Claudia am 15. August 2019 —

Ein Kommentar zu „Wann beginnt Rassismus?“

Da mein Kommentar zum Artikel „Wann beginnt Rassismus?“ auf „irgendwie jüdisch“ nicht angenommen wird, veröffentliche ich ihn eben hier. (Beim Absenden erscheint nur die Systemmeldung „Spam deleted“, warum auch immer). Da man nie weiß, wie lange ein Link funktioniert, beginne ich mit einem Langzitat, das klar macht, worauf ich mich beziehe:

„Im Gegensatz zu vielen Menschen, die in den letzten Tagen und Wochen durch die deutsche Medienlandschaft geistern und ihre Meinung dazu kundtaten, was Rassismus sei – durchweg natürlich als nicht Betroffene, oft weiße sehr priviligierte Männer, bin ich angesichts dessen nur eines: fassungslos. Mehr und mehr erkenne und erlebe ich diesen merkwürdigen Impuls von Nichtbetroffenen, diejenigen nicht zu befragen, die auf die Frage, was Rassismus sei und wann er beginnt, als einzige Auskunft geben könnten bzw. deren Aussagen zu anzuzweifeln, meist in der Art: “Das habe ich noch nicht erlebt, ich glaube das nicht.” Im Übrigen ein Impuls, der auch in Zusammenhang mit Antisemitismus gern geweckt wird.

So diskutiert man allen Ernstes, wie rassistisch Tönnies ist, ob überhaupt und definiert sich merkwürdige Rassismustheorien zusammen. Fakt ist: jemand der sich rassistisch äußert, ist rassistisch. Da gibt es keine Diskussion, keine Fragen, nichts.“

Die Erfahrung Anderer zu leugnen ist falsch, aber nicht dasselbe, wie selbst seinen Senf zum Thema dazu zu geben!

In den sozialen Medien haben alle die Möglichkeit, sich zu äußern – also auch zum Thema Rassismus, ungeachtet der eigenen Betroffenheit. Im TV ist diese Kritik berechtigter, wenn etwa ein Kommentator „von oben herab“ Unsinn salbadert (ohne Möglichkeit der Widerrede an gleicher Stelle)- aber eben nicht in der allgemeinen Diskussion.

Ich denke, jeder wache Mensch in diesem Land hat Rassismus schon mitbekommen, auch ohne selbst betroffen zu sein – kann dazu also auch eine Meinung haben und diese äußern.

Zudem hat der Begriff „Rassismus“ nun mal eine bestimmte Tradition, die bei vielen Älteren noch verwurzelt ist, nämlich den Bezug auf „Rasse“. Wobei es – wissenschaftlich lange klar – „Rassen“ bei Menschen gar nicht gibt.

Wenn dann also z.B. die Diskriminierung Türkisch-stämmiger Deutscher zur Debatte steht, lehnen viele es ab, das „Rassismus“ zu nennen – nicht etwa als Leugnung der real existierenden Diskriminierung, sondern wegen Kritik an der Ausweitung des Begriffs auf Weiße. Aus Gründen heißt es ja bezüglich jüdischer Menschen „Antisemitismus“ und nicht „Rassismus“.

„Fakt ist: jemand der sich rassistisch äußert, ist rassistisch.“

Sorry, aber dieses Statement ist eine unsinnige Aussage, denn eine Definition (hier: „rassistisch“) darf den zu definierenden Begriff nicht selbst enthalten. Dann ist es nämlich keine!

Energieraubende Auseinandersetzungen über den Begriff „Rassismus“ wären überflüssig, würden sich alle darauf besinnen, dass es um Diskriminierung, Menschenverachtung, gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit geht, die in allen Varianten abzulehnen und zu bekämpfen ist. Das ist schließlich viel wichtiger als der Streit um Worte!

