Claudia am 18. Januar 2002 — Kommentare deaktiviert für Traum, Tunnel, Tietze-Syndrom

Traum, Tunnel, Tietze-Syndrom

Es ist halb vier. Die Ziffern der Uhr leuchten hämisch herüber, ich kann nicht schlafen. Fließe hin und her zwischen Wachen und Dösen, nicht auf der linken noch auf der rechten Seite halte ich es lange aus, auf dem Rücken schon gar nicht. Nein, ich rege mich nicht auf, wirklich nicht, das nützt nichts sondern macht es nur schlimmer. Das Jucken an der Rippe unter der linken Brust, das mich seit Jahren begleitet, nervig, aber nicht wirklich beängstigend, hält mich wach. „Tietze-Syndrom – möglicherweise“, sagte mal ein Arzt vor ein paar Jahren, „leider nicht erforscht, ich kann Ihnen nur eine Cortison-Depotspritze anbieten. Das ist gar nicht so schlimm, wie man meint“. Hab‘ ich abgelehnt, damals, wie kann er mir nur sowas anbieten, wenn er gar nicht weiß, was ich habe? Keine Arztbesuche mehr seither, ein paar Recherchen im Netz auf eigene Faust, ohne Ergebnis. Weiter → (Traum, Tunnel, Tietze-Syndrom)

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Claudia am 15. Januar 2002 — Kommentare deaktiviert für Langeweile

Langeweile

Fast eine Woche ohne Diary – warum? Da mittlerweile ein paar liebe Leute anfragen, was aus mir geworden ist, melde ich mich hiermit zur Stelle: Still alive and clicking! :-) Es gibt einfach Zeiten, in denen mich die Muse nicht küßt, mir fällt definitiv nichts ein, was „raus“ will, oder ich zensiere es schon gleich im Kopf weg: zu langweilig, völlig unbedeutend, besser nichts als nur ein paar Worte machen um der Worte willen.

Es ist ja kein Problem, IRGENDWAS hinzuschreiben! Derzeit bekomm‘ ich zum Beispiel immer wieder mal Werbung von www.satt.org, die da stolz vermelden:

„Jeweils einen Monat lang veröffentlichen von nun an handverlesene Autoren auf daily satt ihre tagesaktuellen Aufzeichnungen. Los geht es im Dezember mit daily willmann: den Notizen des Berliner Lyrikers und Schriftstellers Frank Willmann, im Januar 2002 folgt daily stahl (Enno Stahl, Köln) und im Februar 2002 daily wagner (Achim Wagner, Köln/Mülheim a. d. R.). Lesenswerte und kurzweilige Internettagebücher sind Nadeln in Heuhaufen. daily satt ist weder Meinungsportal, noch Nabelschau, weder wahl- noch uferlos. Die Beschränkung auf einen Autor gewährt Einheitlichkeit, der monatliche Turnus Abwechslung.“

Naja, und nun guckt mal, was da so steht! Macht euch das „satt“? Braucht das die Welt? Lohnt es den Klick??? Wenn das die „Nadel im Heuhaufen“ ist, frag‘ ich mich, in welches Heu die zwecks Orientierung geguckt haben. Mir kommt fast jedes Gelegenheits-Blog spannender vor als solche leeren Minimal-Ergüsse, die offensichtlich nur da stehen dürfen, weil der Verfasser sich anderweitig einen Namen gemacht hat. Schon jeder Kreativ-Writing-Kurs bringt weit lesenswertere Ergebnisse!

