Claudia am 07. November 2002 — Kommentare deaktiviert für Vom Kleben am Problem

Vom Kleben am Problem

Da sagt Einer dem Anderen, wie es funktionieren kann. Was richtig und was wichtig ist, wie die wahre Wirklichkeit aussieht und wie man sich selbst, das Sein, das wahre Wesen findet. Dass das Suchen nichts bringt. Dass man im Grunde immer schon dort ist, dass es also keinen Weg gibt. Dass alle, die von Wegen sprechen, lügen und klammheimlich eigene Interessen verfolgen. Dass immer schon kein Mensch dem andern helfen kann, weil doch – eigentlich – gar kein Problem existiert. Weil das „Ich“ eine Illusion ist, dass da glaubt, ein Problem zu haben. Dass der Verstand das Problem selber erzeugt, um eine Haut zu retten, die keinen Besitzer hat. Dass das absurd ist, total verrückt, und dass alle, die einen Weg aus der Verrücktheit weisen, irgendwie lügen und eigene Interessen verfolgen.

Wenn ich jetzt mehr dazu sage, bin ich auch wieder „dort“. Reihe mich ein unter die Ratgeber und Problemlöser oder unter diejenigen, die die Ratgeber und Problemlöser kritisieren: weil es kein Problem gibt, und kein Rat möglich ist. Weil ja alles, was einer sagen kann, nur von denen verstanden wird, die es schon wissen.

Nun springt der logische Verstand an, mischt sich sogleich ein in das, was eher als ein Stück Literatur, als wortreiche Illustration eines Gefühls und nicht etwa als Analyse oder Kritik gemeint war. Und Seine Majestät merkt an:

„Selbst wenn alles Ratschlagen obsolet ist, weil immer nur derjenige versteht, der es schon begriffen hat, so liegt doch hier eine Ebenenverwechslung vor. Im Relativen haben Aktionen ihren beschränkten Sinn – auch Analyse, Suche, Weg und Rat. Dass wir in der Lage sind, denkend absolute Blickwinkel einzunehmen, sollte nicht dazu führen, die Welt des Relativen als nichtig abzutun – schließlich leben wir darinnen, Tag für Tag, es gibt kein Anderland, auch wenn man sich vorkommen mag wie vom andern Stern.“

Schöner Einwand, doch wie entsetzlich langweilig! Diese Abstrahierungen! Um sie allgemein verständlich zu machen, könnte man sich unter tätiger Hilfe anderer auf hunderten von Webseiten und Diskussionsforen damit beschäftigen, „Erkenntnisse“ auf Erlebnisse und Ereignisse anzuwenden, bzw. diese aus ihnen heraus zu lesen. Im konkreten Einzelnen würde man die Thesen untermauern, beweisen, rechtfertigen, als Wahrheit verteidigen oder als falsche Vorstellung entlarven. Jede Menge schreiben, diskutieren, argumentieren, sich dabei Freunde und Feinde machen, vielleicht ein Gefolge um sich scharen, dem man – Ökonomie ist immerhin Leben! – mit Glück demnächst etwas verkaufen könnte (zu Weihnachten wollte ich endlich mal eine „Digital-Diary-CD“ produzieren, fällt mir da wieder ein…).

Kein Draht zum Dasein

Warum macht man das alles? Warum verbringen unzählige Menschen freiwillig große Teile ihrer freien Zeit damit, ÜBER DAS LEBEN nachzudenken und diesem Nachdenken Gestalt zu geben, es zu verbreiten und sich mit anderen darüber auseinander zu setzen, anstatt einfach zu leben? (Mr.Logos mischt sich quengelnd ein: „Denken ist aber doch TEIL des Lebens…“ Shut Up!)
Nicht aus Sorge um sich selbst oder um die Welt. Nicht einmal aus einem konkreten Leiden heraus (obwohl praktisch jeder von sich glaubt, er wäre dabei, Missstände zu bedenken, zu besprechen und damit an ihrer Beseitigung zu arbeiten). Sondern weil gar nichts anderes möglich scheint als das „Leben im Modus des Denkens“, das Leben in Distanz zum Dasein. üblicherweise KENNEN wir nichts anderes und KÖNNEN es also auch nicht. Das ist das kleine schmutzige Geheimnis der „drüber stehenden und schreibenden Klasse“, heute die überwältigende Mehrheit. Eine art Impotenz.
Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie ich vor ein paar Jahren zu einem Freund, der viele Dinge gern allein macht, sagte:

„Es gibt mir nichts, einen schönen Sonnenuntergang alleine zu erleben. auch ein schönes Bild in einem Museum, ein Spaziergang durch den Wald: wenn ich dabei alleine bin, sehe ich zwar, dass es schön ist, aber es ist ein schmerzliches Gefühl damit verbunden, weil ich es mit niemandem teilen kann“.

Auf dieses hier offen aber ohne Gewahrsein ausgesprochene Unvermögen, etwas Schönes zu genießen, war ich sogar noch stolz! Dass ich den Anderen brauchte, um über den Umweg SEINER Freude und SEINER Lust wenigstens mittelbar etwas vom Leben mitzubekommen, sah ich nicht, sondern hielt mich für einen besseren, weil gemeinschafts-orientierten Menschen. Was für eine Ignoranz! Das „schmerzliche Gefühl“ war die Empfindung eines Mangels – als würde man Schokolade in den Mund stecken und überhaupt nichts schmecken.

Wer meint, ich übertreibe, möge doch mal sein eigenes Leben betrachten: WO ist der Platz und die Zeit für reine Lebensfreude, für das Erleben und Genießen, für das Fühlen, das Staunen, das spielerische Experimentieren ohne in die Zukunft weisende Zwecke? (Wenn dir jetzt ganz viel einfällt, wunder ich mich, dass du diesen Artikel bis hierhin mitgelesen hast!).
Klar, praktisch jeder kennt die drastischen Genüsse und vielversprechenden Glücksbringer: Essen & Trinken, Sex, mancherlei Drogen, die aus der Welt des Denkens kurz heraus führen. Doch all das ist entweder sozial problematisch oder hat seinen Preis. Der Kampf gegen das Übergewicht ist allgegenwärtig, von einer freien, liebevollen und unbelasteten Sexualität kann keine Rede sein (dieser Artikel wird wegen der bloßen Erwähnung des Wortes „Sex“ jetzt mancherorts schon ausgefiltert!). Legale und illegale Drogen bringen nur kurze Zeit Freude und Abenteuer, schon bald machen sie krank, irre oder süchtig.

