Thema: Lebenskunst, Philosophisches

Reflexionen über Wesentliches

Claudia am 05. Mai 2006 — 6 Kommentare

Über Krankheit schreiben?

Es ist kurz nach elf, ich sollte schon im Bett sein, um vor dem Aufstehen um halb fünf noch ein bisschen Schlaf mitzunehmen. Gegen neun werde ich schon in Wiesbaden sein, bei meiner Mutter, deren letzte Krankheit sich gerade bedrohlich entwickelt. Seit ich das weiß, empfinde ich die eigene Hinfälligkeit in neuer Schärfe: Selten hab’ ich so oft daran gedacht, dass alles sehr schnell vorbei sein kann, was heute noch wichtig erscheint. Ich schaue in den Spiegel und sehe, wie ähnlich ich doch meiner Mutter bin: das Gesicht, dieselbe Mimik und manche Gestik – und auch dasselbe burschikose Verhalten gegenüber dem eigenen Leiden, in welcher Form auch immer es sich gerade zeigt: Bloß nicht jammern, nicht die Laune verderben lassen, nicht zum Arzt gehen, einfach ignorieren – SIE würde das wohl am Liebsten konsequent durchziehen, doch ist das nicht eben einfach, wenn man auf Angehörige angewiesen ist. Weiter → (Über Krankheit schreiben?)

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Claudia am 29. April 2006 — 4 Kommentare

Die Geste des Anlaufs: Ab morgen wird alles anders?

Nein, natürlich nicht! Wenn ich etwas begriffen habe in diesem, nun schon über ein halbes Jahrhundert währenden Lebens, dann ist es diese, recht frustrierende Erkenntnis: Ich bin, was ich geworden bin, und das lässt sich – leider! – nicht mit einem Fingerschnipsen und auch nicht mit heftigsten Bemühungen über ein paar Wochen willentlich ändern.

Wie oft hab‘ ich zum Beispiel mit dem Rauchen aufgehört! Maximal hat es eineinhalb Jahre gehalten, meist aber nur ein paar Monate, oft nur wenige Wochen. Auch der Plan, endlich ein sportlicher Mensch zu werden, mich täglich ausreichend zu bewegen, mich nurmehr gesund zu ernähren (Obst, Gemüse, Vollwert…), hat mich immer wieder zu Lebensveränderungsrundumschlägen motiviert, die für kurze Zeit alles Denken und Fühlen bestimmten, um dann wieder im Alltag zu versanden. Fast geht es nach dem Motto: Je größer der Einsatz, je ernster und aufwändiger die gewünschte Veränderung angegangen wird, desto weniger wahrscheinlich der Erfolg.Dasselbe Spiel im Reich der Arbeit: fast jedes Jahr ein Aufbruch zu neuen Ufern: Ist-Analyse, Ziele finden, Aktivitäten planen, konzentriert und konsequent an den Dingen dran bleiben, nicht bloß die niemals endende To-Do-List als Instrument benutzen, sondern ordentliche Tages-, Wochen- und Monatspläne, damit ich auch weiß, wann ich „fertig“ bin. Der „Ruck“, den ich mir jedes Mal gebe, trägt über ein paar Wochen, dann verliert sich das abenteuerliche Gefühl des Ausnahmezustands und nahezu unmerklich stellen sich die alten Verhältnisse wieder her. Und niemand ist daran schuld außer mir selbst – eine demütigende Einsicht! Weiter → (Die Geste des Anlaufs: Ab morgen wird alles anders?)

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Claudia am 28. April 2006 — 3 Kommentare

Updates und Häutungen

Etliche Wochen sind vergangen seit dem letzten Diary-Eintrag. Ich brachte es nicht mehr über mich, auch nur noch einen einzigen Satz “in der alten Technik” (händisches Codieren!) hier zur Ansicht zu bringen! Nun ist es endlich geschafft: Das Digital Diary läuft ab jetzt auf dem Blogscript WordPress, dass ich meinen Bedürfnissen und optischen Vorstellungen wunderbar anpassen konnte. Wer hier irgendwelche Fehler bemerkt, möge mir bitte mailen!
Niemand braucht wegen der Umstellung befürchten, hier gäbe es nun auch nur noch die aus vielen Blogs bekannten “Texthäppchen”. Der “Content” kommt immer noch von mir, nicht von der Technik, die ihn zur Ansicht bringt. Die Neigung zu längeren Texten werde ich in diesem Leben wohl nicht mehr ablegen, doch freu ich mich auch darüber, dass es nun möglich ist, auch “einfach mal so” von überall aus ins Diary zu schreiben – und nicht erst mindestens fünf Dateien erstellen und mich um die stimmige Navigation kümmern zu müssen. Weiter → (Updates und Häutungen)

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Claudia am 23. Januar 2006 — 3 Kommentare

Vom Schreiben und Erkennen

Heute las ich im Logbuch von Gerd Lothar Reschke den Satz:

„Schreiben will etwas; es hat einen Grund, eine Aufgabe. Es geht um Erkenntnis – und nicht um „mich“, mein Denken, meine Gefühle oder sonstigen Interessen, Wünsche oder Vorbehalte. Und es geht nicht um Kunst, Kultur, „Resonanz“. Es ist die Anwendung eines Instruments auf die Sache – auf die Situation, das Ausgangsmaterial.“

