Claudia am 21. August 2025 — 2 Kommentare

Homepages, Cyberzines und Mailinglisten: Die Vorläufer der Blogs

Das wird jetzt ein Beitrag zum Blogwochen-Thema „Von UseNet bis Webforen – Die Vorläufer des Blogs“. Da ich mit dem Digital Diary im März 1999 angefangen habe, bezieht sich „Vorläufer“ in meinem Fall auf die Jahre davor.  Das war die Zeit der Homepages und Webzines: selbst in HTML verfasste Webseiten, immer mit selbst erdachter Navigation – fast jede Homepage wurde so zum Abenteuer!

Home-Logos
Immerhin gab es bald das Home-Logo für den Link zur Startseite

Damals kam alle drei Monate ein neuer Netscape-Browser raus, der wieder etwas mehr konnte als nur Überschriften und Absätze anzeigen. Wir „Netizens“ dieser Tage erlebten eine nicht endende Lernkurve im Webdesign – ein Wort, das damals irgendwann erfunden und später bei einigen zur Berufsbezeichnung wurde.

1996 baute ich die erste Homepage namens „HumanVoices“, ein Mitschreibprojekt für allerlei Gedichte und literarische Beiträge. Die Beiträge kamen per Email und mussten „händisch“ verwebbt werden. Ich empfing die Mitlesenden und Schreibenden am virtuellen Lagerfeuer und verschwendete noch keinen Gedanken an zuviel „generisches Maskulinum“.

Erste Homepage Titel

Wie das so ablief, ist im Beitrag Das Human Voices-Textprojekt“ – eine Web-Site-Story“ nachzulesen. Aber Vorsicht, all diese alten Seiten sind archivierte Originale, nicht „responsive“, sondern „optimiert für 800 x 600 px“ (man hatte noch nicht so große Bildschirme und auch noch keine Smartphones!).

Weil ich nicht nur Literarisches kuratieren und moderieren, sondern selbst über vieles, was mich bewegte, schreiben und diskutieren wollte, entstand 1996 auch das Cyberzine Missing Link. Aus dem Editorial:

Zwischen Untergangs stimmung und Cyber- Euphorie, zwischen den Jargons der Eliten und dem Stammeln der Null- Medien, zwischen todernst und immer- gut- drauf gibt es jetzt: MISSING LINK.

Missing Link Title

Verhandelt wurden höchst philosophische Themen, die angesichts des Netzes plötzlich fraglich schienen („Was ist Wirklichkeit? Wahrheit? Virtualität?), immer als Mitschreibprojekte angelegt. Dazu Artikel über Web-KnowHow , erfolgreiche Webseiten und Events wie z.B. den 1.Internet-Literaturwettbewerb (60KByte max!), sowie – schon damals! – die Auseinandersetzung mit einem KI-Programm namens „Virtual Friends“. Missing Link war alles in allem ein „Verarbeitungsmedium“ rund um all das Neue, das in kurzer Zeit erlebt, bedacht und mitgemacht werden konnte. Eine tolle Zeit!

Schneller und interaktiver: Mailinglisten, die Vorläufer der Webforen

Weniger aufwändig und interaktiver ließ es sich in Mailinglisten diskutieren: Mailverteiler, die jedes Posting an alle Mitglieder sendeten. Da fanden sich kleine und größere Gruppen rund um ein Thema zusammen, noch ganz ohne „Abbildung“ der Debatten im Web, die die späteren Webforen so erfolgreich machten. Ich gründete – zusammen mit Ralf Segert und Stefan Müller – die „Liste Webkultur“, die in ihren besten Zeite 150 Mitglieder hatte. Wie es da zuging und wie es mir als „Admin“ ergangen ist, steht im Artikel „Familiäre Atmosphäre mit Vor-und Nachteilen – Freud und Leid der Mailing-Liste Webkultur„. Hier sieht man auch gleich, wie wenig gleichförmig Webseiten damals aussahen – ich hab mich da gerne ausgetobt:

Foum Webkultur - Artikelseite

In aller Regel ging es in der Liste zivilisiert zu! Als sich eines Tages eine Spaltung ergab (ich hab ganz vergessen, um was es ging), haben wir die Liste beendet nach dem Motto: Besser eine legendäre Erinnerung als dahin dümpelnde Reste. War gut so! Einige fanden sich in der Liste Netzliteratur zusammen, die es schon länger gab (teilweise zum Buch wurde) und sogar noch heute gibt (allerdings nicht wirklich aktiv, alle Jubeljahre sagt mal jemand was).

