Claudia am 12. Januar 2004 — Kommentare deaktiviert für Bedürftigkeit: Schlimmer als Mundgeruch

Bedürftigkeit: Schlimmer als Mundgeruch

Jahr um Jahr immer voll da, meistens kreativ und nie um einen Rat verlegen, wenn mich jemand fragt. Mit allen Behörden im Reinen, keine Leichen im Keller, keine Inkasso-Unternehmen auf den Fersen, keine Ratenkredite, und selbst das Finanzamt hat nichts zu meckern. Konto immer nur FAST, aber nie tatsächlich überzogen. Praktisch nie krank gewesen, die Paradontose rechtzeitig zum Stillstand gebracht, immer mal auftretendes Übergewicht locker wieder abgebaut. Optisch unauffällig, für an die 50 ganz gut erhalten. Beruflich selbständig, was denn sonst? Aktiv, ideenreich, meistens fröhlich und guter Dinge, selbstverständlich kommunikationsfähig auf allen Kanälen.

Nie verärgert. Erwartungen hegen schafft Leiden und Enttäuschung – abgewöhnt! Gelassenheit bringt Gelingen. Sieger ist, wer nicht erst kämpfen muss. Im Zweifel auf den Atem konzentriert lässt sich alles wegstecken. In der Ruhe liegt die Kraft. Lächelnd erschaffe ich meine gute Laune selbst, brauche dazu niemanden sonst. Unabhängig, selbständig, eigendynamisch, weitgehend kompatibel zu allem, was muss. Probleme sind schludriger Sprachgebrauch, kein Teil der Realität.

Was ich brauche? Gelegentlich einen Programmierer. Alles andere bietet die städtische Infrastruktur, der Markt, das Netz – Google. Ich blinzle in die kalte Wintersonne, dankbar für alles, was ist. Mehr wollen wäre von Übel. Bedürftigkeit ist schlimmer als Mundgeruch. Als Bewohnerin der Leere, die die Fülle ist, verschone ich Andere vor mir. Und wenn ich selber mal ausgelaugt und ausgesaugt bin, stecke ich einfach die Finger in die Steckdose und lade mich wieder auf.

Vor mir muss man sich also nicht fürchten. Ich bleibe bis zum Ende höflich, verfasse erbauliche Texte und langweile nicht.

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Claudia am 30. Dezember 2003 — Kommentare deaktiviert für Jahresendgedanken

Jahresendgedanken

Es gelingt mir im Moment nicht, den langweiligen Kram abzuarbeiten, der in keinem Arbeitsleben ganz vermeidbar ist. Der sich immer wieder zu eindrucksvollen Bergen aufstapelt und dann immer lauter „du solltest jetzt endlich!!!“ in die Seele schreit. Ich höre es, aber es berührt mich nicht. Jedenfalls nicht drastisch genug, um mich aus meiner Jahresendzeitstimmung zu reißen, die nach ganz Anderem verlangt.

Nach Ordnung zum Beispiel: Ballast abwerfen, alles Unnötige, Zerstreuende, Ablenkende aussortieren, mich ganz neu auf das Wesentliche konzentrieren. Was aber ist „das Wesentliche“? Ein für allemal lässt es sich gewiss nicht bestimmen – ja, es lässt sich überhaupt nicht BESTIMMEN! Es funktioniert jedenfalls nicht, die einzelnen Aktivitäten vors geistige Auge zu stellen und sie dann nach „vernünftigen“ Kriterien zu bewerten: Das hier hat keinen sichtbaren Nutzen für irgend jemanden, es bringt auch kein Geld, also wird es gestrichen. Dieses hier hat mir immer mehr Ärger als Freude gebracht, also weg damit! Und jenes sollte eigentlich ein bisschen Welt-retten, ich seh‘ aber keinen Erfolg: hau weg den Scheiß!

Nicht Funktionieren heißt: zwar denke ich so, zwar stelle ich immer wieder solche Überlegungen an, doch in der Praxis hat das wenig Folgen. Ich mag „dies und jenes“ streichen, und das bringt für den Moment auch Entlastung. Doch nur wenig später finde ich mich wieder in neue, ähnliche Aktivitäten verstrickt vor. Offensichtlich gehört es zu meinem „Wesen“, mich derart zu zerstreuen, gelegentlich zu verzetteln, Dinge ohne klar benennbaren Nutzen zu tun. SOLLTE ich das ändern? Könnte ich es, wenn ich wollte? Sollte ich es überhaupt wollen?

Jahresendfragen. Ihnen ihre Zeit geben, ihnen ganz entspannt mal wieder ihren großen Auftritt gönnen, tut gut. Texte ohne klare Botschaft schreiben, was mir immer mal wieder jemand freundlich oder unfreundlich vorwirft, tut auch gut. Wenn ich mir so manche „Kritik“ angucke, die mir gelegentlich ins Forum gerotzt wird, frag ich mich immer: Warum muss der das schreiben? Wozu der Aufwand? Wenn ich etwas blöde, voll daneben, ganz falsch oder schlicht mies finde, mach‘ ich es wie die meisten: Klick und weg! Jede Einlassung, jede Resonanz ist Zuwendung, kostet Zeit und Aufmerksamkeit, auch die schlimmste Beschimpfung. Und ich wende mich nur dem zu, der mir etwas bedeutet, dessen Denken, Fühlen, Handeln mir also nicht egal ist. Zumindest gilt das in den Räumen der Freiheit. In denen der Notwendigkeit, etwa in einem Arbeitsteam, muss ich mich natürlich einlassen, mich „auseinander setzen“. Aber auch dann nur so weit, wie es die gemeinsame Sache fordert, nicht etwa automatenhaft: Der hat was Saublödes oder gar Feindseliges gesagt, da spring ich jetzt drauf an…

Es gibt Freunde, die hätten mich gern ein bisschen militanter, kämpferischer. Sie empfinden „stellvertretend“ eine Betroffenheit, die ich so gar nicht fühle. Wollen mich womöglich verteidigen, manche tun es sogar, was ich dann natürlich lieb finde. Aber nicht nötig, nicht für mich. Um mich mit jemandem auseinander zu setzen, muss ich doch erst mal mit ihm zusammensitzen! Und seit ich drauf achte, neben wen ich mich setze, seit ich nämlich nicht mehr dringlich jemanden brauche, der neben mir sitzt, sondern gern alleine sitze, geht’s mir gut. Ich schaue auf Alles-was-ist und manchmal schreib ich auf, was ich sehe, fühle und denke. Es dann „hinaus zu stellen“, wo nicht nur Freunde und Bekannte, sondern auch beliebige XYZs es genießen, nutzen, ignorieren oder zerreißen können (wenn sie denn wollen…), gehört unverzichtbar dazu. Für mein Selbstgespräch alleine brauch ich keine Texte produzieren, da reichen mir die Gedankenströme im Kopf! Doch darüber hinaus möchte ich teilen, möchte mein Erleben, meine momentane Sicht-der-Dinge mit-teilen, auf dass diejenigen sich etwas davon nehmen, die es brauchen können.