Dieser Satz steht im Rahmen einiger Reflexionen über das Herausgeben von Büchern, darüber, in welcher Weise das den Autor vom „Eigentlichen“ ablenken kann. Fragen der Vermarktung, der Selbstdarstellung und der damit verbundenen Eitelkeiten drängen sich vor, und wer das nicht bemerkt, wird flugs verschluckt von der Eigendynamik des „Geschehens“, wie J. Krishnamurti das Alles-Was-Ist zu nennen pflegte. Weiter → (Vom Schreiben und Erkennen)

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Claudia am 12. Dezember 2005 — Kommentare deaktiviert für Vom Glück

Vom Glück

1997 baute ich das erste Mal eine Website zum Thema Glück. Ich schrieb einen langen Artikel, bekam tief schürfende Lesermail, der ich (händisch!) neben dem Text Platz einräumte, gestaltete das Ganze möglichst mystisch und investierte jede Menge Herzblut in die vielen Details – was für eine nette Erinnerung an bewegte Netz-Zeiten, als noch nicht jede Seite eines Projekts aussehen musste wie die andere!
Inhaltlich aber entlockt mir das meiste, was ich damals schrieb, heute ein großes Gähnen. Ganz nett, recht unterhaltend, stellenweise geistreich und philosophisch, letztlich aber reine Zeitverschwendung: abstraktes Geplaudere über dies und das, wie es sowieso aus allen Medien quillt. Da wird viel spekuliert, was Glück bedeuten könnte oder auch nicht: ein fester Arbeitsplatz, Reichtum, Ruhm und Ehre, Konsum und Erfolge? In pseudo-objektivem, fast journalisitschen Stil und im Duktus eines wolkigen „wir“ schreitet der Text voran, bzw. mäandert recht ziellos von Gegenstand zu Gegenstand, um schließlich das Thema „Glück“ zugunsten anderer interessanter Themen ganz zu verlassen, ohne dies irgendwie zu rechtfertigen.

Das Abenteuer

Letzteres war mein Glück! Das echte, wahre, gelebte Glück der freien Entfaltung im Augenblick: Zum ersten Mal wagte ich es damals, einen Text zu beginnen, ihn auch auszustellen und um Kommentare zu bitten, von dem ich zu Beginn und über weite Strecken nicht wusste, wohin mich all diese Gedanken führen würden. Das war neu, für mich geradezu revolutionär, die ich doch gewohnt war, zuerst zu denkerischen Ergebnissen zu kommen, um dann abzuwägen, ob sie für „die Welt“ geeignet seien. Wie es dem Publizieren im Druck eben entspricht: man schreibt einen Artikel und bewertet dann, ob er die Veröffentlichung wert ist – Unsicherheiten während der Erstellung, mangelnde Stringenz der eigenen Meinungen und allerlei weitere Stolpersteine werden gemeistert, BEVOR man sich mit seinem Werk einer Öffentlichkeit aussetzt.

Mit „Glück“ verließ ich diese ausgetretenen, gesicherten Pfade und fühlte mich wie auf dem Hochseil! Ich agierte ohne den Schimmer einer Ahnung, ob „Glück und mehr – work in progress“ ein katastrophaler Flop werden würde oder ein geniales Textlabyrinth, das alle faszinieren und zum Mitschreiben anregen würde, die damit in Berührung kämen. Ich reihte Sätze aneinander, ohne etwas Bestimmtes sagen zu wollen und freute mich, dass es sich dann doch sinnvoll anhörte: weltkundig, fähig, beschlagen, sympathisch. Ich lernte, dass ich mich auf die allmähliche Entstehung der Gedanken beim Schreiben verlassen konnte, egal, um welchen Gegenstand es sich handelte. „Glück“ im allgemeinen interessierte mich nämlich nicht die Bohne, es ging einzig ums experimentieren, ums publizieren im neuen Medium Internet, in dem ENDLICH jeder selber machen konnte, was er wollte (ja, damals war das noch so!). DAS war der Hammer, das große Abenteuer, das neue Spiel – und „Work in Progress“ das aktuelle Wagnis, der Schritt weiter auf noch unbekannten Pfaden, in dem ich gänzlich aufging – mein Glück eben!

Und das ist es auch heute noch: wenn das Leben nicht einfach so seinen gewohnten Gang geht, wenn ich NICHT fortwährend im Halbschlaf der Routinen agiere, sondern der unergründliche, abenteuerliche, manchmal auch abgründig-absurde Charakter dessen, was ist, spürbar wird: DAS macht mich glücklich! Weil es dem Mysterium entspricht, dem Staunen darüber, dass etwas ist und nicht nichts, wie es die Philosophen in Worte fassten.