Da wendet sich der Geistesmensch mit Grausen und wird Analytiker, wird Grübler, Denker und Kritiker. Steht künftig darüber und daneben, beurteilt, beschreibt und diskutiert, zeigt gar als Philosophin oder Lehrer Wege auf, auf denen die anderen fortschreiten mögen, nur selber bleibt man allzu gerne sitzen. Und wenn das dann nicht für alle Tage reicht, gibt’s ja noch das Reisen: Sich räumlich verändern, so oft wie möglich in Bewegung von hier nach dort versetzen und mit immer neuen EINDRÜCKEN versorgen. Das lässt vergessen, dass diese Eindrücke eben nur kurz, nur im Modus der Neuheit funktionieren – ansonsten ist es wieder nichts mit dem Genießen, selbst der Berg Kailasch wird langweilig, wenn man wieder und wieder um ihn herum laufen müsste.

Eindrücke, die nachhaltig wirken sollen, brauchen ein passendes Medium, in das sie sich einschreiben können: ein offenes, weiches, empfindliches Medium, dessen Oberfläche RUHIG und aufnahmebereit ist. Unstetig-nervöse Aufmerksamkeit, die ständig von diesem zu jenem zappt, ist kontraproduktiv. Es braucht Stille, braucht Leere, damit Form quer durch alle Wirklichkeitsbereiche zur Entfaltung kommen kann.

Doch kaum etwas in unsrer Welt unterstützt uns darin, leer zu werden. Wir sollen (wollen?) ja auch nicht genießen, sondern arbeiten – oder zumindest engagiert nach Arbeit suchen. arbeiten, um Geld zu verdienen und/oder um beim andern etwas zu gelten. Wir wollen immer etwas WERDEN, anstatt einfach so miteinander Spaß zu haben, wie wir gerade sind.
Für jetzt lasse ich es mal dabei bewenden, ich halte das Sitzen einfach nicht mehr aus. Draußen ist ein wunderbar blauer Himmel, die Sonne scheint, ich werde zum billigen Inder gehen und etwas zu Mittag essen. auf einen runden Schluss, einen Clou oder gar einen ordentlichen „Weg“ muss die Welt heut verzichten (und wird wenig von mir und meiner Schreibe halten…) – dafür genieße ich jetzt den Tag! :-)

Diesem Blog per E-Mail folgen…

Claudia am 31. Oktober 2002 — Kommentare deaktiviert für Oktober-Nachrichten aus Klingers Welt: Wohnen, Yoga, Wahrnehmung

Oktober-Nachrichten aus Klingers Welt: Wohnen, Yoga, Wahrnehmung

Zum Beispiel das Wohnen: Die Wohnung in der Gärtnerstraße ist jetzt gekündigt, spätestens Ende Januar werde ich also anderswo wohnen, und zwar allein. Wieder allein nach zehn Jahren Zweisamkeit, das ist schon ein Abenteuer! Allerdings bin ich guten Mutes, dass ich mittlerweile über genug Routinen und zu meinem Leben passende Gewohnheiten verfüge, um nicht völlig aus der Form zu geraten, wenn ich es nicht selber will.

Da sich bei mir – mal abgesehen von der Auflösung der Wohngemeinschaft mit meinem liebsten Freund – kein bleibender Wunsch nach Ortsveränderung eingestellt hat und ich den Aufwand des Umzuges fürchte, neige ich dazu, eine leere Wohnung im selben Haus zu mieten: etwas kleiner und mit einem Zimmer nach hinten hinaus, und damit wesentlich ruhiger. Mal sehen, ob das klappt, morgen hab ich einen Besichtigungstermin.

Yoga: Ruhiger muss das Zimmer sein, weil ich mich entschlossen habe, nach 12 Jahren Praxis endlich selber Yoga zu lehren: diesen wunderbar diesseitigen ZEN-Yoga meines Lehrers Hans-Peter Hempel, der mir mittlerweile in Fleisch und Blut übergegangen ist. In der letzten Woche hab‘ ich ihn um die Erlaubnis gebeten, Anfänger anzuleiten, und er hat zugesagt, mich zu unterstützen. Das zweite Zimmer wird also ein Yoga-Zimmer, genau wie bei ihm! Genau wie er werde ich niemals anstreben, ausschließlich vom Yoga zu leben, und also in der Lage sein, mit ganz kleinen Gruppen von vier bis fünf Leuten zu arbeiten.

Gestern früh war ich dann zum ersten Mal in der TU, wo Hans-Peter in einer Sporthalle einen Anfängerkurs für die Studenten gibt. Es ist dort zwar eine recht große Gruppe, doch um zu lernen, wie die Stunden mit Anfängern ablaufen, ist es optimal. Lang war ich nicht mehr in einem solchen öffentlichen Gebäude und die fast militante Hässlichkeit der Umgebung, die absolute Lieblosigkeit, mit der die Räume ausgestattet bzw. mit dem Notwendigsten voll geknallt sind, hat mich schon erschüttert! Aber egal, als die 14 jungen Frauen und Männer vor uns auf ihren Matten lagen und Hans-Peter damit begann, übend, zeigend, redend und berührend die Grundlagen zu vermitteln, war es eine Yoga-Stunde wie jede andere: ruhig, konzentriert, lehrreich – das Buddha-Feld breitet sich überall aus, wo man es lässt.

Der physische Raum, das fällt mir immer mehr auf, ist in unserer Welt ein Problem-Bezirk. Das geht über öffentliche Straßen und Plätze mit ihren Verwahrlosungserscheinungen, betrifft sämtliche unter öffentlicher Verwaltung stehenden Einrichtungen (Behörden, Unis, Krankenhäuser…), betrifft aber auch viele ganz gewöhnliche, durchaus gepflegte Veranstaltungsräume: man sitzt unbequem, zu viele Menschen drängen sich auf zu engem Raum, es ist zu kalt, zu heiß, zu zugig, zu ungelüftet, zu verraucht, Kochgerüche durchwabern Orte, wo man sich eigentlich auf geistige Themen konzentrieren will – überall ist der Grund derselbe: die Menschen SPÜREN NICHTS mehr, sind völlig DICHT und in ihr Grübeln, Wollen, Fürchten, Meinen, Planen versponnen. Und die Räume sind nur die äußersten Hüllen, es geht weiter mit den Klamotten: wenn ich mir das ganze Programm der Billigklamotten in den Massen-Läden so angucke, vor allem ANFüHLE, dann ist das meiste aus Vollsynthetik oder Mischgewebe, unbequem kratzend, Allergien unterstützend, Schweiß treibend, Hautatmung verhindernd – aber weil es modisch aussieht und billig ist, ziehen die Leute freiwillig solche Folterklamottten an und gewöhnen sich schon früh daran, den virtuellen Schein („wie mich die anderen finden, wie ich wirke…“) über das Sinnlich-physische Sein zu stellen und Letzeres nach und nach ganz zu vergessen.

Dass dann auch der Körper selber langsam aus der Wahrnehmung gleitet und jeder Bezug zur eigenen Befindlichkeit abhanden kommt, bemerken viele erst dann, wenn es brennt, wenn eine richtige Krankheit daran erinnert: Hey, es gibt mehr zwischen Himmel und Erde, als dein medialer Input dich täglich träumen läßt!

