Claudia am 01. April 2024 — 8 Kommentare

Cannabis teilweise entkriminalisiert: Das reicht nicht!

Heute ist der erste Tag einer neuen Zeit, die eine schreiende Ungerechtigkeit abschafft: Dass Menschen für den Konsum einer weichen Droge verurteilt werden, die so viel harmloser ist als Alkohol, der jährlich über 10.000 Todesfälle und volkswirtschaftliche Kosten von ca. 57 Milliarden Euro verursacht (Jahrbuch Sucht 2023).

CannabisblattDas ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung, allerdings bei weitem nicht genug. Zwar darf man jetzt 50 Gramm Cannabis besitzen und 25 Gramm mitführen, dazu drei eigene Pflanzen anbauen – immerhin! Allerdings macht das neue Gesetz (hier der Volltext) den geplanten Anbau in „Social Clubs“ derart kompliziert, dass das Ziel, den Schwarzmarkt zurück zu drängen, kaum erreicht werden wird. Und während harter Alkohol in jeder Kneipe, jedem Supermarkt und jedem Späti (=Kiosk) erhältlich ist und überall getrunken werden darf, sieht das Gesetz vor, dass der Cannabis-Konsum rund um Schulen, Kitas, Spielplätzen und öffentlichen Sportstätten in einem Radius von 100 Metern verboten ist.

Was das z.B. in Berlin bedeutet, visualisiert die Bubatz-Karte so:

Bubatzkarte Berlin .- Cannabis-Verbotszonen
Die rot hervorgebhobenen Bereiche sind die Verbotszonen, nämlich besagte 100 Meter rund um Schulen, Kitas, Spielplätze und öffentliche Sportstätten, die es in Berlin reichlich gibt. Wie ihr seht, bleiben kaum Freiräume übrig, ganz davon abgesehen, dass weder die Konsumenten noch die Polizei immer genau wissen können, wo diese Bereiche anfangen und enden.

Alle Kiffer zu Gärtnern machen? Träumt weiter!

Angesichts der Regelungen zum gemeinschaftlichen Anbau in den Social Clubs scheint das Ziel, „den Schwarzmarkt zu verdrängen“ völlig aus dem Blick geraten zu sein. Das Gesetz schreibt nämlich vor, dass sich alle Mitglieder am Anbau beteiligen müssen ( CanG, Abschnitt 2 §17 / 2). Dazu heißt es in den offiziellen Fragen & Antworten (FAQ) des Ministeriums:

„Sämtliche unmittelbar mit dem gemeinschaftlichen Eigenanbau von Cannabis verbundene Tätigkeiten, die der Aufzucht und Ernte dienen, z. B. Wässern, Düngen, Beschneiden, Abschneiden von Blättern und Blüten, Absonderung von Harz etc., sind durch Mitglieder zum Zweck des Eigenkonsums durchzuführen.“

Dazu muss man wissen: So ein Social Club darf 500 Mitglieder haben, eine Zahl, die bereits während der Voranmeldungen in drei Berliner Clubs erreicht wurde. Wie soll man aber 500 Personen an der Pflege einer professionellen Cannabis-Anlage beteiligen? Absurd!

Ein Dealer-Schutzgesetz?

Die Benennung „Cannabis Social Club“ wurde im Gesetz übrigens extra in „Anbauvereinigung“ geändert, da in den Räumen für die Abgabe an die Mitglieder nicht konsumiert werden darf. Einfach mal jeden Spaß rund um den Konsum verunmöglichen war wohl die Devise. Es ist letztendlich ein Gesetz für die Bedenkenträger geworden, das mit möglichst realtitätsfernen Regelungen das Ganze so kompliziert und aufwändig macht, dass der Gang zum Dealer um die Ecke nach wie vor die einfachste Form des Bezugs bleiben dürfte.

Wobei der „Gang zum Dealer“ heutzutage eher etwas für Touristen ist, denn längst ist die Hausbelieferung Standard. Das dürfen die Anbauvereinigungen allerdings nicht! Ich zitiere nochmal die FAQ, Antworten auf die Frage 30 und 33:

„Die Weitergabe von gemeinschaftlich angebautem Cannabis durch die Anbauvereinigung hat bei persönlicher Anwesenheit des weitergebenden Mitglieds und des annehmenden Mitglieds zum Zwecke des Eigenkonsums sowie innerhalb des befriedeten Besitztums (das heißt auf dem Grundstück, der Anbaufläche, im Gebäude) der Anbauvereinigung zu erfolgen.“

„Anbauvereinigungen dürfen Cannabis an Mitglieder oder sonstige Personen weder versenden noch liefern oder liefern lassen.“

Wenn also die Abgabestelle JWD ist, weil sich kein erlaubnisfähiger Verteilort in der Nähe befindet, kann der Weg zur Eigenversorgung recht weit ausfallen!

