Claudia am 21. November 2000 —

Nichtrauchen: Wahrheit oder Gehirnwäsche?

Das Umdenken, das dafür nötig ist, dauerhaft und ohne spürbare Entbehrungen von der Zigarette loszukommen, macht einigen Leuten ziemliche Probleme. Sie leiden lieber, als dass sie bereit wären, fremde Gedanken zu denken, Gedanken, die denen entgegenstehen, die sie – mehr oder weniger suchtbedingt – während der gesamten Raucherzeit gedacht haben und immer noch denken. Wo käme man da hin, würde man so einfach ganze Gedankengebäude in die eigenen Denklandschaften pflanzen, dafür womöglich selbst gebautes, liebevoll gepflegtes und instand gehaltenes abreissen? Wo bliebe denn das wirklich EIGENE, das ORIGINALE?

Wer auch noch sein Geld damit verdient, die Vorstellung von Eigenheit & Originalität im Denken aufrecht zu erhalten und zu vermarkten, kann nicht einfach all das, was er oder sie über Jahrzehnte für wahr gehalten hat, schlicht fallen lassen, bzw. zugeben, dass es falsch war, und das „nur“, um sich von einer Sucht wie dem Rauchen zu berfreien. Insbesondere Alan Carr, der schon vielen zum Aufhören verholfen hat, zieht von intellektueller Seite viel Ärger auf sich, denn er verlangt das „Verstehen“ einiger Punkte, die zumindest gewöhnungsbedürftig sind, zum Beispiel:

  • Es ist leicht, mit dem Rauchen aufzuhören
  • Zigaretten bringen keinerlei Genuß
  • Zigaretten beruhigen nicht, sondern schaffen die Nervosität erst, die dann mittels der Kippen „bekämpft“ wird.
  • Rauchen macht ganz schnell nikotinsüchtig: bereits mit der zweiten Zigarette kann man drin sein, obwohl die Kippen noch länger nicht einmal schmecken
  • Die Entzugserscheinungen beim Aufhören sind zum Glück gering, ja, kaum wahrnehmbar.

Man kann nun diese Behauptungen „hinterfragen“, also daraufhin diskutieren, ob sie wahr oder falsch sind. Carr tut das in seinem Büchern auch bereitwillig. Er begründet jeden einzelnen Punkt ausführlich mit logischen Argumenten, mit eigenen Erfahrungen und mit den Erfahrungsberichten von Leuten aus seinen Kursen und seinem Bekanntenkreis. Punkt 1 und 5 wird zum Beispiel damit untermauert, dass die physisch spürbaren Folgen des Entzugs tatsächlich geringfügig sind: oder wo wären denn die schlimmen Schwerzen? Hat die schon mal einer erlebt? Nein, vielmehr ist es nur ein Gefühl der Leere und Unruhe, ungefähr so wie Hunger, mehr nicht. Der Rest ist Psycho und diesen Psycho, bestehend aus VORSTELLUNGEN über das Rauchen, die – auch dank der Aktivitäten der Zigarettenindustrie – im Umlauf sind, möchte Carr zerstören, wirkungslos machen, auf dass es uns leicht fällt, mit dem Rauchen aufzuhören.

Geist und Schmerz

Man könnte jetzt so fortfahren und Carr auch mittels Erkenntnissen aus ganz anderen Quellen „beweisen“: zum Beispiel hat die Schmerzforschung festgestellt, dass ein beliebiger Schmerz (oder auch ein Lärm) ganz unterschiedlich intensiv empfunden wird, je nach der subjektiven Einstellung des Betroffenen. Die „gefühlte Intensität“ kann um bis zu 90% und mehr schwanken! Das erinnert mich an eine Online-Freundin, die mich vor einigen Monaten hier besucht hat. Aus ihren Texten und E-Mails hatte ich den Eindruck gewonnen, sie sei schwer krank, von vielfachen Leiden gezeichnet. Tatsächlich war es eine gepflegte, jugendlich wirkende, kerngesunde und meist gut gelaunte Person, die lediglich die unzähligen kleinen Zipperlein, die mensch nun mal ab dem mittleren Alter hat, ständig thematisierte. Sie „litt“ unter diesen Dingen, zumindest, wenn man ihrer Rede glaubte – aber ich saß ihr gegenüber und glaubte eher ihrer gesamten Ausstrahlung: gesunder Luxus-Typ…. :-)