Aber darüber könnte man endlos Bücher schreiben, die dann ja auch wieder nur in voller Ignoranz des Körpers gelesen werden. Das ist nun mal nicht die Welt des Denkens, es bedarf einer Praxis, die alle Aspekte des Menschen – Gedanke, Gefühl, Körper – wieder ins natürliche Zusammenspiel bringt. Für mich ist das ZEN-Yoga, für dich kann es etwas anderes sein, Hauptsache, es gelingt, dran zu bleiben, damit die Wirkungen sich auch entfalten können.

Claudia Klinger, 30.10.2002

Diesem Blog per E-Mail folgen…

Claudia am 30. Oktober 2002 — Kommentare deaktiviert für Freiwilligenarbeit mit Alten: Nicht so!

Freiwilligenarbeit mit Alten: Nicht so!

Die Freiwilligen-Arbeit mit alten Menschen hab‘ ich jetzt erstmal unterbrochen. Der „Verein der Freude alter Menschen“ hat mir einen guten Einblick gegeben und auch Kontakte zu alten ermöglicht: mehrere Wochen war ich im Telefondienst, plauderte immer montags mit den verschiedensten Alten, von der lustigen Grunewald-Wittwe, die sich vor Terminen kaum retten kann, bis hin zur völlig vereinsamten 89-Jährigen Sterbenden, die ich dann auch im Krankenhaus besuchte. Weiter → (Freiwilligenarbeit mit Alten: Nicht so!)

Diesem Blog per E-Mail folgen…

Claudia am 20. Oktober 2002 — Kommentare deaktiviert für Herzgeist

Herzgeist

Zum letzten Eintrag „Über Sex und Selbst“ schreibt mir ein Leser:

„Kindsein – und entspannte Sexualität – heißt immer auch verantwortungslose Spontaneität, heißt Unbeständigkeit und Bestechlichkeit“.

Er gibt damit einer verbreiteten Furcht Ausdruck, die oft auch so formuliert wird: Wenn jeder machen würde, was er/sie will, würde doch das Chaos ausbrechen!

Ist das so? Beschreiben diese Befürchtungen eine (allen gemeinsame) Realität? Oder sagen sie allein etwas über denjenigen aus, der sie vorbringt? Das innere „Kind“, das hier gemeint ist, stand in meinem Artikel für das Gefühlswesen, das wir sind, für unsere Verletzlichkeit, Bedürftigkeit und Schwachheit, die wir im äußeren Leben so gerne hinter Masken verbergen – Masken, die sich bei manchen zu so festen Gefängnismauern verdichten, dass sie überhaupt nichts mehr spüren.

Die Verteidigungsanlagen, die wir gegen Angriffe von „außen“ errichten, machen uns fortlaufend einsamer, denn sie trennen uns von den anderen und vom Fluss des Lebens: wenn ich den Schwerpunkt meiner Bemühungen, meiner Energie und Aufmerksamkeit darauf verlege, völlig „cool“ und unangreifbar zu wirken, dann ist genau DAS die Barriere, die mich von menschlicher Gemeinschaft abspaltet.

Das ist allgemein verbreitet und doch völlig absurd: Jede und jeder kann bei sich selber ja leicht feststellen, dass es NICHT die coolen Typen, die unnahbaren Champions und Sieger-Figuren sind, die wir wirklich mögen. Wir bewundern und beneiden sie vielleicht, wollen ihnen nacheifern, sie evtl. besiegen und unterwerfen, wenn wir uns stark genug fühlen – aber fassen wir etwa Vertrauen? Können wir mit ihnen lachen, innerlich locker und fröhlich sein?

Die eigenen Gefühle zulassen – einschließlich Angst, Trauer, Einsamkeit, Verzweiflung – und nicht mehr unter den Vorbehalt zu erreichender Zwecke zu stellen, bedeutet, der reinen Zweckratonalität zu sterben. Ich werde mich nicht mehr „zusammenreissen“ und endlos selber vergewaltigen zugunsten einer Beförderung, wegen eines tollen Auftrags, oder um beim anderen Geschlecht besser anzukommen. Und das nicht etwa aus einer irgendwoher übernommenen Moral heraus, nicht wegen der weisen Worte eines Gurus, sondern weil ich im Lauf des Lebens feststellen konnte, dass NICHTS, aber auch gar nichts, was ich auf diese Weise erreichen und erringen kann, den Einsatz wert ist!

Freude empfinden, Liebe fühlen, Verbundenheit spüren – das sind „Vermögen“, die nicht durch ein Jagen, Raffen, Zupacken und Halten errungen werden, sondern durch ein los- und zulassen dessen, was ist. Wobei ich mit „dem, was ist“ nicht nur „die Welt da draußen“ meine, sondern ALLES, was ich spüre und wahrnehme: Die Traurigkeit genauso wie den Regen, die Wut genauso wie den Bäume-fällenden Orkan, die Schmerzen im Kopf, die Löcher in der Straßendecke, das Verlangen, berührt zu werden, den Milbenfraß auf den weiß blühenden Kastanien, Verspannungen in den Schultern, ausgetrocknete Blätter auf durstigen Bäumen – angst, Melancholie, abendrot, Sonnenschein.

Was mich trennt und wirklich einsam fühlen lässt, ist der „Erfolg“ des rechnenden Denkens. Wir sind von klein auf konditioniert, den Verstand einzusetzen, um uns vor dem Leben und seinen Veränderungen zu schützen, geradezu zu verbarrikadieren. Wir suchen Glück und Ekstase, weigern uns aber, den Schmerz zu spüren – doch es gibt immer nur die ganze Packung.

Es gibt und gibt und gibt, aber wir wollen nichts annehmen. Wir prüfen und sortieren aus, schalten allerlei Siebe dazwischen, bis fast nichts mehr durch die Filter kommt. Nach Sicherheit und Berechenbarkeit verlangend, bauen wir vermeintlich sichere Türme, hohe Zäune, feste Mauern, entwickeln für alles und jedes Vorschriften und DIN-Normen – bis wir die Welt zur Benutzeroberfläche, zur Negativ-Form des eigenen Zugriffs geformt haben, bar jeglichen Inhalts. Und dann erschrecken wir und verzweifeln an der Leere, am selbst gemachten Nichts.