Lästern ist ja immer ein guter Ausweg, wenn man an existenzieller Langeweile krankt. Mal eben einen kleinen „Krieg“ vom Zaun brechen, zum Beispiel gegen die Telekom: seit Mai warte ich auf einen ISDN-Anschluß, hier, inmitten von Berlin, im „In-Viertel“ von Friedrichshain. Als ich hergezogen bin, sah noch alles ganz normal aus: Antrag gestellt, telefonisch einen Termin ausgemacht – tja, aber der Monteur kam nicht! Auch sonst keine Nachricht, ich war wochenlang ohne Anschluß und beim telefonischen Nachhaken traf ich auf Leute, die jetzt Stein und Bein schworen, die Telekom hätte ganz gewiß NIE einen Termin mit mir ausgemacht, sowas gehe ja nur schriftlich! Endloses Herumtelefonieren, schließlich kam heraus, dass die Bauabteilung die Sache ad acta gelegt hatte, weil ISDN hier noch nicht möglich sei. Dass der Mensch vielleicht trotzdem irgend einen Anschluß möchte, ist ihnen nicht eingefallen. Nochmal Wartezeit, und seither hänge ich „analog“ im Netz, so richtig steinzeitmäßig. Dann im Dezember nochmal nachgefragt: WANN bitte bekomme ich ISDN??? Drei Wochen später ein schriftlicher Bescheid: Wir PRÜFEN dass, wenn die Prüfung abgeschlossen ist, geben wir Ihnen Nachricht. Wie schön!

Was könnte ich tun? Ich könnte jede Menge Wirbel machen, eine BI der Betroffenen gründen, vielleicht allerlei Funktionsträger aus Politik und Wirtschaft motivieren, bei der Telekom anzufragen, wann endlich die Versorgung dieses Innenstadtbezirks gewährleistet ist. Immerhin zieht demnächst Emi-Music hierher, eine der wenigen großen Firmen, die sich entschlossen haben, in die Hauptstadt zu kommen. 500 Leute, von denen etliche hier in FH wohnen wollen. Die werden sich freuen, wenn sie auch gleich „analogisiert“ werden!

Naja, und dann läßt der Anfall von Aktivismus gleich wieder nach. Vielleicht liegts am Alter, daß mich die Vorstellung derartiger „Protest-Arbeit“ nicht mehr richtig motiviert. Vielleicht ist es auch nur eine Phase, der Januar ist nicht gerade ein Super-Monat. Ja, ich langweile mich! Nicht etwa, dass ich nichts zu tun hätte, die Liste „To do“ liegt neben mir und macht mir ständige Vorwürfe – aber irgendwie bekomm‘ ich die Kurve nicht, es mangelt an Begeisterung, an konkreten Wünschen und Zielen, die mich in Bewegung setzen. Und ich vermute, das bleibt auch so, ich hege den Verdacht, dass die Zeiten vorbei sind, in denen ich „von außen“ motiviert werden kann.

Heidegger beschreibt die existenzielle Langeweile als das „Leiden, vom Dasein als Ganzem nicht angesprochen zu sein“. Gute Formulierung, trifft genau den Punkt. Wer sich z.B. verliebt, plötzlich die Kündigung bekommt oder Opfer einer Katastrophe wird, ist auf einmal vom Dasein als Ganzem unausweichlich angesprochen. Dieses „Angesprochen-Sein“ allein aus mir heraus zu erzeugen, ist mir bisher nicht gelungen. Aber ich sehe immer besser, dass genau das die Aufgabe ist.

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Claudia am 09. Januar 2002 — Kommentare deaktiviert für Kampfzone

Kampfzone

Gestern abend lief ein Fernsehfilm auf 3SAT, „Schlafende Hunde“, der gut und gern als Illustration zum Roman „Ausweitung der Kampfzone“ von Houellebecq gesehen werden könnte. Ein Konzern plant in einer kleinen Stadt ein riesiges Shopping-Mall-Projekt mit Gastronomie, Wellnesslandschaft und Hotelerie, Gesamtvolumen 140 Millionen. Schauplatz des Films ist die Büroszene des Projektträgers: Wichtige Männer, die laufend Besprechungen haben, viel telefonieren, jede Menge Bestechungsgelder in Geldkoffern hin und herreichen, umgeben von schick gestylten Frauen, die für Häppchen und Getränke sorgen und niedere Organisationsarbeiten erledigen. Jeder kämpft für sich allein, wittert im Anderen den immer zum Tiefschlag bereiten Gegner. Verbissen sägen sie gegenseitig an ihren Stühlen und tricksen sich aus, wobei immer der GANZE Mensch gefordert ist, alle Beziehungen, einschließlich der sexuellen, stehen ganz im Dienst der Intrigen und Karrieren, Freizeit ist fast ganz verschwunden. Weiter → (Kampfzone)

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Claudia am 02. Januar 2002 — Kommentare deaktiviert für St.Hedwig

