Thema: Schreiben & Bloggen

Claudia am 27. November 2000 — Kommentare deaktiviert für Geist ist knapper als RAM

Geist ist knapper als RAM

Endlich bin ich ins arbeiten geraten! Es ist schon längere Zeit her, dass ich mal völlig selbstvergessen vor einer entstehenden Webseite sitzen konnte und mich einfach nur um die Harmonie der Optik kümmern: Ist das der richtige Abstand? Hat der Text genug Platz? Wirkt das ganze eher locker und beiläufig selbstverständlich, oder ist alles in eine starre Form gezwängt? Sollte da nicht etwas Rundes auftauchen, wo doch das senkrechte und eckig-quaderhafte technisch bedingt dominiert? ( Und weiter: Wie sieht die Seite auf einem 800x600er Bildschirm aus? Braucht sie irgendwo Bewegung oder lieber nicht? Bloss kein Zappeln in den Augenwinkel, wenn der User wirklich LESEN soll… Weiter → (Geist ist knapper als RAM)

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Claudia am 23. November 2000 — Kommentare deaktiviert für Nachlese zur Gehirnwäsche, Mehltau über dem Web

Nachlese zur Gehirnwäsche, Mehltau über dem Web

Den gestrigen Beitrag Wahrheit oder Gehirnwäsche? hatte ich auch im STERN-Raucherforum gepostet und damit heftigen Wiederspruch geerntet. Dazu muss man wissen, dass dieses Forum ungemein überlaufen ist und extrem schnell durchscrollt – ein Grund, dort allenfalls mal eine URL zu hinterlassen, zum richtigen Gedanken-Austausch ist es viel zu ungemütlich. Umso mehr wundert es mich, wenn dann doch lange „Widerlegungen“ kommen: Warum, um Himmels Willen macht sich da jemand die Mühe, in einem anonymen Rahmen „an Unbekannt“ so ausführlich und voll agressiver Energie zu antworten? Naja, der Schreiber nennt sich immerhin Fumo, das heisst „Rauch“, und das ganze Forum ist ein Raucher- und kein Nichtraucherforum. :-)

Genug davon – für jetzt. Ich kann mir gut vorstellen, wie sehr dieses Thema manchen langweilt, der damit nun mal nichts am Hut hat. Sorry, aber hauptsächlich schreib‘ ich dieses Diary für mich: als Selbstverständigung, zur Ordnung der Gedanken und Gefühle, und als ein Experiment in der Frage „Wer bin ich?“. Wenn ein Text nämlich mal „draussen“ ist, dann verändert er sich auf geheimnisvolle Weise in einen Beitrag zum Thema „Wer will ich sein?“, auch wenn ich darauf wert lege, halbwegs authentisch zu schreiben und nichts definitiv Falsches einfliessen zu lassen. Diese Tatsache immer wieder zu beobachten, ist schon an und für sich lehrreich. Man kann dabei feststellen, wie Texte es doch niemals vermögen, ein Ganzes abzubilden, bzw. wie dieses Ganze sich eiligst ändert und seinem Begräbnis in den Festschreibungen immer wieder davonläuft. (Glücklicherweise behindert mich keinerlei VERPFLICHTUNG gegenüber unbekannten Lesern, explizit „ehrlich“ zu sein. Ihm oder ihr könnte ich ohne den Schimmer eines Schuldgefühls das Blaue vom Himmel herunterschreiben, schliesslich werde ich hier mehr oder weniger in der Sparte „Unterhaltung“ konsumiert. Andrerseits ist das absichtsvoll Simulierte für mich sehr viel langweiliger und anstrengender als das, was „von selber“ kommt – das mach‘ ich also verständlicherweise nur noch gegen Bezahlung.)

