Claudia am 27. April 2004 — Kommentare deaktiviert für Die Liebe zum DU

Die Liebe zum DU

Gewidmet den Geliebten, in der Nähe und in der Ferne

Der Andere, der Mitmensch in der Lichtgestalt des Geliebten, fasziniert wie nichts sonst auf der Welt. Auch, wenn wir meinen, ihn gut zu kennen, wenn er uns also berechenbar erscheint, wissen wir doch, dass das nicht die ganze Wahrheit ist. Immer bleibt ein Rest Geheimnis, ein innerer Raum, in den wir nicht sehen können – für die einen ein Faszinosum, Quell des Verlangens nach weiterer Annäherung, ja Verschmelzung, für die anderen eine Gefahr, untergründige Drohung, Quelle der Angst.

Was wir beim Anderen nicht sehen können, ist nicht deshalb verborgen, weil unser Gegenüber bewusst etwas verbirgt. Mag sein, dass er Aspekte seiner Persönlichkeit oder gewisse Tatsachen seines Lebens lieber nicht zeigen will, warum auch immer. Dies ist nicht gemeint, ja, genau diese aus allzu bekannten Motiven ungern gezeigten Aspekte sind unschwer erkennbar und meistens banal. Fehler, Versäumnisse, Versagen, Verrücktheiten, Ecken und Kanten, Charaktermängel – wer zeigt sowas schon gern? (Und wer hätte sie nicht?)

Das Geheimnis des Anderen

All dies berührt das Geheimnis des Anderen nicht einmal am Rande. Es liegt nicht dort, wo er etwas ihm Bekanntes nicht zeigt, sondern dort, wo er selber nichts von sich weiß, sich selbst (noch) nicht kennt. Im Raum der Möglichkeiten also, die erst in einem zukünftigen Augenblick Wirklichkeit werden – oder auch nie. Konfrontiert mit etwas So-noch-nie-Dagewesenem – WER ist er da?? WIE wird er reagieren? Weder er noch ich kann das wissen, alles Zusammensein und Erleben ist (auch) ein ständiges Erforschen dieser Frage, sofern es sich nicht nur um Wiederholungen schon bekannter Dinge handelt. Und selbst dann weiß ich ja nie sicher, ob er WIEDER bzw. IMMER NOCH so ist, wie bisher – oder ob er sich nicht auf einmal verändert hat und plötzlich „ganz anders“ reagiert.

Gäbe es diese Ungewissheit nicht, diese „Leerstelle“, die im menschlichen Miteinander niemals gänzlich verschwindet, wäre meine Liebe bald keine wirkliche Liebe mehr, nämlich bar jeder Brisanz für mich selbst. Sie wäre allenfalls so ein „gutes Gefühl“ wie man es als Frauchen gegenüber einem geliebten Hund verspürt.

Dem nachspürend wundere ich mich, staune über die Entdeckung: Zunächst „gefällt“ der Andere ja durch seine persönlichen Eigenheiten und ich meine, sagen zu können: Ich liebe dich, WEIL du so und so bist. Doch je mehr ich von den Reizen der Oberfläche in immer größere Tiefen von Psyche und Geist eintauche, stelle ich fest: ja, all diese „konkreten“ Eigenschaften mag ich (andere wiederum nicht…), aber nicht SIE sind es, die mich immer neu faszinieren, verlocken, verführen, binden – sondern es ist das Unbekannte, Undefinierbare: WER ist er noch, außer alledem? Was mag da noch alles „dahinter“ stecken?

In diese Frage hinein, mitten in das schwarze Loch, das der Andere in seiner Unerkennbarkeit ist, können wir alles projizieren, was wir uns nur vorstellen können und tun es auch, je nach persönlicher Gestimmtheit: Gott und Teufel, Freund und Feind, Mensch und Raub- oder Schoßtier, Partner und Gegner, Verfolger und Beute, Kind und Guru. Der Andere kann ALLES sein, solange er nichts tut, was die gerade aktuelle Projektion definitiv stört.

Diese Vorstellungen (statische Bilder!) halten wir gern für Realität, für tatsächlich existierende Aspekte des „Da draußen“, die sich in Gestalt des Anderen zeigen. Ein Irrtum, den wir im Lauf des Lebens in zunehmender Selbsterkenntnis aufklären können: Was ich in dir sehe, sagt mehr über MICH aus als über DICH – Projektionen eben. Der Andere ist mein Spiegel, in dem ich mich selbst erkenne – aber das ist nicht alles.

Da ist noch der „Leerraum“ selbst: Was ist das? Er ermöglicht das Projizieren und Sich-darin-spiegeln – aber was ist er, für sich genommen? Ist diese Leerstelle, aus der die Fülle kommt (kommen kann… könnte….), ein „Teil“ von IHM, vom Geliebten? Im Raum der Möglichkeiten existiert der Andere doch noch gar nicht, ist als Persönlichkeit und auch als Individuum noch gar nicht geboren! Wie kann ich also davon ausgehen, dieses „Nichts“ sei „ER“?

Und das tue ich, tu ich immer schon ganz unbewusst und automatisch, solange ich zurückdenken kann. Erst jetzt, diese Sätze schreibend, wird mir klar: Es hört gerade auf! Über längere Zeit ist dieses unbedachte „Für-wahr-halten“ schier unmerklich schwächer geworden – jetzt ist da nur noch ein großes Fragezeichen.

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In jedem ernst gemeinten „Ich liebe dich“ erkenne ich heute im Hinsehen aufs Jetzt und im Rückblick auf Vergangenes letztlich die Liebe zum „Dahinter“: das Fasziniert-Sein vom Ungekannten, vom Numinosen, das mir als der geliebte Andere in lebendiger Realität gegenüber tritt. Wo wäre da „er“? (es könnte auch mal eine „Sie“ sein..sag niemals, nie!) Steht er nicht dem eigenen Unbekannten genauso fremd gegenüber wie ich? Ist er nicht ebenso unwissend wie ich im Blick auf die eigene „Leerstelle“, die mir gleichwohl tägliche Wirklichkeit ist, mit der ich rechne, nach deren „beredtem Schweigen“ ich mich manchmal richte, die ich aber niemals „verstehe“?

Weiter gefragt: Ist denn jeder seine EIGENE Lichtung? Handelt es sich nicht vielmehr um denselben „Raum der Möglichkeiten“, dasselbe „Reich des Ungeborenen“, an dem wir alle auf unerforschliche Weise Teil haben – oder eben keiner von uns?

Wen liebe ich also, wenn ich sage „ich liebe dich?“ Meine ich DICH damit – oder gerade nicht? Inwiefern hat es noch „mit dir“ zu tun, wenn du mir „nur“ Tor zum Blind Date mit dem Unerforschlichen bist?

Liebe ich also wirklich „den Anderen“? Oder löst sich persönliche Liebe letztlich irgendwo im spirituellen Nebel des Absoluten auf? Verliere ich im Zuge dieses Erkennens etwas, das ich schätze, wie nichts anderes auf der Welt? Im Moment ein bedrückender Gedanke – aber ist er zwingend?

In der lebendigen Wirklichkeit menschlichen Miteinanders erlebe ich allein den Geliebten: als einen, der in ungeklärten Beziehungen zum Raum des Numinosen steht, aus ihm lebt, ihn mir durch seine grundsätzliche Unberechenbarkeit ins Bewusstsein hebt. (Genau wie ich es für ihn tue, ob er es nun bemerkt oder nicht.) Was hat das noch „mit uns“ zu tun – so ganz persönlich betrachtet?