St.Hedwig

Gestern mittag draußen gewesen. Ich wollte über die Festmeile der Silvesternacht schlendern und mit der Digicam festhalten, wie „Berlin – the Day after“ aussieht. Wegen Aufräumarbeiten und einem Neujahrslauf war die Straße Unter den Linden immer noch gesperrt, mit dem Auto konnte ich nicht ganz bis zum Brandenburger Tor fahren. Parkte also vor der Humboldtuniversität, schoß ein einziges Bild, dann meinte der Apparat schon, die Energie reiche nicht mehr weiter. Sollte ich jetzt nach Batterien suchen? In den Andenkenshops wühlen? Wieder ins Auto steigen und eine Tankstelle anfahren??? To much, es muss ja nicht sein! Ich schaltete um von „jagen & sammeln“ auf „erleben“ und wußte nicht recht, was tun. Guckte mir die Gebäude an, Prachtbauten im trüben Winterlicht, es war noch wenig los, insgesamt eine seltsame Atmosphäre, als mache die Welt gerade Pause. Weiter → (St.Hedwig)

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Claudia am 26. Dezember 2001 — Kommentare deaktiviert für Weihnachten, ein Opferfest

Weihnachten, ein Opferfest

Es ist still in Berlin Friedrichshain, nun schon den dritten Tag. Das „In-Viertel“ rund um die Simon-Dach-Straße ist wie ausgestorben, die meisten Kneipen bleiben zu und die Fassaden der Gründerzeit-Altbauten zeigen sich nächtens in gespenstischem Dunkel: alles leer, alles ausgeflogen. Die ungewöhnlich jugendliche Bewohnerstruktur – fast jeder ist hier unter 30 – führt an traditionellen Feiertagen zum Komplett-Ausfall der ansonsten so beliebten und gelobten kulturellen Eigenständigkeit. Man fährt halt heim zu den Eltern oder gleich ganz weit weg, in den Süden. Immerhin findet sich so endlich locker ein Parkplatz!

Da ich in keinerlei festive Aktivitäten eingesponnen bin, sind diese Tage einfach eine ruhige Insel im Getriebe. Das Gefühl, etwas (mehr!) tun zu müssen fürs „Fortkommen“, tritt in den Hintergrund. Wenn alle abschalten, darf ich ja wohl auch… Beiläufig beobachte ich die Medien im Christmas-Taumel, besonders das Fernsehen, und mit einem Mal wird mir klar, dass Weihnachten ein Opferfest ist.

Was wird geopfert? Zu welchem Zweck? Der Sinn des Opferns ist immer gleich: Man will einen übermächtigen Gott bestechen bzw. gnädig stimmen, damit die Dinge einmal nicht ihren „natürlichen“, also gottgewollten Lauf nehmen, sondern sich nach den Wünschen der Opferer entwickeln. Wird das Opfer akzeptiert, hat mensch kurzzeitig Ruhe vor der göttlichen Eigendynamik, der satte Gott hält sich ganz raus oder verhält sich dem Menschenwunsch gemäß – für kurze Zeit, ein Opfer reicht ja nie für immer.

Bis zum Abend des letzten verkaufsoffenen Tages vor Weihnachten berichten die Medien intensiv von der Konsumfront: Wieviel und was gekauft wird, ob mehr oder weniger als im letzten Jahr, was die Händler dazu sagen und ob das Volumen des Weihnachtsgeschäfts insgesamt ausreicht, der Wirtschaft zum Jahresende zu deutlichen Gewinnen zu verhelfen oder aufgelaufene Verluste zumindest spürbar zu mildern. Man beobachtet also die Opferzeremonien und versucht, zu beurteilen, ob das Opfer ausreicht und ob es angenommen wird.