Wieder durchlässig werden, das Zusammenspiel von Körper, Gefühl und Geist wahrnehmen, indem wir es einfach geschehen lassen. Den Atem nicht anhalten, sich dem hingeben, was ist – das bedeutet keinesfalls verantwortungslose „Spontanität“, wie manche es missverstehen. Krasser Egoismus ist geradezu das Gegenteil einer solchen Haltung bzw. Gelassenheit. Wenn ich nämlich nichts tue, um mich gegen schmerzhafte Gefühle abzuschotten, dann ist da keine Trennung zwischen „meinem“ Leid und dem Leiden des anderen. Gefühle sind wie Wogen von Energie, sie fluten durch uns hindurch ohne sich an Körpergrenzen aufzuhalten, wenn wir es zulassen: die angst des Kollegen vor der Kündigung lässt mich nicht unberührt, wenn er mir am Schreibtisch gegenüber sitzt. Die Enttäuschung und Einsamkeit der alten Frau, wenn ich zum versprochenen Besuch nicht erscheine, ist meine eigene Einsamkeit. Die Mutter, die auf der Straße ihr Kind schlägt – macht das nicht jeden wütend, der zusehen muss? Wobei WUT schon ein sekundäres Gefühl ist, eines, das ins Bewusstsein tritt, weil der ursprünglich mitgefühlte Schmerz abgeblockt wurde.

So geht eins ins andere über, nichts ist getrennt, nichts ist unabhängig. Allein unser (be-) rechnendes Denken substantiviert, errichtet eine Welt aus Gegenständen, die uns entgegen stehen, die wir dann lernen, als Bestand zu betrachten, als auszubeutende Ressource, als Mittel zum Zweck.

„Der Weg (das DaO) ist einfach, nur ohne Wahl“, heißt es in der „Meißelschrift vom Glauben an den Geist“, einer meiner Lieblings-ZEN-Texte. Wenn ich mich an der Tür stoße oder mir jemand einen Schlag versetzt, entsteht ein blauer Fleck, der sich dann gelb und grün färbt, bevor er wieder verschwindet. Das bedeutet „ohne Wahl“: mein arm, meine Muskeln, Zellen und Blutgefäße haben nicht die Wahl, diesem Verlauf etwas entgegen zu setzen. Wir aber glauben, wir könnten uns selbst und die Welt vollständig in den Griff bekommen, könnten das Leiden abschaffen und die Freuden behalten. Ein Irrtum, der uns in ein gestresstes freudloses Dasein stürzt – man schaue sich nur um, wie miesepetrig die meisten Leute vor sich hingucken!

Wenn du mir weh tust, weine ich. Wenn du nicht da bist, sehne ich mich nach dir. Wenn du lachst, lache ich mit und wenn du für immer gehst, werde ich lange trauern. So folge ich dem Herzgeist – nicht immer, aber immer öfter. ;-)

Diesem Blog per E-Mail folgen…

Claudia am 15. Oktober 2002 — Kommentare deaktiviert für Über Sex und Selbst

Über Sex und Selbst

So langsam wird es besser mit dem „Maus-Arm“ – dabei hab‘ ich nur ein wenig die Stellung des Monitors verändert und sitze auch nicht weniger vor dem Bildschirm als bisher. Evtl. haben mir die homöopathischen Kügelchen geholfen, vielleicht ist es auch eine innere Haltungsänderung, die sich nach und nach in mein Leben schleicht und immer spürbarer wird. Warum nicht einfach sein, was ich bin, und tun, was ich möchte? Soll ich denn zehntausend Jahre Bücher lesen, in denen das empfohlen wird, und ansonsten vor allem darauf achten, niemandem auf die Füße zu treten und einen guten Eindruck zu machen? Immer stromlinienförmig, lieb und nett, gelassen und vernünftig: sei berechenbar, tu wenigstens so, als wäre das möglich!

Wer lebt eigentlich nicht „verhalten“, wer spürt um sich her keine „du sollst!“ und „du sollst nicht!“ ? Nicht nur, dass man meist in vorgezeichneten Bahnen lebt & arbeitet, man soll auch auf bestimmte Weise feiern, trauern, lieben, streiten, reisen und sogar meditieren. allein die Lehre vom richtigen Essen und Trinken ist derart komplex und in ständigem Wandel begriffen, dass deren Studium und Beachtung schon ganz allein alle freie Zeit fordern würde. Wir leben in der Info-Gesellschaft, und das bedeutet die Heraufkunft des Wissens, dass es unmöglich ist, sich vollständig von außen nach innen zu in-formieren, sich in Form zu bringen, so dass man passt – dass man in die Vorstellungen der anderen passt, denn diese sind eben auch nur Wunschwelten und angstwelten und keine gelebte Wirklichkeit.

Lothar hat einen rauswunderbaren Artikel über das Selbst-Sein geschrieben, verpackt in eine Geschichte von einem Theaterbesuch mit anschließender Diskussion. Es geht um das Coming Out eines Schwulen – aber eigentlich geht es damit um die Besonderheit, um das Außenseitertum und das Nicht-in-die-Welt-passen eines jeden. Um den Schmerz und die Verletzlichkeit, um das schwach und bedürftig-sein, um die große Diskrepanz zwischen dem üblichen Auftreten des großen welt-kompatiblen ICH verglichen mit dem „Kind“, das hinter den Masken und Schutzschilden lebt.

Dieses Kind zu verbergen ist in der Welt offensichtlich ein Muss – so scheint es zumindest. Nicht, weil wir uns etwa laufend motiviert fühlten, als dieses Kind etwas Besonderes anzustellen oder irgendwie gemeingefährlich oder „sozialschädlich“ zu werden: ich fühl mich schon ganz komisch, wenn ich mal einer Frau ein Kompliment über eine Klamotte mache, die ihr wunderbar steht und in mir die Begeisterung als Welle der Freude hochkommt! Ohne deshalb lesbisch zu sein, möchte ich sie umarmen, den Stoff anfassen, um sie herum gehen und sie ausschweifend bewundern – das ist doch nicht normal, oder?

Nächste Woche bin ich mit einer richtig alten (!) Frau aus dem Grunewald verabredet, wir gehen in ein Internet-Café am Ku’damm und ich zeig ihr die „unendlichen Weiten“, ich freu mich drauf! über den Verein der Freunde alter Menschen kam ich mit ihr in Kontakt. Vorher hab‘ ich jahrelang die Alten eher im Augenwinkel wahr genommen: unerreichbare, aus der Gesellschaft ausgegrenzte Gestalten, keine Ahnung, wie ich mich benehmen sollte, um mich ihnen zu nähern – ja, schon der Wunsch, gelegentlich mit Alten Menschen zusammen zu sein, scheint ein bisschen pervers, oder?

Und die Männer? Was ist mit der Sexualität? Ja, weiß denn noch irgend jemand, was im Kontakt zwischen den Geschlechtern „angesagt“ bzw. gut und wahr und richtig ist? Gerade las ich im „christlichen Blättchen“, das gelegentlich der ZEIT beiliegt, ein Gespräch zwischen Oswald Kolle (74) und Katja Kullmann (32) zum Thema „Ist die sexuelle Revolution überholt?“ (Für die Jüngeren: Kolle ist der große Aufklärer der Nation, der in den 60gern und 70gern den Sex unter der Decke hervor geholt und ins Licht des öffentlichen Bewußtseins gestellt hat).
Katja Kullman hat eines dieser immer gut laufenden Generationen-Bücher geschrieben: „Generation Ally“ zeigt die Überforderung der Um-30-Jährigen, die unter ihren eigenen Ansprüchen schier zusammen brechen. Rundum gefordert, sich überall erfolgreich selbst zu vermarkten und durchzusetzen, sind sie verständlicherweise kaum in der Lage, in der Sexualität Entspannung zu finden, hingebungsvoll zu sein, es einfach locker anzugehen. Und – so meint wenigstens Katja Kullmann – viele lassen es dann lieber ganz! Oder, und das ist nicht weniger irre, sie verfallen dem Romantizismus, sehnen sich nach der Sexualität als Mysterium: wenn schon alles so anstrengend ist, dann soll es wenigstens im Zwischengeschlechtlichen „einfach schnackeln“.