***

Ergänzend füge ich hinzu, dass die Äußerungen dieses Tönnies für mich unzweifelhaft rassistisch waren. Der Blogpost dreht sich aber gar nicht um diese konkrete Äußerung, sondern trifft verallgemeinernde Aussagen zur immer wieder aufflammenden Debatte rund „Rassismus“, denen ich so nicht zustimme.

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Diskussion

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13 Kommentare zu „Ein Kommentar zu „Wann beginnt Rassismus?““.

  1. Ich habe mir vor einem knappen Jahr dazu ein paar Gedanken gemacht und versucht, die Sache zu systematisieren. Ich erlaube mir mal, diesen Versuch zu verlinken. ;-)

  2. (Noch etwas, das mir gerade einfiel: Wenn nur Betroffene darüber entscheiden können, was Rassismus ist, dann dürfen Unbeteiligte auch nicht einschreiten, in Schutz nehmen, verteidigen, wenn sie Zeuge rassistischer Umtriebe werden; noch dürfte dann jemand in Stammtischdiskussionen Widerworte gegen rassistische Äußerungen erheben. Denn Interventionen solcher Art setzen ja voraus, daß ich erst einmal selbst beurteilen muß, ob Rassismus vorliegt. Wenn mir das versagt wird, kann ich auch nicht intervenieren.)

  3. @Solminore: du sagst es! Aber solche einfach logischen Zusammenhänge werden heute kaum noch gesehen.

    Wobei es natürlich ein Unterschied ist, ob man irgendwo einschreitet – ODER ob man einer Person, die sich grade über selbst erlebte Diskriminierungserfahrungen beschwert, nun eine Diskussion aufdrängt, ob es nicht eher „Fremdenfeindlichkeit“ und nicht „Rassismus“ heißen müsse. Da wäre Anteilnahme und Verurteilung der Täter doch eher angebracht!

    Mir fällt übrigens oft auf, dass es mehrheitlich weiße, studierte oder studierende Leute sind, die sich in dieser Debatte als besonders radikal im Sinne von „das dürfen nur die Betroffenen entscheiden“ hervor tun. Ein schlichter Standpunkt, mit dem man sich immer auf der richtigen Seite wähnen kann, ohne sich auf womöglich komplexe Diskussionen einlassen zu müssen.

  4. @Claudia: Das sind die ganz gewöhnlichen Gebote einer einfühlsamen Kommunikation, nicht wahr? Wer einen Freund bei einem Unfall verloren hat, dem erkläre ich ja auch nicht zuerst die Unfallstatistik oder belehre ihn über die Physik des Unfallhergangs. Das sollte sich verstehen, unabhängig vom Thema des Diskurses.

    Es scheint mir aber wichtig, solche definitorischen Diskussionen zu führen. Man kann sich ja nur verständigen, wenn überhaupt klar ist, worüber man eigentlich redet. Das bedeutet, man kommt um Analyse und Begriffstrennung nicht herum, gerade, weil es jede Menge Leute gibt, die, von der einen wie von der anderen Seite, mit unscharfen Begriffen Demagogie betreiben (oder Profilaufwertung). Siehe diesen unsäglichen Fragebogen, der in meinen Augen nichts als (gut gemeinte, aber trotzdem) Propaganda war. Es wimmelt darin von Ungenauigkeiten, Widersprüchen und Mißverständnissen. Ich finde es immer schlimm, wenn für eine gute Sache mit fragwürdigen Mitteln gefochten wird. Fragwürdige Mittel bleiben fragwürdig, egal wie gut die Sache ist; und man ist in keiner guten Position, wenn man dieselbe Demagogie anwendet, derer man seine Gegner beschuldigt.

    Noch eine Spitzfindigkeit kann ich mir nicht verkneifen. Wenn nur Opfer von Rassismus entscheiden dürfen, was Rassismus ist, dann muß vorher geklärt werden, wer denn Opfer von Rassismus ist. Dafür muß aber zuerst geklärt werden, was Rassismus ist. Das aber dürfen nur Opfer des Rassismus entscheiden. Die Sache dreht sich im Kreis. Man kommt um eine unabhängige Begriffsklärung nicht herum.

