Claudia am 02. Februar 2025 — 8 Kommentare

Ist unser Parteiensystem in der Krise?

Kleiner Rückblick: Als „DIE PIRATEN“ im Jahr 2011 mit 15 Sitzen ins Berliner Abgeordnetenhaus eingezogen waren, berichteten sie der interessierten Öffentlichkeit:

Wir haben schnell gelernt, dass ein Antrag keine Chancen hat, wenn man sich nicht zuvor mit anderen Parteien abstimmt. Auch dann nicht, wenn er deren Partei-Meinung entspricht„.

Die PIRATEN hatten 8% der Stimmen gewonnen, wurden als „junge frische Partei“ gehypt. Ihr Wahlspruch: „Wir sind nicht rechts, nicht links, sondern vorn!“. Als Merz letzten Mittwoch seinen 5-Punkte-Plan als (erwartbar folgenlosen) Entschließungsantrag zur Abstimmung stellte, der nur mit den Stimmen der AFD eine Mehrheit finden würde, kommentierte er diese Aussicht mit den markigen Worten: „Ich schaue nicht rechts, nicht links, sondern geradeaus!“  Ist das jetzt die Zukunft – und was wird nach der Wahl?

Professor Rieck rühmt Merz in seinem aktuellen Video allen Ernstes als strategisch denkenden Staatsmann, der mit seinen beiden Anträgen Pflöcke einschlägt, hinter die er nach der Wahl nicht zurück kann, ohne völlig unglaubwürdig zu werden. Dadurch habe er seine persönlichen Interessen, Bundeskanzler zu werden, hinter die Interessen der CDU und des Landes gestellt. Er fände es gut, wenn Parteien nicht ganze Meinungsspektren vertreten (immer mit gegenstrebigen Minderheiten wie etwa „Merkelianer“), sondern sich klar unterscheiden. Dann könne man als Wähler genau wissen, was man wählt. Dass mit dem – klar wortbrüchigen – Verhalten von Merz eine Koalition mit der SPD oder den GRÜNEN kaum mehr möglich erscheint, ficht Rieck nicht an. Er träumt von einer Minderheitsregierung, die sich ihre Mehrheiten jeweils suchen muss – faktisch also eine CDU-Regierung, die nur mit Hilfe der AFD zustande käme.

Klar wortbrüchig? Ja, denn Merz hatte versprochen, in der Zeit zwischen den Wahlen keine Abstimmungen zu veranlassen, die nur mit der AFD eine Mehrheit fänden. Und – wie Habeck in einer Talkshow ausführte – hat es auch ein Abkommen gegeben, dass Rot-Grün keine Anträge (irgendwelche sozialen Wohltaten) einbringen werde, nur um „die CDU vorzuführen“, wenn diese nicht zustimme.

Enfach „das Richtige tun“?

Womit ein Problem angerissen ist, dass zu unserer parlamentarischen Demokratie immer schon dazu gehört: Dieses „Vorführen“ anderer Parteien ist ein Standardvorgehen, genau wie die dazu gehörige Parteidisziplin, vulgo „Fraktionszwang“. Das erregt immer wieder den Unmut vieler, die einfach nicht einsehen wollen, dass man nicht „das Richtige“ tut, wenn „die Falschen“ es verlangen. In meinen jungen, aktiven Jahren hat mich das davon abgehalten, mich für eine politische Karriere zu entscheiden, die gut möglich gewesen wäre. Später sah ich zwar ein, dass es im gegebenen System keine Alternative gibt, habe aber meinen Rückzug aus der Parteienwelt nie bedauert, denn man muss sich so immer wieder verbiegen und entgegen der eigenen Überzeugung abstimmen.

@breisgauer_01 schrieb auf X nach der Abstimmung am Mittwoch, der erstmalig eine CDU-AFD-Mehrheit bekam:

„Sie kennen in der „Guten Mitte“ alle nur Hinterzimmerdemokratie und Show im Parlament. Heute wurde Politik im Parlament gemacht und dort gehört sie hin.“

Ja, hört sich gut und richtig an. Aber was wäre die Folge, wenn dem so wäre? Dann könnten wir doch eigentlich gleich die Parteien abschaffen und nach einem anderen System suchen. Vielleicht das Schweizer System, das immer alle großen Parteien an der Regierung beteiligt? Oder gar „direkte Demokratie“, in der (vermutlich auch schreckliche) Entscheidungen nach aktueller Stimmung getroffen würden? Ich kenne aktuell kein System, von dem ich mir eine Verbesserung der Lage erwarten würde, schon gar nicht das amerikanische, das gerade Trump die Macht gibt, sich als Diktator aufzuführen und das Land ins Chaos zu stürzen.

Dass die Auseinandersetzungen der letzten Tage fast ausschließlich um „wer mit wem“ kreisten, verdanken wir Merz. Um diesen Blogpost nicht mit den vernachlässigten Inhalten zu überfrachten, dazu nur ein kurzes Zitat:

@Nele_motzt: Was haben #Solingen, #Magdeburg und #Aschaffenburg gemeinsam? Hätten Behörden dort nicht geschlafen, hätte das verhindert werden können. Überall dort stellen CDU/CSU die Innenminister!