Werkstattbericht: Mehltau über dem Web

Tja, so langsam gerate ich doch wieder ins arbeiten, ein Glück! Zwar ist es nicht der große Motivationsschub, die durchgreifende Veränderung, der ganz neue Elan, – sowas kann man wohl nur im Frühling und nicht im November spüren – doch das Gefühl der Lähmung, der absoluten Ablehnung aller Aktivitäten ist vorbei. Und so langsam beginne ich mich wieder für das zu interessieren, was ich vorhabe. Da ist zuvorderst das Webwriting-Magazin, für das jetzt die ersten Artikel in Arbeit sind. Sowohl die Inhalte als auch das Design des Cyberzines entstehen ganz neu, alles, was vor Monaten schon einmal vorlag, wird links liegen gelassen, allerhöchstens ausgeschlachtet. Anders als bei fast allen vorherigen Projekten steht im Moment auch DESIGNERISCH der Inhalt im Vordergrund, der Text, der Sinn. Der erste Artikel wird über den Webguru Nielsen („Designing Web Usability“) gehen und befindet sich damit inmitten der Kontroverse und der Entwicklungen, die auch zu meiner monatelangen Depression bezüglich der Web-Arbeit beigetragen haben.

Es ist mir aus guten Gründen in der letzten Zeit nicht mehr gelungen, ein neues Magazin-Design zu entwickeln, das meinen eigenen Ansprüchen genügt. Wie ich jetzt bei der Arbeit am Artikel bemerke, lag das daran, dass es grundfalsch war, wieder eine neue SCHUBLADE, bzw. ein REGAL für beliebige Texte schaffen zu wollen. Dieses eigentlich öde Bemühen hat bei mir eingesetzt, als ich 1996 mein erstes Frameset für Missing Link baute (weil es soviel Arbeit spart…) und stellt sich heute webweit so dar, dass Programme beliebige Inhalte aus verschiedensten Datenbanken auf Designvorlagen zusammensetzen, die von den Inhalten völlig unabhängig sind. Genau dieses Herangehen zerschlägt die Einheit von Form und Inhalt, die nun einmal das Ideal ist, das im Herzen eines jeden Autors liegt; noch dazu ein Ideal, das sich – wie gute Webdesigner wissen – im Web sogar verwirklichen lässt, wenn man sich die Arbeit macht.

Die „Magazinform“ als Container hat heute eine Standardisierung erfahren, die jeder kennt, weil sie bei jedem zweiten Mausklick erschient: Dreispalter, links und rechts allerlei Navigation und Werbung, in der Mitte kurz angerissen diverse Artikel, drüber Bannerplatz und Erscheinungsdatum, drunter Impressum, Zusatzangebote…. gähn. Ich verspreche nicht, dass das Webwriting-Magazin letztlich ganz anders sein wird, vielleicht ist das ja die „optimale Form“. Doch erlebe ich jetzt immerhin, dass ich auf jeden Fall ganz anders herangehen muss: nämlich beim LayOut des zentralen Contents beginnend, bei der bestmöglichen Präsentation eines einzelnen Artikels, die Erfordernisse des künftigen Magazins nach und nach darum herum wachsen lassend – und immer erst dann, wenn man sie braucht, nicht von vorne herein ein für alle mal.

Denn, das hab‘ ich schmerzhaft gemerkt: man kann sich monatelang damit befassen, einen Magazin-Mantel mit allem SchnickSchnack zu entwickeln, der heute üblich ist, und sich dabei immer weiter vom ursprünglichen Impuls entfernen, warum man dieses Magazin eigentlich wollte: Um bestimmte Inhalte zu kommunizieren, um Angelegenheiten zu verhandeln und Einfluß auszuüben in einem Sinne, den man für richtig und nützlich, für gut und schön hält.

