Claudia am 18. November 2000 —

Newbees unter Frontpage: Schrott siegt!

Gestern hatte ich noch richtig Spaß mit meinem allzu ernsten Diary-Eintrag! Hab‘ nämlich mal ein Webspeech-Plugin geladen, das neuerdings im Forum „angeboten“ wird: Hinter jedem Eintrag steht da auf einmal „Vorlesen?“ – na, da war ich doch neugierig!

Leider funktionierte es dann nur mit dem Microsoft-Explorer, es genügte immerhin, um die Leistungen der Vorlese-Software schätzen zu lernen. Eine Stimme, schwankend zwischen Antje Vollmer und Ingeborg Bachmann, von der Intonation her robotisch überformt, eine kleine Prise R2D2. Super, das Ergebnis! Ich hab‘ es schnell soweit erforscht, um auch markierte Teile beliebiger Webseiten vorlesen zu lassen. Mit meinem Diary-Eintrag von gestern hab‘ ich angefangen und TRÄNEN GELACHT! Dabei über das Wesen von Satire viel gelernt, die offensichtlich fast gar nicht vom Inhalt lebt, sondern vollständig von der Art des Vortrags!

Die schöne Kuh aus dem Eintrag vom 12. konnte ich leider nicht mehr finden. Zwar bin ich Kamera-bewaffnet in der Abenddämmerung nochmal hingefahren, doch standen da nur wesentlich häßlichere Kühe ‚rum, und ich wollte ja nicht irgend eine Kuh ablichten, sondern DIE KUH. Vielleicht war sie aber auch eine Erscheinung und gar nicht real, so eine Kuh-Gottheit, die nach Stunden unverhoffter Anstrengung vor der Wandernden materialisiert. vielleicht hätte ich etwas wünschen sollen…

Schrott siegt.

Wünschen? Wenn es darum geht, kommt mir als erstes die sogenannte „Freiheit vom Wünschen“ in den Kopf, ein spiritueller Wert, den ich mir im Lauf des Lebens als „wünschenswert“ angelesen habe :-). Sei’s drum: Für den Moment fällt mir wieder mal ein ECHTER WUNSCH ein, den ich leidenschaftlich jeder Fee gegenüber vertreten würde: Frontpage (Microsofts WYSIWYG-Web-Editor) soll vom Markt verschwinden! Weg mit dem Schrott!!

Es geht auf keine Kuhhaut, was ich in der letzten Zeit für Seiten zu sehen bekomme – allermeist von Einsteigern voller Hoffnung und mit großem Elan erstellt, doch um Klassen schlechter als alles, was Einsteiger noch vor zwei, drei Jahren so produziert haben. Richtige Horror-Seiten, ohne Text zum Beispiel, dafür mit Links, die nur so aussehen, als seien es Links. Oder mit großen Hintergründen, die echt komisch wirken, wenn sie bei höheren Bildschirmauflösungen dann mehrfach gekachelt zu sehen sind. Nicht zu vergessen die komplex verschachtelten unsichtbaren Tabellen, die mit den Eigenheiten des noch immer recht verbreiteten Netscape-Browsers nicht umzugehen wissen (bzw. nicht „wollen“, Frontpage ist ja ein Microsoft-Programm), was zu den seltsamsten Verschnitten des Hintergrundbildes führt. Tägliches Brot sind auch die überdimensionierten Grafiken, 320 KB und mehr, mit einer Auflösung von 300 DPI abgespeichert – dann per HTML-TAG auf die Größe von 120 x 180 Pixel verkleinert, so dass kein Mensch auf den ersten Blick merkt, warum zum Teufel man so elend lange auf die Seite warten muss.

Doch auch diese Schandtat kann noch übertroffen werden, nämlich dann, wenn die Grafiken und Bilder überhaupt nicht zu sehen sind und statt dessen häßliche Platzhalter die Seiten zieren: Weil wieder mal die Image-Quellenangaben im Code auf die Festplatte des Verfassers verweisen, kein Wunder, dass die Bild-Dateien im Web nicht gefunden werden. Wenn sie aber dann doch mal da sind, sitzen sie oft an der falschen Stelle, mitten auf dem Text zum Beispiel. Weil Frontpage nun mal gerne mit Ebenen und CSS arbeitet und der unkundige Einsteiger keine Ahnung hat, was eine „Ebene“ ist. Insbesondere müßte er wissen, wie eine Ebene positioniert wird, dann könnte er verstehen, dass sie auf anderen Bildschirmauflösungen (mit mehr Pixel Breite…) ganz wo anders sitzen wird, als am heimischen Monitor, der vielleicht gerade auf 800 x 600 eingestellt ist. Und würde lernen, dieses Problem zu lösen… aber Editoren lehren eben nichts!