***

Auch zum Thema:

Digitale Notizen: Das Handwerk der politischen Kommunikation: Was ist nur mit der Union los?
„Mir geht es in dieser Analyse mit voller Absicht nicht um die unchristlichen Inhalte des 5-Punkte-Plans und es geht auch nicht um politische Ansichten dazu: es geht um die adressierte Zielgruppe, den Zeitpunkt und die daraus abgeleiteten Botschaften, die die Union sendet. „

Volksverpetzer: So sehr schadet Merz der CDU
„Die CDU ist eine der letzten verbliebenen konservativen Volksparteien in Westeuropa. In fast allen anderen Ländern wurde sie mittlerweile von den Rechtsextremisten eingeholt oder überholt. Eine Übersicht… alle diese Konservativen haben den gleichen Fehler gemacht: Sie haben sich rhetorisch, insbesondere in der Migrationspolitik, nicht von den Rechtsextremisten abgegrenzt.“

Horst Schulte: Die Mitte stärken: Ein Ausweg aus der politischen Polarisierung… wird gesucht
“ Der Konservativismus mag derzeit an Zuspruch gewinnen, doch sein Erfolg wird nicht daran gemessen, ob er die liberalen Kräfte verdrängt, sondern daran, ob er in der Lage ist, Antworten auf die komplexen Herausforderungen unserer Zeit zu finden, ohne dabei in populistische oder radikale Muster zu verfallen.“

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Diskussion

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8 Kommentare zu „Ist unser Parteiensystem in der Krise?“.

  1. Es wird eine Groko oder ein schwarz-braunes Konglomerat.

    Ändern wird sich erstmal wenig, ausgenommen natürlich für monetär Benachteiligte.
    Aufgrund der Kriegswirtschaft muss leider das Siziakeb zusammengestrichen werden, was allerdings jetzt schon passiert, da die Kommunen längst blank sind. Und natürlich braucht es noch ein paar Freifahrtsscheine für Superreiche.
    Es wird ja sonst nichts mit der Wirtschaft.

  2. Derzeit erscheinen mir nur 2 Personen als möglicher Kanzler:
    Scholz oder Merz.

    Merz hat Deutschland definitiv nicht nach vorne gebracht. Im Gegenteil. Die Chance hatte er. U.a. ist das Land gespalten wie nie. Die Brandmauer hat er niedergerissen. Absichtlich. Wissend, Aus Kalkül.

  3. Ausschließeritis ist kein Merkmal der Politik. Die Brandmauer existierte lediglich für Blöde. Wenn Du für eine Stadt ein Klärwerk brauchst, dann müssen die Entscheidungen dafür schnell getroffen werden, sonst schwimmt die Stadt in einer Güllelache davon. Wie da wohl Mehrheiten zustande kommen?
    Leute, die jetzt rumgehen und sagen, nur der und der hat Schuld, verfügen uber ein Parteibuch und versuchen, noch die dümmsten Kälber zu veralbern um irgendwie noch das Wahlgeschehen im Sinne der Partei beeinflussen.

    Das ist ziemlich furchtbar und nutzt nicht viel, da die Meisten ohnehin noch Gewohnheitswähler sind.
    Es wäre jetzt an der Zeit, dass man mit dem alten Filz bricht und ganz andere Parteien dran kämen. Alternativ wäre eine Wahlbeteiligung von unter 10 Prozent denkbar, was ordentlich die Parteienfinanzierung drückt, nur leider werden dabei auch soziale Projekte gestoppt, da diese oft auch über die Parteien und deren Stiftungen gewuppt werden.
    Was man nach der Wahl ganz sicher nicht erwarten sollte, sind soziale Wohltaten.
    Noch bis August wird das Deutschlandticket entweder so teuer, dass es für viele keine Option mehr ist oder ganz abgeschafft. Das Bürgergeld wird gekürzt und das Wohngeld wieder auf das Niveau von vor Corona gebracht. Die Arbeitszeit wird angehoben werden und die Urlaubstage werden eingekürzt, so auf etwa 20. Beitragsbemessungsgrenzen werden genauso fallen wie Freibeträge. Kunst- und Kulturförderung wird es im Wesentlichen nur für Prestigeprojekte geben. Die Infrastruktur muss leider gegenüber Waffen zurückstecken, denn man muss ja irgendwie den Ivan wegballern. Nur brauchen auch Waffentransporte eine vernünftige Infrastruktur.

  4. Sorry für meinen Kommentar, Claudia, das war keine Antwort auf die von dir gestellte Frage, die ich mit einem „Ja“ beantworten würde.

  5. Vom Titel ausgehend muß ich sagen, daß ich schon länger denke, daß Parteien ein überholtes Konstrukt sind.
    Aus diversen Gründen sind alle Mitglieder einer Partei nahezu dersselben Auffassung, was zu tun sei. Und alle anderen Parteien greifen dementsprechend fehl, müssen bekämpft werden.
    Was öffentlich verlautbart wird, ist in den allermeisten Fällen rein taktischer Natur.