Um das zu erfassen, bietet es sich an, zu fragen: Was fangen wir denn mit dieser Situation an? Das ganze Potenzial des Menschen, dessen Grenzen zu „allem Anderen“ nicht so ganz klar definiert sind, tritt mir in Gestalt des Geliebten entgegen – und nun? Klar, da ist in der Regel der Alltag, wir können zusammen das Dasein genießen oder auch mal gemeinsam arbeiten, Welt gestalten. Das ist die „Oberfläche“ des Miteinanders. Schaut man tiefer, entdeckt man das Wesentliche: im Genießen und Gestalten bzw. im damit zwangsläufig einher gehenden (nicht ausschließlich rationalen!) Dialog ERSCHAFFEN wir erst gemeinsam die zu genießende oder zu gestaltende Welt. Im Dialog mit dem Geliebten mache ich mit ihm aus: DAS HIER ist Wirklichkeit, jenes ist Illusion. DAS HIER bin ich, und DAS DA bist DU – der Rest ist also „Welt“. Und da wir beide in Richtung der „Lichtung“ offen sind, uns jederzeit aus dem Raum der Möglichkeiten heraus neu kreieren können, ist dieses Welt-schaffende Gespräch niemals zu Ende. Es gibt keine „letzte Antwort“, es gibt (wir geben!) nur das, was wir von Augenblick zu Augenblick aus unserem in Liebe vernetzten Bewusstsein als „Welt“ erkennen.

So gesehen lässt sich leicht feststellen, wann und warum ich „persönlich“ liebe: Wie sieht die Welt aus, die DU mit mir definieren/erfinden/erschaffen willst? Ist sie nur dunkel und kalt, nur Kriegsschauplatz und Jammertal – oder scheint das Licht in sie hinein, so hell und durchdringend, dass wir unter jedem harten Pflaster noch den Strand erkennen können?

Bin ich mit mir alleine, schwanke ich ständig zwischen diesen Sichtweisen, kann mich kaum je „stabilisieren“ zu einer festen Sicht, die mich handlungsfähig macht. Und doch weiß ich, was ich bin und was ich will: dass ich nämlich die „Variante mit Licht“ vorziehe!

Im Geliebten treffe ich den Anderen, der mir hilft, diese Sicht zu stabilisieren – indem ich zwar noch immer alleine hinsehe, aber den Blick des anderen Standpunktes als „möglicherweise ebenso richtig und wahr“ einbeziehe. Dabei erschließt sich eine tiefere Dimension – genauso, wie man eben mit ZWEI AUGEN (=zwei verschiedene Blickwinkel) anders und besser sieht als mit nur einem.

Die jeweiligen Standpunkte und Blickwinkel können wechseln: mal sehe ich nur das Dunkle, das Leiden und die Sinnlosigkeit und bringe das in den Dialog ein – ein andermal bin ich diejenige, die „die Welt rettet“ und das Schöne, das Wunderbare, das in Richtung Paradies weisende aufzeigt. Wichtig ist, dass beide beide Positionen grundsätzlich anerkennen und erleben können – Zyniker und restlos Verzweifelte kann ich bedauern, aber nicht persönlich lieben, genauso wenig wie die Träumer und Schwärmer, denen ihre rosarote Brille auf der Nase festgewachsen ist.

Und natürlich auch nicht diejenigen, für die die Welt „fest definiert“ ist, gänzlich unabhängig von unserer – einsamen oder gemeinsamen – Sicht. Mit ihnen mag ich nicht mal mehr darüber diskutieren, ob und inwiefern das stimmt oder nicht. (Bin ja immerhin fast 50 und ich WEISS!) Ich kann sie sowieso nicht „überzeugen“, denn niemand ändert sein grundsätzliches Weltverständnis aufgrund von Argumenten.

Da widme ich mich doch lieber dem großen Spiel, dass ich mit dem Geliebten (mit allen Geliebten, es ist nicht auf den „Einen“ begrenzt) spielen kann: dialogisch Welt erschaffen, in die das Licht herein scheint – und an dieser Welt dann ein bisschen mitbauen. Die Energie, die das möglich macht, ist die erotische: Das Verlangen, das Sich-Hingezogen fühlen zum Anderen ist das für jeden erlebbare „positive Beispiel“ am eigenen Leib. In der Sexualität sind es die „Schmetterlinge im Bauch“, auf der Ebene des Herzens erleben wir es als persönliche Liebe – und jenseits dessen ergießt sich das Licht umfassender Liebe auf alles-was-da-ist.

Ohne dass dabei etwas „verloren geht“! Wie wunderbar!

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Claudia am 15. April 2004 — Kommentare deaktiviert für Allein und undefiniert

Allein und undefiniert

In elektronischen Verschaltungen gibt es Zustände, die nennt man „undefiniert“: Wenn nämlich nicht vorgegeben und also auch nicht voraussehbar ist, ob sie im konkreten Einsatz nun zu „null“ oder „eins“ werden. Mich hat das verwundert, als ich es in meiner Umschulung/Weiterbildung zur EDV-Fachkraft erfuhr. Wozu ist das gut? Wofür braucht es unklare Verhältnisse in einer technischen Umgebung, die doch gerade dazu da ist, die Abläufe zu automatisieren, sie also vollständig in den Griff zu bekommen?

So richtig verstanden hab‘ ich es letztlich nicht, aber ich erinnere mich manchmal daran, wenn ich allein bin. Vom Aufstehen bis zum Ins-Bett-Gehen kein Kontakt zu irgend jemandem – je älter ich werde, desto paradiesischer erscheint mir dieses Alleinsein. Ob ich maile oder Mails lese, entscheide ich dann ganz nach Laune, fühle mich in jedem Moment frei, zu tun oder zu lassen, was mir gerade in den Sinn kommt, was für ein göttlicher Zustand! Alle meine Freunde wissen, dass ich nicht gern telefoniere, dass ich dieses fordernde Echtzeit-Medium fast nur zum Austausch wichtiger, zeitkritischer Infos benutze – und so kann ich tatsächlich das „Einsiedeln“ praktizieren, mitten im normalen Leben, zumindest am Wochenende, wenn ich nicht für Auftraggeber erreichbar sein muss.

Was ist so schön daran? Manchmal sinne ich darüber nach, während die Stunden verrinnen, Stunden, die mich immer weiter vom gesellschaftlichen Dasein entfernen, mich aus allen Verstrickungen heraus heben, von sämtlichen Erwartungen Anderer befreien. Was bin ich ohne den Mitmenschen? DAS erlebe ich dann und empfinde Glück: bin nicht mehr JEMAND, bin nicht in soziales Sollen und Wollen eingebunden, bin nichts Bestimmtes – bin undefiniert!

Die Webdesignerin, die Beraterin, die Kursleiterin, das Mitglied der Coachingrunde Berlin, die Schreibende, die Freundin, die Schwester und Tochter – all das ist weg, fällt von mir ab wie begrenzende Schalen, die mich in Formen pressen: durchaus gute und nützliche, manchmal lustvolle und bereichernde Formen – aber durchweg nicht das, was ich tatsächlich bin: undefiniert. Wenn ich alleine bin, kehre ich zu diesem formlosen Selbst zurück und genieße das spontane So-Sein, aus dem all diese Formen geboren werden, wenn ich mit Anderen in Kontakt trete.

Früher…

Es war nicht immer so, ich erinnere mich gut. Früher konnte und wollte ich nicht allein sein, langweilte mich dabei, fühlte mich unruhig und unausgefüllt, suchte ständig Kontakt zu irgend jemandem, besuchte dann Freunde, saß dort endlose Stunden herum und redete und redete: Erst im Angesicht des Anderen spürte ich mich, fühlte ich mich richtig als Mensch, halbwegs vollständig und handlungsfähig. Alleinsein war Angst-besetzt, obwohl ich das nie zugegeben hätte, nicht einmal vor mir selbst.

