Claudia am 04. April 2004 —

Berlin – so wunderbar?

Jedes Mal, wenn ich die paar Minuten zur U-Bahn gehe, laufe ich durch die Oberbaum-City. Historische Backstein-Fabriken, vollendet restauriert und modernisiert. Ein großes Schild „In Visionen leben“ gibt den Anspruch vor, mit dem hier mittels viel Geld nach der Wende ein „aufstrebendes Geschäftsviertel“ erbaut werden sollte. Die ganze Gegend hat man auch gleich glasfaserverkabelt – schlecht, denn wenig später kam das Internet, kam DSL, das nun mal die alten Kupferkabel benötigt.

Hof Oberbaum-CityGegen Abend wird die Oberbaumcity mit ihren vielen leeren Läden und Büro-Etagen gänzlich zur Geisterstadt. Der Wachschutz patroulliert, um Vandalismus zu verhindern – aber hierher verschlägt es kaum einen Vandalen. Allenfalls, wenn das MATRIX unter der U-Bahn Freitags und Samstags Jugendliche in Massen anzieht, könnte manch einer die Brunnen-geschmückten Innenhöfe als stilles Örtchen missbrauchen.

Alle reden vom Aufschwung – doch in der Oberbaum-City macht der einzige Italiener dicht, die letzten Büros im Erdgeschoss sind nicht mehr besetzt, Schilder weisen darauf hin, dass man die Möbel preiswert erwerben kann. Pixelpark, das ehemalige Vorzeige-Start-Up, ist zu Fast-Nichts zusammen geschrumpft – was für ein Niedergang eines großen Wurfs!

Laufe ich in die andere Richtung und überquere die Spree auf der Elsener Brücke, bin ich in einer Viertelstunde im Treptower Park. Am Ufer entlang kann man – noch! – eineinhalb Stunden wandern, ein idyllischer Waldweg säumt den Plänterwald, das wichtigste Naherholungsgebiet weit und breit. Mitten hinein plant der Senat, einen Mega-Vergnügungspark errichten zu lassen, der „die Attraktivität Berlins“ steigert. Ein TIVOLI, eine 150-Millionen-Investition, die viele Arbeitsplätze schaffen soll. Zum „Spreepark“, der seit drei Jahren still liegt, weil der Betreiber sich völlig überschuldet nach Peru abgesetzt hat, wird sich das Tivoli, sollte es denn kommen, verhalten wie ein Fußballstadion zum Bolzplatz um die Ecke. Aus mit Ruhe, Naturschutz, Wanderweg, Waldspaziergang. 2000 Parkplätze müssen irgendwohin, der Lärm wird den Wohnwert der ebenfalls als Zukunftsprojekt errichteten „Wasserstadt“ an der nahe gelegenen Rummelsburger Bucht drastisch senken – und natürlich auch der Wohnviertel rundum, aber das interessiert ja sowieso kaum jemanden, der dort nicht lebt.

Etwas dagegen tun?

Soll ich mich da engagieren? Es gibt eine Bürgerinitiative, die sich seit zwei Jahren in Sachen „Vergnügungspark“ für eine umwelt- und umfeldverträgliche Variante einsetzt. Sie scheinen noch nicht mal eine Website zu haben, unglaublich! Ich sehe nur manchmal kleine Zettel an den Bäumen, die zu Spaziergängen einladen, auf denen die Aktiven dem Volk zeigen, was, wenn das Tivoli mal steht, hier alles nicht mehr möglich sein wird.

Der Tivoli-Plan ist eine reine Verzweiflungstat. Wo immer sich die Chance aufs „Klotzen“ zeigt, denkt Peter Strieder, Bausenator und (noch) SPD-Chef in Berlin, nicht groß nach, sondern ist dafür. Andere Investoren, die es ein paar Nummern kleiner vorhaben, werden gar nicht ernsthaft in Betracht gezogen. Die Touristenströme, die so ein Disneyland an der Spree anziehen könnte, erscheinen als „das Rettende“. Sie bringen Geld in die Stadt, und darauf kommt es alleine an. „Rein Lokale Interessen können hier nicht den Ausschlag geben“, heißt es im Senat.

Grad hab‘ ich eine E-Mail an die PDS Treptow geschickt, und um eine Ansprechadresse der Initiative gebeten. Soviel ich sehe, sind die Initiatoren eng mit der PDS verflochten, die ja in Berlin auch mitregiert. Ich will mich informieren, wie der aktuelle Stand der Dinge ist – aber so richtig kann ich mir mich in einer „BI“ nicht mehr vorstellen.