Webforen: Themen statt Personen

Foren im Internet gab es schon lange (z.B. das UseNet, das mir zu groß und chaotisch war), neu waren Foren auf einer Website, also als Teil des World Wide Webs. Webforen haben die meisten anderen Internetforen in den 90gern und Nullerjahren weitgehend zurückgedrängt. Am liebsten besuchte ich die freien Foren, z.B. aus dem Parsimony.net. In der alten Medienwelt konnte man nirgends einen so guten Einblick bekommen, was es alles für Lebenswelten und Interessengruppen gibt. Ich stöberte neugierhalber durch vielerlei Themen-Foren und bekam wirklich verrückte Dinge mit (z.B. Windel-Fetischisten, die sich in einem Inkontinenz-Forum einfanden und schwer irritierten :-)).

Ein bisschen heimisch war ich nur in kleinen Privatforen, aber nie lange. Und eine ziemlich dumme Idee war es, die Kommentare hier im Blog durch ein Forum zu ersetzen. Ok, damals wurde noch mehr kommentiert und das „aufeinander beziehen“ klappte im Forum besser. Dennoch: Es war eine flüchtige Angelegenheit und deshalb gibts hier in manchen Jahren keine Kommentare.

Auch zum Thema:

Im Digital Diary: 

#SoSollWeb: Mehr Blogs und Foren statt Social Media – handelt auch vom „großen Sündenfall“ der sogenannt „sozialen“ Medien, die doch eher das Gegenteil bewirkten.

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Diskussion

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2 Kommentare zu „Homepages, Cyberzines und Mailinglisten: Die Vorläufer der Blogs“.

  1. Hallo Claudia,

    ich habe deinen neuen Blogbeitrag über Homepages, Cyberzines und Mailinglisten mit großem Interesse gelesen. Es ist faszinierend, wie du die Anfänge des Internets und die Entwicklung dieser Plattformen beschreibst. Ich erinnere mich noch gut an die Zeit, als jede Homepage ein kleines Abenteuer war und man mit viel Kreativität und Experimentierfreude ans Werk ging.

    Besonders deine Schilderung der „HumanVoices“-Homepage hat mich berührt. Es ist beeindruckend, wie solche Projekte es ermöglichten, literarische Beiträge zu teilen und eine Gemeinschaft zu bilden. Auch die Gründung des Cyberzines „Missing Link” zeigt, wie wichtig der Austausch von Ideen in einer sich schnell verändernden digitalen Welt war.

    Dein Rückblick auf Mailinglisten und Webforen hat mich zum Nachdenken angeregt. Diese frühen Formen der Online-Kommunikation haben so viele Menschen verbunden und den Weg für das geebnet, was wir heute als Blogs kennen. Es ist schön zu sehen, wie du diese Erinnerungen bewahrst und uns daran erinnerst, woher wir kommen.

    Vielen Dank für diesen tollen Beitrag!

    Herzliche Grüße, Lorenzo

  2. @Lorenzo: oh vielen Dank für das Lob und dein Interesse am Thema! „Gemeinschaften bilden“ war eigentlich immer eines meiner Motive beim Bloggen, sonst hätte ich mich aufs Bücher schreiben verlegt. Deshalb sehe ich auch die Grundstruktur der eigentlich anti-sozialen Medien als den „großen Sündenfall“ an. Durch das erzwungene Andocken an Personen, anstatt sich in themenzentrierten Zusammenhängen zu verbinden, ist jede Menge Unfrieden geschaffen worden, oder auch nur Frust: Wenn ich jemandem wegen Thema X folge und er postet 90% zu anderen Dingen (wie es ja normal ist für eine Person), entsteht da kein Gefühl der Verbundenheit.

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