Mit dem „Abschicken“, dem Übertragen der Dateien auf den Server und der anschließenden Endkorrektur ist der Akt dann aber vollzogen, ist zu Ende und in sich tief befriedigend. (Danach ist es z.B. leicht, den Geist von allem gerade „Betexteten“ leer zu machen und sich dem zuzuwenden, was anliegt.) Was dann noch kommt, falls etwas kommt, ist ein ganz anderes Spielfeld: Zu was etwa das nun Veröffentlichte von den Einzelnen gebraucht wird, ist ihr Ding, nicht meins. Selbst wenn ich wollte, könnte ich das nicht beeinflussen. Wie man einen Text versteht, ist nicht von daher bestimmt, wer die Autorin ist und was sie gemeint hat, sondern weitestgehend davon, wer und was man selber gerade ist. (Wer zweifelt, lese mal ein wichtiges Buch fünfzehn Jahre später wieder!). Ich lese sämtliche Reaktionen zuvorderst als Botschaft über den Verfasser, lese sie interessiert und bin manchmal fasziniert von der Vielfalt und Unterschiedlichkeit der Reaktionen. Dem einen ist „mehr als ein sonntäglicher Kirchgang“, was dem anderen „überflüssig“ oder gar bekämpfenswert erscheint. Wieder ein Anderer schätzt den Unterhaltungsfaktor oder das fünfminütige Wegschalten vom eigenen, vielleicht gerade stressigen Kopfkino. Manche sind inspiriert, andere verärgert, was den einen berührt, lässt die andere kalt oder reizt zu fundiertem Widerspruch. Es ist, wie es ist. Kein Problem, kein Wunder.

Wunderbar aber, dass es mit dem Web nun eine Veröffentlichungsplattform gibt, die den Schreibenden von der Art der Resonanz ökonomisch unabhängig weiter schreiben lässt! (Ganz anders als etwa auf dem Buchmarkt, wo es darauf ankommt, wie viele das Buch kaufen, ob sie es gut finden und was die Rezensenten darüber schreiben). Das ist zwar „nur“ eine äußere Freiheit, aber sie ist unverzichtbar, um die innere Freiheit schreibend auszuloten, sie überhaupt wahrzunehmen, immer neu zu ergreifen und womöglich auszudehnen (und wieder zu teilen…).

Immer mehr Menschen scheinen dieses Potenzial des Netzes zu bemerken. Spät, aber doch! „Webtagebuch schreiben“ wird geradezu Mode, wenn das auch für sich genommen nichts heißen muss. Doch ich lerne jetzt deutlich mehr Menschen kennen als früher, die diese Art „freies Schreiben“ für sich nutzen wollen oder schon damit angefangen haben. Nicht mehr das einzelne glitzernde Wortwerk, die tolle Website, das bunte Blog und das ganze „netzige“ Drumrum steht für sie im Vordergrund, sondern das Wesentliche: die „Geste des Schreibens“ zum eigenen Wachstum nutzen.

Das Wesentliche – da ist es wieder! Und jetzt in einer Gestalt, die zu mir spricht, geeignet, mein Jahresendchaos zu ordnen: Weiterschreiben, hier und anderswo, und das, was mir dadurch zugewachsen und geschenkt ist, weiter geben. An die Leser, wie immer schon, und neuerdings in konzentrierter und verdichteter Form an diejenigen, die meine RauslinkSchreibimpulse-Kurse besuchen.

Wegen ihnen hör‘ ich hier jetzt auf. Wenn es dunkelt, ist es Zeit für „Transfer 2004 – wenn die Nacht am tiefsten ist“ (der Kurs für Jahresendzeitmuffel). Selten hat mich eine „Arbeit“ so glücklich gemacht, mich so intensiv und ganz persönlich gefordert. Also werde ich das weiter machen und so gut ich kann ausbauen. Aber nicht bis zum Punkt völliger ökonomischer Abhängigkeit. Ich werde weiter Webseiten bauen, pflegen und updaten, und als Drittes würd‘ ich gern mal etwas verkaufen: Dinge, die mir gefallen, die ich nur bewerben, verpacken und verschicken muss – und nicht immer neue zeitfressende Dienste leisten.

Im Jahr 2005 möge sich das verwirklichen!

*

Euch allen wünsch ich einen guten Rutsch, eine Jahresendstimmung, wie Ihr sie mögt, und für das nächste Jahr Glück und Erfolg! Vergesst die Liebe nicht!

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Claudia am 22. Dezember 2003 — Kommentare deaktiviert für Wert und Wertschätzung – über die Konsumkrise

Wert und Wertschätzung – über die Konsumkrise

Nun ist die Weihnachts-Einkaufsschlacht ja bald wieder vorbei. Wie ich höre, versucht der Handel noch in letzter Minute, mit neuen Rabatten Käufer zu locken, die immer noch in „Kaufzurückhaltung“ verharren. Schnäppchen jagen ist lange Volkssport Nummer Eins geworden, und es heißt, Geiz sei geil. In den Talkshows sitzen Politiker und grübeln darüber, was sie alles tun könnten, sollten oder müssten, damit das „Sparen“ als oberster Wert aus den Köpfen wieder verschwindet und die Wirtschaft endlich wiederbelebt würde. Hört man ihnen zu, erscheint das Konsumieren leicht als patriotische Pflicht eines jeden, der noch ein Minimum an Verantwortung für diesen Staat empfindet und das soziale Netz erhalten sehen will.

So kann man das betrachten, es ist allerdings eine rein äußerliche Sicht. Klar, die „unsicheren Verhältnisse“ stören die Bereitschaft, größere Anschaffungen zu machen oder gar auf Kredit zu kaufen. Doch warum jagen auch Leute nach Schnäppchen, die das nicht nötig haben? Warum kaufen Besserverdienende bei Lidl und Aldi ein? Warum geht alles nur noch mit immensen Rabatten? Rabatte, die, wie man sich denken kann, auf Preise eingeräumt werden, die es so nie gegeben hat – und deshalb geht der Schuss nach hinten los: jedes Vertrauen darauf, dass ein gutes Produkt auch seinen guten Preis hat, dass dieser Preis etwas mit dem Wert des Erworbenen zu tun hat, geht zum Teufel.