Offensichtlich ist das dieses Jahr wieder der Fall, denn am Nachmittag des 24.Dezembers schließen nicht nur die Läden und Büros der Welt des Kaufens & Verkaufens, auch innerpsychisch verläßt man die erweiterte Kampfzone und legt erleichtert die Rüstung ab, checkt aus, um mal wieder „richtig Mensch“ zu sein – so zumindest ist es gemeint, gedacht, gewollt. Für ein paar Tage sind wir dann frei (gelassene..), haben uns frei gekauft und können nun Seiten zeigen und Aspekte leben, die im immer mehr Lebensbereiche umfassenden täglichen Kampf ums Fortkommen hinderlich bis peinlich sind: Weichheit, spontane Freundlichkeit, Mitgefühl, Sehnsucht nach Liebe jenseits von Leistung und Nützlichkeit, und die aus alledem folgende Großzügigkeit mit der Bereitschaft zum Helfen, Schenken und Teilen.

Die Medien begleiten bereitwillig die kurzfristige Richtungsänderung, Familienfilme handeln von harten Geschäftsleuten, die zu liebevollen Vätern mutieren, Lokalsender zeigen tatsächlich Menschen beim schenken, helfen und teilen – von der Feuerwehrgruppe, die ein Kinderheim beschert bis zum Viersternehotel, das in der heiligen Nacht fünfzig Obdachlose verköstigt und beherbergt. Geld ist nicht alles, das darf jetzt mal gesagt, geschrieben, gesendet und gesehen werden. Sind ja nur ein paar Tage, dann ist wieder das große kollektive „Speicher löschen“ per Silvesterfete angesagt, mit anschließender kraftvoller Neuprogrammierung auf neue Wünsche, Ziele und Vorhaben im neuen Jahr. Die kurze Auszeit muß rituell gebrochen werden, sonst könnten ja Spuren in den Psychen zurückbleiben, die Freude am Helfen, Schenken und Teilen könnte um sich greifen – mit unabsehbaren Folgen! (Man sieht ja, was diese „Tradition“ z.B. im Internet angerichtet hat, wo sie die ersten Jahre des neuen Mediums kulturell dominierte: kein Geschäft nirgends, E-Commerce ein Milliardengrab!)

Bald ist sie vorbei, die „freie“ Zeit, das Opfer ist aufgezehrt und hungrig erwacht der Gott unserer Tage zu neuem gefräßigen Leben. Wir werden das Visir herunterklappen, die Samthandschuhe ausziehen, das Herz wieder als bloße Pumpe ansehen und tun, was wir tun müssen. (Wem der Übergang zu hart ist, der wird vielleicht im Januar krank -> Zeit des höchsten Krankenstandes in diesem Land).

Ist das der Endzustand? Wird es immer so sein, solange diese Welt steht, dass wir unsere liebevolle, weiche und freundliche Seite verbergen, besser noch verdrängen und vergessen müssen, um „fort“ zu kommen? Ja wohin denn eigentlich ? Man kann sich lange an der eigenen Kreativität berauschen, am Wachsen des Bankkontos, am Aufsteigen auf neue Siegertreppchen – irgendwann mal meldet sich gerade auch bei den Erfolgreichen die Frage nach dem „Wozu?“. Macht mich das jetzt wirklich glücklich? Bringt es mir echte Freude? Gewinne ich Freunde und Freiräume, oder verheize ich nur meine Lebenszeit für Dinge, die ich nicht fühlen und nicht spüren, sondern nur wissen, bzw. mir „ausrechnen“ kann?

Wenn ich mir angucke, wie so mancher Werbespot zur KUNST gerät, so daß schon kaum mehr erkennbar ist, für welches Produkt hier um Sympathie geworben wird, sehe ich die Verzweiflung erfolgreicher Kreativer: Es ist schon hart, sein ganzes Herzblut ohne Pause für so hehre Ziele wie die bessere Vermarktung von Gummibärchen oder Schokoriegeln einsetzen zu müssen – und sowas geht heute nicht mehr „mit links“, schon gar nicht in einer gewerkschaftlich abgesicherten 35-Stunden-Woche.

Der Gott unserer Tage will uns GANZ, nicht nur werktags zwischen 9 und 17 Uhr. Er ist unbescheiden, allgewaltig und groß wie es sich für einen Gott immer schon gehört. Und er nutzt moderne Kommunikationsmittel, lichtschnell und frei von allem menschlichem (Wohl-)Wollen kreist das Kapital, sein farbenfernes Blut durch die vielfach vernetzten Adern unserer Welt – in endloser Suche nach Vermehrungsmöglichkeiten. Dieser Gott will vor allem eines: wachsen. Ist er – mal so als Wachstums-Junkie betrachtet – denn wirklich allmächtig und in dieser Allmacht ewig?