Ich könnte so weiter machen, das CanG bietet jede Menge komplexer Regelungen, die auch Prof. Dr. Rieck in seinem neuen Video zum Kopfschütteln brachte.

Dr.Rieck zum Cannabisgesetz / Video

Dr.Rieck führt aus, dass sich das CanG als „Dealerschutzgesetz“ heraus stellen könnte, weil der Konsum nun legal, der Bezug aber zu schwierig sein könnte, um die User vom Schwarzmarkt abzubringen:

„…also ich finde es unfassbar schwierig zu durchschauen, was dort eigentlich jetzt erlaubt ist und was nicht. Es kann sehr gut passieren, dass die einzelnen Leute einfach sagen: „Was soll ich mit so einem komischen Gesetz? Es scheint jetzt irgendwie legal zu sein, 25 Gramm bei sich zu tragen, da kauft mans halt irgendwo, wo es einfach ist“. Das kann die Wirkung sein und das wäre natürlich ein bisschen unschön! Und ich muss auch ganz ehrlich sagen: Wenn man wirklich von der positiven Wirkung einer Legalisierung überzeugt ist, verstehe ich nicht, warum man sich dann nicht einfach durchringen kann und sagt: Da wird das Zeug eben genauso verkauft wie Alkohol, es steht dann im Supermarkt neben den Alkoholflaschen und drauf steht „Cannabis“ in den verschiedensten Darreichungsformen“.

Tja, das verhindern derzeit noch EU-Gesetze, weswegen auch die ursprünglich vorgesehene „Abgabe in Apotheken und lizensierten Geschäften“ vertagt wurde. Angeblich soll es irgendwann wenigstens Modellversuche in einigen Städten geben, woran ich aber noch nicht so recht glaube. Die CDU möchte das Cannabis-Gesetz sowieso wieder abschaffen, wenn sie an die Macht kommt, wofür sie allerdings Koalitionspartner bräuchte, die das mitmachen.

Hier noch eine Fundsache aus dem Urlaub in Apulien: Ein italienischer Joint-Automat („Cannabis light“ mit geringem THC-Gehalt).

Joint-Automat Italien

Siehe auch:

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Diskussion

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8 Kommentare zu „Cannabis teilweise entkriminalisiert: Das reicht nicht!“.

  1. Klingt alles reichlich komplex, dabei sollte es doch einfacher werden.

  2. Immerhin gibt es eine Entkriminalisierung und in der Zukunft können die Vorschriften ja weiter gelockert werden.
    So doof und irrational die ganzen Einschränkungen sind, sind sie doch Ausdruck der Angst und Sorge bei vielen Menschen (nicht nur CDU-Politiker:innen und Alkohol-Lobbyist:innen!) vor der für sie doch ,,neuen“ Droge.

    Gesellschaften müssen sich erst an eine Droge gewöhnen und lernen, damit umzugehen. Das dauert Zeit.

    Da eh niemand kontrollieren kann, wer wie viele Cannabispflanzen zu Hause zieht, wird es sicher nach und nach grüner werden in den Städten und Gärten … ;-)

  3. In einem halben Jahr kräht vermutlich kein Hahn mehr nach diesem Thema, während jetzt mal wieder Sodom und Gomorrha gerufen wird.

    Es hat ja schon regelrecht kafkaeske Züge, wenn ausgerechnet die konservativen Hardliner in Bayern deswegen den Weltuntergang beschwören, während sie gleichzeitig bevorzugt durch die Bierzelte zu allerlei Volksfesten für ihre Wahlkampagnen tingeln…

    …die kollektive Woodstock-BRD wird es jedenfalls deshalb nicht geben;-)

    Thomas

  4. @Gerhard: an „einfach“ haben sie m.E. gar nicht mehr gedacht vor lauter Bedenken, was alles passieren könnte.

    @Flusskiesel: Du schreibst

    „Gesellschaften müssen sich erst an eine Droge gewöhnen und lernen, damit umzugehen. Das dauert Zeit.“

    Man tut grad so, als träte die „neue Droge“ erst durch die Teil-Entkriminalisierung in die Welt! Das ist es u.a., was mich so ärgert. Dabei gerät eben völlig aus dem Blick, dass ein Großteil der Bevölkerung lange schon jederzeit an Cannabis kommen kann, sofern gewünscht. Wenn man also den legalen Bezug so kompliziert macht, werden viele bei der gewohnten einfachen Beschaffung bleiben. Was dann wiederum als Argument gegen die Teillegalisierung genutzt werden wird – insbesondere zur parteipolitischen Profilierung (CDU/CSU).