Ich bin keine „gute Konsumentin“. Wenn ich wenig Geld habe, und das ist die meiste Zeit so, dann kaufe ich lieber gar nichts, als dass ich lange nach etwas Billigem herumsuche. Noch immer stehen zwei Plastik-Gartenstühle hier herum, falls mal mehr Leute um den Tisch sitzen sollen. Das uralte Zweisitzersofa hat Risse im Bezugsstoff, es ist lange reif für den Müll. ABER: ich denk‘ nicht dran, mir ein billiges, unbequemes, hässliches und unsorgfältig zusammengeschustertes Möbel für 300 Euro zu kaufen, um es zu ersetzen. Ich weiß genau, was ich für ein Sofa will, und das kostet mindestens 1000 Euro. Bisher jedenfalls – würde ich es morgen irgendwo rabattiert für „nur noch 600 Euro“ sehen, wäre ich in meinem Kaufwunsch irritiert. Denn mein Wunschsofa IST wertvoll: ordentlich verarbeitet, gute Stoffe, groß und bequem, farblich harmonisch – wenn das auf einmal verramscht würde, muss ich mich fragen, ob es wirklich DAS ist, was ich meinte?
Ein kleiner Prozentsatz der Gesellschaft ist immerhin bereit, Fleisch nur noch aus artgerechter Tierhaltung zu kaufen. Gut so! Aber warum ist es so weltfremd, beim Einkauf aller anderen Dinge auch auf die „artgerechte Menschenhaltung“ zu achten? Jeder Billigpreis, jeder (echte) Rabatt mindert den Gewinn der Hersteller und Verteiler, manchmal bis dahin, dass nichts übrig bleibt. Also „rationalisieren“ sie mehr und mehr, nehmen billigere Materialien, mindern die Verarbeitungsqualität, ersetzen Menschen durch Maschinen und quetschen ihre Zulieferer bis aufs Blut aus. Damit entfällt das Wertbewusstsein auf der Herstellungsebene: es macht keine Freude mehr, Dinge zu produzieren, die im Grunde schon Müll sind, bevor sie in die Läden kommen. Kreativität kann sich nicht mehr darin verwirklichen, schöne, gute, innovative Dinge herzustellen, sondern fließt in die Vermarktung und Verpackung, und eben ins Bemühen, immer schneller und billiger zu produzieren.

Die Liebe zum Gegenstand

Ein lieber Freund hat mir ein Regal geschenkt, das ich dringend brauchte. Ich durfte es selber aussuchen und wählte ein leichtes, helles Vollholzregal, einfach zusammen zu bauen. Ein schwedisches System (nicht Ikea!), das es seit 20 Jahren gibt, alles andere als billig. Beim Aufbauen bemerkte ich, dass das Regal nicht den „Sockel“ hat, der noch in der Gebrauchsanweisung eingezeichnet war, sondern statt dessen lediglich auf den beiden Längsseiten Latten angeschraubt werden mussten. Meine Nachfrage beim Verkäufer ergab: Eine „Sparmaßnahme“, der komplette Sockel wäre zu teuer und so ginge es ja auch. Mich hat das gewundert: ICH als Kundin wollte und musste ja NICHT sparen! Ich war bereit, ein teureres und in meiner Anmutung auch rundum perfektes Regal zu kaufen. Gut, man sieht den Unterschied von außen wirklich nicht. Auch die Standfestigkeit ist nicht gemindert, alles ok. Trotzdem wäre es mir lieber gewesen, wenn sich die Perfektion auch durchgängig auf die Bauweise erstreckt hätte.

Warum nur ist unsere Zeit so arm, sich das nicht mehr leisten zu wollen? Auch mein Vollholz-Sideboard hat leider innen furnierte Pressspanplatten als Einlegeböden – man sieht sie nicht, klar, aber man SPÜRT sie, wenn man das Ding mal verschiebt, gar tragen muss. Und man weiß außerdem, was Pressspan so alles ausdünstet. Die richtige Liebe zum Gegenstand will da einfach nicht mehr aufkommen.

Die Liebe zum Gegenstand – ist sie vielleicht überflüssig? Ein unmodernes Festhalten an traditionellen Erwartungen und Gepflogenheiten? Nicht das Besitzen und Benutzen soll offensichtlich im Vordergrund des Umgangs mit den Dingen stehen, sondern das Kaufen im Sinne des Erjagens. Und der Besitz ist dann nur noch „Bedeutung“: eine „Marke“ bringt Status, man zeigt, was man sich leisten kann. Wenn die Mode dann wieder wechselt, ab auf den Müll, das Nächste bitte! Dass dieser letztlich lustarme Prozess in wirtschaftlich schwierigen Zeiten ins Stocken gerät, wundert nicht. Ich bedauere das auch nicht, obwohl mir alle leid tun, die sich verunsichert fühlen, um ihren Arbeitsplatz bangen oder ihn bereits verloren haben.

Vielleicht ändert sich ja etwas, indem diese Gesellschaft altert. Zwar besteht die Werbewirtschaft in ihrem Jugendwahn darauf, nur die 14 – 49-Jährigen als Zielgruppe ins Auge zu fassen, aber damit gräbt sie sich auf Dauer ihr eigenes Grab. Es gibt nun mal immer mehr Ältere und sie haben vergleichsweise viel Geld! Ältere Menschen sind allerdings stärker individualisiert, lassen sich weniger durch Mode und Meinung beeinflussen, wissen einfach schon genauer, was ihnen gut tut. Zum Beispiel ein Radiorecorder-CD-Player mit 50 Bedienelementen und einer 50-seitigen Gebrauchsanleitung tut nicht gut: das Teil kostet einfach zuviel Konzentration auf Technik und frisst kostbare Lebenszeit. Mein Gerät hat genau 15 Knöpfe und Tasten – wobei man mit DENSELBEN Knöpfen sowohl den Recorder, den Player, als auch das Radio steuern kann. Eine Anleitung gibt’s auch, aber die hab ich bisher nicht gebraucht. Genial!

Wert und Sinnlichkeit

„Man gönnt sich ja sonst nichts“, „weil ich es mir wert bin“ – mit solchen Sprüchen wird geworben, aber niemand nimmt das ernst. Allenfalls ist ein äußeres Statusdenken gemeint: Ja, ich leiste mir das, ich gehöre dazu! Wirkliche Wertschätzung benötigt zu ihrer Entstehung bewusste Sinnlichkeit: Farbe, Form, Verarbeitung, Bedienbarkeit, Material – all das macht etwas mit mir, wirkt auf mich, wenn ich mit einem Ding umgehe. Es sind Qualitäten, die ich ERFÜHLEN muss, nicht bloße Quantitäten, um die ich nur wissen kann. Wer die Dinge so erfühlt, ist Eigentümer, Besitzer, Benutzer, wer diese Aufmerksamkeit nicht aufbringen will, ist allenfalls Verbraucher. Ein wirklich passendes Wort, nur seltsam, dass kaum jemand den beleidigenden Gehalt wahrnimmt – es ist das gleiche „Ver-“ wie in „Verachtung“.