Ich bin praktisch der Hynose erlegen, die der kommerzielle Sektor über das Web gelegt hat wie Mehltau. Es geht da ja nicht mehr um Kommunikation, nicht einmal um die viel beschworenen NÜTZLICHEN Anwendungen – nein, in aller breit angelegten Ödheit geht es nur noch darum, wie man im Web Geld verdienen kann, und zwar so viel, dass es den Kapitalmarkt dauerhaft interessiert. Ein Bekannter mailte mir gestern:

„…Die ganze momentane Stimmung im Web gefällt mir nicht mehr. Zu viel Cash, zu viel Geballer, zu viel Status Quo, zu viel Phrasendrescherei. Das ist nicht mehr das inspirierende Umfeld, in dem ich mal angefangen habe, sondern kommt mir manchmal eher vor wie die Plastikbank an der Bushaltestelle im Gewerbegebiet …“

Richtig, so ist es. Und ich sage trotzdem: Der kommerzielle Sektor irrt! Der Kaufklick mag alles sein, was ihn bewegt, dies gilt aber bei weitem nicht für den Menschen schlechthin. Ich brauch‘ gar nicht die Pose der Cybervisionärin einnehmen, um vorauszusagen, dass auch in zehn Jahren von hundert Mausklicks (bzw. entsprechenden Akten), noch immer 99 KEINE Kaufakte sein werden! Dem Nemax 50 wäre von daher zu wünschen, dass er demnächst die 2000 Punkte wieder sieht. Vielleicht würde dann allgemein soviel Ernüchterung einsetzen, dass im Web wieder Inhalte erscheinen, die auch von jemandem GEMEINT sind – und nicht nur als Pausenfüller da stehen, weil ja nicht jeder Klick ein Kaufklick sein kann….

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Claudia am 11. November 2000 — Kommentare deaktiviert für Was Sache ist (zu Ossis gesprochen)

Was Sache ist (zu Ossis gesprochen)

Heute abend war ich in Schwerin, die Stadt, auf die ich mich hier – 10 Minuten davon entfernt in einem abgelegenen Dorf wohnend – eigentlich beziehen muß, Städterin, die ich bin. Schwerin ist in letzter Zeit unter die Großstadtgrenze von 100.000 Einwohnern gefallen. Der Osten entvölkert sich, immer noch, vor allem Mecklenburg. Das ist auch an Schwerin sichtbar, eine so wunderschöne Stadt wie Freiburg oder Siena, doch keinesfalls wie diese überlaufend und Andenken-strotzend, sondern seltsam leer – und nicht mal eine Uni, ein zusätzliches Handicap. Weiter → (Was Sache ist (zu Ossis gesprochen))

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Claudia am 06. November 2000 — Kommentare deaktiviert für Schaffenskrise: Sinn – Sein – Sinnlichkeit

Schaffenskrise: Sinn – Sein – Sinnlichkeit

Mehrere Tage ohne das morgendliche Diary-Schreiben bringen mich in eine neue Form von Entzug, doch noch nicht in neue Dimensionen der Arbeit, bisher nicht. Zwar staut sich das, was normalerweise alsbald zum Ausdruck kommt, nun zu größeren Mengen an und entfaltet mehr Druck, mehr Verlangen, mehr Drive. Dennoch packe ich es einfach nicht, die Energie sinnvoll zu nutzen und von der Gedankenebene auf die symbolische Schiene zu kommen.

Im Kopf schreiben sich gleich mehrere Kurzessays gleichzeitig, doch wenn ich mich hinsetze und das in eine konsumierbare Form bringen will, läßt der Elan schnell nach, versickert nach ein paar Sätzen wie ein Glas Wasser in der Wüste – warum nur? Es ist, als wandele mich in dem Moment, in dem etwas vom Möglichen ins Wirkliche übergeführt werden soll, mit aller Macht die Sinnfrage an, also immer dann, wenn es beginnt, in irgend einer Weise anzustrengen.