    @Thomas: Ich hoffe, du hast recht!

  5. Erscheint das nur mir so, dass besonders in letzter Zeit eine harte Diskussion zu schlecht entworfenen Gesetzen entstanden ist? Ob bei Lauterbach, oder Heizung, Kindergrundsicherung, Cannabis… (vom gendern mal ganz abgesehen) …
    Und auch die Menge an neuen Gesetzen, die jetzt rausgehauen werden (ohne EU Lieferketten) ? War das schon immer so und wurde das früher medial einfach nur nicht so hoch gekocht?

    Geht so Bürokratieabbau? Die Einhaltung der Gesetze und Verordnungen wird doch früher oder später auch von autorisierten Stellen überprüft werden. Das können m.E. nach Klein- und Mittelbetriebe gar nicht mehr alles leisten, auch, weil das dazu betrieblich qualifizierte Personal nicht vorhanden ist.

  6. Die Anbauvereine sind so typisch Deutsch. Bürokratisch überladen, mit viel Papierkram verbunden, zu teuer und alle Daten, auch die der Mitglieder, werden beim Staat gespeichert. Der Eigenanbau von 3 Pflanzen ist hingegen genau mein Ding. Da aber niemand was abgeben darf, wird der Schwarzmarkt weiter blühen. Es muss also noch ein kontrollierter Verkauf in Fachgeschäften hinzukommen, sonst wird der Schwarzmarkt überleben. Aber trotz allem Krampf. Wie oben schon erwähnt: Nächstes Jahr interessiert sich keiner mehr für das Thema, weil es normal geworden ist. Wie saufen auf dem Oktoberfest.

  7. @Menachem

    Da nehme ich an, dass es wirklich eher ein gefühltes Ding ist und eher wieder medial begründet, weil jedes Pups-Gesetz erwähnt wird. Dazu z.B. die verabschiedeten Gesetze von 2021 und 2022. Gesetzgebung unterliegt ja wie alles dem Wandel der Zeit und von daher fließt immer mal etwas Neues in vorhandene ein oder es sind manchmal auch nur Formalien, wenn etwa EU-Richtlinien in nationales Recht umgesetzt wird.

    Ob es für die Nummer mit Cannabis wirklich so ein Pamphlet gebraucht hätte? Da liesse sich ebenfalls trefflich streiten und relativ sicher war da auf konservativer Seite schon ein wenig impliziert, dass Zeug darüber zu verhindern oder wenigstens den Zugang so zu erschweren, dass auch wieder keiner checkt, ob, was und warum?! Im Grunde hätte das Übertragen der Regeln für Alkohol genügt irgendwie. Am Anfang mag vielleicht die Neugier den Konsum noch etwas hochtreiben, aber wie das andere Länder schon hinter sich haben, dürfte sich gegenüber bisher kaum etwas ändern von der Quote her.

    Wie sich das mit der Einstiegsdroge und dem Weg zu harten Sachen wie Heroin verhält, lässt sich nicht abschätzen, aber da ist Alkohol auch ein Einstiegspunkt. Insgesamt sehe ich da auch nicht die verheerenden und propagierten Folgen einiger und verhindern wird man es sowieso nicht können. Solange das Angebot besteht, werden wie bei allen Süchten auch weiter Abhängigkeiten mit allen Folgen existieren.

  8. @Worf: ja, richtig! Die Vereine sollen übrigens auch Überschüsse „vernichten“, wenn etwa Mitglieder ausgetreten sind oder weniger konsumieren. Auch die Datenhaltung ist ein Desaster, denn der Staat kann nun genau wissen, wer konsumiert!

    @Menachem: ja, die Debatten rund um Gesetze haben sich vermehrt und verschärft – zumindest empfinde ich das so. Die Klein- und Mittelbetriebe werden im übrigen oft von Regelungen ausgenommen, so z.B. im stark verwässerten Lieferkettengesetz, das jetzt nur noch für Betriebe ab 1.000 Beschäftigte und 450 Millionen Euro gilt.

    @Thomas: „Im Grunde hätte das Übertragen der Regeln für Alkohol genügt irgendwie.“ Finde ich auch, aber das ist sooooo weit von den Vorstellungen der Bedenkenträger entfert, weiter geht es kaum!

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