Der sinnlich-bewusste Umgang mit den Gegenständen ist ein Akt der Selbstachtung und Selbstliebe. Doch das Selbst, das hier „Beachtung“ erfährt, ist nicht das denkende und rechnende „Ich“, sondern das Ganze, das ich wahrnehme, wenn ich mit einem Ding umgehe. Meine physischen Empfindungen und psychischen Reaktionen auf seine gegenständlichen Qualitäten gehören dazu, aber genauso auch die Bedingungen, unter denen es hergestellt wird. Es stört meinen Genuss, wenn die Menschen, die es produzieren und vermarkten, dabei auf unergonomischen Billigstühlen sitzen müssen, nur einen Hungerlohn bekommen und keine Zeit haben, um es wirklich gut zu machen. Auf (echtem) Rabatt zu bestehen heißt im Klartext: Ich gönne dir deinen Lohn nicht; du sollst dich krumm legen und darben, um mir möglichst billig, am liebsten ganz umsonst das Optimale zu bieten! Mit Wertschätzung geht das nicht zusammen, denn das „Selbst“ ist nicht teilbar: die Ebene, auf der ich Qualität wahrnehme, verbindet mich mit allen anderen Menschen. Wenn ich ihnen ihren Verdienst streitig mache, hat das tief in mir immer eine Entsprechung, die da heißt: Ich verdiene es nicht! Es wird mir nicht wirklich gehören, denn ich habe es nicht angemessen bezahlt. Allenfalls kann ich es „als Beute“ wahrnehmen und allen erzählen, wie trickreich ich es erworben habe. Genießen ist das nicht – und Schnäppchenjäger-Gespräche werden schnell langweilig.

So gesehen ist die derzeitige Konsumkrise vielleicht gar nicht so schlecht. Vielleicht besinnen wir uns ja wieder darauf, was wir uns wert sind.

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Claudia am 10. Dezember 2003 — Kommentare deaktiviert für Nicht dies, nicht das – über Beziehungen

Nicht dies, nicht das – über Beziehungen

Beziehung, Beziehungen, eine Beziehung haben – ich vermeide diese Worte lange schon. Mag sie nicht, je älter ich werde, desto weniger. Allein schon der Wortklang: Be – ZIEHUNG. In mir zieht sich etwas zusammen, wenn ich es höre! Man will an mir ziehen, mich anderswohin haben als ich von mir aus gehen will. Mich abziehen vom Eigenen, wegziehen, einen festen Be-Zug zu mir herstellen, der mich bindet und eingemeindet in die Erwartungen anderer. Mich berechenbar machen, genau gesagt.

Das Streben nach Beziehung bedeutet im Fall des Erfolgs oft die Zerstörung dessen, was gesucht wurde: der Andere in seiner Andersheit. Wie faszinierend er doch sein kann: fremd, unabhängig, ungebunden, unberechenbar. Im Fall des Gefallens – und nur dann streben wir ja nach Beziehung – ist er Projektionsfläche für alles denkbare und undenkbare Gute, Wahre und Schöne, ist inkarnierte blaue Blume, menschlicher heiliger Gral, potenzieller Erlöser aus aller Einsamkeit. Mit ihm (oder ihr) sein, bedeutet Entlastung vom Bei-Mir-Sein und Befreiung aus langweiliger Alltäglichkeit – aber nur solange, bis „die Beziehung steht“ , bis ganz klar ist, in welchem Bezug zueinander man künftig lebt: Wünschen und Wollen wird ausverhandelt und in Geben und Nehmen gegossen, das Miteinander bekommt eine feste Form, ein Gewand aus Ansprüchen und Pflichten. Beziehung erreicht – nun können die Beziehungs-Probleme beginnen!

Ich hatte Beziehungen, klar: beginnend mit dem 15. Lebensjahr eine Aufeinanderfolge intensiver, langjähriger Zweierbeziehungen. Mit allen Hochs und Tiefs, mit Himmel und Hölle, mit großer Nähe im Alltag, bis hin zum Zusammenleben und Arbeiten: Je näher und dichter die Verstrickung, desto größer die Abhängigkeit, desto schrecklicher und folgenreicher die Auseinandersetzungen und Konflikte. Je größer die „Liebe“, desto intensiver der Hass – ich schreibe die Liebe in Anführungszeichen, weil sie an dieser Stelle ein Besitzen- und Beherrschen-Wollen einschließt. Beziehungskonflikt ist dann, wenn der Andere nicht agiert, wie ich es erwarte – oder umgekehrt. Und weil ja eine „feste Beziehung“ besteht, meine ich, ein Recht darauf zu haben, dass er so sei, wie ich ihn mir wünsche. Ich liebe ihn also nicht in seiner Freiheit, diene nicht seiner Ganzheit, sondern habe handfeste Interessen, die ich bittschön befriedigt sehen will. Dafür bin ich schließlich bereit, die eigene Freiheit zu opfern und mich erwartungsgemäß zu verhalten – die Gegenleistung soll dann gefälligst auch stimmen. Hier passt gut die Rede vom „Investieren in die Beziehung“, die meint, sich mal wieder ausgiebig dem Anderen zu widmen: erhöhte Aufmerksamkeit, Zuwendung, eventuell Neuverhandlungen über Teilaspekte des unausgesprochenen „Beziehungsvertrags“ – das verbeulte und angeschrammte Beziehungsfahrzeug bekommt eine Runderneuerung, auf dass es noch ein bisschen weiter läuft.

Klar, man braucht Beziehungen. Solange sie rund um einen konkreten Zweck bestehen, wie etwa die Geschäftsbeziehung, die nachbarschaftliche Beziehung oder auch die Familienbeziehung, die es fürs Kinder-Aufziehen braucht, solange sind sie nicht wirklich problematisch, ja, nützlich und unverzichtbar. Aber kann es wirklich eine „Liebesbeziehung“ geben? „Liebe“ verweist auf etwas Absolutes, an sich bedingungsloses – „Beziehung“ ist dem klar entgegen gesetzt, ist konkret und begrenzt. Das Drama vieler Familien ist das Absterben der ursprünglichen Liebesbeziehung, bzw. das Ende der Illusion in Bezug auf einen konkreten Menschen, in Verbindung mit der Unfähigkeit, in eine reale, versachlichte Elternbeziehung überzuwechseln – eine, die durchaus Freundschaft, ja, Liebe umfassen kann, aber eben nicht in Gestalt der ursprünglich erwarteten in jeder Hinsicht beglückenden (und ausschließlichen!) Zweisamkeit.

Ohne es mir ganz bewusst gemacht zu haben, war ich Mitte dreißig fertig mit „Beziehung“: alles erlebt, mehrfach und überdeutlich das gesamte absurde Theater durchlebt, auf Wolken geschwebt, gefallen, gelitten, gekämpft, „investiert“ – wieder und wieder. Dass diese Männer ohne Ausnahme die Frau „nach mir“ geheiratet und/oder mit ihr ein Kind bekommen haben, zeigt mir, was ich verweigert habe: den natürlichen Sinn dieses illusionären „Beziehungsgeschehens“ für mich zu verwirklichen und eine Familie zu gründen. Für diese „Konkretisierung“ bin ich nicht geschaffen. Ich sage das so „passivisch“, weil ich das nur vordergründig selber wählte – es war mir einfach unmöglich! Man kann im besten Fall tun (oder lassen), was man will, aber ich kann nicht beschließen, zu wollen, was ich nicht will.