Dann die vielen Jahre mit M., meinem philosophischen Lebensgefährten. Wand an Wand, jederzeit konnte ich rüber gehen und plaudern, musste aber auch stets damit rechnen, dass ER herein kam (was aber eher selten geschah, er war immer schon gerne für sich). Im Grunde eine optimale Situation für jemanden, der nicht allein sein mag: In meinem Wohn-Schlaf-Arbeitszimmer war ich für mich, doch immer mit der Möglichkeit, in Kontakt zu treten. Ich war zufrieden, aber im Lauf der Zeit fiel mir doch auf, wie sehr wir uns einschränkten, um uns gegenseitig nicht zu nerven: kein Radio, TV nur zusammen, ein Leben ohne Musik, und nur sehr seltene Besuche. Anders wäre diese Nähe nicht möglich gewesen, nicht für uns beide, die wir jeder ein eigenes Leben lebten. Und – das merkte ich aber erst nach meinem Auszug – diese extrem rücksichtsvolle Form der Zweisamkeit hat mich fürs Alleinsein geöffnet.

Als ich dann Anfang 2003 in meine eigene Wohnung zog, zum ersten Mal seit zwölf Jahren, empfand ich dieses gänzlich neue Verhältnis zum Mit-mir-und-sonst-niemand-Sein wider Erwarten als sehr sehr angenehm: Was für eine Ruhe und Freiheit! Keinerlei „gemeinsame Gewohnheiten“ strukturieren meinen Tag, ich muss niemandem etwas erklären, wenn ich von diesen Gewohnheiten abweiche. Muss nicht sagen, wo ich hingehe und wann ich zurück komme und kann völlig verrückte Dinge tun – z.B. auch mal tagsüber schlafen, fünf mal täglich kochen oder auch gar nichts essen, laut oder still sein, Unordnung entstehen lassen und nachts um zwölf aufräumen, 15 Stunden am PC sitzen oder ihn, z.B. Samstags, gar nicht erst einschalten. Oder auch mal nichts tun, gar nichts. Niemand schaut mir zu und kommentiert, hinterfragt, fordert mich zu Erläuterungen heraus, es ist eine völlig andere Seinsweise als das ständige Miteinander – frei, entspannt, spontan, friedlich ver-rückt!

Während ich so schreibend den Freuden des Alleinseins nachspüre, merke ich, dass ich nur an der Oberfläche kratze: all das sind Äußerlichkeiten, treffen nicht den Kern. Die Routinen des Zusammenlebens hab ich schließlich sehr geschätzt, das Kochen und Essen zu bestimmten Zeiten, den Spaziergang, zu dem ich mich alleine eher schwer aufraffe – ja, in meinem Solo-Wohnen ringe ich eigentlich ständig um Selbstdisziplin und gewisse Strukturierungen meines Tages: abgesehen von den Kunden und Kursteilnehmern ist da ja nichts und niemand, was mich zwingt. Alles kommt aus mir, oder eben nicht.

Und doch: es ist gut, wie es ist. Selbst wenn ich 1000 Mal zum eigenen Ärger der Trägheit verfalle, wieder einmal nicht das schaffe, was ich mir vorgenommen habe, so weiß ich doch genau darüber Bescheid, dass ICH es bin, die nun mal so ist, im Guten wie im Schlechten. Und wenn ich morgen beschließe, jetzt ernsthaft einen Plan zu machen: eine Woche lang ausprobieren, wie sich ein anderer Rhythmus von Schlafen und Wachen, Arbeit und Freizeit, drinnen und Draußen-Sein wohl anfühlen mag – dann hindert mich nichts, das sofort in die Tat umzusetzen. Das Leben hat auf diese Weise etwas Abenteuerliches, das ich – man merkt es gewiss – schlecht in Worte fassen kann.

Vielleicht ist das Wesentliche am alleine Leben, nicht auf bestimmte Seinsweisen festgenagelt zu werden, wie es ganz automatisch geschieht, wenn ich mit jemandem sehr eng zusammen bin. Zwangsläufig entstehen Erwartungen, ich möge immer so sein, wie ich gestern war – und schon bin ich in der Situation, jedes Anders-Sein rechtfertigen und erklären zu sollen. Bedeutender noch: Ich neige dazu, das Bild, das der Andere von mir hat, einfach zu übernehmen: aha, so bin ich! Wenn ich auf ihn/auf sie so wirke, muss ich wohl SO sein. Und schon bin ich dabei, mich (durchaus unbewusst) selber einzuschränken: Jemand, der SO ist, handelt auch SO, denkt SO, und nicht etwa anders.

Nun werde ich bald fünfzig, hatte also schon genügend Gelegenheit, zu bemerken: Ich bin bei jedem/für jeden eine Andere. Jeder Dialog und jede Interaktion erschaffen mich neu, das Bild, das beim Anderen entsteht, kann mein Selbstbild bereichern und verändern, aber ich tue gut daran, nicht zu vergessen, dass es sich um bloße Bilder handelt: statische Momentaufnahmen von Aspekten des Daseins und Soseins, auf die ich mich besser nicht festnagele.

Alleinsein bedeutet vor diesem Hintergrund ein Loslassen aller Bilder und Formen, ein Bad in der Leere, ein Löschen sämtlicher Speicher. Allein bin ich nichts Bestimmtes und finde zurück zur Möglichkeit, alles zu sein – zumindest potenziell. Wie angenehm, so wunderbar „undefiniert“!

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Claudia am 15. April 2004 — Kommentare deaktiviert für Meine Wirklichkeit und wie sie entsteht

Meine Wirklichkeit und wie sie entsteht

Immer wieder wundere ich mich, wie sehr mein Erleben vom Wetter bestimmt ist. Noch vor ganz kurzer Zeit war ich in ziemlich mieser Stimmung, die Arbeit ging mir tendenziell auf die Nerven, ich sah keine Perspektiven, fühlte mich schwer und leer. Alles erschien mir als Last, nicht etwa als Lust!

Nun hat vor zwei Wochen der Frühling so richtig eingesetzt und alles ist anders. Keine einzige Rahmenbedingung hat sich verändert, Auftragslage und Konto sind wie gehabt, aber auf einmal ist mir die Welt wieder ein Abenteuerspielplatz. Ich fühle mich inspiriert, bin guter Dinge und gegenüber „Problemen“ bleibe ich gelassen, kann sogar über mich selber schmunzeln. Unglaublich – und nur wegen ein bisschen Wärme und Sonnenschein!

Per Aspera ad Astra?

Ein lieber Freund, dem ich gern berichte, was mich so in Bezug auf mein Arbeitsleben umtreibt, machte mich darauf aufmerksam, dass ich dies alles immer im Stil einer „Leidensgeschichte“ vortrage – als Aneinanderreihung von Problemen und eigenen Defiziten, die es zu lösen bzw. zu überwinden gelte. Also „per aspera ad astra“, durch die Wüste (das Leiden) zu den Sternen. Er fordert mich auf, von den „Figuren“, die ich in meinem Dasein vorfinde, zu „Skulpturen“ fortzuschreiten, die ich selber erschaffe. Dies bedeute lediglich eine Veränderung des Blickwinkels, keine völlige Neuschaffung sämtlicher Elemente, aus denen sich sowohl die Figuren als auch die Skulpturen zusammen setzen. Glücksgeschichten schreiben, statt Leidensgeschichten erzählen!

Im Grunde weiß ich, dass es geht, weiß es zum Beispiel durch die Erfahrung mit dem Frühling. Dass ich „trotz Frühling“ einen typischen „Per aspera ad astra-Bericht“ abliefere, ist einfach eine Gewohnheit. Ich könnte mich auch mit dem Frühling verbinden, also sagen: DAS bin ich jetzt, dieses Gefühl von Aufblühen, Fantasie und Kraft – und das wende ich jetzt einfach mal an und sehe, was ich daraus machen kann.