Ein großer Teil eines Unwohlseins oder Schmerzes rührt vom Widerstand her, den man ihm entgegen setzt: Wenn ich diese Pickel einfach nicht akzeptiere, regen sie mich von mal zu mal mehr auf, wenn ich sie sehe. Oder das Symptom links neben dem Brustbein: juckt wie eine alte Narbe, verdammt, es könnte wunder wer weiss was Schlimmes sein, ich will es nicht haben…. und alles verspannt sich rund um das, was ich nicht spüren will, und macht auf diese Weise (ganz physisch REAL!) den Bereich immer größer, der nicht flexibel und dynamisch mit den Gegebenheiten des Augenblicks mitschwingen kann, weil er ja seine Verteidigungs-Verspannung aufrecht erhalten muss. Und immer härter, verspannter, schmerzhafter wird „das Symptom“….

Ja, und so geht es auch mit dem Rauchen und dem Entzug. Wenn ich weiterhin Gedanken hege wie „EINE Zigarette gelegentlich bringt durchaus Genuß“, dann richtet sich dieser Gedanke wie der Focus eines Brennglases auf das vorhandene physisch-reale Gefühl der Leere, gibt ihm Energie, Gestalt, Raum, und bläht es zu schier unendlich wachsender Größe und Stärke auf. Glückwunsch! Jetzt ist es NICHT mehr leicht, mit dem Rauchen aufzuhören…

Und die Wahrheit?

Ja, was ist mit ihr? Persönlich würde ich mir da keine weiteren tiefschürfenden Gedanken machen, solange es „nur“ darum geht, mit dem Rauchen aufzuhören. Ich war schon immer bereit, umzudenken, wenn ich das, was ich dadurch gewinne, wirklich benötige und durch das Umdenken auch tatsächlich bekomme. Und ich weiss mittlerweile, dass ich es nur dann schaffe, von den Kippen dauerhaft loszukommen, wenn es LEICHT ist. Auf die schwere Weise hat es bisher nicht geklappt.

Und die wirkliche Wahrheit? Die geht so:

Indem ich auf eine bestimmte Weise denke, schaffe ich eine Realität, die sich vollständig anders anfühlt als diejenige, die ich erleben würde, wenn ich anders denken würde.

Das ist unabweisbar wahr. Ich erlebe es nicht zum ersten Mal, sondern kann es täglich auch in Kleinigkeiten beobachten. Wichtig dabei ist, nicht zu vergessen, dass man nicht bei Null beginnt: Die „Start-Realität“ ist auch schon zustande gekommen, durch Gedanken, die täglich, ja sekündlich, von „aussen“ und „innen“ kommend, in einem imaginären Punkt zusammenknallen, den wir gewohnt sind, ICH zu nennen.

Dieses wissend, ist es kein Problem, mit Gedankengebäuden wie das von Alan Carr umzugehen. Ob eine Zigarette ein Genuß sein kann oder nicht, ist keine Frage der Wahrheit, sondern eine der Bewertung, der Definition. Und es erscheint fürs Nichrauchen dienlicher, den sogenannten „Genuß“ als Illusion zu verstehen, als Falle, als hinterhältige Verlackmeierung. Schließlich ist es nicht zu leugnen, dass die Zigarette das Bedürfnis, das sie dann mit vermeintlichem „Genuß“ deckt, dauernd selber erst schafft – zu Lasten unserer Gesundheit, unseres Geldbeutels und unserer inneren Ruhe.