Wer von Sucht etwas weiß, weiß auch, daß Zusammenbruch, Tiefpunkt und Entzug schon im kleinen menschlichen Rahmen katastrophal sein können – an einen göttlichen Breakdown mag man da lieber gar nicht erst denken! Zudem ist eine solche Entwicklung planerisch sowieso nicht zu beeinflussen und auch alle Versuche, freundliche selbstgebastelte Gegen-Götter zu etablieren, sind gescheitert – auch der Gott DIESER Welt ist ja nicht etwa irgendwo „außen“, sondern lebt in uns selbst.

Und trotzdem: Tote Götter pflastern unsern Weg, daran könnten wir uns gelegentlich erinnern! Schließlich ist noch nicht aller Tage Abend…

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Claudia am 23. Dezember 2001 — 1 Kommentar

Vom Elend des Sitzens

Morgen werd‘ ich mich ins weihnachtliche Endgetümmel werfen und mir ein Klemmbrett und einen Astronautenkuli zulegen, der auch dann noch schreibt, wenn die Spitze gen Himmel zeigt – so als Weihnachtsgeschenk für mich selbst, das mich hoffentlich zeitweise vom SITZEN befreit!

Mit der Hand schreiben? Vor kurzem noch hätte ich nicht im Traum an sowas Archaisches auch nur zu denken gewagt! Während einer Besprechung Notizen zu machen stellt mich regelmäßig vor das Problem, diese hinterher wieder entziffern zu müssen. Fähigkeiten, die man nicht regelmäßig übt, gehen eben über kurz oder lang verloren und die Handschrift steht seit Einführung der Textverarbeitung unverkennbar auf der Abschussliste.

Aber in der Not frisst der Teufel Fliegen! Ich kann einfach nicht mehr sitzen. Seit Wochen schon merke ich, dass es mich wegzieht vom Monitor – nicht, um „da draußen“ im realen Leben auf Abenteuer auszugehen, sondern weil mir alles weh tut und ich mich nach wenigen Stunden schon wie „gestaucht“ fühle. Trotz Super-Bürostuhl, trotz Yoga, Fitness-Center, Sauna und gelegentlichen Spaziergängen gelingt es nicht mehr, die vielen Stunden vor dem Gerät so auszugleichen, dass ich mich in meiner Körperlichkeit vergessen kann. Schultern, Rücken, Lendenwirbel und Beine meinen schon nach etwa einer Stunde, nun sei es genug.

Was soll ich also tun? Mir einen anderen Job suchen? Ganz unmöglich, alles, was ich gut kann, braucht das Computer-Cockpit als Werkzeug und Kanal zur Welt. In einer Zeit, in der auch die letzten „Problemgruppen“ vom Arbeitsamt in PC-Kurse gezwungen werden, ist das keine Möglichkeit mehr, die man ernsthaft erwägen könnte. Und: es ist ja nicht nur die Brotarbeit, die mich „am Netz“ hält, sondern auch freie Aktivitäten wie dieses Diary, das Schreiben und Gestalten, praktisch aller Selbstausdruck und die Kommunikation mit Menschen an anderen Orten der Welt zwingt mich vors Gerät. Dazwischen das unverzichtbare Forschen, Suchen, Sich-Informieren, Neues lernen – gar nicht mehr vorstellbar ohne Google, ohne Mailinglisten und Web-Communities!

Aber es knirscht im Gebälk der materiellen Seite meines Daseins. Der Körper beschwert sich zu Recht, dass ich ihn einfach „absetze“ und dann „fort“ bin – dort, wohin Leben & Welt mehr und mehr auswandern, wo das Produzieren und Projizieren, das Kommunizieren und alles Steuern der Welt zunehmend stattfindet: im Cyberspace, der nur über ein Interface zu betreten ist, eine Grenzanlage, die das Materielle nicht durchlässt: Sorry, wir Körper müssen draußen bleiben….