Pointers – Wegweisende Gespräche mit Sri Nisargadatta Maharaj

Dazu passt, was ich gestern in einem spirituellen Buch las, in das ich immer mal wieder schaue, ohne wirklich zu verstehen (bin ja nicht erleuchtet…). Es heißt „Pointers – Wegweisende Gespräche mit Sri Nisargadatta Maharaj“. Zu ihm kam mal eine Besucherin, die eine Frage über die Bhagavadgita stellen wollte. (In jenem Epos erscheint dem Arjuna, der gerade gegen seine eigenen Verwandten einen Stammeskrieg führen soll und darüber fast verzweifelt, der Gott Krishna, der ihn berät und belehrt).

Während sie noch im Begriff war, die richtigen Worte zu finden, fragte Maharaji: „Von welchem Standpunkt aus lesen Sie die Gita?“ Sie murmelte etwas von „wichtiger Führer für spirituell Suchende“, was der Erleuchtete jedoch als dumme Antwort ablehnte. Er frage sie ja nicht nach der Textsorte, zu der das Buch zähle, sondern nach ihrem STANDPUNKT als Lesende. Von einem anderen Besucher kam schließlich eine Antwort: „Ich lese es als einer der Arjunas in dieser Welt, zu deren Nutzen der Herr gnädigerweise die Gita gegeben hat“.

Maharaj daraufhin: „Warum lesen Sie die Gita nicht aus der Sicht des Lord Krishna?“

Ja, warum eigentlich nicht? Wenn ich mir das genau ansehe, dann ist der wahre Grund nicht etwa der, dass ich es für unmöglich hielte, die Perspektive des Glücks, des Frühlings, des Erleuchteten einzunehmen und von daher auf das eigene Dasein zu schauen. Ob es möglich oder unmöglich ist und wieweit es trägt, das zeigt sich ja erst, wenn man es TUT, wenn man es zumindest ausprobiert! Meine Ablehnung liegt aber bereits VOR diesem Versuch. Warum nur?

Tja, die Antwort ist nicht besonders schmeichelhaft: Ich müsste etwas AUFGEBEN, an dem ich offensichtlich noch immer hänge: mein Leiden! Genauer gesagt, mein Selbstverständnis als Leidende, als Problemkind, das lieber über die Leiden, Probleme und Defizite des eigenen Daseins lamentiert, anstatt die Dinge kreativ anzugehen. Diese Haltung stammt vermutlich aus uralten Kindertagen: Mami, Mami, ich hab mir das Knie aufgeschürft, HEUL!!!!!!!!!!!!!!!!

Aber wer hat nicht auch schon mal beobachtet: Da stolpert so ein Kleinkind, schlägt sogar recht heftig auf dem Boden auf – man erwartet markerschütterndes Gebrüll! Jedoch: es verzieht zwar für einen Moment das Gesicht, schaut dann aber um sich und stellt fest, dass niemand sein Fallen bemerkt hat. Prompt rappelt es sich wieder auf und geht weiter, anstatt sich fürs laute Weinen zu entscheiden. Schaut die Mutter aber gerade hin, ist kein Halten!

Schon dieses kleine Kind HAT also (zumindest gelegentlich) die freie Wahl, ob es sich nun ins Leiden fallen lässt oder lieber anderen Impulsen folgt. Fällt die Entscheidung in Richtung Leiden, dann geschieht das, um die Aufmerksamkeit der geliebten Person zu binden, ihren Trost und ihre Streicheleinheiten zu genießen.

Im Unterschied zu Kleinkindern, die das Ganze im nächsten Augenblick wieder vergessen haben, ob sie nun weinen oder nicht, muss ich als Erwachsene mehr aufgeben als nur die Chance, im Moment angenehm bemuttert zu werden. Mich gegen das Leiden entscheiden, heißt nicht nur, aufs öffentliche Jammern und Schimpfen zu verzichten und Freunde nicht als Klagemauer zu benutzen, sondern auch, den entsprechenden „inneren Monolog“ abzuschalten. DAS ist der zentrale Punkt – und das fällt verdammt schwer!

Aber wiederum nicht, weil es nicht funktionieren könnte, etwa, weil die Gedanken nun einmal kommen und weiter laufen, immer weiter um das Leiden und die Probleme kreisend. Ob das wirklich unveränderbar so ist, stellt sich doch erst heraus, wenn ich es entschlossen versuche, wenn ich den auftauchenden Leidensgedanken ein „Stopp“ entgegen setze und den Denkapparat mit selbst gewählten Inhalten beschäftigte. Nein, es ist kein Unvermögen, sondern ein Unwille: ich merke, ich WILL es nicht, weil das, was ich „ausschalten“ müsste, einen großen Teil von dem ausmacht, was ICH bin. Was ich „für mich“, in meinem Selbstverständnis bin. Die Idee fühlt sich an, als müsste ich einen Teil von mir töten, amputieren.

Ja, das ist es. Beobachtet, erkannt, in Worte gefasst, hingeschrieben, ins Web gestellt – wenn ich jetzt gleich den „Send-Button“ gedrückt habe, entscheide ich mich mal für das Glück. Zumindest für heute – mal sehen, wie es funktioniert.

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Claudia am 04. April 2004 — Kommentare deaktiviert für Berlin – so wunderbar?

Berlin – so wunderbar?

Jedes Mal, wenn ich die paar Minuten zur U-Bahn gehe, laufe ich durch die Oberbaum-City. Historische Backstein-Fabriken, vollendet restauriert und modernisiert. Ein großes Schild „In Visionen leben“ gibt den Anspruch vor, mit dem hier mittels viel Geld nach der Wende ein „aufstrebendes Geschäftsviertel“ erbaut werden sollte. Die ganze Gegend hat man auch gleich glasfaserverkabelt – schlecht, denn wenig später kam das Internet, kam DSL, das nun mal die alten Kupferkabel benötigt.

Hof Oberbaum-CityGegen Abend wird die Oberbaumcity mit ihren vielen leeren Läden und Büro-Etagen gänzlich zur Geisterstadt. Der Wachschutz patroulliert, um Vandalismus zu verhindern – aber hierher verschlägt es kaum einen Vandalen. Allenfalls, wenn das MATRIX unter der U-Bahn Freitags und Samstags Jugendliche in Massen anzieht, könnte manch einer die Brunnen-geschmückten Innenhöfe als stilles Örtchen missbrauchen.

Alle reden vom Aufschwung – doch in der Oberbaum-City macht der einzige Italiener dicht, die letzten Büros im Erdgeschoss sind nicht mehr besetzt, Schilder weisen darauf hin, dass man die Möbel preiswert erwerben kann. Pixelpark, das ehemalige Vorzeige-Start-Up, ist zu Fast-Nichts zusammen geschrumpft – was für ein Niedergang eines großen Wurfs!

Laufe ich in die andere Richtung und überquere die Spree auf der Elsener Brücke, bin ich in einer Viertelstunde im Treptower Park. Am Ufer entlang kann man – noch! – eineinhalb Stunden wandern, ein idyllischer Waldweg säumt den Plänterwald, das wichtigste Naherholungsgebiet weit und breit. Mitten hinein plant der Senat, einen Mega-Vergnügungspark errichten zu lassen, der „die Attraktivität Berlins“ steigert. Ein TIVOLI, eine 150-Millionen-Investition, die viele Arbeitsplätze schaffen soll. Zum „Spreepark“, der seit drei Jahren still liegt, weil der Betreiber sich völlig überschuldet nach Peru abgesetzt hat, wird sich das Tivoli, sollte es denn kommen, verhalten wie ein Fußballstadion zum Bolzplatz um die Ecke. Aus mit Ruhe, Naturschutz, Wanderweg, Waldspaziergang. 2000 Parkplätze müssen irgendwohin, der Lärm wird den Wohnwert der ebenfalls als Zukunftsprojekt errichteten „Wasserstadt“ an der nahe gelegenen Rummelsburger Bucht drastisch senken – und natürlich auch der Wohnviertel rundum, aber das interessiert ja sowieso kaum jemanden, der dort nicht lebt.