Nun ja, ich wünsch ihr viel Glück beim schnackeln, aber so einfach ist es nicht. Für mich zeigt sich mehr und mehr: Sexualität läßt sich nicht abtrennen vom Leben und in ganz bestimmte Container packen: der Beziehungscontainer, der One-Night-Stand, die kommerzielle Variante, die „Szenen“ – mit Grausen spricht Kullmann von den Swingerclubs als dem Gipfel der Spießigkeit („einen pinkfarbenen Stringtanga anziehen und in die Kneipe Swingerparadies 308 gehen“) und hat vermutlich ganz recht. Der Pornomarkt, der uns auch online als SPaM ständig mit seinen klebrig-langweiligen Inhalten überspült, ist eigentlich auch eher anlaß, die Lust auf Sex verblassen zu lassen – ich frag mich manchmal schon, wie es kommt, dass die Kundschaft mit so wenig zufrieden ist, mit derart „entschärfter Schärfe“! Hab‘ mir selber alles angesehen und muß sagen: ohne einen echten Menschen gegenüber ist das doch schnell öd! allenfalls erotische Geschichten les‘ ich ganz gern, aber die wirklich lesbaren sind tatsächlich dünn gesät: man muß nämlich auch bei Texten über „das eine“ vor allem eines können: schreiben!

Ich schweife ab, aber das Thema ist ja auch eher weitläufig und lädt auf Nebenschauplätze ein. Kurzum: ich sehe es heute eigentlich so, wie man es in den 70gern verkündet, aber nicht wirklich ernst gemeint hat: Sex ist wie essen & trinken, wie atmen und bewegen, – ja, aus entspanntem atmen entsteht ganz von selber eine Welle sexueller Empfindungen, gänzlich unabhängig von Personen, von sozialen Benefits oder sonstigen Verwertungs- und Verbannungsschubladen, in die wir Sex so gerne stecken.

In den Siebzigern hat es ziemlich radikale Gruppen gegeben, die versucht haben, der Erkennntnis „Sex ist etwas ganz normales“ eine soziale Gestalt zu geben: insbesondere Otto Mühls aa0 ist mir in denkwürdiger Erinnerung: eine Kommune mit täglichem Selbstdarstellungsritual und mit einem „Fickplan“. Da man wußte: „Jeder gesunde Mann kann mit jeder gesunden Frau und umgekehrt“, hatten sie einfach einen Terminplan, der festlegte, wer mit wem und wann. Dabei war jedes abgleiten ins Romantische und jedes Sich- Verlieben total verpönt: den Kleinfamilienvirus wollte man als Urgrund allen übels ja gerade austreiben!

Klar, dass das kein Modell für die Zukunft war, wie immer, wenn man aus neuen an- und Einsichten knallharte Rezepte schmiedet, ja Pflichten schafft. Im Grunde war es absurd: man wollte sich BEFREIEN und schuf doch nur neue, geradezu totalitäre Formen der Selbstvergewaltigung. Die sexuelle Bedürftigkeit wurde durch den Bumsstress abgelöst, man könnte lachen, wenn es nicht so traurig wäre!

Nun ja, die aa0 gibt’s lange nicht mehr, aber was sie sagten, stimmt immer noch: Sexualität ist überall und jederzeit existent, schwingt immer mit, mal mehr, mal weniger. Und bis heute ist es unser aller Versäumnis und Versagen, dafür noch immer keine Kultur entwickelt zu haben, die Sex aus den vielfältigen Schmuddelecken und Schubladen heraus holt. Ein Miteinander, das den Pornomarkt auf den Müllhaufen der Geschichte verabschiedet, weil Frauen und Männer sich selber genug sind – ach, was heißt „genug“, ich meine mehr, viel mehr.
 
Genug für jetzt, die arbeit ruft mich immer lauter, ich muß mich dem Reich der Notwendigkeit zuwenden. Sowieso ist das Reich der Freiheit eher keine kollektive angelegenheit, keine Sache, die man an „die Gesellschaft“ delegieren kann. Zunächst und zumeist geht es darum, das Kind sein zu lassen, dass ich immer auch bin und nicht immer alles kontrollieren zu wollen. Wir haben uns selbst und die Welt, die anderen und das Dasein als Ganzes nicht im Griff – wenn wir das endlich einsehen und danach leben könnten, wäre es so viel leichter, einander zu berühren.

Diesem Blog per E-Mail folgen…

Claudia am 09. Oktober 2002 — Kommentare deaktiviert für Vom Klick, mit dem die Schmerzen kommen

Vom Klick, mit dem die Schmerzen kommen

Dass man vom Tippen und Maus-bewegen eine art „PC-arm“ bekommen kann, wußte ich nicht, spürte es aber schon Monate lang, ohne doch deshalb meine arbeit „am Gerät“ herunter zu fahren. Bin also selber schuld, wenn die Sache jetzt eine Dimension errreicht hat, wo man sie mit Recht Berufskrankheit nennen kann. Oberarm und rechte Schulter tun zeitweise verdammt weh, das Fitnesscenter hab ich idiotischerweise fast ganz gestrichen. Mein arbeitsschub hält immer noch an, so dass ich tatsächlich wie die Maus im Laufrad meine aufgaben abarbeite, nicht links, nicht rechts guckend, und sogar dieses „RSI-Syndrom“ nicht ganz so ernst nehme wie ich sollte – Himmel, ob das mal wieder aufhört???