Entsprechen

Im Wort „entsprechen“ liegt vielleicht der Schlüssel zum Glück, wie ich es heute verstehe. Es entspricht nicht den Erfordernissen, mir irgend etwas auszudenken, was ich sein, werden oder besitzen sollte, um dann damit glücklich (oder auch nur zufrieden) zu sein. Sondern ich will im „Akt des Daseins“ aufgehen, mit meinen Talenten und Fähigkeiten an passender Stelle das Not-wendige tun – ob es meine Not, deine Not oder unser aller Not ist: egal! Diese Unterscheidungen und Trennlinien sind sowieso reine Einbildung: wie könnte ich glücklich sein, wenn alle um mich her leiden?? Wir sind Primaten und werden uns niemals vollständig vom Wohl und Wehe der „Horde“ lossagen können. Schon der Versuch zeigt an, dass etwas nicht stimmt, dass etwas Wesentliches aus dem Gleichgewicht geraten ist, nämlich die innere Balance zwischen dem individuellen und dem gesellschaftlichen Aspekt.

Wie finde ich nun das, was entspricht? Indem ich hinsehe, was gebraucht wird, und hinspüre, ob ich mich im Tun wohl, bzw. gut und richtig fühle. Es macht mir zum Beispiel Freude, Webseiten zu bauen, neue Projekte zu entwickeln, sie bekannt zu machen und wachsen zu lassen – das ist kein blasser theoretischer Gedanke, sondern gesichertes Wissen aus vielfachem Erleben und fortdauernder Freude an der Arbeit. Wie steht es aber mit der Frage nach dem Inhalt der zu gestaltenden Webprojekte?? Anstatt da nun viel zu grübeln und abzuwägen, was denn von allgemeiner Nützlichkeit und Wichtigkeit sein könnte (vielleicht „Glück“? Das will doch eigentlich jeder… oder nicht?), fände sich die Antwort vergleichsweise leicht in der Serverstatistik. Da steht sehr konkret, was die Welt hauptsächlich sucht, wenn sie auf meine Seiten zugreift, nämlich:

  • Porno für Frauen
  • Tietze-Syndrom
  • Sinn des Lebens
  • Bondage-Geschichten

Seit Jahr und Tag landen Menschen mit diesen Bedürfnissen auf dem Klinger-Web und werden doch nur marginal zu ihrem Wunschthema bedient – mal die Frage nach dem „Sinn des Lebens“ ausgenommen, die durch das Gesamtprojekt ausreichend beantwortet wird (nämlich so: in Sachen „Sinn des Lebens“ sind wir nicht Fragende, sondern geben durch unser Leben täglich selber Antwort).
Bleiben noch „Porno für Frauen“, „Tietze-Syndrom“ und „Bondage-Geschichten“ – warum an selbst erdachten Themen eigenwillig festhalten, wenn es doch so klare Wünsche gibt?
Für den Moment ist diese Betrachtung nur ein Beispiel fürs „Ensprechen“, doch morgen schon könnte ich in die Arbeit an diesen Themen versunken und restlos glücklich sein!

Das „passive“ Glück

Was macht noch glücklich außerhalb des fließenden Werkens und Wirkens, das eine kreative Arbeit bietet? Neben dem Glück in der Aktivität gibt es den anderen Pol: das Glück des Beobachters, bzw. das Gewahrsein und bewusste Genießen dessen, was gerade ist. Dazu braucht es die Fähigkeit, die geistige Kupplung zu treten und den inneren Monolog zu stoppen. Mir gelingt das am leichtesten durch kurze Konzentration auf eine physische Sensation: ein und ausatmen, den Körper spüren – und schon bin ich glücklich, dass es um mich her so angenehm warm ist! Ich genieße die vielgestaltigen Farben und Formen der Umgebung, freue mich, dass gerade keinerlei Schmerzen die Aufmerksamkeit bündeln, gerate gelegentlich in nahezu ekstatische Zustände und fühle unendliche Dankbarkeit, dass ich hier und heute in Frieden und schierem Überfluss lebe.

Der aktive und der passive Zugang zum Glück steht mir zu jeder Zeit offen, doch ist Glück seiner Natur nach nichts Stabiles: mehr oder weniger schnell verwandelt es sich wieder in Richtung Unglück und Leiden. Wäre dem nicht so, könnten wir weder das eine noch das andere wahrnehmen: es ist das Wesen der Polarität, dass es immer nur BEIDE Seiten der Medaille gibt. Oh wie schön, wenn der Schmerz nachlässt – im Grunde ist alles Glück eine Variante dieses Erlebens. (Das größte „gefühlte Unglück“ findet sich denn auch in Gesellschaften, die äußerlich ein reiches und rundum abgesichertes Leben bieten – das Leid kann hier kaum mehr von außen kommen, sondern muss als psychisch-geistige Krankheit von innen an der Seele nagen).

Um die natürliche Flüchtigkeit glücklicher Zustände zu wissen, ihre strukturelle Notwendigkeit zu akzeptieren (es fragt uns eh keiner!), ergibt noch einmal ein tieferes „Glück“: Gelassenheit gegenüber der ständigen Veränderung, innere Unabhängigkeit, Freiheit vom Stress des Strebens, Frieden und ein heiteres Gemüt.

Glückbringende Zweisamkeit?