Mein Austritt aus dem Beziehungsleben geschah dann in Gestalt einer neuen Beziehung. Ja, das klingt absurd, ist aber Tatsache. Ich näherte mich einem Mann, der, wie ich von ihm wusste, keinesfalls willens oder in Lage war, eine „Beziehung zu leben“. Schärfer noch als ich betonte er das Unmögliche an diesem Vorhaben. „Trost kommt nur von Fremden“, sagte er zum Beispiel – und ich setzte dennoch alles dran, aus diesem Fremden einen Bekannten zu machen, entfaltete ein letztes Mal meine ganze „Bindungskraft“. Wollte mich in festen Bezug zum „ganz Anderen“ setzen – ganz schön verrückt!

Mit Erfolg? Ja. Zum wirklichen Allein-Sein war ich in diesem Lebensalter bei aller Beziehungskritik noch lange nicht fähig – ich lernte es in der „Nicht-Beziehung“, die zwischen uns entstand. Nicht das Erotische, nicht die Tiernatur bildete die Basis dieses Zusammenseins, sondern Bewusstsein. Konkretisiert in der Ablehnung des Üblichen, im Leiden an der Unmöglichkeit absoluter Liebe im Alltag. Er war nicht „mein Mann“ – aber doch war er mir „alles“, indem er in bewusster Weise „Nichts“ war: Nichts Bestimmtes, Berechenbares, niemand, den man „haben“ könnte – nicht weil er nicht wollte, sondern weil da nichts war und ist, was zu besitzen wäre. Das klingt jetzt mystisch und ist es auch! Ich habe es immer gespürt und nie gut genug in Worte fassen können. Noch heute ist es falsch und kommt falsch an, wenn ich ihn als meinen „Ex-Lebensgefährten“ bezeichne, nur weil wir zu Beginn des Jahres auseinander gezogen sind. Dass lässt im Zuhörer die Meinung entstehen, da wäre eine Zweierbeziehung gewesen und man hätte sich „getrennt“. Dem ist nicht so – WIE es aber ist, kann ich nicht erklären, konnte es nie.

Auch dieses Miteinander hatte Berührung mit den Niederungen. Das ist unvermeidlich, ganz besonders, wenn man zusammen wohnt, was wir nach ein paar Jahren dann doch taten. Es gab Konflikte, Agressionen, Projektionen – aber immer einen Bezug zum unaussprechlichen „Dahinter“. Wenn er inmitten einer schlimmen Phase das Wort von den „jugoslawischen Verhältnissen“ prägte, die zwischen uns ausgebrochen waren, wenn ich zum Beispiel mal eine erotische Liebschaft hatte, dann wusste ich: auch er lebt, bei aller aktueller Verstrickung, immer noch hauptsächlich in diesem „Dahinter“. Wo wir einig und eins sind, wo es nichts zu kämpfen gibt.

Eine „Beziehung“ aus dem Geist/Spirit, nicht aus dem Bauch, dem Kopf, dem Herzen. All diese Ebenen kommen vor, sind aber nicht der Grund, in dem wir wurzeln.

Und jetzt, das merke ich sehr intensiv, seit ich wieder alleine lebe und mir alle Formen möglichen Zusammenseins mit Anderen offen stehen, jetzt kann ich nicht mehr anders! Bin nicht mehr „in Beziehung“ zu meinem jeweiligen Gegenüber, sondern gestalte jedweden Kontakt aus dieser anderen Ebene heraus – in jedem Augenblick neu. Das bedeutet: ich bin und bleibe allein, ob ich nun mit Anderen zusammen bin oder nicht. Anders als früher fühle ich mich in diesem Alleinsein wohl und glücklich: mir mangelt nichts, was ich beim Anderen unbedingt suchen und finden müsste. Klar hab‘ ich Bedürfnisse nach Austausch, nach Erotik, nach menschlichem Miteinander, genau wie ich Appetit aufs Essen habe – und manchmal Lust, mich zu berauschen. Aber all das bindet mich nicht, korrumpiert mich nicht in der Tiefe, die üblichen „Bindekräfte“ und Druckmittel laufen ins Leere: ich bin nicht „wer“, fühle mich undefiniert und also durch Andere nicht definierbar. Mein Bild vom Selbst entsteht nicht mehr dadurch, dass jemand zu mir sagt: Du bist so oder so, bist die, die mir dies und das gibt und die dafür dies und jenes zurück gibt. Ich brauche nicht mehr zu verhandeln, sondern lebe einfach.

Gestern war ich dir nah, war anschmiegsam und ganz entzückend – heute bin ich auf einem andern Stern, ziehe meine Kreise in der Ferne. Was morgen ist, können wir nicht wissen.

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Claudia am 25. November 2003 — 1 Kommentar

Das Männerspielzeug

„Nun komm, du Tier!“, genießerisch, aber vorsichtig tritt der Mann aufs Gaspedal und der flache, rote Ferrari – mehr Geschoss als Auto – setzt sich in Bewegung. Der Sound, der unter der Motorhaube hervor dringt, erinnert an Dschungel: schwarzer Panther kurz vor dem Sprung. Verzückung malt sich ins Gesicht des gut erhaltenen Endfünfzigers, noch bleibt er achtsam, testet das Verhalten des ungewohnten Fahrzeugs, das er für einen Freund in die Werkstatt fahren soll. „380 PS – die wollen beherrscht sein!“, hat der ihm als Rat und Mahnung mit auf den Weg gegeben. Und ja, er findet Gefallen daran, dieses „Wildpferd“ zu beherrschen, spürt dessen Kraft bereits als die eigene, wird zunehmend mutiger, beschleunigt ein wenig – und dann, als ein Porsche routiniert an ihm vorbei zischt, ist es um ihn geschehen!

Erregt tritt er das Gas durch, fasst das Lenkrad fester. Die Landschaft beginnt, vorbei zu fliegen, alle Nerven vom Scheitel bis zum Zeh genießen die Vibrationen. Energie, Kraft und Geschwindigkeit, Mann und Maschine sind eins und fühlen sich wunderbar! Ab und zu muss er abrupt bremsen, klebt dann wie eine wütende Hornisse hinter einem Heuwagen oder einem Traktor, man spürt die Ungeduld, das physische Leiden des Ausgebremst-Werdens – und ahhh, wie gut es tut, endlich am Hindernis vorbei und wieder frei zu sein, frei und allein mit der silbrig glänzenden Straße, die so hingegeben und bereitwillig vor ihm liegt wie eine Geliebte, sein machtvolles Eindringen sehnlichst erwartend.