Wenn ich Familien mit Kindern sehe, beneide ich sie manches Mal. Sie verströmen eine Anmutung von Normalität, Sinn, Selbstverständlichkeit, Fraglosigkeit, konkretisierter Form und Heimat in dieser Form, wie es ein einzelnes Individuum niemals zustande bringen kann. Das große „Worum willen“, das als unbekannter Beweger hinter allen Aktivitäten steht, ist ein- für allemal geklärt, es gibt nur das „Wie?“, aber keine Überlegung, ob überhaupt, und wenn ja, warum eigentlich…

Dieser eigenartigen Schaffenskrise kann ich mich nur hingeben, weil derzeit kein Druck aus dem Bereich der Brotarbeit auf mich wirkt. Und genau darauf habe ich ja hingearbeitet! Es war mein größter Wunsch, einige Zeit frei zu haben, undefiniert frei, nicht etwa Urlaub oder Krankheit oder Töpfern in der Toscana. Wenn ich mich so umsehe, gibt es kaum Leute, die einfach mal untätig sind, ohne Plan und Ziel, ohne vorgegebenen Zweck. Nein, es ist im Gegenteil so, dass praktisch alle guten Freelancer, die ich kenne, überlastet, ausgebucht und bis ins nächste Jahr verplant sind. Sie arbeiten und arbeiten – ja woraufhin eigentlich? Ist das eine unzeitgemäße Frage? Ist Arbeiten & Geld verdienen mittlerweile selbst letztes Ziel und finaler Sinn? Wir arbeiten, damit wir nicht aus dem Geschäft kommen, damit wir immer weiter arbeiten dürfen?

Ich kenne vier Gründe, um zu arbeiten: Lebenserhaltung, Anerkennung, Freiheit, Selbstvergessenheit. In dieser Reihenfolge werden sie bewußt, werden sie wichtig und wieder unwichtig. Der Bereich der Lebenserhaltung ist keineswegs so groß, wie man gemeinhin denkt. Würden alle nur soviel arbeiten, wie unbedingt nötig, wäre der ganze wirtschaftliche Umtrieb längst nicht so auschweifend. Die Sehnsucht nach Anerkennung treibt dagegen viel weiter als die Notwendigkeit, und wer die Siegertreppchen nicht (mehr) braucht, wünscht zumindest Freiheit – Freiheit in Zeit und Raum, also in der Regel genug Geld auf der Kante.

Doch es gibt keine wirkliche Unabhängigkeit, man ist immer im Austausch, immer betroffen von Anderen, von der Umwelt, der Gesellschaft. „Fertig werden“ ist keine ernstzunehmende Arbeits-Utopie, und das ist sogar ebenso schön wie schlimm: Der untätig am Strand herumlungernde Millionär aus der Werbung ist nur eine lächerliche Figur, der alsbald schon psychisch vor die Hunde gehen würde, fände er keinen ganz persönlichen Sinnhorizont – tätig oder untätig.

So bleibt also nur die Selbstvergessenheit: Etwas arbeiten, in das ich so hineinversinke, dass es daneben nichts mehr gibt, vor allem nicht mich selbst mit meinen langweiligen Anliegen. Wenn ich zum Beispiel im Fotoshop experimentiere oder ein Webprojekt designe, manchmal auch, wenn ich einen Text niederschreibe – dabei bin ICH als Konglomerat von Gedanken, Fähigkeiten und Energie genau so wichtig oder unwichtig wie die Maus, die Tastatur, die Grammatik, der Strom oder sonstige Komponenten, die zum fertigen Werk führen. Ich falle dabei also sinnvoll in eins zusammen mit allem, was sonst noch da ist und mitwirkt. Es gibt nichts Schöneres, aber leider läßt es sich nicht zwingen. Weil es derzeit nicht gelingt, die Selbstvergessenheit in der Arbeit zu erleben, wechsle ich einfach die Ebene und switche in die Sinnlichkeit: Musik hören, Saunabesuche, Yoga-Übungen, einfach nur daliegen….