Und wo bleibt der Mitmensch? Das vielbesungene Liebesglück?? Zweisamkeit, Familie, Gesellschaft? Wer das Glück beim Andern sucht, sitzt einer Illusion auf und richtet sich damit mehr als das übliche Quantum Unglück an. Dass es gewiss die attraktivste der gängigen Illusionen ist, noch dazu im Fall der Verliebtheit körperchemisch heftig unterstützt, ändert nichts am grundsätzlich illusionären Charakter der Vorstellung, unser Nächster sei Glücksgarant oder Lieferant. So zu denken, sich so zu verhalten, bedeutet die Begründung einer (vermeintlichen) Abhängigkeit und das Abwälzen von Verantwortung für den eigenen Seelenzustand auf andere. Irgendwann wachsen wir aus dieser Erwartung heraus oder wir versteinern und verbittern, der Welt ewig böse, weil das Gewünschte nicht zu erreichen ist.

Dass die Natur zu Zwecken der Fortpflanzung und Kinderaufzucht das Verlangen nach dem Geschlechtspartner (als erotischer Gespiele, nicht als Beute!) entwickeln und etablieren musste, zwangsläufig mitsamt dem Gefühl der Einsamkeit und Unvollständigkeit, wenn gerade keiner greifbar ist, bedeutet ja nicht, dass das „gewitzte Tier“, das wir geworden sind, das Spiel nicht eines Tages durchschaut. Nicht unbedingt in jungen Jahren (das wäre eher kontraproduktiv), sondern eher in vorgerücktem Alter, wenn Wahrnehmen und Erkennen gegenüber Handeln und Kämpfen auf dem Vormarsch sind.

Wenn ich mich mal des Abends allein zuhause ein paar Augenblicke unruhig und einsam fühle, dann stell‘ ich mir gerne vor, wie es jetzt wäre, wenn dieser oder jener Freund meines Herzens anwesend wäre. Dann wird mir sogleich klar, dass die vorgestellte Zweisamkeit auch eine negative Seite hat: Für A bin ich eine andere als für B oder C, mit jedem Gegenüber lebt sich ein etwas anderer Teilbereich dessen aus, was ich bin. GANZ bin ich nur mit mir alleine, in der Potenzialität ohne Verwirklichung bin ich der Vollständigkeit am nächsten, bin bei mir zuhause – wie schön.

Seit ich das nicht nur weiß, sondern allein und in jedem Zusammensein auch spüre, empfinde ich keinen Mangel mehr, was andere Menschen angeht. Der Wegfall des Haben-Müssens nimmt einen Stress weg, dessen Abwesenheit auch der Mitmensch wohltuend spürt. Glückliches allein sein ergibt ein fröhlich entspanntes Miteinander – ich kann es nur empfehlen!

Glück – nun hab‘ ich einen ganzen Vormittag mit der Meditation dieses „Schreibimpulses“ verbracht! Zu Weihnachten hin schließe ich so manche Brotarbeit ab und hab‘ wieder etwas mehr Zeit für „geplante Themen“ und andere Kreativ-Arbeit – was für ein Glück!!!

Wenn es mit dem Spruch „Only bad news are good news“ etwas auf sich hat, wird dieser Diary-Beitrag zu den langweiligsten und überflüssigsten gehören, die je geschrieben wurden!

Macht aber nichts – macht mich nur glücklich!

Dieser Artikel wäre vielleicht nur eine Idee geblieben, hätte ihn nicht ein Diary-Leser unterstützt! 1000 Dank! Ich habe die mir so geschenkte „Schreibzeit“ sehr genossen!

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Claudia am 05. Dezember 2005 — Kommentare deaktiviert für Lebenszeichen: Kleine Inventur im Dezember

Lebenszeichen: Kleine Inventur im Dezember

Seit über drei Wochen kein Eintrag! Zwischen schlechtem Gewissen und Schreibblockade schwankend, will ich nun zumindest ETWAS von mir hören lassen: ich arbeite soviel wie noch nie! Mein Arbeitsalltag hat sich mit Übernahme der Pflege einer großen Website sehr stark verdichtet. Noch kämpfe ich um die Beschränkung dieser Arbeit auf ein erträgliches Maß, bzw. auf die vereinbarten 10 Stunden pro Woche. Gelingt mir das nicht, werde ich den Job wieder abgeben müssen, denn davon leben kann ich bei weitem nicht. Weiter → (Lebenszeichen: Kleine Inventur im Dezember)

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Claudia am 08. November 2005 — Kommentare deaktiviert für Der Nase nach – Dufterlebnisse zwischen Terror und Verführung

Der Nase nach – Dufterlebnisse zwischen Terror und Verführung

Jeden Morgen beginne ich den Tag mit einer Kanne Espresso. Aufschrauben, Sieb ausleeren, säubern, Wasser und nicht allzu fein gemahlenes Kaffeepulver einfüllen, zuschrauben, auf den Gasherd stellen. Daneben ein Topf mit einem halben Liter Milch. Wenn der Espresso röchelnd in der oberen Hälfte der Kanne angekommen ist, ist auch die Milch gerade heiß genug. Überhöre ich das Geräusch, kocht die Milch über und der Kaffee verspritzt sich nach und nach quer über die Herdplatte.

Zum Glück passiert das selten, zumindest nicht morgens, denn da ist meine Nase noch nicht vom Zigarettenqualm betäubt und ich werde vom Espresso-Duft, der jetzt durch die ganze Wohnung zieht, in optimistische Stimmung versetzt. Heute werde ich bestimmt alles schaffen, was auf der Todo-List steht! Ich fühle mich stark und aktionsfähig – wär‘ es nur ein „normaler“ Kaffe, wäre die Wirkung nicht vergleichbar. Viele Jahre Italien-Urlaub schon in Kindertagen haben mich auf Espresso geprägt, die normale deutsche Kaffe-Plörre ist mir ein Graus.

