Claudia am 09. Oktober 2002 —

Vom Klick, mit dem die Schmerzen kommen

Dass man vom Tippen und Maus-bewegen eine art „PC-arm“ bekommen kann, wußte ich nicht, spürte es aber schon Monate lang, ohne doch deshalb meine arbeit „am Gerät“ herunter zu fahren. Bin also selber schuld, wenn die Sache jetzt eine Dimension errreicht hat, wo man sie mit Recht Berufskrankheit nennen kann. Oberarm und rechte Schulter tun zeitweise verdammt weh, das Fitnesscenter hab ich idiotischerweise fast ganz gestrichen. Mein arbeitsschub hält immer noch an, so dass ich tatsächlich wie die Maus im Laufrad meine aufgaben abarbeite, nicht links, nicht rechts guckend, und sogar dieses „RSI-Syndrom“ nicht ganz so ernst nehme wie ich sollte – Himmel, ob das mal wieder aufhört???

Interessant, aber auch typisch in dem Zusammenhang, sind meine Recherchen im Web verlaufen: unter „RSI-Syndrom, Tennis-arm, Golferarm“ findet sich der „PC-arm“ schon recht häufig. Was an Behandlungen empfohlen wird, reicht wie üblich von Spritzen über Tabletten bis zur Operation, davor liegt die gewöhnliche Odysse von arzt zu arzt, jede Menge Tests und teure Diagnoseverfahren – gut, hier und dort wird auch eine Physiotherapie empfohlen, aber auch das sind dann komplizierte teure Verfahren unter Einsatz von Spezialgerät (z.B. Reizsstromtherapie). Um all das ranken sich die Berichte von Betroffenen, die mich dann auch zu einer Seite führten, wie man sie mittlerweile – dem Web sei’s gedankt! – für viele Krankheiten vorfindet: die selbstgestrickte Info-Site eines Laien, der aus eigener Erfahrung und dank der Kommunikation mit anderen Leidenden die Sache in prägnanter Kürze auf den Punkt bringt: Berichte, Diagnose, Tests („Ist’s WIRKLICH ein Tennisarm?) und als Therapie ein paar effektive Dehnübungen mit genauen anleitungen. Nach aussagen der Surfer im Gästebuch sollen die übungen nach 3 Tagen bis drei Wochen deutliche Besserung bringen. Was man ruhig glauben kann, denn es handelt sich ja um eine organische Veränderung durch einseitige Körperhaltung und allzu punktuelle Kraftausübung.- was könnte da sinnvoller sein, als die verkürzten Muskeln wieder zu dehnen???

„Diese Tennisarm-Seiten sind nicht kommerziell. Ich bin (war) ein persönlich Betroffener der gerne seine Erfahrungen mit anderen austauscht. Es soll hier nichts verkauft werden. Sie probieren alles auf eigene Verantwortung.“

..schreibt Thomas auf seinen Seiten – und kein Mensch rechnet aus, wieviel Kosten er den Kassen erspart und gibt ihm einen Orden!

Zwar tu‘ ich einzelnen engagierten Ärzten dieser Welt jetzt unrecht, aber sei’s drum, ich sag’s trotzdem mal in dieser Allgemeinheit: das meiste, was man erlebt, wenn man mit einer x-beliebigen Beschwerde zu einem ganz normalen Arzt geht, ist teuer, meistens überflüssig, selten hilfreich, aber gelegentlich gefährlich. Mit Grausen denk ich dran, wie es mal sein wird, wenn ich mal WIRKLICH krank bin und tatsächlich Hilfe brauche – na, auch dann wird es Infos im Web geben, also keine Panik!