Interessant, aber auch typisch in dem Zusammenhang, sind meine Recherchen im Web verlaufen: unter „RSI-Syndrom, Tennis-arm, Golferarm“ findet sich der „PC-arm“ schon recht häufig. Was an Behandlungen empfohlen wird, reicht wie üblich von Spritzen über Tabletten bis zur Operation, davor liegt die gewöhnliche Odysse von arzt zu arzt, jede Menge Tests und teure Diagnoseverfahren – gut, hier und dort wird auch eine Physiotherapie empfohlen, aber auch das sind dann komplizierte teure Verfahren unter Einsatz von Spezialgerät (z.B. Reizsstromtherapie). Um all das ranken sich die Berichte von Betroffenen, die mich dann auch zu einer Seite führten, wie man sie mittlerweile – dem Web sei’s gedankt! – für viele Krankheiten vorfindet: die selbstgestrickte Info-Site eines Laien, der aus eigener Erfahrung und dank der Kommunikation mit anderen Leidenden die Sache in prägnanter Kürze auf den Punkt bringt: Berichte, Diagnose, Tests („Ist’s WIRKLICH ein Tennisarm?) und als Therapie ein paar effektive Dehnübungen mit genauen anleitungen. Nach aussagen der Surfer im Gästebuch sollen die übungen nach 3 Tagen bis drei Wochen deutliche Besserung bringen. Was man ruhig glauben kann, denn es handelt sich ja um eine organische Veränderung durch einseitige Körperhaltung und allzu punktuelle Kraftausübung.- was könnte da sinnvoller sein, als die verkürzten Muskeln wieder zu dehnen???

„Diese Tennisarm-Seiten sind nicht kommerziell. Ich bin (war) ein persönlich Betroffener der gerne seine Erfahrungen mit anderen austauscht. Es soll hier nichts verkauft werden. Sie probieren alles auf eigene Verantwortung.“

..schreibt Thomas auf seinen Seiten – und kein Mensch rechnet aus, wieviel Kosten er den Kassen erspart und gibt ihm einen Orden!

Zwar tu‘ ich einzelnen engagierten Ärzten dieser Welt jetzt unrecht, aber sei’s drum, ich sag’s trotzdem mal in dieser Allgemeinheit: das meiste, was man erlebt, wenn man mit einer x-beliebigen Beschwerde zu einem ganz normalen Arzt geht, ist teuer, meistens überflüssig, selten hilfreich, aber gelegentlich gefährlich. Mit Grausen denk ich dran, wie es mal sein wird, wenn ich mal WIRKLICH krank bin und tatsächlich Hilfe brauche – na, auch dann wird es Infos im Web geben, also keine Panik!

Was mich regelmäßig entrüstet, ist der Geist des Absahnens, der sich wie Mehltau über das Gesundheitswesen gelegt hat und der sich hinter angeblich dem Patienten dienenden Regelungen versteckt: zuvorderst die Tatsache, dass auf Kassenkosten jeder auf eigene Faust von Arzt zu Arzt rennen kann, sich dort zig verschiedene Dinge verschreiben lassen, gern auch doppelt und dreifach, und sei es für den Müll oder zur Weitergabe an Dritte. Alte Menschen nehmen, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt, bis zu zehn, fünfzahn verschiedene Tabletten pro Tag ein: die Altlast der Arztbesuche aus den letzten Jahren. Arztbesuche, die sie oft nur deshalb unternehmen, weil es für sie sonst keine Möglichkeit gibt, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit eines anderen Menschen zu stehen (einfach reden würde vermutlich oft schon reichen). Welche Nebenwirkungen all diese Medikamente in der Kombination so haben mögen, scheint niemanden zu interessieren, im Gegenteil, das sind ja neue therapierbare „Krankheiten“: Zur Not gibt’s eben noch die 15. Tablette dazu, gegen Magenleiden bzw. Übelkeit.

Meine wenigen eigenen Arztbesuche der letzten zwanzig Jahre waren samt und sonders überflüssig, nutzlos und ohne jede Perspektive auf Heilung der Beschwerde, mit der ich gekommen wahr. überdeutlich nahm ich die Interesselosigkeit, die Eile und Unaufmerksamkeit, oft auch den Zynismus des Arztes wahr, der mich vor allem durch seinen Gerätepark schleusen wollte, schließlich muss der Krempel sich rechnen. Besonders abgestoßen hat mich, daß sie mich auch bei „handfesten“ Zipperlein niemals berührten (wie es für die Ärzte meiner Kindheit noch selbstverständlich war): ich kam z.B. wegen einer gefühlten Schwellung an der Rippe, aber keiner der deshalb aufgesuchten Ärzte hat da jemals hingefaßt, um zu prüfen, ob die Schwellung wirklich da ist oder nur Ausgeburt meiner Einbildung. Statt dessen Bluttests, Röntgen, Ultraschall – ganz egal, ob das evtl schon ein Arzt zuvor hatte machen lassen, danach fragten sie nicht mal. Ich habs dann einfach aufgegeben und lebe mit meinem „Tietze-Syndrom“ seit Jahren in Frieden, ohne dass noch jemand dran verdient.

Na, ich höre jetzt besser mit dem Lästern auf, es könnte über Seiten so weiter gehen, und vermutlich könnten mir Leser locker mehrere Foren und Gästebücher mit ähnlichen Klagen voll schreiben. Wir sind, was die Medizin angeht, in einem absurden Theater: die Versicherungsbeiträge steigen, aber wenn wir wirklich Heilung suchen, müssen wir doch dorthin gehen, wo man selber zahlt: in den alternativen Sektor, bzw. den „komplementären“ Bereich. Nicht, dass dort nicht auch viel Schatten und manche Scharlatanerie das Bild trübt und die Suche schwierig macht: man trifft jedenfalls viel mehr Menschen, die echtes Interesse am Heilen haben – und am Zusammenhang zwischen Heil-Sein und Lebensweise, womit wir die Verantwortung zurück gewinnen für Gesundheit und Krankheit, für Wohlbefinden oder Leiden.

Tja, und damit bin ich wieder beim „PC-Arm“ und bei mir selbst: ich denk‘ ja nicht dran, einen Auftrag abzulehnen, solange ich die Maus noch klicken kann. Bis jetzt jedenfalls nicht, muss ich doch die Flaute vom ersten Halbjahr ausgleichen – und Umziehen will ich demnächst auch, das kostet auch wieder Geld! (Gut, ich mach jetzt deutlich mehr Dehnübungen für den Arm und im Moment schreib ich seltener Diary. Ob das aber schon reicht, damit ich wieder „in Ordnung komme“? Oder ob die Globuli was bringen, die mir ein lieber Freund schicken will?)

Genug für jetzt, die Arbeit ruft. Zum Glück kann ich dem Ruf noch folgen!

Diesem Blog per E-Mail folgen…

Claudia am 26. September 2002 — Kommentare deaktiviert für Luft holen, Kranke besuchen – und lästern nach der Wahl

Luft holen, Kranke besuchen – und lästern nach der Wahl

Seit gestern ist wieder ein wenig Luft. In den letzen Wochen hab‘ ich von früh bis spät „Webseiten geklopft“, keine Zeit mehr für irgend etwas anderes, kein Gedanke an eine Mailingliste oder an dieses Diary. Naja, ein bisschen schlechtes Gewissen, nun schon über acht Tage nichts Neues, ich glaub, das ist die längste Pause gewesen, seit das Diary existiert – und leider nicht wegen Urlaub!