Gut riechen – schlecht riechen

Düften und Gerüchen bin ich ausgeliefert, sie gehen am Denken vorbei und beeinflussen das Befinden, ohne mich zu fragen. Vielleicht bedauere ich es deshalb kaum, keine feine Nase zu haben. Mein Yogalehrer konnte so gut riechen, dass seine Schülerinnen und Schüler nur frisch geduscht, geseift, mundgespült und unter Vermeidung von Knoblauch und Zwiebeln am Vortag zu seinen samstäglichen Stunden anzutreten wagten. Und selbst das bot keine Garantie: er roch die Raucher heraus und die Schweinefleisch-Esser, und manchmal nahm er über seine Wahrnehmungen kein Blatt vor den Mund! Ich dachte mir damals: Wenn man auf dem Yogaweg SO empfindlich wird, dann ist das vielleicht gar nichts für mich. Will ich denn leidend durch die Straßen gehen? Staub, Dreck, Autoabgase, Hundescheiße und all die vielfältigen Ausdünstungen der Mitmenschen – gar nicht auszudenken, wenn all das ständig im Vordergrund der Aufmerksamkeit ankäme!

Das waren natürlich nur bequeme Ausreden. Ich war immer nur eine Gelegenheits-Yogini, mal mehr, mal weniger motiviert, doch – abgesehen vielleicht vom ersten Jahr – niemals wirklich bereit, ein „voll gesundes Leben“ zu führen. Immer mal wieder ein Versuch, mit dem Rauchen aufzuhören, kurze Phasen als Fast-Vegetarierin oder Vollwertköstlerin: all das scheiterte alsbald wieder am Alltag, an meiner Trägheit und am Unwillen, mich fortwährend auf „Nebenkriegsschauplätzen“ aufzuhalten.

„Du riechst so gut“ ist ein Kompliment, das mich verlegen stimmt, hab‘ ich festgestellt. Insbesondere, wenn es von Menschen kommt, mit denen ich keine erotische Beziehung habe. „Du stinkst nach Rauch“ ist mir da fast lieber, mit Kritik kann ich umgehen und das Rauchen und seine Folgen ist mir ein gewohnter Stachel im Fleisch. Die exzessive Körperlichkeit der Gerüche empfinde ich als Störung und manchmal als Verstörung. Kein Wunder, dass sich das Riechorgan ganz allgemein zurück entwickelt, es passt nicht mehr so gut in eine Zeit, in der das Auge alles dominiert und die Mehrheit der Menschen in die Städte strebt, deren riesige Dunstglocken erst aus der Entfernung drastisch sichtbar werden. In den zwei Jahren, die ich draußen auf dem Land verbrachte, war jeder Berlinbesuch von „Eingangskopfschmerzen“ begleitet: jetzt roch ich, was ich sonst nicht bemerkte – und es war NICHT gut so!

Riechen als Leiden – seltsam, dass mir das zuerst einfällt, wenn ich daran denke. Schließlich gibt es jede Menge angenehmer Düfte und Gerüche: der erste Frühling, wenn langsam die Erde aufweicht und das Grün zu sprießen beginnt, die Baumblüte im Mai, die reine Luft nach einem Sommerregen! Und dann Weihnachten, Lebkuchengewürze, angekokelte Tannenzweige, ein Duftmix, den man ab Oktober in manchen Supermärkten riecht. Nicht natürlich entstanden, sondern gemacht, auf dass – am Denken und an der Einkaufsliste vorbei – die Kunden von der Lust auf Schokoladennikoläuse und Christstollen ergriffen werden mögen. Mich vertreibt das eher, als dass es mich anregen könnte, genau wie ich den Geruch in Kaufhäusern hasse, dieses Konglomerat aus allerlei Parfüm, das heute zum Einkaufserlebnis gehört wie der Duft von Leder oder Latex zu einem „ordentlichen Fetisch-Outfit“.

Im kollektiven Kindergarten

Der Duft der Zeit ist Vanille. Vilém Flusser hat die gesellschaftliche Entwicklung als – im negativen Fall – zum kollektiven Kindergarten hin strebend beschrieben, und mir scheint, die exzessive Verwendung des Vanille-Aromas deutet darauf hin, dass dieser negative Fall lange eingetreten ist. Kaum mehr ein Tee ohne Vanille-Touch, zu Marmelade und Fruchtaufstrichen passt das eigentlich nicht, wird aber nichtsdestotrotz immer häufiger beigemischt. Oft merke ich es erst, wenn es zu spät ist! In Süßigkeiten, Joghurts, Cremes, löslichem Kaffe, in Haarwaschmitteln und Bodylotions, im Weichspüler und in Duftkerzen: Vanille ist überall, erinnert unvermeidlich an die schöne Zeit im Sandkasten, als wir nach sinnlicher Lust strebten, keine „richtigen Sorgen“ hatten und im besten Fall geborgen in einer harmonischen Familiensituation wie aus der Margarine-Werbung unbeschwerte Kindertage verlebten. Je mehr Vanille-Duft in der Luft liegt und aus den Dingen strömt, desto schlechter ist es um das Land bestellt, denke ich mir. Unser Gemüt soll sich beruhigen und in archaischen Wohlgefühlen schwelgen, während die Zeiten härter werden. Vanille überall ist politisch, wenn es auch keine Verschwörung gibt, die hier zum einschläfernden Duftangriff bläst.