  6. @Gerhard:Danke für deinen Kommentar! Dass alle Parteimitglieder „einer Auffassung“ seien, stimmt ja gerade nicht. Es ist das, was Prof. Rieck (siehe oben) als Idealzustand vorschwebt. Faktisch gibt es überall Abweichler und Mindermeinungen, die – sofern im Parlament sitzend – sich meist (aber nicht immer, wie letzten Freitag zu sehen) an die Fraktionsdisziplin halten. Das Konzept „Volkspartei“ (wie es derzeit vor allem die CDU vor sich herträgt) sieht ja auch vor, ein ganzes Meinungsspektrum bündeln zu wollen.

  7. Das die parlamentarische Demokratie in ihrer Parteien-dominierte Form der Situation nicht mehr gewachsen ist, ist schon länger zu sehen und selber sehe ich das mit meinen bescheidenen Erfahrungen und Vergleichen zur (Nach)-Wendezeit schon viel länger so.

    Inzwischen sind diese Schienen so eingefahren und die Parteien haben scheinbar gar kein Interesse mehr, überhaupt sinnvolle Lösungen zu finden, bei denen eine oder mehrere im Kompromiss über ihren Schatten springen müssten. Da gibt es nur noch Endpositionen, die um jeden Preis durchzusetzen wären und dazwischen nichts. Das Ganze wird noch verschärft dadurch, dass die Parteien und Politiker sich nur noch an sich selber abarbeiten und dabei persönliche Animositäten, Spiegelfechterei und PR/ öffentliches Wirken wichtiger sind als die Sacharbeit um Ergebnisse – ad personam uswusf. Das letzte „Erfolgserlebnis“ dabei war das Zerlegen der Koalition durch die FDP, nachdem diese als parteipolitisches Programm sowieso schon länger nur noch Keil und Verhinderer war – s.o. Jetzt haben sie dank dieser Vorgehensweise vermutlich und hoffentlich endlich abgefrühstückt und fliegen aus meiner Sicht verdient wahrscheinlich aus dem Bundestag. Das Ergebnis dieses Verhaltens kann nach den Wahlen dann seit 1945 das erste Mal wieder eine offen rechte Partei in Regierungsverantwortung sein.

    Andererseits leben wir im System Kapitalismus und da bekanntlich das Hemd näher als die Jacke ist, ist nahezu parteiübergreifend die Logik und Konsequenz daraus, dass Politiker qua Herkunft, Werdegang und Karrieremöglichkeiten nach der Politik näher an Unternehmen als am Bürger stehen. Eine SPD konnte sich beispielsweise solange als Arbeiterpartei verkaufen, wie die Wirtschaft nach dem Krieg „Wachstum“ gerierte und darüber ein breiter „Wohlstand“ für die Meisten und auf Dauer möglich schien. Spätestens seit den 1980er Jahren ist diese tumbe Annahme passé und die Spielart Neoliberalismus sorgt dafür, dass zugunsten der Profite politisch das Soziale rasiert wird und als „Argumente“ die soziale Hängematte für den menschlichen „Überschuß“ der Gesellschaft herhalten muss, der als billige Reservearmee dient und gleichzeitig nicht „gebraucht“ wird. Da sind wir dann wieder beim Punkt, wie Gesellschaften wirklich gespalten werden., wenn dieser Teil selbiger und dessen „Kosten“ völlig überhöht in den Medien dargestellt werden.

    Um dann wieder zum Punkt zu kommen: Sollte die Konsequenz aus der nächsten Wahl tatsächlich CDU/AfD werden, dann sind die wiederum bei obiger Weltsicht gar nicht soweit auseinander. Die AfD ist letzten Endes am Anfang ein Fork der CDU gewesen, der EU-kritisch, neoliberal und national orientiert angefangen hat. Inzwischen hat halt die offene Rechte dort das Ruder übernommen und alle aus deren Sicht Wischiwaschi-Mitglieder wie Lucke oder Petry entsorgt, was imho auch zu erwarten war. Autoritäre Parteien und Systeme haben immer den Zwang in sich, unliebsame und ggf. kritische Gegner auch in den eigenen Reihen zu säubern und später überträgt sich das mit zunehmender Machtfülle eben auf das Gesamte, wie es jetzt bei Trump passiert.

    Zu den Schnittmengen CDU/AfD und den zu erwartenden Angriffen auf Arbeiterrechte nach der Wahl hat Stefan Rose in seinem Blog bereits ein paar kluge Gedanken geäußert.

  8. @Claudia, von einem breiten „Meinungsspektrum“ in den Parteien vernehme ich gerade nichts. In Talkshows und Interviews sprechen die Granden der Parteien immer dasselbe, sie müssen ja identifiziert werden.
    Es gibt vielleicht eine Person, die die Komplexität der Probleme benennt ,aber das wollen die Leute nicht hören, definitiv nicht. Da wird kein Schuh draus. Leider.

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