Etwas dagegen tun?

Soll ich mich da engagieren? Es gibt eine Bürgerinitiative, die sich seit zwei Jahren in Sachen „Vergnügungspark“ für eine umwelt- und umfeldverträgliche Variante einsetzt. Sie scheinen noch nicht mal eine Website zu haben, unglaublich! Ich sehe nur manchmal kleine Zettel an den Bäumen, die zu Spaziergängen einladen, auf denen die Aktiven dem Volk zeigen, was, wenn das Tivoli mal steht, hier alles nicht mehr möglich sein wird.

Der Tivoli-Plan ist eine reine Verzweiflungstat. Wo immer sich die Chance aufs „Klotzen“ zeigt, denkt Peter Strieder, Bausenator und (noch) SPD-Chef in Berlin, nicht groß nach, sondern ist dafür. Andere Investoren, die es ein paar Nummern kleiner vorhaben, werden gar nicht ernsthaft in Betracht gezogen. Die Touristenströme, die so ein Disneyland an der Spree anziehen könnte, erscheinen als „das Rettende“. Sie bringen Geld in die Stadt, und darauf kommt es alleine an. „Rein Lokale Interessen können hier nicht den Ausschlag geben“, heißt es im Senat.

Grad hab‘ ich eine E-Mail an die PDS Treptow geschickt, und um eine Ansprechadresse der Initiative gebeten. Soviel ich sehe, sind die Initiatoren eng mit der PDS verflochten, die ja in Berlin auch mitregiert. Ich will mich informieren, wie der aktuelle Stand der Dinge ist – aber so richtig kann ich mir mich in einer „BI“ nicht mehr vorstellen.

Denn vor Zeiten, in den bewegten 80gern, war ich – damals zwischen 25 und 35 Jahre alt – in zig Stadtteilinitiativen aktiv: für eine mieterfreundliche Sanierung, für Verkehrsberuhigung, für ein Jugend- und Kulturzentrum, gegen Bauspekulanten und Luxusmodernisierung, gegen Dachgeschoss-Ausbau und die Aufteilung der Häuser in Eigentumswohnungen. Es waren wilde Jahre und ich lernte, meine Ellenbogen „für die Sache“ einzusetzen, was zunächst immer bedeutete, in den eigenen Reihen die Machtfrage zu eigenen Gunsten zu entscheiden. Dabei war ich erstaunlich erfolgreich, aber es hat mich über die Jahre auch fertig gemacht. Als Multifunktionärin rund um die Uhr landete ich letztlich in einer großformatigen Midlife-Crisis, rotierte noch ein Jahr als Wirtin einer Kiezkneipe um den Tresen (heute davor, morgen dahinter), und erreichte mit 36 endlich mein ganz persönliches Tief. Ich hatte mich selbst verloren, wusste gar nicht mehr, was das eigentlich ist.

All das steht mir wieder vor Augen, wenn ich an „Bürgerinitiative“ denke. Mal angenommen, ich gehe dahin, dann ja gewiss nicht, um nur einfach mit herumzusitzen und mich zu entrüsten. Ich würde versuchen, meine Ideen, Erfahrungen und Fähigkeiten einzusetzen, würde Vorschläge machen, was man noch tun könnte – und allein damit eckt man natürlicherweise immer gleich an. Denn alles Neue, bisher so noch nicht Gemachte, kann von denen, die schon länger dabei sind, als Kritik verstanden werden. Sie müssen sich ja fragen, und womöglich vor sich selber und vor der Gruppe rechtfertigen, warum sie dies oder jenes bisher nicht SO gemacht haben – und das führt in der Regel dazu, dass man erst mal „dagegen“ ist: gegen neue Ideen, gegen neue LEUTE, die mehr tun wollen, als nur das Vorhandene mit Applaus zu belobigen und brav die vorhandenen Zettel an noch mehr Bäume zu kleben.

Früher hat mich das nicht gestört, im Gegenteil, der „Kampf“ beflügelte mein wachsendes und sich selbst entdeckendes Ego. Entweder ich setzte mich argumentativ durch, oder ich brachte mehr Leute gleichen Geistes in die Initiative, die bei Gelegenheit die etablierten Betonköpfe einfach überstimmten – schließlich haben wir Demokratie!

Auf all diese „Menscheleien“ hab‘ ich heute nicht mehr die geringste Lust. Noch dazu unter den verschärften Bedingungen einer „Ost-Initiative“: da wäre ich ja auch noch die zugezogene Wessi-Frau!

Vielleicht geh‘ ich ja mal hin und schau mir die Leute an. Genau wie beim Kind, das sich die Finger am Feuer verbrannte, ist da so ein Verlangen, das, woran ich trotz aller äußeren Erfolge persönlich gescheitert bin, noch einmal aufzusuchen. Ich glaube allerdings nicht an ein „anderes Engagement“, sehe keinerlei Alternative: entweder ich bleibe draußen, leiste allenfalls mal eine Unterschrift oder spende ein paar Euro, ODER ich geh‘ da rein, engagiere mich und bin binnen kurzem wieder mitten drin in dem, wovon die, die es immer nur von außen sehen, sagen: Politik ist ein schmutziges Geschäft.

Da ich mein eigenes Fühlen und Erleben gerne verallgemeinere (wenn alle so wären, wie ich…), denke ich das zu Ende und lande dann logischerweise im Akzeptieren dessen, was ist, bzw. was mittels der Kräfte des Marktes kommen will. Hier also das Tivoli im Plänterwald. Kein idyllischer Uferwanderweg mehr, sondern 2000 Parkplätze und Lärm von früh bis spät.

Schon komisch, dass diese Aussicht mich tatsächlich weniger graust, als die Vorstellung, wieder in einer „Aktivistengruppe“ um die „richtige Linie“ zu kämpfen. Das eine sind anonyme Strukturen, ökonomische Bedingungen, die nun mal ihre leidhaften Ergebnisse zeitigen – das andere bedeutet konkrete Schläge in die Magengegend, gegen die man sich hart machen muss, will man sich „für die Sache“ durchsetzen.

Ich war schon einmal so verhärtet, dass ich fast daran zerbrach. „Do ist again, Sam“ kommt nicht wirklich in Frage. Vielleicht gibt es in Sachen Plänterwald ja auch genug Jüngere, die GERNE kämpfen – so wie ich vor zwanzig Jahren.

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Claudia am 31. März 2004 — Kommentare deaktiviert für Vom Nutzen der Leere

Vom Nutzen der Leere

Die Sonne scheint, der Himmel ist blau. Ich trete auf den Balkon und schüttle über mich selber den Kopf: zum ersten Mal hab ich diese kurzfristig blühenden Ex-und-Hopp-Gewächse in Kästen gesetzt, auf dass ihre drastischen Farben den Frühling JETZT SOFORT erlebbar machen. Primeln, Stiefmütterchen – oh Gott, hätte mir das früher jemand prophezeit, ich hätte mir an den Kopf gefasst. Und jetzt gefällt es mir! Wer weiß, vielleicht mach ich ja auch eines Tages Kaffeefahrten mit und kaufe in der dazu gehörenden Werbeveranstaltung überteuerte Heizdecken!