Alles in allem bin ich froh, keine allzu sensible Nase zu haben. Meine Versuche in jungen Jahren, mich mittels irgend eines der zahlreichen Parfüms zu besonderen Gelegenheiten etwas weiblicher zu stylen, scheiterten schon an der Unfähigkeit, einen passenden Duft auszuwählen. Hatte ich drei oder vier auf dem Handrücken ausprobiert, roch ich schon nichts mehr, bzw. nur noch intensives, sehr fremd stinkendes Geruchschaos. Ich ließ es bleiben und fand mich damit ab, den Ansprüchen der Frauenmagazine auch in diesem Punkt nicht zu genügen. Neuerdings trifft der Duftstress ja auch die männliche Hälfte der Menschheit, der mit aller medialen Macht suggeriert wird, es brauche nur das richtige Deo, und schon werde die holde Weiblichkeit vor Verlangen nur so dahin schmelzen. Und für HardCore-Duftgläubige gibt’s Pheromone, damit konnte man zu Anfang des Hypes als Internet-Versender richtig reich werden, genau wie mit „Penisverlängerung“.

Trotz aller Ablehnung diverser Duft-terroristischen Anschläge auf mein limbisches System, nutze ich gelegentlich selber Räucherstäbchen und ätherische Öle – sie dürfen aber weder nach Vanille noch nach Patschuli riechen, der Duft aus alten Hippie-Tagen, der vielen recht verhasst ist. Wenn Besuch kommt, lüfte ich die Räume, auf dass der Zigarettenqualm sich weitmöglichst verziehe, den Rest erledigt ein glimmendes Sandelholzstäbchen. Auch Zitrone, Melisse oder Orange reinigen die Luft. Das „Zitronige“ darf allerdings nicht dominieren, wenn es ein erotischer Anlass ist: dann mische ich eher Ylang Ylang bei, auch mal Moschus oder Rose. Alles ein bisschen weniger intensiv, als es für mich „richtig“ wäre, denn dann wäre es für meinen Gast mit der Nichtrauchernase schon wieder zuviel. Ihn selber rieche ich am liebsten „im Original“, ohne dass sich ein künstlicher Duft allzu sehr vordrängt, wenn wir uns sehr nahe kommen.

Jetzt ruft mich die Arbeit und dafür koche ich mir die zweite Kanne Espresso des Tages. Die rieche ich schon deutlich weniger als die erste, hoffentlich überhöre ich über dem Lesen der ersten Mails das „Röcheln“ nicht wieder! Wenn ich dann eines Tages auch noch schwerhörig bin, installiere ich mir eine digitale Eieruhr – Sinnlichkeit ist wunderbar, aber man kann sich behelfen! :-)

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Claudia am 02. November 2005 — Kommentare deaktiviert für Statusmeldung: Von der Schwierigkeit, in Bewegung zu bleiben

Statusmeldung: Von der Schwierigkeit, in Bewegung zu bleiben

Es ist kurz vor acht, ich versinke in einer Email, lese einen eigenen Text von gestern noch mal durch, mache einen Abstecher auf die Themenliste der gesponserten Diary-Beiträge – es ist die morgendliche Suchbewegung, die Freude an der geistigen Wachheit, die ein Feld sucht, das jetzt gepflügt werden will. Kein konkretes Verlangen stört die Offenheit, keine Hektik kribbelt im Körper, noch bin ich nicht getrieben von dem, was heute muss – ein wundervoller Zustand, der mir in den letzten zwei Wochen kaum zugänglich war.

Mit Arbeit zugeschüttet – schon erstaunlich, wenn man bedenkt, dass die so Zugeschüttete sich noch im September inmitten einer „Krise der Arbeit“ befand, finanziell am Tiefpunkt, noch 300 Euro vom Dispolimit entfernt und ziemlich ratlos, wohin die Reise gehen soll. Ich war am Ende der gewohnten Praxis angelangt, die Dinge einfach auszusitzen, mich aufs „tatsächliche Befinden“ zu konzentrieren und mir vorzumachen, Zahlen auf Kontoauszügen seien ja doch nur Zeichen, von mir selbst mit Bedeutung aufzuladen oder auch nicht. Ich musste mir eingestehen, Angst zu haben, existenzielle Angst um mein gewohntes, selbst bestimmtes Leben, um meine für eine Hartz4-Existenz zu große Wohnung, um mein weiteres Fortkommen, das im Dunkeln lag und von dem ich nur wusste: ich will nicht fort, ich will DA bleiben, wo ich gerade bin!