Denn vor Zeiten, in den bewegten 80gern, war ich – damals zwischen 25 und 35 Jahre alt – in zig Stadtteilinitiativen aktiv: für eine mieterfreundliche Sanierung, für Verkehrsberuhigung, für ein Jugend- und Kulturzentrum, gegen Bauspekulanten und Luxusmodernisierung, gegen Dachgeschoss-Ausbau und die Aufteilung der Häuser in Eigentumswohnungen. Es waren wilde Jahre und ich lernte, meine Ellenbogen „für die Sache“ einzusetzen, was zunächst immer bedeutete, in den eigenen Reihen die Machtfrage zu eigenen Gunsten zu entscheiden. Dabei war ich erstaunlich erfolgreich, aber es hat mich über die Jahre auch fertig gemacht. Als Multifunktionärin rund um die Uhr landete ich letztlich in einer großformatigen Midlife-Crisis, rotierte noch ein Jahr als Wirtin einer Kiezkneipe um den Tresen (heute davor, morgen dahinter), und erreichte mit 36 endlich mein ganz persönliches Tief. Ich hatte mich selbst verloren, wusste gar nicht mehr, was das eigentlich ist.

All das steht mir wieder vor Augen, wenn ich an „Bürgerinitiative“ denke. Mal angenommen, ich gehe dahin, dann ja gewiss nicht, um nur einfach mit herumzusitzen und mich zu entrüsten. Ich würde versuchen, meine Ideen, Erfahrungen und Fähigkeiten einzusetzen, würde Vorschläge machen, was man noch tun könnte – und allein damit eckt man natürlicherweise immer gleich an. Denn alles Neue, bisher so noch nicht Gemachte, kann von denen, die schon länger dabei sind, als Kritik verstanden werden. Sie müssen sich ja fragen, und womöglich vor sich selber und vor der Gruppe rechtfertigen, warum sie dies oder jenes bisher nicht SO gemacht haben – und das führt in der Regel dazu, dass man erst mal „dagegen“ ist: gegen neue Ideen, gegen neue LEUTE, die mehr tun wollen, als nur das Vorhandene mit Applaus zu belobigen und brav die vorhandenen Zettel an noch mehr Bäume zu kleben.

Früher hat mich das nicht gestört, im Gegenteil, der „Kampf“ beflügelte mein wachsendes und sich selbst entdeckendes Ego. Entweder ich setzte mich argumentativ durch, oder ich brachte mehr Leute gleichen Geistes in die Initiative, die bei Gelegenheit die etablierten Betonköpfe einfach überstimmten – schließlich haben wir Demokratie!

Auf all diese „Menscheleien“ hab‘ ich heute nicht mehr die geringste Lust. Noch dazu unter den verschärften Bedingungen einer „Ost-Initiative“: da wäre ich ja auch noch die zugezogene Wessi-Frau!

Vielleicht geh‘ ich ja mal hin und schau mir die Leute an. Genau wie beim Kind, das sich die Finger am Feuer verbrannte, ist da so ein Verlangen, das, woran ich trotz aller äußeren Erfolge persönlich gescheitert bin, noch einmal aufzusuchen. Ich glaube allerdings nicht an ein „anderes Engagement“, sehe keinerlei Alternative: entweder ich bleibe draußen, leiste allenfalls mal eine Unterschrift oder spende ein paar Euro, ODER ich geh‘ da rein, engagiere mich und bin binnen kurzem wieder mitten drin in dem, wovon die, die es immer nur von außen sehen, sagen: Politik ist ein schmutziges Geschäft.

Da ich mein eigenes Fühlen und Erleben gerne verallgemeinere (wenn alle so wären, wie ich…), denke ich das zu Ende und lande dann logischerweise im Akzeptieren dessen, was ist, bzw. was mittels der Kräfte des Marktes kommen will. Hier also das Tivoli im Plänterwald. Kein idyllischer Uferwanderweg mehr, sondern 2000 Parkplätze und Lärm von früh bis spät.

Schon komisch, dass diese Aussicht mich tatsächlich weniger graust, als die Vorstellung, wieder in einer „Aktivistengruppe“ um die „richtige Linie“ zu kämpfen. Das eine sind anonyme Strukturen, ökonomische Bedingungen, die nun mal ihre leidhaften Ergebnisse zeitigen – das andere bedeutet konkrete Schläge in die Magengegend, gegen die man sich hart machen muss, will man sich „für die Sache“ durchsetzen.

Ich war schon einmal so verhärtet, dass ich fast daran zerbrach. „Do ist again, Sam“ kommt nicht wirklich in Frage. Vielleicht gibt es in Sachen Plänterwald ja auch genug Jüngere, die GERNE kämpfen – so wie ich vor zwanzig Jahren.

Diesem Blog per E-Mail folgen…