Wir sind nicht angepasst an das Leben, das wir führen„, sagt der nette Trainer im Fitnesscenter und schaut zufrieden auf die Kunden, die sich an den Geräten nolens volens in Bewegung versetzen. Neulich wollte ich da mal einfach nur in die Sauna gehen, doch als ich durch den Gerätepark lief, spürte ich die Sehnsucht des Körpers wie eine leise aber dringliche Stimme aus dem Hintergrund: Komm, lass uns ein bisschen turnen… Ein seltsames Erlebnis der Gespaltenheit: WER ist denn hier verdammt nochmal ICH???!

Zersetzung

Vor wenigen Jahrhunderten war das Leben noch Bewegung. Von früh bis spät auf den Beinen, verrichteten die Menschen elend schwere Landarbeit und bewegten sich zu Fuß von Ort zu Ort. Die Industrialisierung hat dieses organisch-naturgesteuerte notwendige und selbstverständliche Bewegt-Sein zerschlagen zugunsten abgezirkelter Bewegungen im Rahmen der mechanischen Maschine. Das Fließband erzeugte ganz neue ungekannte Leiden an Körper und Geist. Der Körper war versklavt an den Takt der Maschine, aber doch immer noch gebraucht, gefragt, am Ball des Geschehens, der Geist litt unter der Monotonie. Heute sind wir – gottlob! – auch von diesem Elend befreit. Roboter und Programme machen die Arbeit in den Fabriken und es braucht nur noch ein paar Aufseher und Knöpfchendrücker, das Ganze am Laufen zu halten, sowie unzählige Brummi-Fahrer, die – sitzend! – die Produkte durchs Land kutschieren.

Wir haben uns vom Leid der körperlichen Anstrengung befreit, uns gemütlich hingesetzt und sind sitzen geblieben. Wir treffen uns zu Sitzungen, erlassen Gesetze und Satzungen, setzen uns auseinander, kämpfen um Besitz und Vorsitz und darum, uns durchzusetzen. Wer nicht funktioniert, wird versetzt oder abgesetzt. Allem können wir uns mehr oder weniger erfolgreich widersetzen, bloß nicht dem Sitzen selbst.

Der Mensch besteht zu über 80 Prozent aus Wasser. Stehende Wasser neigen dazu, in Fäulnis überzugehen. Zersetzung droht – was tun? Ich hab‘ von einem Stuhl gelesen, der durch minimalste Schwingungen das Zellwasser in Bewegung halten soll, aber so richtig durchgesetzt scheint sich das nicht zu haben. „Kleinste Schwingungen“ würden auch nicht mehr ausreichen, um meine Missempfindungen auf dem Stuhl aufzuheben. Seit Jahren guck‘ ich mir hoffnungsvoll an, was die Möbelindustrie so an Alternativen anbietet: den Kniestuhl, den Sitzball, vielfach einstellbare und bewegliche Bürostühle. Seltsamerweise kenne ich niemanden, der wirklich auf Dauer den üblichen Stuhl gegen den Ball tauscht oder sich kniend vor dem Monitor aufhält. (Letzteres würde uns wohl auch allzu deutlich zu Bewusstsein bringen, wie unser Verhältnis zur technischen Welt beschaffen ist).

Nein, ich will nicht mehr sitzen, will stehen, zur Not liegen – aber für diese Haltungen existieren keine erschwinglichen Möbel, die es gestatten würden, Monitor, Tastatur und Maus im Zugriff zu behalten. Noch dazu will ich zwischen diesen Haltungen abwechseln, damit das Leiden am Sitzen nicht nur durch ein anderes abgelöst wird (Krampfadern im Stehen, Wundliegen im Liegen…). Warum erkennt „der Markt“ eigentlich dieses Problem nicht? Weil die Entwerfer und Macher eben auch sitzen, vermutlich unter 40 sind und gar nicht daran denken, dass da was nicht in Ordnung sein könnte.

Also mit der Hand schreiben, im Liegen, im Stehen an einem Pult – nachher abtippen braucht jedenfalls viel weniger Sitzzeit, als wenn ich vor dem Gerät einen Artikel produziere, die meiste Zeit nicht schreibend, sondern in mich hineinlauschend, was für ein Text entstehen will.