(Ich hoffe ja doch, dass sich das bald mal wieder ändert! :-)
Meine Musikempfehlung heute: Einstürzende Neubauten – Silence is sexy)

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Claudia am 02. November 2000 — Kommentare deaktiviert für Kleiner Abschied, lange Rede

Kleiner Abschied, lange Rede

In den letzten Tagen hab‘ ich mich mal wieder nach Sinn & Ziel dieses Diarys gefragt. Tatsache ist, dass es mir großen Spaß macht, dass ich mich freue, wenn die „Schreibzeit“ anbricht, wenn ich – meist ohne vorher festgelegtes Thema – so in mich „versinke“ und warte, bis Worte und Sätze kommen. Oft sind es dann gleich mehrere Themen, die erstmal miteinander konkurrieren, letztlich kann ich nicht sagen, wie und warum nun DIES und nicht JENES die Datei füllt, auf jeden Fall befriedigt es mich, was immer es ist. Das Hinschreiben an sich ist wohltuend und wenn ein Beitrag ins Netz gestellt und das Forum gesichtet ist, könnte ich eigentlich den PC ausmachen. Weiter → (Kleiner Abschied, lange Rede)

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Claudia am 17. Oktober 2000 — Kommentare deaktiviert für Der Mainstream deprimiert

Der Mainstream deprimiert

Wie oft habe ich doch schon daran gedacht, mit diesem Diary aufzuhören! Zum Beispiel gestern wollte mir erst gar nichts einfallen, doch als ich dann anfing, über dieses seltsame Gefühl zu schreiben, entwickelte sich ein Text, der mir selber geholfen hat, wieder klarer zu sehen. Dazu muß es mir aber völlig egal sein, ob noch jemand mitliest. Denn gerade bei autobiographischen Themen denke ich, das ödet den Leser gewaltig an. Wenn Boris Becker von seiner Oma erzählt, mag das interessieren, aber die Vergangenheit von XYZ ist doch nun wirklich eine Zumutung.

Bevor ich aber aufhöre, schreibe ich dann doch lieber, was kommt. Und erstaunlicherweise erhalte ich gerade auf solche Artikel interessante Privatmails – das beruhigt mich dann wieder und motiviert dazu, weiter zu machen. Mittlerweile schreibe ich auch schon so lange, daß ich das Digital Diary schwer vermissen würde. Es ist ein stabilisierender Faktor in einer immer chaotischer werdenden Welt.

Gestern Nachmittag hatte ich das erste Mal seit langem wieder Lust, zu arbeiten. Natürlich arbeite ich ständig irgend was, aber seit Wochen mit einem gelangweilt-genervten Grundgefühl, was dazu führt, gerade mal das Nötigste zu tun und auch das noch bis an die Schmerzgrenze vor mir herzuschieben. Ich vermute, das kommt einerseits vom Wechsel der Jahreszeit: Das Absterben der Natur vermittelt so ungefähr das Gegenteil von dynamischem Aufbruch in neue Projekte. Andrerseits liegt es aber auch an der Entwicklung des Webs: Inhalt und Sinn der ganzen Umtriebe sind irgendwie verloren gegangen, abgesoffen in einer immer komlizierter und aufwendiger gewordenen Technik, die im Dienst des E-Commerce alle anderen Intentionen verdrängt. Es REIZT mich nicht, da mitzumachen!

Die durchschnittliche Website ist dreispaltig und ohne Frames, hat aber trotzdem eine lange Ladezeit, weil sie ihre „Contents“ erst aus 17 verschiedenen Datenbanken zusammenstellt. Man landet dort, weil man etwas Bestimmtes sucht, findet aber unter all den blinkenden Bannern und Sonderangeboten, dem ganzen mittlerweile üblichen Verhau aus News, Freemail, Wetterbericht, Auktionen und Börsenkursen kaum noch das, was man eigentlich wollte. Der geballte Angriff zur Zerstreuung meiner Aufmerksamkeit macht einfach nur müde und vernichtet die Motivation, solche „State-of-the-Art-Seiten“ überhaupt noch aufzusuchen. Und ganz sicher will ich sowas nicht produzieren, denn das ist ungefähr so spannend, wie ein buchhalterischer Excel-Job aus vorvernetzten Zeiten.