Im Frühling müssen die Zimmerpflanzen mal wieder gedüngt werden. Oder umgetopft. Ob das auch für Menschen gilt? Für mich? In dieser Woche ist ein Schreibimpulse-Kurs zu Ende gegangen und auch das Re-Design eines Maler-Shops, das mich endlos lang beschäftigt hat, ist abgeschlossen. Ein weiterer Auftrag wird ebenfalls noch diese Woche fertig – und dann ist PAUSE!

Die Pause hab ich nicht geplant, aber sie kommt genau richtig. Langsam weicht die Verstrickung in Geschäftigkeiten ein Stück zurück. Am Sonntag hab ich es gar geschafft, einen Teil der Verwaltungsarbeit abzuwickeln, die ich so miesepetrig vor mir hergeschoben hatte. Anfang nächster Woche werde ich FREI sein: morgens den PC einschalten und mich fragen können: WAS JETZT?

Das hab‘ ich lange nicht mehr erlebt! Mindestens ein dreiviertel Jahr nicht. Jetzt, inmitten dieser Frühlingsstimmung, spüre ich, wie sehr es mir gefehlt hat. Nicht die Ruhe, die Pause, die Erholung, sondern dieses Gefühl, dass da vor mir ein freier Raum voller Möglichkeiten liegt, aus dem ich jetzt schöpfen kann: etwas ver-wirklichen, was es so vorher nicht gegeben hat. Etwas, das mich auf neue Weise fordert, ein Hauch von Abenteuer!

Das letzte Abenteuer auf meiner To-Do-List, den Kurs „Club der erotischen Dichter“, musste ich verschieben. Zuwenig Mutige haben sich angemeldet, also bekommt die Sache noch mal vier Wochen Vorlauf. Anders als in den anderen Kursen gestatten wir hier Anonymität unter den Teilnehmern – und doch scheint es eine ziemliche Hürde zu sein, sich schreibend diesem Thema zu nähern. Komisch eigentlich, wenn man bedenkt, wie sexualisiert und enttabuisiert die mediale Welt seit Jahren daher kommt!

Nun, in der „Pause“ wird mir vielleicht etwas dazu einfallen, irgend eine Form der „Verführung zum Mitschreiben“, mal sehen. Vielleicht werde ich aber auch selber verführt: von etwas ganz Neuem!

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Immer wieder erlebe ich, dass mir nahe stehende Personen wie selbstverständlich davon ausgehen, dass ich meine „Orientierung“, also das Woher/Wohin/Wozu/Wer bin ich „aus dem Internet“ beziehe. Sie glauben, da gäbe es Gemeinschaften und „hoch stehende Persönlichkeiten“, mit denen ich im fortlaufenden Dialog stehe. Jedes Mal, wenn mir das gesagt wird, wundere ich mich! Wie kommen sie nur darauf? So ein „Dialog der Weisheit“ ist doch etwas ungeheuer Seltenes – und per Internet auch nicht leichter zu finden als im sogenannten „realen Leben“. Er ist nicht bloß Text: Worte und Meinungen, folgenlos im Nichts getauscht, sondern er bedarf einer persönlichen Beziehung auf der Basis von Liebe. So etwas zu erleben, ist eine Sternstunde, ist die Ausnahme von der Regel – und als solche alles andere als verlässlich! Sobald ich an einem solchen Dialog festklebe, mich wirklich einlassen will auf den „großen Anderen“, werde ich mit geradezu automatenhafter Sicherheit frustriert.

Der „Guru on Demand“ ist eine Illusion, geschaffen durch meine eigene Imagination – das zu wissen, macht frei und einsam zugleich.

Frei, weil es mich ermächtigt und in die Lage versetzt, auch von meiner Zimmerpflanze zu lernen; vom Putzmann, der einmal die Woche das Treppenhaus reinigt und von der freundlichen Bedienung im Restaurant. Und einsam, weil die gemütliche Alltagsillusion, es gäbe ein tieferes Miteinander, das die grundsätzliche Getrenntheit aufhebt, einfach nicht zu halten ist. Jedes Gegenüber, jeder Andere, ist auch nur ein „ganz normaler Mensch“ wie ich. Also einer, dem im Zweifel die eigene Haut näher ist als die Befindlichkeiten des Nächsten.

So navigiere ich in der Regel alleine durchs Dasein. Die Frage, woran ich mich orientiere, kann ich nicht umfassend beantworten. Alles, was ich „tue“, wenn ich nicht weiß, wo’s lang geht, ist Hinsehen. Das anschauen, was ist. Und zwar solange, bis sich all die Schichten der Wünsche, Illusionen und Ängste verflüchtigen, indem sie ihren Charakter als „Schall und Rauch“ offenbaren. Was bleibt, ist Tatsache – und Tatsachen sind leer. Ohne mich, ohne mein Bewerten und Be-Deuten entlang an eigenen Interessen (sei das nun ein bloß persönlicher Wunsch oder die Rettung der Menschheit), hat nichts Bedeutung. Ist einfach Sternenstaub, der im Universum kreist.

Diese kleine Meditation bewirkt eine Art „Arbeitsspeicher löschen“ im eigenen Mind. Und emotional ereignet sich das Wunder, dass ich den Abgrund unter mir zwar sehe – tatsächlich ist da kein Boden, auf dem ich stehe! – aber ich dennoch nicht hineinfalle, sondern schwebe, fliege…

Naja, nicht immer, aber immer öfter! :-)

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Claudia am 30. März 2004 — Kommentare deaktiviert für ENIGMA – oder WER ist der Andere?

ENIGMA – oder WER ist der Andere?

Nur selten erlebe ich ein Theaterstück. Die „Hochkultur“ der Opern, Konzerte, Theater, Museen und „Lesungen“ ist mir eher fremd geblieben. Wer da nicht „reinsozialisiert“ ist, fragt sich auch später nicht aus eigenem Antrieb: Sollte ich mal ins Theater gehen? Das, was ich mir dann doch ansah, weil Freunde mich mal mitschleppten, hat auch nicht recht begeistert. Die Geste der Klage und Anklage ödet mich an, das bemühte Skandalisieren und Provozieren ebenso. In Stücken aus ferner Vergangenheit schlafe ich fast ein, es erinnert mich an den Deutschunterricht, in dem es mir ebenso ging: Was will uns der Dichter damit sagen? Und dann dieses stockende Gewürge, wenn die Lehrerin versuchte, aus den uninteressierten Teenys ein Verständnis im Sinne eines „Zeitbezugs“ herzustellen – meist ohne Erfolg, denn wir lebten ja noch gar nicht „in unserer Zeit“.

Später dann faszinierte mich kurzzeitig die Berliner Schaubühne mit Stücken von Botho Strauss, inszeniert von Peter Stein. Da gab es „Zeitbezug satt“ – meist ging es um das Scheitern von Beziehungen, das ins Leere laufen aller Erwartungen an „den Anderen“, die Personen redeten grundsätzlich aneinander vorbei, und zwar so, dass das auch alle Zuschauer mitbekamen und sich im Spiegel sahen. Zwei, drei mal ist das ganz schön, aber DANN frage ich mich doch: Warum soll ich mir das immer wieder antun? Das „Bewusst machen“ dessen, was ist, ist ein endliches Vergnügen. Ich bin nun mal keine Dauerkonsumentin negativer Gefühle, sehe nicht ein, für den kunstvoll generierten Blick auf Scheitern und Hoffnungslosigkeit auch noch Geld zu bezahlen! Bye bye Theater, ich BRAUCHE dich nicht!

Neulich dann das Renaissance-Theater. Wieder hat mich ein Freund „mitgeschleppt“ und weil es ein Stück mit Mario Adorf war, ging ich das Risiko ein. Es war wider alles Erwarten ganz wunderbar, deshalb erzähl ich hier davon. Aber Achtung: Wer vor hat, das Stück noch anzusehen, sollte besser nicht weiter lesen! Denn es lebt einerseits von den genialen Schauspielern, aber auch von verblüffenden Wendungen, die natürlich nicht mehr verblüffen, wenn man sie schon kennt.