Ob das geht? Vielleicht gelingt ja so eine kleine persönliche Revolte gegen den Sitzzwang, doch die Tatsache bleibt, dass der Körper für Wirtschaft und Gesellschaft in vieler Hinsicht überflüssig geworden ist. (Wer „drin“ ist, dessen Körper ist „draussen“) Was geschieht mit Überflüssigem? Wenn es nicht verschwindet, was uns als körper-basierten Wesen nicht möglich ist, bekommt es neue Funktionen: der Körper als Ware und Statussymbol, durchtrainiert, gebräunt und gepflegt, gepierced und tätowiert dient er perfekt gestylt dem Selbstausdruck. Schließlich werden ja perspektivisch auch immer weniger Menschen gebraucht, um die technische Welt zu steuern und zu entwickeln – der Rest muß ja doch eine Beschäftigung haben!

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Claudia am 21. Dezember 2001 — Kommentare deaktiviert für Weihnachtsliebe

Weihnachtsliebe

Pünktlich zum Winteranfang der Schnee! Eine Seltenheit in Berlin, wo sich die vierte Jahreszeit oft genug darauf beschränkt, dunkel, matschig, nass und abstoßend zu erscheinen, auf die Laune zu drücken und die zig Tonnen Hundescheiße auf den Gehwegen feucht zu halten. Ich bin begeistert – im letzten Eintrag hatte ich mir die Schneedecke gewünscht und prompt kommt sie runter, wenn das nicht ein gutes Zeichen ist! :-)

Zu Weihnachten werden die Menschen freundlicher, spenden für die Bedürftigen in aller Welt, kaufen öfter als sonst die Obdachlosenzeitungen und überlegen, wie sie anderen zum Fest eine Freude machen können. Was schenken in einer Welt, in der sich viele alles kaufen können, was sie brauchen? Und: Ist es nicht bloße Konvention, weihnachtlicher „Konsumterror“, dem man am besten ferne bleibt, womöglich gleich auf die Südhalbkugel entfliehend?

Früher dachte ich so, hörte schon mit 19 auf, zu schenken, hüllte mich in meinen Hochmut, lästerte ein wenig mit Gleichgesinnten über „die Massen“ und war froh, wenn die Feste endlich vorbei waren. Kernpunkt der Kritik, sofern wir in den 70gern überhaupt darüber nachdachten, war der Vorwurf der Heuchelei: Das ganze Jahr geht euch die Welt am Arsch vorbei, aber an Weihnachten ist Glaube, Liebe, Hoffnung angesagt – gestützt von nochmal ins Gigantische gesteigerter Völlerei, damit man’s besser erträgt! Oh böse Welt, geh wende dich und dreh dich bitte weg, dass ICH dich nicht mehr seh…

Welch‘ jugendliche Arroganz, denk‘ ich mir heute. Es ist ja ein Leichtes, sämtliche Konventionen in Grund und Boden zu kritisieren, die bösen oder banalen Motive dahinter zu entlarven und das immer auch Eigennützige hinter allen „guten Taten“ dingfest zu machen – aber dann? Folgt aus der Kritik eine bessere Praxis? In der Regel nicht – wofür man sich auch noch eine lange Zeit ganz unschuldig fühlt, je nachdem, wie lange es gelingt, von sich selber abzusehen, bzw. sich immer nur als Opfer der Verhältnisse zu betrachten.

In einer der vielen Internet-Umfragen der letzten Zeit (Quelle vergessen) wurde unter anderem nach dem ehrenamtlichen sozialen Engagement der Teilnehmer gefragt. Null Prozent konnten diese Frage bejahen! Das hat mich schon erschüttert, ich hätte zumindest eine kleine Minderheit an ehrenamtlichen Helfern erwartet, auch unter Web-Surfern, die ja demoskopisch mehr und mehr einem Querschnitt durch die Gesellschaft entsprechen dürften. Bevor ich mich über sowas dann aber richtig aufrege, fällt mir ein, daß ich die Frage auch selber mit „Nein“ beantwortet hätte – möcht‘ ich trotzdem weiter lästern? Vom Welthass zum Selbsthass fortschreiten? Wem würde das nützen?