Einen Status verteidigen, die Besitzstände wahren – wie oft hatte ich über solches Denken und Fühlen gelästert, nun aber war es höchste Zeit, mich darauf zu besinnen! Die Frage „was tun?“ kreiste in meinem Kopf und versuchte, sich gegen die spirituelle Matschbirne durchzusetzen, die vom „Tun des Nicht-Tuns“ faselt und glaubt, sich in den Augenblick (hier & jetzt!) retten zu können, indem handfeste Probleme einfach ausgeblendet werden. Was nicht „von selbst“ geschieht, kann gar nicht gut sein – das ist ihr Credo, damit verweigert sie trickreich Anstrengungen jenseits bekannter Aktionsfelder, bestätigt den Konservatismus gewohnter Verhaltensrepertoires, macht träge und schwach. Es soll Menschen geben, die diese Haltung soweit treiben, dass sie allen Ernstes darauf warten, dass sich in ihrem Briefkasten Geldscheine materialisieren!

Wer bin ich?

Wer versucht, seine Alltagsperson mit ihren Bedürfnissen und Not-Wendigkeiten aus dem großen „Selbst“, von dem alles kommen soll, auszuschließen, sitzt einem bequemen Missverständnis auf. Der Ich-Gedanke ist nur einer unter vielen Gedanken, ja – aber die Miete muss dennoch gezahlt, der Müll trotzdem raus getragen werden. Jeder Körper befindet sich im Stoffwechsel mit seiner Umwelt und hat gelegentlich Anpassungsleistungen zu vollbringen, die sich als „Kampf ums Dasein“ darstellen. Will man dem immer nur ausweichen, die gewohnte Ruhe bewahren, in meditativen Schonräumen geistiges Ikebana treiben anstatt zu tun, was anliegt, dann wird man alsbald zum bloßen „Opfer der Verhältnisse“ – und nicht etwa frei! Verhältnisse, gute und schlechte, entstehen aus dem Verhalten von Menschen. Sich raushalten ist kein Programm, sondern ein Sich-drücken-wollen, das zu immer bedrückenderen Situationen führt.

Wer immer auf derselben Stelle sitzen bleibt, dem verkümmern die Muskeln, Bewegung wird zur Zumutung, später zur Qual. Würde ich immer wie ein Fettauge auf reichhaltiger Suppe schwimmen, gäbe es keinerlei Herausforderungen, ich würde mich nicht weiter entwickeln, sondern zusammen schrumpfen, verknöchern und versteifen.

Solche Betrachtungen waren es allerdings nicht, die mich schließlich in Bewegung versetzten, sondern einfach der Druck der finanziell katastrophalen Lage. Mit dem Durchbrechen der Gewohnheit, über Geldprobleme nicht zu sprechen, stellte sich sofort die gewisse Abenteuerlust ein, die mich ergreift, wenn ich Neuland betrete, das auch Risiken birgt. Ungewohnt war auch der nächste Schritt, das JA zu einem „unselbständigen“ Minijob an zwei Tagen pro Woche. Wenig aber regelmäßig eintreffendes Geld, dafür Rädchen im Getriebe sein, weisungsgebunden, nicht kreativ Neues erschaffend, sondern Vorhandenes pflegend. Von einem schicken Laptop, den ich nur besaß, aber nicht benutzte, hab‘ ich mich ohne größeres Bedauern getrennt, dann folgte eine umfassende Inventur all meiner Aktivitäten: was tue ich und was will ich künftig tun? Was soll dabei heraus kommen? Womit will ich Geld verdienen und was tue ich „just for fun“? Wie eine Existenzgründerin erstellte ich Listen, überlegte Ziele und Zwecke und die Wege dahin.

Und „wie von selbst“ erfuhr ich Unterstützung von den verschiedensten Seiten! Ein neuer Kunde mit einem interessanten Web-Projekt fand sich ein und machte eine Anzahlung; der mehrfach verschobene Schreibimpulse-Kurs zum Thema „Altern“ kam auf einmal doch zustande, ein Freund meiner Texte trat in mein Leben und bot mir einen zinslosen Privatkredit an, Diary-Leser sponserten bis heute zwölf Beiträge. Und als ich eines Morgens gänzlich unerwartet ein paar größere Scheine im Briefkasten vorfand, Morgengabe eines langjährigen Geliebten, war ich wirklich hin und weg!

Wach bleiben, dran bleiben

Würde ich mich unter diesem ermunternden Schulterklopfen der Existenz nun wieder dem gewohnten Dämmerschlaf hingeben, in leicht geänderten Routinen versacken, Business as usual betreiben, dann wäre ich schnell wieder da, wo mich die Finanzkrise erwischt und in Bewegung versetzt hat. Dreh- und Angelpunkt nachhaltiger Veränderung ist in meinem Fall die (tätige!) Auseinandersetzung mit dem Willen und der Motivation. Die darf sich nicht darin erschöpfen, lediglich für ein ausgeglichenes Konto und eine gewisse Verstetigung des Einkommens zu sorgen, um ansonsten ungestört „im Augenblick leben“ zu können. Das JETZT ist nicht der Urlaub, in den man geht, wenn alles getan ist, jetzt ist genau hier, vor diesem Monitor, im Schneidersitz auf dem Stuhl, im vollen Gewahrsein der sich anbahnenden Nackenverspannung und des leichten Ziehens im rechten Oberarm.