Langweilig? Geht bei dem Thema leider nicht anders, man muss ein klein bisschen technisch werden, um das zu vermitteln, worum es hier geht. Wer da gleich abschaltet, wird immer Konsument bleiben und gar keine Chance haben, zu bemerken, wie sehr ihm durch die Geräte und Programme, von denen er umstellt ist, Wille und Weltsicht anderer Leute aufgezwungen wird. (Wahrscheinlich verabschieden sich hier 80% der Leser, der Rest ist zufällig Webdesigner…:-).

Was ich oben zu beschreiben begonnen habe, soll sich – dem ersten Eindruck entgegen – nicht in einer Anklage gegen Microsoft, das dunkle Imperium, erschöpfen. (Jede Bevölkerung hat die Herrschaftsformen, die sie zuläßt). Frontpage ist nur einer von vielen Oberflächen-Editoren, mit denen mittlerweile die meisten Homepages zusammengeklickt werden. Alle diese Programme haben ihre je eigenen Umgangsweisen mit den Gegebenheiten von HTML & Co. , die zu unterschiedlichen Ergebnissen führen, je nachdem, welche Browser und andere Endgeräte die Entwickler im Blick gehabt haben. Das kann nicht anders sein. Für den Anwender heisst das aber, dass er ohne HTML-Vorkenntnisse eben NICHT in der Lage ist, Seiten zu produzieren, die verläßlich sichtbar und gut lesbar sind, geschweige denn denen ähneln, die er beim Entwickeln selber sieht. Ein Minimum an Lesen, Lernen, Fragen und ausprobieren ist unumgänglich, selbst wenn man nur in kleinen Regionalligas oder in einigen der vielen Randgebiete des Netzes mitspielen will. Ein paar „Grundlagen in HTML“ sind unverzichtbar, um Oberflächeneditoren so einsetzen zu können, dass nicht unverhofft Schrottseiten in die Welt gesetzt werden.

Keine Zeit für HTML?

.Quatsch, bzw. reine Schutzbehauptung. Soviel HTML lernen, dass man Texte und Bilder auf Seiten anordnen und verlinken kann, kostet keinen halben Tag. Dann nochmal einen Tag, wenn man in die Raumgestaltung mit Tabellen und Frames einsteigen will. Mit diesen 1,5 Tagen hat man dann aber auch 90% aller Anforderungen im Griff, die für die Verwirklichung der meisten Publishing-Interessen erforderlich sind. (Unabhängig von allen Programmen und heimischen Einstellungen, von jedem Internet-Cafe der Welt aus, kann man dann z.B. Webseiten aktualisieren, wenn es mal brennt!). Der Rest ist Spielerei.

Durch den ohne Vorkenntnisse eingesetzten WYSIWYG-Editor wird keine Zeit gespart, sondern verloren. Ein Programm wie Frontpage bedienen können und die nötigsten Features herauszufinden, dauert ja auch seine Zeit, erst recht für die, die nicht wissen, WAS sie von all den Möglichkeiten brauchen. Und dann treten all die genannten Fehler auf, der Anwender schmeisst sein Frontpage 4 irgendwann angewidert in die Ecke, und….
…greift zu GoLife, Dreamweaver, Fusion. Soll ja ein besseres Programm sein! Auf ein Neues, frisch in die Tasten! Und jedes Mal dauert es wieder fast gleich lang, um erstmal auf den Stand zu kommen, den man mit dem anderen Programm erreicht hatte. Zeit gespart? Ein Lacher!

Man sieht, ich finde hier das Ende nicht, das Thema verdient wohl mal einen eigenen Artikel. Zum Schluss für jetzt noch ein Wort zu den „Spielereien“: Wer eine Homepage „nur“ als Spielerei erstellen will, braucht sich dafür keinesfalls rechtfertigen. Die Freiheit, zu spielen, ist eine der schönsten und wichtigsten Freiheiten. Das Netz bietet dafür riesige Spielfelder und gute Werkzeuge, für die man noch nicht mal viel zahlen muss. So richtig Spass macht es aber erst, wenn man sie auch nutzen kann, ohne dabei besonders unbeholfen, inkompetent oder lieblos zu wirken und es womöglich nicht mal zu merken. –

Was die Spielereien auf Webseiten angeht, braucht es dazu eher fortgeschrittenere Kenntnisse in HTML und Javascript, nicht etwa weniger. Wer meint, gleich auf der ersten Webseite im Leben Worte aus allen Richtungen einfliegen zu müssen, während zeitgleich dem Cursor nette kleine Buchstabengewitter hinterherfliegen und bei Berührung der Menüpunkte je drei Bilder ausgetauscht werden… – tja, der muss halt ein paar mehr Dinge wissen als einer, der nur seine Anliegen publizieren will. Da beisst die Maus kein Kabel ab.