Was mich regelmäßig entrüstet, ist der Geist des Absahnens, der sich wie Mehltau über das Gesundheitswesen gelegt hat und der sich hinter angeblich dem Patienten dienenden Regelungen versteckt: zuvorderst die Tatsache, dass auf Kassenkosten jeder auf eigene Faust von Arzt zu Arzt rennen kann, sich dort zig verschiedene Dinge verschreiben lassen, gern auch doppelt und dreifach, und sei es für den Müll oder zur Weitergabe an Dritte. Alte Menschen nehmen, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt, bis zu zehn, fünfzahn verschiedene Tabletten pro Tag ein: die Altlast der Arztbesuche aus den letzten Jahren. Arztbesuche, die sie oft nur deshalb unternehmen, weil es für sie sonst keine Möglichkeit gibt, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit eines anderen Menschen zu stehen (einfach reden würde vermutlich oft schon reichen). Welche Nebenwirkungen all diese Medikamente in der Kombination so haben mögen, scheint niemanden zu interessieren, im Gegenteil, das sind ja neue therapierbare „Krankheiten“: Zur Not gibt’s eben noch die 15. Tablette dazu, gegen Magenleiden bzw. Übelkeit.

Meine wenigen eigenen Arztbesuche der letzten zwanzig Jahre waren samt und sonders überflüssig, nutzlos und ohne jede Perspektive auf Heilung der Beschwerde, mit der ich gekommen wahr. überdeutlich nahm ich die Interesselosigkeit, die Eile und Unaufmerksamkeit, oft auch den Zynismus des Arztes wahr, der mich vor allem durch seinen Gerätepark schleusen wollte, schließlich muss der Krempel sich rechnen. Besonders abgestoßen hat mich, daß sie mich auch bei „handfesten“ Zipperlein niemals berührten (wie es für die Ärzte meiner Kindheit noch selbstverständlich war): ich kam z.B. wegen einer gefühlten Schwellung an der Rippe, aber keiner der deshalb aufgesuchten Ärzte hat da jemals hingefaßt, um zu prüfen, ob die Schwellung wirklich da ist oder nur Ausgeburt meiner Einbildung. Statt dessen Bluttests, Röntgen, Ultraschall – ganz egal, ob das evtl schon ein Arzt zuvor hatte machen lassen, danach fragten sie nicht mal. Ich habs dann einfach aufgegeben und lebe mit meinem „Tietze-Syndrom“ seit Jahren in Frieden, ohne dass noch jemand dran verdient.

Na, ich höre jetzt besser mit dem Lästern auf, es könnte über Seiten so weiter gehen, und vermutlich könnten mir Leser locker mehrere Foren und Gästebücher mit ähnlichen Klagen voll schreiben. Wir sind, was die Medizin angeht, in einem absurden Theater: die Versicherungsbeiträge steigen, aber wenn wir wirklich Heilung suchen, müssen wir doch dorthin gehen, wo man selber zahlt: in den alternativen Sektor, bzw. den „komplementären“ Bereich. Nicht, dass dort nicht auch viel Schatten und manche Scharlatanerie das Bild trübt und die Suche schwierig macht: man trifft jedenfalls viel mehr Menschen, die echtes Interesse am Heilen haben – und am Zusammenhang zwischen Heil-Sein und Lebensweise, womit wir die Verantwortung zurück gewinnen für Gesundheit und Krankheit, für Wohlbefinden oder Leiden.

Tja, und damit bin ich wieder beim „PC-Arm“ und bei mir selbst: ich denk‘ ja nicht dran, einen Auftrag abzulehnen, solange ich die Maus noch klicken kann. Bis jetzt jedenfalls nicht, muss ich doch die Flaute vom ersten Halbjahr ausgleichen – und Umziehen will ich demnächst auch, das kostet auch wieder Geld! (Gut, ich mach jetzt deutlich mehr Dehnübungen für den Arm und im Moment schreib ich seltener Diary. Ob das aber schon reicht, damit ich wieder „in Ordnung komme“? Oder ob die Globuli was bringen, die mir ein lieber Freund schicken will?)

Genug für jetzt, die Arbeit ruft. Zum Glück kann ich dem Ruf noch folgen!