Die Dramaturgie des „heiteren Fernsehfilms am Montagabend“ erfordert es, dass er nun noch „Born to be wild“ auflegt – es hätte nicht wirklich sein müssen! Und natürlich landet er mit seinem „Geschoss“ letztlich in einem Dorfteich, versinkt blubbernd im schlammigen Wasser und kann sich nur mit Mühe aus dem engen Gefährt erretten. Der Film handelt vom Altern und vom Tod, nachdenklich-amüsant in Szene gesetzt.

Ich schaue einfach zu und empfinde mit. Kein Denken und Bewerten trennen mich mehr von dem Mann, der seine Spritztour mit dem Ferrari genießt. Ich verstehe, fühle, was er fühlt, ohne mich danach zu sehnen, es ihm gleich zu tun. Solche Autos sind Männerspielzeuge, eindeutig. Aber auf einmal kann ich den Mann als Spielenden sehen und einfach lieben, seine Lust, seine Freude genießen – kann mitempfinden, was er da tut: am Lack der Zivilisation ein bisschen kratzen, auf der Suche nach dem Wilden und Grenzenlosen. Auf seine Art.

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Claudia am 20. November 2003 — Kommentare deaktiviert für Aus dem Gleichgewicht

Aus dem Gleichgewicht

Von wegen Zahnarzt! Da hab‘ ich mich endlich überwunden, die Praxis drei Häuser weiter aufzusuchen, um das „Schließen der Lücke“ ernsthaft anzugehen, muss aber erfahren, dass ich erst nächstes Jahr einen Termin bekommen kann. „Alles dicht“, sagt die Zahnarzthelferin in diesem beflissen-abweisenden Ton, und schon ist sie wieder davon geeilt!

Oh ja, auf einmal erinnere ich mich: das sind jetzt all die panischen Last-Minute-Patienten, die, voller Angst vor 10 Euro Zuzahlung im Vierteljahr, noch eben mal die Praxen stürmen und sich die Kauleiste runderneuern lassen. Zwar wird in den Medien immer wieder beruhigend gemeldet., dass die „Reformen“ in Sachen Zahnersatz erst 2005 zuschlagen werden, aber wer hört da schon noch hin und glaubt noch irgend etwas. Was ich im Mund habe, kann nicht mehr teurer werden, denkt das Volk, und ich mit meinem „ernsthaften Bedarf“ hab‘ eben Pech gehabt.

Nicht aufregen. Darin bin ich doch geübt! Wenn ich nicht grad breit grinse, sieht man die Lücke nicht. Und WER sollte sie auch sehen? Alle, die mir physisch nahe kommen, mögen mich auch mit Lücke – ich kann also getrost den Jahreswechsel abwarten. So richtig Lust auf Zahnarzt hab‘ ich sowieso nicht. Alles ist gut, wie es ist!

Seit ich einen Fernseher habe, zappe ich des öfteren quer durch die Programme und bekomme die Welt mit, wie sie das TV zeigt. Dabei fällt mir auf, was für einen Stellenwert der medizinisch-industrielle Komplex mittlerweile hat! Unzählige Arzt- und Krankenhaus-Serien werden gezeigt, grünbekittelte, ernst blickende Männer mit Mundschutz operieren und transplantieren, das Reanimieren wird so oft vorgeführt, dass es schon bald jeder Do-it-Yourselfer auch könnte, hätte er die geeigneten Gerätschaften. Der Blick auf die Monitore mit der Herzkurve, die plötzlich in eine gerade Linie übergeht: Exitus! Bzw. doch nicht, denn dann geht diese Wiederbelebungshektik los: Komm schon, komm schon… ich zappe weg und lande in einer Sendung über Schönheitschirurgie: Falten glätten, Fett absaugen, Brust vergrößern – eine der wenigen Wachstumsbranchen in Deutschland, deren Umsatz sich in den letzten Jahren verdreifacht hat.

Ein voluminöser Mittfünfziger liegt auf dem Tisch, ganz entspannt im Dämmerschlaf, während drei Operateure gleichzeitig große Kanülen in Bauch Schenkel und Waden stechen, unter der Haut herum stochern und das eiterfarbene Fett teils abschaben, teils wegsaugen. Widerlich! Dann dasselbe Spiel mit einer wunderschönen schlanken Frau um die zwanzig, sie strebt nach letzter Perfektion und lässt sich die Oberschenkel bearbeiten – was glaubt sie, zu gewinnen? Eine fröhliche Frau in meinem Alter mit ein paar wenigen Mimikfalten verliert eben diese unter der Einspritzung von Eigenfett, dass zuvor am Hintern entnommen wird – ich finde, sie sieht jetzt NICHT besser aus, im Gegenteil, ihr Gesicht wirkt auf einmal langweilig, nichtssagend. Eine Expertin kommt zu Wort, Stirn und Wangen so glatt wie ein Kinderpo. Doch Hals und Hände lassen keinen Zweifel, dass dieser Körper weit älter ist, als es das Gesicht vermuten lässt. Es wirkt wie „hineingestellt“ in ein Ganzes, das durch den glattgestrafften „Fremdkörper“ regelrecht konterkariert wird. Nicht einmal wenn sie lächelt, bilden sich die üblichen Lachfalten zwischen Nasenflügel und Mundwinkel. Statt dessen so ein komisches Zucken – irritierend!

Der Mensch ist ein Ort, wo Krankheit entsteht

Ich zappe weiter, ein Gesundheitsmagazin belehrt über Gallensteine und ihre Entstehung. Jemand spült Geschirr ab und eine Stimme aus dem Off erläutert, dass es dazu ein Spülmittel mit fettlösenden Substanzen braucht. Diesen Job hat im Körper das Gallensekret – aha! Dann werden allerlei Gallensteine gezeigt, eingegossen in Epoxydharz. Hübsch anzusehen. Wer sich allzu fett ernährt, bringt da etwas aus dem Gleichgewicht. Das Spülmittel reicht nicht mehr aus, doch es wird vom Körper immer mehr „angefordert“ – die Galle gerät aus dem Lot, Stoffe kristallisieren, Steine entstehen. Die Moderatorin fragt die anwesende Frau Professor-Doktor: „Warum muss eigentlich immer gleich die ganze Gallenblase entfernt werden? Kann man nicht die Steine heraus operieren und sie belassen?“ Da wir Fernsehzuschauer gerade gelernt haben, dass die Galle kein nutzloser Kropf ist, bin ich gespannt auf die Antwort: „Nun ja,“ sagt Frau Prof. Dr., „zunächst einmal ist die Gallenblase ja der Ort, wo solche Steine entstehen. Wenn wir sie belassen, können sie wieder kommen“. Ah ja! Mir rieselt es kalt den Rücken herunter: Ist mein Körper nicht insgesamt ein „Ort, an dem Krankheiten entstehen“? Sollte man da nicht gleich vorbeugend zu radikalen Maßnahmen schreiten? Warum beim Rausoperieren von Galle, Gebärmutter, Mandeln und anderer Einzelteile stehen bleiben? Vielleicht ist der Mensch etwas, das man besser insgesamt verhüten sollte?