Es wäre ein gewisser Trost, wenigstens zu hören, daß diese Sites erfolgreich sind und jede Menge Geld scheffeln. Dem ist aber nicht so, die Akteure stehen ratlos vor der Tatsache, daß „inhaltsorientierte“ Sites zwar viele Surfer anziehen, diese dort aber kaum etwas kaufen. Ist ja auch klar: Wenn ich was über die Ebola-Epidemie lesen will, lasse ich mich nicht ablenken und kaufe statt dessen eben mal im E-Shop eine CD. Eine Suchmaschine besuche ich, weil ich bestimmte Webseiten finden will, nicht weil ich eine neue Mailbox brauche oder die Aktienkurse wissen will. (Für die geh ich nämlich gleich zu Consors oder Neuermarkt.de). Kurzum: Der ganze Web-Mainstream geht für mein Empfinden in die Irre und das schon seit einiger Zeit. Dass sich jetzt die Pleiten häufen und Projekte gecancelt werden, bestätigt mich, tröstet aber nicht über die geistige Ödnis hinweg, die sich durch die Ausbreitung der Gemischtwarenläden ergeben hat. Haben sie doch die meisten Leute weggekauft, die früher noch sehr kreativ gearbeitet haben. Selbst der „Nachwuchs“, die Szene der Homepager, ist schwer ausgedünnt, weil sich heute die Leute eher für ein Almosen als Guide bei meome.de oder clickfish.com verdingen und dort versuchen, ein PORTAL zu gestalten, anstatt ihre Power dafür einzusetzen, ihr Interesse im EIGENEN NAMEN zu publizieren. Dabei würden sie mehr lernen und als Person bekannt werden, ohne dass sie die Pleite ihrer Plattform fürchten müßten.

Letztendlich wird sich zeigen, was eigentlich schon immer klar war: Webseiten sind normalerweise KEINE Massenmedien, sondern bedienen ganz spezielle Interessen, das aber perfekter, als alle anderen Medien zusammen. Man kann Unsummen an Werbegeldern ausgeben und allerlei Krempel kostenlos verteilen, um MASSEN anzuziehen – aber letztlich rechnet sich das nicht. Nicht für Unternehmen, die auf Renditen aus sind, wie sie am Aktienmarkt erwartet werden. Ein Netz ist nun mal kein Amphitheater, es eignet sich wunderbar für viele kleine Anbieter, Individuen, die mit viel Engagement „ihr Ding“ machen und dadurch im Lauf der Zeit eine echte Community bilden. Ohne Surfer-Tracking und täglichen Blick auf die Clickraten einzelner Seiten und Banner finden sie ihr Auskommen – WENN sie den Dreh finden, ihre eigenen Interessen so aufzubereiten, dass andere etwas davon haben!

Zum Beispiel die Tinto-Community um Eva Schuhmann. Sie hat angefangen, indem sie ihr Buch Schlank werden – so klappt es! kostenlos ins Netz stellte. Bald fanden sich viele Leser auf einem Webboard ein, Eva bot ihnen das Buch in einer erweiterten Version als Arbeitsmappe (zum kaufen!) an und sorgte durch die Einrichtung thematisch untergliederter Diskussionsboards dafür, dass die wachsenden Bedürfnisse der Community befriedigt wurden. Bald gab es Platz für Selbstdarstellungen, Partnerbörsen für das gegenseitige Coaching und vieles mehr. Und sie begann, Bücher zum Thema zu rezensieren, die man gleich kaufen kann. Dass Eva nicht ihr Leben lang beim Thema „Schlank werden“ stehen bleibt, wundert nicht. Sie hat auch Interesse an Aktien (man kann ihr kommentiertes Depot betrachten), an Gartenarbeit und sie zeigt ihre Lieblingsurlaubsorte.

