Kleiner Rückblick: Als „DIE PIRATEN“ im Jahr 2011 mit 15 Sitzen ins Berliner Abgeordnetenhaus eingezogen waren, berichteten sie der interessierten Öffentlichkeit:
„Wir haben schnell gelernt, dass ein Antrag keine Chancen hat, wenn man sich nicht zuvor mit anderen Parteien abstimmt. Auch dann nicht, wenn er deren Partei-Meinung entspricht„.
Die PIRATEN hatten 8% der Stimmen gewonnen, wurden als „junge frische Partei“ gehypt. Ihr Wahlspruch: „Wir sind nicht rechts, nicht links, sondern vorn!“. Als Merz letzten Mittwoch seinen 5-Punkte-Plan als (erwartbar folgenlosen) Entschließungsantrag zur Abstimmung stellte, der nur mit den Stimmen der AFD eine Mehrheit finden würde, kommentierte er diese Aussicht mit den markigen Worten: „Ich schaue nicht rechts, nicht links, sondern geradeaus!“ Ist das jetzt die Zukunft – und was wird nach der Wahl?
Professor Rieck rühmt Merz in seinem aktuellen Video allen Ernstes als strategisch denkenden Staatsmann, der mit seinen beiden Anträgen Pflöcke einschlägt, hinter die er nach der Wahl nicht zurück kann, ohne völlig unglaubwürdig zu werden. Dadurch habe er seine persönlichen Interessen, Bundeskanzler zu werden, hinter die Interessen der CDU und des Landes gestellt. Er fände es gut, wenn Parteien nicht ganze Meinungsspektren vertreten (immer mit gegenstrebigen Minderheiten wie etwa „Merkelianer“), sondern sich klar unterscheiden. Dann könne man als Wähler genau wissen, was man wählt. Dass mit dem – klar wortbrüchigen – Verhalten von Merz eine Koalition mit der SPD oder den GRÜNEN kaum mehr möglich erscheint, ficht Rieck nicht an. Er träumt von einer Minderheitsregierung, die sich ihre Mehrheiten jeweils suchen muss – faktisch also eine CDU-Regierung, die nur mit Hilfe der AFD zustande käme.
Klar wortbrüchig? Ja, denn Merz hatte versprochen, in der Zeit zwischen den Wahlen keine Abstimmungen zu veranlassen, die nur mit der AFD eine Mehrheit fänden. Und – wie Habeck in einer Talkshow ausführte – hat es auch ein Abkommen gegeben, dass Rot-Grün keine Anträge (irgendwelche sozialen Wohltaten) einbringen werde, nur um „die CDU vorzuführen“, wenn diese nicht zustimme.
Enfach „das Richtige tun“?
Womit ein Problem angerissen ist, dass zu unserer parlamentarischen Demokratie immer schon dazu gehört: Dieses „Vorführen“ anderer Parteien ist ein Standardvorgehen, genau wie die dazu gehörige Parteidisziplin, vulgo „Fraktionszwang“. Das erregt immer wieder den Unmut vieler, die einfach nicht einsehen wollen, dass man nicht „das Richtige“ tut, wenn „die Falschen“ es verlangen. In meinen jungen, aktiven Jahren hat mich das davon abgehalten, mich für eine politische Karriere zu entscheiden, die gut möglich gewesen wäre. Später sah ich zwar ein, dass es im gegebenen System keine Alternative gibt, habe aber meinen Rückzug aus der Parteienwelt nie bedauert, denn man muss sich so immer wieder verbiegen und entgegen der eigenen Überzeugung abstimmen.
@breisgauer_01 schrieb auf X nach der Abstimmung am Mittwoch, der erstmalig eine CDU-AFD-Mehrheit bekam:
„Sie kennen in der „Guten Mitte“ alle nur Hinterzimmerdemokratie und Show im Parlament. Heute wurde Politik im Parlament gemacht und dort gehört sie hin.“
Ja, hört sich gut und richtig an. Aber was wäre die Folge, wenn dem so wäre? Dann könnten wir doch eigentlich gleich die Parteien abschaffen und nach einem anderen System suchen. Vielleicht das Schweizer System, das immer alle großen Parteien an der Regierung beteiligt? Oder gar „direkte Demokratie“, in der (vermutlich auch schreckliche) Entscheidungen nach aktueller Stimmung getroffen würden? Ich kenne aktuell kein System, von dem ich mir eine Verbesserung der Lage erwarten würde, schon gar nicht das amerikanische, das gerade Trump die Macht gibt, sich als Diktator aufzuführen und das Land ins Chaos zu stürzen.
Dass die Auseinandersetzungen der letzten Tage fast ausschließlich um „wer mit wem“ kreisten, verdanken wir Merz. Um diesen Blogpost nicht mit den vernachlässigten Inhalten zu überfrachten, dazu nur ein kurzes Zitat:
@Nele_motzt: Was haben #Solingen, #Magdeburg und #Aschaffenburg gemeinsam? Hätten Behörden dort nicht geschlafen, hätte das verhindert werden können. Überall dort stellen CDU/CSU die Innenminister!
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8 Kommentare zu „Ist unser Parteiensystem in der Krise?“.