Nächstes Jahr werde ich fünfzig und schon länger spüre ich den sich verstärkenden „Sog“ des medizinisch-industriellen Komplexes. Vielfach wird mir kommuniziert: du bist in einem „kritischen Alter“, du musst jetzt endlich mal zum Arzt gehen und dich durchchecken lassen. „Du gehst doch hoffentlich zur Vorsorge?“, werde ich öfter gefragt, und wenn ich verneine, ernte ich irritierte Blicke, Nachfragen, Vorwürfe, Mahnungen. Bisher war es meine Strategie, diesen Konformitätsdruck einfach zu ignorieren: Fühle ich mich doch, abgesehen von der Erkältung und meinen diversen „Sitz-Schäden“, völlig gesund und denke erst dann daran, einen Arzt aufzusuchen, wenn dem nicht mehr so ist. Wobei, ich erinnere mich gut, mir die letzten Arztbesuche vor etwa zehn Jahren absolut nichts gebracht haben: Sie wollten mich nur auf gut Glück medikamentieren oder „Schmerzen wegspritzen“, ohne mir sagen zu können, was ich eigentlich für eine Störung habe und woher sie kommt. „Da lebe ich doch lieber mit meinen Symptomen“, hab ich gesagt. „Die kann ich beobachten und dann komm ich ja vielleicht noch drauf“. Erstaunte Blicke – und tschüss!

Im Diary hab‘ ich Themen rund um Krankheit und Gesundheit bisher eher vermieden. Jetzt denke ich um: Ignorieren ist auf Dauer keine Lösung. Mich ärgert die Art und Weise, wie sich viele entmündigen lassen, wie sie vom eigenen Körper, dem eigenen Gespür für Befindlichkeiten, für gesunde und kranke Zustände, total entfremdet werden. Und es auch noch für ganz normal halten, sich mit Medikamenten vollzuknallen, nur weil „Laborwerte“ einen „Mangel“ oder „Überschuss“ von diesem oder jenem Stöffchen im Blut festgestellt haben. Erhöhte Cholesterinwerte, zu hoher oder niedriger Blutdruck, Eisenmangel, zuwenig B-Vitamine – da haben wir doch was! (Damit machen wir unsere Milliardenumsätze…)

Dass im Jahre 2003 der Mensch noch immer als ein Chemiebaukasten angesehen wird, wo es nur darum geht, im Reagenzglas die richtige Mischung herzustellen, empfinde ich als ziemlich krass! Man wechselt doch auch nicht die Birne aus, die am Armaturenbrett rot blinkt, sondern schaut unter die Motorhaube, was im System eventuell aus dem Gleichgewicht ist.

Das Gesundheitssystem jedenfalls ist mehr als „aus dem Gleichgewicht“! Und noch kein Politiker hat es geschafft, sich gegen die Lobbys auch nur ansatzweise durchzusetzen. Diese, bzw. der gesamte medizinisch-industrielle Komplex, sind aber nur die Hälfte der Macht: die andere Hälfte sind wir alle, die wir es in der Hand haben, ob wir uns diesem geistlos-mechanistischem Denken anschließen, das unzählige Opfer fordert und riesige Profite bringt. Gut, dass es zur Zeit knirscht! Wenn die Verantwortung des Einzelnen in Gestalt von drastisch steigenden Zuzahlungen von außen erzwungen wird, ist das vielleicht mal Anreiz genug, ein bisschen wacher zu werden – und mit dem Selber-Denken anzufangen.

(Ich fange mit den Büchern an, die ich für einen Kunden auf Rauslink dieser Seite zusammengestellt habe. Wow, ist das spannend..!)

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Claudia am 15. November 2003 — 1 Kommentar

Mein Nachlass im PC

Dieser Text entstand im Rahmen eines von mir im November 2003 veranstalteten Online-Schreibkurses – da er sehr persönlich ist, übernehme ich ihn hier ins Digital Diary. Er basiert auf dem Gedankenspiel, dass ich plötzlich verstorben bin und nun jemand meinen PC sichtet. Weit in der Zukunft natürlich, was man beim Lesen bemerken wird.

„Der Tunnelblick verengt sich“ – der Dateiname im Ordner „Verschiedenes_sortieren“ springt mir ins Auge. Oh, wie wäre ich dankbar für eine gewisse Verengung, für mehr Konzentration, für irgend einen roten Faden, der mich durch dieses Chaos leitet. Claudia, was hast du uns da angetan! Ich fange beim Lesen immer mit dem „Vermischten“ an, deshalb jetzt auch der Blick ins „Verschiedene“ – aber verdammt noch mal, so wie der riesige Rest aussieht, ist das alles VERSCHIEDENES. Liebe Verschiedene, erscheine mir bitte im Traum und sag mir, was ich machen soll! Weiter → (Mein Nachlass im PC)

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Claudia am 14. November 2003 — Kommentare deaktiviert für November: Zeit zum krank sein

November: Zeit zum krank sein

„Ich deliriere. Fieber 40 plus. Eine heiße Sache ;-)“ Die SMS des fernen Geliebten erreicht mich just in dem Augenblick, als ich den Zahn, der mir gerade aus der Brücke links oben gebrochen ist, wehmütig betrachte. Eine Schweinerei! Zwei Jahre war das Teil erst alt, wogegen die Aufbauten, die ich seit über 25 Jahren zum Kauen benutze, erst in letzter Zeit ihre Erneuerungsbedürftigkeit spüren lassen. Das war noch Wertarbeit, nachhaltig, nicht mit Blick auf baldiges „Update“ ins Werk gesetzt!

„Und mir ist gerade ein Zahn heraus gebrochen“ simse ich zurück. Es wird ihn erheitern, denk ich mir. Denke dann daran, dass ich jetzt also wirklich zum Zahnarzt muss, was für ein Aufwand! Ganz zu Schweigen von den Kosten. Ob ich nach Polen fahren soll? Noch größerer Aufwand, kommt nicht in Frage! Wo ich doch noch immer nicht gesund bin, grade mal auf dem Weg dahin. Erkältung, Bronchitis – mein Fitness-Center hat die Sauna wegen Bauarbeiten still gelegt. Seither geh ich nicht mehr hin und handle mir prompt die erste richtige Krankheit seit vielen Jahren ein. Kein Wunder.

Ich telefoniere mit meiner Mutter, die vor zwei Tagen operiert wurde. Wenn der Krebs noch nicht gestreut hat, kann sie noch zehn Jahre leben, heißt es. „Mir geht’s gut“, sagt sie, und dass ihr das keiner glaubt. Auch ich sage, dass ich es nicht glaube – und merke, dass ich dabei bin, mich von der Wahrheit des Herzens zu entfernen. Ich will ihr Gelegenheit geben, ihr Leiden auszudrücken, wenn sie das möchte – aber ich weiß, sie will das nicht und wird es auch nie wollen. Und ehrlich gesagt, ich finde das gut so. Ich bin genau wie sie.
Ich?