Umso schöner, nun wieder den Kopf zu heben und zu sehen: Es gibt ein Leben neben den Aufträgen! Natürlich liebe ich meine Arbeit, finde es immer wieder faszinierend, aus dem Nichts eine Webpräsenz erstehen zu lassen, das „Home“ einer Institution, eines Unternehmens oder einer Person mit einem je ganz eigenen Gesicht. Aber wenn es zu dicke kommt, wenn mehrere gleichzeitig darauf warten, dass zumindest der Rohbau ihres neuen Heims im Cyberspace sichtbar wird, dann wird es für mich ein wenig eng – wo ich doch „offene Weite“ gewohnt bin!

Egal, es hat alles geklappt und jetzt geht es wieder ein bißchen gemütlicher zu. Zum ersten Mal seit langer Zeit plane ich sogar ein neues No-Commerce-Projekt, nämlich eine Website für meinen Yoga-Lehrer! Seit vielen Jahren schon bin ich nun bei ihm und immer hab‘ ich es vermieden, zum Thema Yoga eine eigene ernsthafte Seite zu machen. Als hätte ich gewußt, dass ich eines Tages dazu kommen würde, das Original zu verwebben: die Quelle darstellen – die Früchte müssen für sich selber sprechen.

*

Frau B. hab ich im Krankenhaus besucht. Sie ist schmächtig, kaum mehr von dieser Welt, dünn und durchsichtig die Haut, aber ihr Gesicht strahlt wie das einer 13-Jährigen. Fast ein engelhafter Anblick! Wie kann eine 87-Jährige krebskranke alte Frau so JUNG aus den Augen schauen?
Sie begrüßt mich freundlich, findet nichts dabei, daß wir uns nicht kennen und es keinen GRUND gibt, dass ich sie besuche. Gern erzählt sie aus ihrem Leben, auf Nachfrage auch von ihrem Krebs und ihren nächtlichen Schmerzen – ohne Scheu und Scham und ohne das aufdringlich rücksichtlose Vollabern-um-jeden-Preis, das soviele Alte und Junge auch unaufgefordert an den Tag legen, wenn man ihnen den Raum dazu läßt.

Fast zwei Stunden bleibe ich an ihrem Bett, fasse ihre Hände zum abschied, bin dankbar, dass SIE es ist, die ich als erste besuche. Ich will mit alten, Kranken und Sterbenden in Kontakt kommen – aber eine verbitterte und zu Tode geängstigte Person hätte mich zu anfang vielleicht doch abgeschreckt. Frau B. aber strahlt Frieden und Liebe aus – trotz aller Schmerzen. Über niemanden sagt sie etwas Böses nach, nicht eínmal, als sie mir erzählt, wie sie von der letzten Pflegerin zuhause bestohlen wurde. („Wer will denn das Leben einer 20-Jährigen mit einer anzeige belasten!“).

Leider versteht mich Frau B. kaum, altersbedingt ist sie stark schwerhörig. Eigentlich hatte ich gedacht, das würde mich nicht groß stören, denn in meiner Midlife-Arroganz war ich davon ausgegangen, dass ich kein Verlangen haben würde, mit einer Hochbetagten ein richtiges Gespräch zu führen. Erst jetzt wird mir das bewußt, jetzt, wo ich ihr gerne wenigstens ein paar Sätze daürber sagen würde, wer ich bin und warum ich hier bin.

Ich nehme mir vor, beim nächsten Mal zu erforschen, warum sie kein Hörgerät benutzt – im Moment jedenfalls trägt sie keines und schon am Telefon hat sie mich kaum verstanden. Vielleicht könnte ich eine Low-Tech-Lösung ausprobieren? Einen kleinen Verstärker mitbringen, dazu ein Mikro und Kopfhörer – so könnte sie sich Lautstärke, Höhen und Tiefen selber einstellen, während ich ins Mikro rede. Das wäre gewiß besser, als sie anschreien zu müssen!

***

Die Wahl ist ja nun rum, die Probleme sind geblieben. Ich hab‘ grün gewählt, damit Renate Künast die Agrarwende weiter betreiben kann. Was die großen Themen angeht, vermute ich, das alles so weiter geht wie bisher, wobei die wirtschaftliche Lage immer schlechter und schwieriger werden wird. Die Neigung, Problemen auszuweichen und Realitäten einfach nicht sehen zu wollen, ist hierzulande derart verbreitet, dass es noch viel Katastrophisches braucht, damit sich etwas ändert. Über den Wahlkampf haben sich ja viele aufgeregt, weil er so personalisiert und emotionalisiert ablief, anstatt echte Diskussionen zu den wichtigen Fragen zu befördern.

Tja, das ist so, weil die Mehrheiten das so wollen! Augen zu und weiter so. Wenn die Politiker wirklich von den PROBLEMEN reden würden und nicht ängstlich den Schlaf des Volkes schützen, dann würden sie eben einfach NICHT GEWÄHLT:

  • Wer will denn hören, dass wir in Zukunft weit weniger Wohlstand erwirtschaften werden und verteilen können als bisher?
  • Wer will denn wissen, dass für das soziale Netz in Zukunft jeder MEHR aufbringen wird müssen und dennoch WENIGER davon haben – also private
    Vorsorge treffen oder mit MEHR Unsicherheit leben.
  • Wer will denn wahrhaben, dass die Bedingungen, unter denen im öffentlichen Dienst hierzulande (noch) gearbeitet, geurlaubt, krank geschrieben und früh pensioniert wird, eine Götterwelt repräsentieren, die nicht mehr viel mit der Wirklichkeit der anderen Da DRAUSSEN zu tun hat? Und dass da eine zunehmende „Gerechtigkeitslücke“ besteht?
  • Wer breitet denn gern die ganzen erschreckenden Folgen aus, die der Bevölkerungssrückgang in den nächsten 30 Jahren unabwendbar haben wird??? (Die Kitas sind bereits reduziert, viele Grundschulen stehen schon leer – etwa in 2006 werden die Firmen die Lehrlinge suchen und nicht mehr umgekehrt – und dann kann man von Jahr zu Jahr immer besser beobachten, wie der „Knick“ in die produktiven Jahrgänge reinwächst und was das bedeutet…die Arbeitslosigkeit, das wird von manchen Politikern längst heimlich gedacht, kann man vor diesem Hintergrund einfach
    AUSSITZEN)

Nun ja, in diesem Diary werden wir die Fragen auch nicht lösen, zumindest nicht fürs große Ganze. Ganz individuell aber finde ich es mehr als angesagt, sich mal ein paar ernste Gedanken darüber zu machen, wie es in den nächsten 30 Jahren weiter gehen soll: WIR werden keine Renten bekommen wie die Rentner von heute – und auch die Riester-Rente wird uns nicht retten. Wie sollen wir also im alter künftig unser Dasein fristen? Und BIS WANN? Oder – mal auf ein anderes Gebiet geschaut – lohnt es sich z.B., wegen ein bißchen Ziehen in den Oberarmen oder irgend welchen Schmerzen in den Gelenken zu allerlei arzten zu rennen und Diagnosekosten von mehreren 1000 Euro auszulösen? Um heraus zu finden, dass es sich um irgend eine Form rheumatischer Beschwerden handelt, gegen die sowieso nichts auszurichten ist?