Als denn:

ENIGMA
Zwei-Personen-Stück mit Mario Adorf und Justus von Dohnányi
Regie: Volker Schlöndorff

Ein gealterter Großschriftsteller, Nobelpreisträger, hat sich auf eine Insel im Norden zurückgezogen, um den Banalitäten des Mensch-Seins möglichst ferne zu bleiben. Als sein 21. Buch ist soeben der Briefwechsel eines Liebespaars erschienen, das nur wenige Monate „im realen Leben“ zusammen war. Dann hatte ER, der Protagonist des „Romans in Briefen“ die Trennung verlangt – und dass die beiden ihre Leidenschaft nur noch schreibend leben, um sie so zu erhalten. SIE willigte letztlich ein und der Briefwechsel währte tatsächlich 15 Jahre. Wo er dann ohne Erklärung abbricht.

Einem Journalisten gelingt es, beim Literaturgenie einen Interviewtermin zu bekommen. Der Großschriftsteller hat das zwar vergessen, als er ankommt und schießt zunächst auf ihn – aber der Besucher erreicht das Haus doch noch lebend. („Wenn Sie vor meinem Haus sind, sind Sie der Feind, wenn sie drin sind, mein Gast“).

Es entspinnt sich ein vielschichtiger Dialog mit mehreren „Schocks“, die jeweils die Grundlagen der Situation vollständig verändern. Dabei staunte ich über die drastischen Bezüge zu philosophischen „Netz-Themen“, ohne dass je explizit ein Bezug zu „Real bzw. Virtual Life“ hergestellt wird.

In den Dialogen des Stücks wird Literatur und Leben, Wahrheit und Lüge genial diskutiert und variiert. Das „Erlebte“ bzw. Geschehen der Geschichte ist dann aber weder Wahrheit noch Lüge, ist beides und nichts davon, sondern vollendete Virtualität. Das „Virtuelle“ entfaltet sich in einer Reihe aufeinander folgender „Schocks“, die jeweils die Realität völlig neu und anders darstellen.

Und das geht so:

Eingangs löchert der Journalist den Schriftsteller, er möge doch zugeben, dass der Briefwechsel etwas mit seinem Leben zu tun hat. Was dieser entrüstet abstreitet (Literatur ist „Erfindung“, ist Poesie, nicht schnöder Alltag…) – später aber doch zugibt, um das Interview zu verlängern. Offensichtlich freut er sich doch, mal ein Gegenüber zu haben, ist in Wahrheit nicht ganz glücklich auf seiner einsamen Insel im Norden, wo es sechs Monate Tag und sechs Monate Nacht ist.

Es stellt sich heraus, dass der Journalist aus derselben Stadt kommt (und wohl nur deshalb diesen Termin bekam!), wie die ferne Geliebte des Schriftstellers. Ja, er kennt sie sogar – es ist nur eine recht kleine Stadt.

1. Schock

Auf einmal outet sich der Journalist als Ehemann der fernen Geliebten. Vor 15 Jahren (!) haben sie geheiratet..

Der Schriftsteller ist durch diese Nachricht zunächst etwas verstört, dann aber schwer erbost: War es doch über all die Jahre eine wahrhaftige, intensive und umfassende Kommunikation! Sie schrieben sich täglich, erzählten sich ALLES! Und nun muss er erkennen, dass SIE ihm diese Ehe verschwiegen hat. Er entrüstet sich, hadert, tobt, wütet – und gibt dem Jüngeren auf, ihr all seine Vorwürfe zu überbringen. Sie könne auch gerne alle Rechte und Einnahmen am Buch übernehmen, schließlich sei SIE die Autorin, die Lügnerin!

Der Journalist muss das ablehnen, denn

2. Schock

Helene ist TOT! Nach ihrem Tod hat er die Briefe in ihrem Schreibtisch gefunden. Auch die, die sie NICHT abgeschickt hat. Die, in denen sie mehr Nähe und Miteinander verlangt hat als bloß diese Schreiberei. Er überreicht dem Älteren dessen ungeöffnete Briefe aus den letzten Monaten.

Der Schriftsteller bricht nun zusammen, trauert, bedauert – und willigt ein, seine Insel zu verlassen und dem Witwer in die kleine Stadt zu folgen, um IHR Grab zu besuchen. Betont allerdings, dass er lediglich „wegen Helene“ diese Reise unternehme, dass zwischen ihnen beiden niemals so etwas wie Freundschaft sein könne…

Nichtsdestotrotz lässt er sich von dem Jüngeren die Tasche packen, ist selber zu unbeholfen, das Miteinander wirkt jetzt sehr anrührend, fast liebevoll.

Beiläufig dann, beim Hinaus-Gehen, lässt der Jornalist (der seine Zeitung nur erfunden hat) die nächste Bombe platzen:

3. Schock:

Helene ist tot, ja. Sie starb vor zehn Jahren an Krebs. Er fand die Briefe, schlüpfte in ihre Rolle und schrieb sie weiter – SO blieb sie für ihn noch „irgendwie lebendig“.

Der Großschriftsteller ist nun wahrhaft verstört. Schwer irritiert. Seit zehn Jahren korrespondiert er also nicht mit „Helene“, sondern mit ihrem Witwer! Fassungslos greift er zu Buch 21 und zitiert daraus erotische Stellen (Ich streichle deine Schenkel, spürst du das Kribbeln, dort, wo das Weiche beginnt?): „Und DAS haben SIE geschrieben?“

Ja, er hat. Und fragt unschuldig: „Bei mir ist das so, bei Ihnen nicht?“

**

Was für ein wunderbares Stück! Für diejenigen, die einer klaren Botschaft bedürfen, fällt der Satz „Die Liebe hat kein Geschlecht“. Gewiss, das ist ein Aspekt des Ganzen, doch für mich transportiert es viel mehr. Ich erinnerte mich auf einmal an die Enttäuschung, als ich vor vielen Jahren jemanden traf, mit dem ich bereits Monate lang Mails getauscht hatte. Er war nicht etwa unsympathisch, hässlich, verschroben oder sonst etwas, das meine Enttäuschung hätte begründen können. Er war nur einfach anders als der, den ich mir „imaginiert“ hatte! Deutlich anders. Ich fiel in eine Art emotionales Loch, denn: WO war jetzt dieser Andere, mit dem ich mailend eine starke Beziehung entwickelt hatte? Trauer überkam mich – fast, als wäre jemand gestorben, doch es war im Grunde schlimmer als das: Es hatte ihn NIE GEGEBEN!!!

Wer ist „der Andere“? Hat er eine eigene Wirklichkeit, oder ist er vollständig das, was ich mir erdenke, vorstelle, imaginiere? Die Frage gilt keinesfalls nur in Bezug auf Brief- und Mailbeziehungen, dort ist sie lediglich besonders gut erlebbar. Der ANDERE – bin ich das letztlich selbst? Ein Rätsel, ein Geheimnis: ENIGMA.

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Claudia am 28. März 2004 — Kommentare deaktiviert für Das Irrationale

Das Irrationale

Sonntagmorgen. Die Welt ist seltsam still, der Himmel verhangen, nur selten höre ich ein Auto vorbei fahren. Ich trinke Kaffee, arbeite einige Mails ab, die in der Woche liegen geblieben sind. Starre auf den Eingangsordner, während sich die SPAM- und Virenmails mit ihren voluminösen Anhängen hereinquälen – ob es noch mal dazu kommen wird, dass man gar nicht mehr mailen kann?