Am Anfang war das Wort, und Gott war das Wort, und das Wort war bei Gott. Das gewaltige Mantra aus der Bibel tritt mir ins Bewusstsein. Es verweist auf die Tatsache, dass wir die Dinge schöpferisch zu Realitäten formen, indem wir sie benennen. Sie dadurch vom großen Ganzen abtrennen und zum „Objekt“ machen. Bewusstsein entsteht, wenn uns ein Gegenstand entgegen steht: ein Hindernis, ein Leiden, eine Krankheit, eine Gefahr. Damit etwas in diesem Sinne „entgegen stehen“ kann, muss ich zuvor beschließen, wo ich MICH verorte. Was bin ICH? Antworte ich „dieser Körper!“, dann werde ich mit diesem Körper leiden, verzweifeln und untergehen. Und daraus ein Riesendrama machen, für mich und für andere.

Das habe ich nicht vor. Ich werde den Teufel tun und mich so (oder anders) definieren, mich mit irgend etwas identifizieren. Ich bin nicht der Körper, sondern finde ihn vor. Ich erlebe ihn und kann ihn betrachten. Die Tatsache, dass ich z.B. den Arm heben kann, also aus dem Willen eine physische Wirkung verursachen, bedeutet nicht zwangsläufig, dass dieser ganze Mechanismus „Gedanke-Wille-Aktion-Wirkung“ ICH bin. Denn ich kann ihn ja beobachten.

WER beobachtet? Habe „ich“ einen Zahn verloren? Das erinnert mich an die jedem geläufige Szene, wenn man mit einem Auto-Besitzer losgeht, um irgendwohin zu fahren. „Ich stehe da drüben“, sagt er. Das ist genau dasselbe: Er hat seine Ich-Definition so ausgedehnt, dass sie das Auto mit umfasst.

Kann man machen, warum nicht? Aber den Preis muss man immer bezahlen. Jede Selbst-Identifikation bringt Nutzen und Aktionsspielräume, aber auch Kosten: Leiden an Verlust und Vergänglichkeit.

Damit man mich nicht missversteht: Ich GLAUBE nichts! Weder an wandernde Seelen noch an einen Geist ohne Materie, und auch nicht an das Leben als Lehr-Anstalt, in dem wir Lern-Erfahrungen machen, um uns zu „entwickeln“ und eines Tages ins Nirvana oder Paradies einzugehen. Ebenso wenig glaube ich das Gegenteil, bin keine Anhängerin des wissenschaftlichen Weltbilds mit all seinen Stoffen und Prozessen, schwarzen Löchern, wechselnden Modellen vom Kosmos und seiner großen geistigen Leere. Auch Atheismus ist ein Glaube.

Fortschritt bedeutet für mich, nicht mehr zu glauben, das Nicht-Wissen auszuhalten und es dabei zu belassen. Wenn man den Verstand mal daran gewöhnt hat, dass er nicht für alles und jedes zuständig ist, wird das Leben sehr viel angenehmer.
Einfach da sein

Nun bin ich ja wirklich schwer abgehoben! Eigentlich wollte ich über das Krank-Sein schreiben, denn zur Zeit sind so viele um mich herum krank, genau wie ich. Der Programmierer von schreibimpulse.de kämpft seit Wochen mit einer schweren Erkältung, ein Kursteilnehmer kann nicht mehr in den Monitor sehen, ohne dass sich die Augen entzünden. Mein Ex-Lebensgefährte ist gerade erst dabei, wieder fit zu werden – ich sag mir einfach: es ist November! Zeit zum krank sein. Alle Natur stirbt und auch wir kränkeln halt so mit, denn wir sind Teil davon. Nichts besonderes.

Mehr und mehr fällt mir auf, was für ein Krieg an all diesen Fronten geführt wird, um das Unvermeidliche mit allen Mitteln zu bekämpfen. Sowohl die herrschende Medizin als auch die alternativen Lehren und Systeme sind sich in einem einig: Wir müssen gesund werden, möglichst lange gesund bleiben, und wenn das nicht mehr geht, dann ist zumindest das Ende so lange wie möglich hinaus zu schieben. Warum hat man meine 96-jährige Großtante noch mit Reanimationsversuchen belästigt? Sie ist gestorben, als ihr klar wurde, dass sie aus dem Krankenhaus nicht mehr zurück in ihre Wohnung, sondern in ein Pflegeheim kommen wird. Ist daran irgend etwas falsch? Hätte man sie lieber noch ein paar Jahre neben die anderen final Siechenden gelegt und mit dem Dekubitus gekämpft?

Oder bleiben wir beim ganz normalen Alltag: Warum sollen wir denn fortlaufend funktionieren? Das tun nicht mal die Computer, denen wir die Organisation unserer Welt mehr und mehr überlassen. Den Stress, immer fit, schön und gesund zu sein, brocken wir uns selber ein – warum eigentlich?

Ich habe meine Krankheit genossen. Endlich mal sagen können: Ich kann nicht! Ich pack das jetzt nicht, bin wie in Trance, kann mich nicht konzentrieren, muss mich hinlegen, kann zumindest nicht so ranklotzen wie sonst – wunderbar! Wenn das mal alle mitbekommen haben und die Welt trotzdem nicht einfällt, erlebt man eine ganz neue Art von Entspannung und Gelassenheit. Die Lizenz zum nutzlosen und irrationalen Einfach-nur-da-sein. Auf einmal ist Zeit und Muße da, um „in sich zu gehen“, bzw. zu erforschen, was diese Worte wohl bedeuten. Das Bewusstsein weitet sich: die Welt des alltäglichen Funktionierens mit seinen Zielen und Zwecken ist plötzlich nur ein kleiner, unwichtig gewordener Aspekt des Ganzen. Neue Räume des Erlebens tun sich auf, alle Dinge und Tätigkeiten zeigen sich in einem andern Licht – wer jetzt mental daran kleben bleibt, sofort gesunden zu sollen oder trotz Krankheit weiter zu funktionieren, versäumt etwas!

Nun ja, mag man denken, so eine kleine Erkältung, was ist das schon? Bekomm du mal deine „tödliche Diagnose“, dann sehen wir weiter! Ja, darauf bin ich auch gespannt. Aber nicht so sehr, dass ich ständig zum Arzt gehe, ohne krank zu sein, nur so als eine Art TÜV. Der Scheckheft-gepflegte Mensch, immer in Erwartung der bösartig veränderten Zelle, der sich schließenden Herz-Ader – das ist ein Trend, der ohne mich auskommen (und Kasse machen) muss. Meine Krankheit gehört mir, auch die letzte.

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