In meiner Generation ist das Helfen in Verruf geraten, in vieler Hinsicht. Erstmal politisch betrachtet als „Symptomkuriererei“ am verhaßten „System“, später dann als psychologisch-hilfloses Dilettantentum, wo man besser professionelle Kräfte wirken lassen sollte: Therapie für alle! Das finale Totschlagsargument gibt sich dann spirituell und heißt: Man kann Anderen nicht wirklich helfen, allenfalls hilft man sich selbst. Selbstveränderung kann nicht von außen kommen, Einsicht ist nicht vermittelbar, jeder findet auf dem eigenen Weg das vor, was er verursacht hat – wer wären wir, jemanden davor „erretten“ zu wollen? Selbst wenn es funktionieren würde, würden wir dadurch nicht nur eine Entwicklung verzögern? Schließlich tritt Bewußtsein vor allem mitten im Leiden auf, wem es gut geht, der verfällt dem großen Schlaf…

Es ist vorbei mit der christlichen Nächstenliebe, zu Tode kritisiert im Abendland, Ersatz nicht in Sicht. Einige versuchen, das Licht aus dem Osten zu importieren, zum Beispiel die „Meta-Meditation zur Entwicklung liebender Güte für alle Wesen“ aus dem tibetischen Buddhismus. Ich weiß nicht, ob das wirklich etwas an der eingefleischten Ignoranz, in der wir gewöhnlich leben, ändert. Mir kommen die tibetisch-buddhistischen Gemeinden vor wie die katholische Kirche in zeitgemäßer Fassung: wieder mystischer, prunk- und geheimnisvoller, ohne Gott, aber mit „grüner Tara“ – für mich funktioniert es so nicht, ich würde dann eher das Original nehmen, wenn ich mir von organisierter Religion noch etwas erhoffte.

Sich also abfinden mit der Kälte in der Welt? Sich in den warmen Whirl-Pool setzen und vierhändig ayurvedisch massieren lassen, wenn es sich zu ungemütlich anfühlt? Weihnachten zeigt Jahr für Jahr einen Restbestand an Unzufriedenheit: der Wellness-Gedanke ist doch ein wenig dünn als Erbe ehemaliger Groß-Werte wie Liebe, Güte und Solidarität. Läßt er sich vielleicht erweitern? Soweit, daß zum EIGENEN Wohlfühlen auch das Wohl des Anderen gehört? Und OHNE dass man dem anderen mit jedweder Zuwendung gleich eine Forderung mitliefert: Du sollst dich nach meinen Vorstellungen ändern, sonst… ?

Schreibend läßt sich das nicht feststellen, man muß es ausexperimentieren. Und deshalb mach‘ ich an dieser Stelle besser Schluß.

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Claudia am 17. Dezember 2001 — Kommentare deaktiviert für Nichts Besonderes

Nichts Besonderes

Heute wollte ich eigentlich zu einem Meeting über „barrierefreies Webdesign“ – doch nachdem ich mich eine Stunde durch den Stau gewühlt hatte, stellte sich heraus, dass das Treffen am anderen Ende der Stadt stattfindet – verlegt ohne rechtzeitige Ankündigung! Das war mir dann doch zuviel, ich fuhr wieder nachhause. Die Inhalte werde ich von Kollegen ja sowieso erfahren und offizielle „Funktionsträgertreffen“ sind eh nicht so mein Fall. Jetzt sitze ich also ganz unverhofft wieder hier und genieße die gewonnene Zeit.

Diese letzte Woche vor Weihnachten ist einfach wunderbar, so langsam kommt die gewöhnliche Geschäftigkeit zum Erliegen, die Dinge verlangsamen sich. Zwar erleben viele noch eine Art Endspurt, aber das Augenmerk liegt nicht mehr so auf Neuanfängen, sondern auf Abwickeln, fertig bekommen – und dann ist erstmal Pause. Es fehlt nur noch eine eiskalte Schneedecke, die alle Geräusche auf den Straßen dämpft und alles ist perfekt.

Und jetzt verlasse ich den Monitor und mach‘ selber Pause – lese gerade das Buch von Francois Jullien „Der Weise hängt an keiner Idee – Das Andere der Philosophie“ – und als Kontrastprogram „Die Hirnkönigin“ von Thea Dorn „Die Hirnkönigin“. Weitere Lesetipps für stille Tage kämen mir jetzt ganz recht… :-)

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