Das soll mich jetzt nicht interessieren! Sechs Stunden Zeit liegen vor mir, die ich nutzen will, um liegen gebliebenen Papierkram zu erledigen. Hinterher werde ich ein gutes Gefühl haben: Alles wieder im Griff, alle Bälle zurück gespielt, Behörden und andere „Gegner“ mit Stoff versorgt: ich werde wieder „im Reinen“ sein. Nicht mit mir, aber mit denen, die etwas von mir wollen, das aus dem täglichen Tun heraus fällt.

Warum nur fällt es mir so schwer, diese Dinge rechtzeitig zu erledigen? Warum lasse ich immer wieder kleine und mittlere Stapel auflaufen, die mir dann dieses unangenehme Gefühl des „Ich müsste jetzt aber…“ geben? Je höher so ein Stapel wächst, desto weniger erinnere ich mich an seine einzelnen Vorgänge und Inhalte. Dadurch verstärkt sich das miese Gefühl noch einmal, denn es entgleitet das Wissen darum, „was droht“. Und Ungewissheit ist eine der stärksten Drohungen, der sich das verwaltete Individuum ausgesetzt sieht.

Selber schuld. Immer wieder. Warum mache ich es nicht endlich besser? Es kann doch kein Problem sein, die wenigen Schriftstücke und Formulare, die ich so pro Vierteljahr an die Welt verteilen muss, rechtzeitig zu verfassen! Statt dessen folge ich den Impulsen des Augenblicks – und zwar ganz besonders dann, wenn ich „den Papierberg“ vor mir sehe.

WER ist das, der sich so verhält? Immer, wenn Sein und Sollen (oder auch Sein und Wollen) auseinander klaffen, stellt sich diese Frage neu. Bin ich vielleicht nicht eine, sondern zwei oder gar viele Personen? Diese Antwort kann recht inspirierend sein: Ich gebe den einzelnen Wesensteilen, die sich so unterschiedlich ausdrücken, verschiedene Namen und beobachte, wann sich welcher Aspekt an die Steuerknüppel des Daseins drängt. Anstatt alles, was jenseits des „vernünftigen Denkens“ lebt und handelt, zu verurteilen und wegdrängen zu wollen, schließe ich Frieden mit „Mrs. Hide“. Es fließt dann keine Energie mehr ins Verdrängen und Verleugnen, das ist schon mal ein Fortschritt. Ja, ich bin nicht nur „die Vernünftige“, die immer alles problemlos hinbekommt. Ich bin auch die Ver-rückte, die sich gehen lässt, die nicht ans Morgen denkt und aus dem Augenblick heraus dies und das anstellt – oder einfach nur „stört“, z.B. wenn’s ums Abarbeiten ungeliebter Verwaltungsdinge geht.

Eine andere Antwort wäre: Da ist gar nichts: kein „Ich“ nirgends! Das Ich ist nur ein Gedanke – was ja auch den Tatsachen, den „Hard Facts“ entspricht. Und als Teil des Denkens ist die Wirkungsmächtigkeit dieses Gedankeninhalts eben äußerst beschränkt: es gibt das „Ich“ genauso lange, wie ich es denke. Drastisches Beispiel: Wenn jetzt neben mir der Blitz einschlägt, gibt’s in diesem Moment KEIN ICH. Es gibt nur Gewahrsein und das Geschehen – wobei die Frage, ob Gewahrsein/Geschehen noch zwei verschiedene „Tatsachen der Welt“ sind, philosophisch zwar interessant ist, aber in diesem Augenblick gänzlich unwichtig.

Bringt mich diese Antwort weiter? Ja und nein. Sie ist einfacher als die Vorstellung des „inneren Zoos“, diese Versammlung unterschiedlicher Wesensteile, denen ich ja doch wieder in der Haltung eines „Dompteurs“ gegenüber stehe. Und Einfachheit ist ein hoher Wert. Andrerseits enteignet sie mich weiter: Immer nur im Denken bin „ich“ da – der große Rest ist einfach Geschehen, aus dem heraus immer wieder das Denken aufblitzt. Veränderungen sind nicht machbar, sagte mir heut morgen ein Freund am Telefon. Alles Geschehen verhält sich im Gegenteil so wie ein Fluss: Jahrelang fließt das Wasser über Geröll – und irgendwann ist der Untergrund dermaßen gelockert, dass der Stein ganz plötzlich aus seiner bis dahin festen Lage fällt und in eine neue Situation gerät.

Ich werde jetzt eine Runde um den Block laufen. Und dann, sofern sich das Denken durchsetzen kann, die Umsatzsteuervoranmeldung machen – endlich!

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Claudia am 24. März 2004 — Kommentare deaktiviert für Genug gefastet

Genug gefastet

Eine Woche gefastet, drei Kilo abgenommen, raus aus den achtlosen Gewohnheiten beiläufiger Völlerei. Es war gut, aber für dieses Mal hat es mir gereicht. Fastend erlebe ich eine Verlangsamung, eine „meditative Verinnerung“, die mich psychisch und geistig vom Alltag abzieht. Sie lenkt den Blick auf das Wesentliche, stellt alles in Frage, lässt mich immer wieder inne halten – ein Zustand, den ich am Fasten eigentlich schätze, doch diesmal spürte ich, dass ich ihn nicht verlängern oder vertiefen will. Hätte ich eine Arbeit, die mehr Routine beinhaltet, wäre es vielleicht anders. So aber kehre ich gerne in die „Welt der Essenden“ zurück.

Trotz der Kürze hat mich das Fasten inspiriert: ich verfolge eine neue Idee, die den bisherigen Rahmen meiner Netz-Publikationen erweitern und bereichern wird. Ja, für „etwas Neues“ in 1000 Gestalten ist Fasten genau richtig, es untergräbt die verfestigten Denk- und Fühlweisen des Gewohnten und öffnet für neue Möglichkeiten. Mich dann aber tatsächlich aufraffen, neben dem Alltäglichen auch das Neue umsetzen (und endlich mal meinen aufgelaufenen Verwaltungskram abarbeiten), dazu brauch‘ ich Kraft, Willen, Konzentration.

Ich stellte fest, dass mir fastend das Gefühl der „Kraft“ nicht mehr so ohne Weiteres zur Verfügung stand. Als hätte ich eine Rüstung abgelegt, die ich für den alltäglichen „Kampf uns Dasein“ und auch fürs kreative Spielen brauche. Aus früheren Fastenzeiten weiß ich, dass dieses Empfinden nicht physisch bedingt ist, sondern auf Gedanken beruht. Es schlägt bei längerem Fasten wieder um in andere Formen von „Stärke“. Doch darauf zu warten hatte ich keine Geduld: zu drängend erscheinen mir die Dinge, die ich abarbeiten und angehen muss. Mir fehlt die „äußere Ruhe“, um mich intensiver aufs Fasten einzulassen.

Beeindruckt hat mich auch die soziale Bedeutung des Essens, die erst richtig bewusst wird, wenn ich es mal ein paar Tage weglasse. Was tut man mit einem oder mehreren anderen Menschen, wenn „nichts Besonderes“ anliegt? Man geht essen. Irgendwie reicht es nicht, einfach da zu sitzen und zu reden, es fehlt das gemeinsame Erleben von etwas „Drittem“. Gemeinsam speisen ist das Simpelste, ohne Anstrengungen und Irritationen zu verwirklichen. Alle tun es, es bedarf keiner Begründung. Wogegen fast alle anderen physischen Aktivitäten (laufen, tanzen, Sex, massieren, singen…) eine spezielle Beziehung oder besondere Vorbereitungen und Umgebungen benötigen. „In Bewegung kommen“ ist deshalb erst mal ein einsames Unterfangen, gesellschaftlich kaum unterstützt.

Jetzt werde ich frühstücken. Ein bisschen Obst reicht mir für den Anfang.

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