Nach und nach wirkt die Leitseite rein von der Vielfalt der Themen und Angebote her fast wie einer der üblichen Gemischtwarenläden. Aber nur FAST! Denn man erkennt schnell, dass die „Ordnung“ bzw. Auswahl der Themen nicht abstrakt, nach den Bedürfnissen eines vermuteten Marktes zustande kommt, sondern sich als Web-Geschichte entlang der Intressen eines konkreten Menschen entwickelt hat. Das Ganze lebt von ihrer Person, von ihrem steten Engagement, ihren guten Ideen und ihrer dauernden Kommunikation mit den Usern. Als Meome-Guide hätte sie nie im Leben eine solche Wirkung entfalten können, und ich bin mir sicher, sie nimmt ein Vielfaches von dem ein, was so ein StartUp-Hiwi im besten Fall erreichen kann. Ihre Site muss nicht glatt und durchrationalisiert aussehen und nicht erst 17 Datenbanken abfragen – sie braucht eben auch keine MASSEN, um ihr Auskommen zu haben und mit ihrer Site erfolgreich zu sein. „Erfolgreich“ heisst vielleicht nicht einmal, dass sie wirklich GANZ vom Commerce-Anteil ihrer Site leben kann – doch die Aktivität, die erworbenen Kenntnisses, die entstandenen Kontakte und ihr Ruf haben sicher dazu beigetragen, dass sie finanziell auf anderen Ebenen einen besseren Schnitt macht.

Nun hab ich mich durchs Schreiben wieder selber motiviert, wie schön! Wenn man nur auf den Mainstream blickt, weil der sich in den News und Fachzeitschriften derart breit gemacht hat, als gäbe es nichts mehr anderes, ist es ja kein Wunder, wenn einem die Laune vergeht. 1000 neue Features und Techniken lernen, nur um langweilige Möchte-gern-Massen-Sites mit zu produzieren, war nie mein Ding und wird es auch nicht werden. Das Netz ist groß genug für echte Menschen und ihre Projekte. Dass ihnen der Einstieg heute nicht mehr so leicht fällt wie mir 1996 ist eine Tatsache, die mir allerlei Nischen eröffnet. Kein Grund also Trübsahl zu blasen, nicht wegen dem Web und schon gar nicht wegen dem Herbst. (Gerade scheint wunderschön die Sonne!).

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Claudia am 28. September 2000 — Kommentare deaktiviert für Wer schreibt?

Wer schreibt?

Bin ich wirklich die „Autorin“ meiner Texte? Gestern zum Beispiel hab‘ ich mit dem Schreiben begonnen, ein Satz ergab den anderen – genau wie jetzt. VORHER habe ich keinen Plan, allenfalls einen Eindruck aus dem Augenblick, ein Gedanke kommt vorbei, und noch einer und noch einer – ich spüre nicht, dass ich etwas tue, von dem ich sagen könnte: DAS ist meine Arbeit als Schreiberin, hier wähle ich aus, da prüfe und verwerfe ich, das hier halte ich für wahr und schreibe es deshalb hin, das andere habe ich abgelehnt, es kommt mir nicht in den Editor… Je mehr ich mich in dieses Rätsel versenke, desto verrückter kommt es mir vor. Dann denke ich an die Leser, Himmel nochmal, das ist dann ein Einbruch, eine Hemmung, der Fluß stoppt, denn ich fühle MICH gefordert und offensichtlich kann ich sowas wie „mich“ nicht bieten, gar nicht auffinden, es ist nur eine Gewohnheit, zur Schreiberin ICH zu sagen, aber was heisst das schon? Weiter → (Wer schreibt?)

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