man nicht in einen Seitenflügel oder ein Hinterhaus will, zumindest dann nicht, wenn man da nur die Rückseite des Vorderhauses und die Mülltonnen im Hof sieht. ans Fenster treten und einen Blick in „die außenwelt“ werfen – Himmel noch mal, darauf mag ich nicht mehr verzichten!

*

Wenn ich so daher plaudere, merke ich, dass meine Wünsche bezüglich des Wohnens doch schon sehr spezifisch sind: ein großer Multifunktionsraum gefällt mir weit besser als drei kleine Zimmer, ich mag hohe Decken und liebe die Gemütlichkeit der typischen Gründerzeit-Altbauten – aber zum Selber-drin-wohnen sind sie mir heute modernisiert weit lieber als „naturbelassen“. (Schön, das in diesem Leben noch mitzubekommen, nachdem ich eine so wesentliche Zeit als junge Erwachsene im Kampf gegen die „Luxus-Modernisierung“ zubrachte! Man sollte immer beide Seiten der Barrikaden kennen lernen…:-)

Ob das aber ALLES gewesen sein muss? Jahr um Jahr in einem „top mod. AB, Blk, teils abgez. Dielen, teils Laminat, großes WB u. Wohnküche gefließt“ bis an mein Lebensende ??? Oder mal was ganz anderes? Das ganz gemütlich, ohne Zwang und Termindruck zu erforschen, versteh ich unter „kreatives Herangehen an die Wohnfrage“ – und dafür brauch ich Zeit. Zeit, um herum zu wandern und Straßen, Plätze, Stadtteile anzusehen, Zeit, um Menschen zu besuchen, die in den unterschiedlichsten Situationen leben: im 21. Stock eines Plattenbaus mit Weitblick über Berlin, in einem Wohnwagen als Teil einer halblegalen Wagenburg, in einer 50ger-Jahre-Siedlung mit großem grünen Innenhof, in einem Dachgeschoss, einem Loft, einer Datscha in der Gartenkolonie, einem umgenutzten Bahnwärterhäuschen, in einer Ladenwohnung im Erdgeschoss – gewiss ist das nicht alles, was möglich ist.

Heute finde ich so eine Suche interessanter als die „Suche nach dem Sinn des Lebens“, die viele auf diese Seiten führt. Das Wohnen in all seinen Aspekten bildet ja die Schalen bzw. Schichten unseres Da-Seins, unseres Mit-Seins und In-Der-Welt-Seins – wie spannend, es auch als ein Teil des Selbst-Seins ganz bewusst zu erfahren! Solange ich allerdings jeden Schritt, jede Handlung, jede Regung und Überlegung nur in Bezug auf die Welt „hinter dem Monitor“ erlebe, ist Wohnen tatsächlich kein Thema.

Oder doch? Die Webdesignerin in mir erhebt Widerspruch gegen die Philosophierende – na, das wird ein Thema für ein andermal.

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