Wenn ich weiß, was ich will und warum ich hier sitze, dann bin ich im Stande, auch mal aufzustehen und ein paar Übungen zu machen, um es ohne Schaden noch länger tun zu können. Geht es aber nur um den Cash-Flow, ums Vermeiden einer Hartz4-Existenz, trägt mich das nicht weit, bzw. eben nur bis zur Abwendung der aktuellen Gefahr. Dann folge ich wieder den 10.000 Impulsen, die der Tag für mich bereit hält, wünsche nichts, fürchte nichts, gehe häufig in die Sauna und schreibe darüber, wie nett das ist – bis mich die nächste Krise erwischt: eine neue Ohrfeige der Existenz, weil ich unterhalb meiner Möglichkeiten verharre, Herausforderungen vermeide und versuche, mich im Gemütlichen einzurichten.

Was tun?

Oft schon habe ich darüber geschrieben, dass man seinen Däimon finden muss, um in kreativer Bewegung zu bleiben, habe Käferforscher beneidet, die ihre Lebensaufgabe genau kennen, habe beklagt, dass ich zwar mit der Liebe zur Arbeit geschlagen bin, aber auch unfähig, mich zwischen allerlei möglichen Engagements zu entscheiden. Drüber reden reicht ja meistens schon, dann fasziniert wieder das nächste „mögliche Projekt“ und heraus kommt nur selten etwas. WARUM sollte ich denn auch zusätzliche Anstrengungen machen, wenn doch das Konto bei 1500 steht und die Auftragslage den übernächsten Monat bezahlbar erscheinen lässt? Mehr Sicherheit hatte ich nur selten im Leben und Jahre lang hat es doch so geklappt, was spricht dagegen, so weiter zu machen?

Nichts. Nichts und niemand spricht dagegen. Ich bin es ganz allein, die hier antworten muss. Und es hilft dabei gar nichts, zu wissen, was „man tun sollte“!

Da gerade mein Kurs übers Altern läuft, schiebt sich jetzt wie selbstverständlich der Gedanke an „Altersvorsorge“ ein. Ja, ja, warum soll ich nicht auch endlich vernünftig werden, an die Zukunft denken, mehr Geld verdienen und ordentlich vorsorgen? Nichts dagegen, aber als einziges Ziel täglichen Strebens scheint mir Altersvorsorge ebenso untauglich wie „Hartz4 vermeiden“ – da zieh ich mir lieber eine interessante Krankheit zu und sterbe vorzeitig weg! Ich brauche einfach diesen Hauch von Abenteuer, der nur aufkommt, wenn es um etwas geht, das mich begeistert und erfüllt. Bloßes Bemühen um Absicherung der Bestände kann das niemals leisten.

Lange Zeit hab‘ ich schon nichts mehr Neues angefangen, weil ich mir selbst nicht traute. Diese fluktuierenden, unzuverlässigen Begeisterungen für die eine oder andere Idee, die mich recht häufig anwandeln und schnell wieder verschwinden – sollte ich einer davon aufsitzen? Etwa so, wie ich auch in meinen wenigen Begegnungen mit Geldspielautomaten lieber die Stop-Taste drückte, anstatt zu warten, bis die wirbelnden Scheiben zum Stehen kommen? Am Automaten kassiert oder verliert man immerhin gleich, im richtigen Leben aber geht es nach der Entscheidung erst richtig los: Konzepte werden Projekte, Realisierungen binden, die anfängliche Begeisterung weicht der Ernüchterung und die Mühen der Ebene müssen durchgestanden werden. Ja wie denn? So ganz ohne eine drückende Not oder treibende Gier?

„Wir haben das Glück erfunden“ – sagen die letzten Menschen und blinzeln.
Sie haben die Gegenden verlassen, wo es hart war zu leben: denn man braucht Wärme. Man liebt noch den Nachbar und reibt sich an ihm: denn man braucht Wärme.
Krank-werden und Misstrauen-haben gilt ihnen sündhaft: man geht achtsam einher. Ein Thor, der noch über Steine oder Menschen stolpert!
Ein wenig Gift ab und zu: das macht angenehme Träume. Und viel Gift zuletzt, zu einem angenehmen Sterben.
Man arbeitet noch, denn Arbeit ist eine Unterhaltung. Aber man sorgt, dass die Unterhaltung nicht angreife.
Man wird nicht mehr arm und reich: Beides ist zu beschwerlich. Wer will noch regieren? Wer noch gehorchen? Beides ist zu beschwerlich.

Mit diesem Auszug aus Nietzsches „letztem Menschen“ mach ich für heute Schluss. Den hab‘ ich schon öfter zitiert in all den Jahren, mal im Gestus der Empörung über seinsvergessene Mitmenschen, mal als Selbstverspottung oder Ermahnung. Heute aber freu‘ ich mich einfach daran, wie gut der Text passt – zu einer Daseinsweise passt, die ich bis ins letzte Detail aus eigenem Erleben kenne. Auf einmal sehe ich die ganze ausweglose Perfektion des „letzten Menschen“ – aber ich schaue von außen darauf, es geht mich nicht mehr an.

Was daraus folgt, muss ich erst erleben, bevor ich drüber schreiben kann – ich hoffe mal, es wird nicht ZU beschwerlich! ;-)

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