Wenn man mal anfängt, über den allgemeinen Wahnsinn zu schreiben, der bei uns noch immer als normal gilt, kommt man so schnell an kein Ende. Für heute muss es hier aber genug sein. Euch hab ich vermutlich sowieso schon die Laune verdorben – sorry, ein andermal geht’s heiter weiter, versprochen!

Diesem Blog per E-Mail folgen…

Claudia am 17. September 2002 — Kommentare deaktiviert für Und plötzlich ist Herbst

Und plötzlich ist Herbst

Heut‘ mit Frau B. telefoniert, sie liegt im Krankenhaus, wo sie sich dringend wieder hingewünscht hatte. Zuhause, ans Bett gefesselt, allein den Pflegediensten ausgeliefert, sei es furchtbar, sagt Frau B. Nachts hätte sie oft geschrien so laut sie konnte, doch niemand wäre gekommen. Zuletzt hätte die Pflegerin ihr gar gedroht, man könne es ihr auch „reinstopfen“, wenn sie nicht bald schneller essen würde.

Daraufhin hat sie es ins Krankenhaus geschafft, irgendwie. Abgefüllt mit allem, was es so an passenden Medikamenten gibt, wartet sie dort auf die neue Behandlung. Bisher sei sie ganz falsch therapiert worden, sagt Frau B., das habe man ihr angedeutet. Was aber heisst hier falsch? Alle zehn Jahre Krebs, seit 50 Jahren – was ist da falsch? Was richtig? Morgen werde ich sie besuchen, am Telefon verstehe ich sie so schlecht.

Es ist der dritte Montagnachmittag beim Verein der Freunde alter Menschen. Ich bin im Telefondienst, wie alle, die hier anfangen. Und am Samstag werd‘ ich ein paar Alte kennen lernen. Sie werden abgeholt, der Verein hat sie zum Essen eingeladen. Es wird Tafelspitz geben, ich bin gespannt. Kann mich kaum erinnern, wann ich das letzte Mal mit „richtig Alten“ zusammen war!

***

Eine neue Tastatur gekauft, diesmal wieder mit Kabel. Drahtlos ist kein Fortschritt, wie ich bemerkte. Man nutzt die Tastatur auch nicht anders, obwohl man sie hierhin und dahin mitnehmen könnte. Aber warum sollte ich? Soll ich etwa mit der Tastatur mobil sein, wenn doch der Bildschirm steht wie ein Stein? Natürlich nicht, sie lag die ganze Zeit an derselben Stelle, wie alle Tastaturen zuvor. Und ganz plötzlich setzte sie aus, mitten im Schreiben: nichts geht mehr. Wenn es dann NICHT die Batterie ist, kann man gar nichts machen.
Weg damit! Genau wie die zugehörige Funkmaus, die hab ich schon vor zwei Jahren auf dieselbe art verloren. Jetzt bin ich wieder am Draht.

Sie hatte aufgehört, zurück nach K. ziehen zu wollen. Eigentlich hatte sie nie zurück gewollt, sie wäre nur mitgegangen, wenn alles so geblieben wäre wie bisher. ZURüCK zu gehen war nicht ihre Sache, ja, es schreckte sie: Angst vor dem allzu Bekannten, Angst vor den sprechenden Wänden, den Straßen, in denen alte Geschichten hängen wie klebriger Dunst.

Also nicht nach K. Wohin dann? Bleiben? Alleine in einer neuen Wohnung in FH? Eine Freundin hatte ihr die Augen geöffnet, neu geöffnet für die Schönheit, das Bunte, das Wilde. Es gibt Schlimmeres, als unter jungen Menschen alt zu werden. aber bleiben? WAS wollte sie denn hier?

Sie hatte verlernt, etwas Eigenes, etwas Besonderes zu wollen. Vom Wohnen wußte sie auch nicht mehr viel. Solange das kühle Licht des Monitors ihre Tage begleitete, war Wohnen keine Frage, auf die sie antworten mußte. Meistens war sie ja doch unterwegs in den Zeichenwelten, die sie immer hungrig zurück ließen.

Was nun? Vielleicht das oberste Stockwerk einer WBS 70-Platte? Ein Stalinbau in der Karl-Marx-Allee mit diesem melancholischen Charme des untergehenden Roms? Eine Fabriketage mit Blick auf die Spree – was wäre denn für sie das GANZ ANDERE? Der Ort, an dem sie herausfinden könnte, wohin es sie zog. Oder würde einfach nie mehr etwas an ihr ziehen? Ratlos beendete sie das Nachdenken. Es musste sich er-geben, nicht er-grübeln. Draußen war es Herbst geworden und am liebsten würde sie jetzt einfach den Kopf unter die Bettdecke stecken.

– – –

arbeit. Niemals zuvor war soviel Arbeit. Zu viel Arbeit, um noch jemand anderen zu Hilfe zu holen, denn demjenigen müßte ich zuviel erklären. Zuviel Arbeit,um daneben noch anderes zu tun, kein Platz, um nach rechts oder links zu schauen. Wo im ersten Halbjahr die Flaute mich daran denken ließ, einen neuen Beruf zu suchen, erschlagen mich jetzt all die Aufträge. Und alle müssen sie spätestens im Oktober fertig sein. Schöne Projekte, wunderbare Auftraggeber, sinnvolle Webseiten – und ich geh‘ auf dem Zahnfleisch. Es möge mir niemand böse sein, wenn ich mich jetzt nicht melde, nicht mal „Guten Tag“ sage, wenn eine alte Bekannte in einer Mailingliste auftaucht, nicht verläßlich antworte, wenn mir einer schreibt: „Hey, da ist ein Link falsch gesetzt!“

Wird es ein „danach“ geben??? Im Moment kann ich mir nicht mehr vorstellen, wie es ist, wenn ich nichts zu tun habe. Wie lange tu ich eigentlich schon etwas, auch wenn ich nicht muss? Wielange schon gehört es zu meinem Selbstverständnis, gern zu arbeiten, viel zu arbeiten, niemals an ein „danach“, gar an so etwas exotisches wie „Urlaub“ zu denken?

Gerade beginne ich damit, den Montag zu fürchten. Der Blick in den Monitor stimmt mich nicht freundlich und gestern ist die Tastatur ausgefallen, einfach so. Oh Ihr Göttinnen und Götter allen Tuns&Lassens: Lasst mich bitte bitte noch diese paar Aufträge zu Ende bringen! Dann, ja dann mag sich meinetwegen ein „Danach“ entfalten – jetzt ist Disziplin und Energie alles, was ich brauchen kann.

Diesem Blog per E-Mail folgen…

Neuere Einträge — Ältere Einträge