  5. (Noch was vergessen, Entschuldigung. Ijoma Mangold, keniastämmiger Chef des ZEIT-Feuilletons, hat sich vor einem halben Jahr sehr klug zur vorliegenden Frage geäußert.)

  6. @Solminore
    Zu deiner „Spitzfindigkeit“: das ist doch kein Problem, denn „das Opfer hat die Definitionsmacht“, kann sich also selbst als Opfer positionieren. So umschifft man jegliche geistige Anstrengung, öffnet aber dem Missbrauch der „Definitionsmacht“ gewaltig große Tore. (Was, du willst nicht mit mir ….? Du Rassistin!)

  7. ….“Energieraubende Auseinandersetzungen über den Begriff „Rassismus“ wären überflüssig, würden sich alle darauf besinnen, dass es um Diskriminierung, Menschenverachtung, gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit geht, die in allen Varianten abzulehnen und zu bekämpfen ist.“

    So sehe ich das auch!

  8. Tönnies Aussage habe ich ebenfalls als rassistisch bezeichnet. Ist Tönnies deshalb ein Rassist? Diese Frage kann nur derjenige beantworten, der den Mann kennt. Ich bin mit Männern befreundet, die einen Mann aus unserer Gruppe – auch ein sehr guter und langjähriger Freund – jahrelang als Spaghetti bezeichnet haben. Er ist Italiener geblieben. Die deutsche Staatsangehörigkeit hat er nicht angenommen. Ich habe gesagt, was ich von den dummen Sprüche hielt. Jahr hats gedauert bis es aufhörte.

    In der Fischer – Kolumne im Spiegel schreibt dieser:

    Eine afrikanische Managerin sagt auf der Handwerksmesse in Nairobi: „Statt uns zu belehren, sollten die Europäer weniger Plastikmüll erzeugen und ihren Kindern weniger Autos kaufen“. Muss die Frau wegen Rassismus aus allen Ämtern entfernt werden?

    Ist Fischers so genannte „Gegenprobe“ wohl ernstgemeint?

  9. @Horst: Was für eine absurde Gleichsetzung! Manchmal fand ich Fischers Artikel (du meinst den Juristen, denk ich mal) nicht schlecht, aber langsam wird er immer verstiegener und extremer.

    Tönnies Äußerung wäre noch nicht einmal passend verglichen mit „Wenn du durch Polen fährst, pass auf dein Auto auf!“, denn das Mem/Vorurteil/Klischee, auf das angespielt wird („alle Polen sind Autodiebe“), macht sich eben nicht an der Hautfarbe (vulgo: Rasse) fest. Sondern spielt auf etwas an, das – von der immer unwahren Pauschalisierung mal abgesehen – allenfalls mit der sozialen Lage in einem bestimmten Land etwas zu tun haben kann.

    Tönnies Äußerung ist dagegen rassistisch, weil es die uralte „Angst vorm schwarzen Mann“ mit seiner vermeintlichen sexuellen Überaktivität bedient.
    Das so etwas einem gebildeten Menschen heute noch unterläuft, ist schon skandalös und ich hätte das nie angenommen! Schließlich ist allgemein bekannt, dass „zu viele Kinder“ nicht an „zuviel Sex“ liegt, sondern am mangelnden Zugang zu Verhütungsmitteln und nicht vorhandener sozialer Absicherungssysteme. Zustände, an denen z.B. auch die katholische Kirche großen Anteil hat.

  10. Fischer scheint aus Prinzip dagegen zu sein. Dazu passt seine „Gegenprobe“ exzellent. :-) Ich habe Tönnies Bemerkung in meinem Blog ebenfalls als rassistisch bezeichnet. Der Anteil der katholischen Kirche ist zwar unbestreitbar. Aber ein Blick auf die in bevölkerungsreichen Ländern dominierende Religion wäre dennoch fair. In Nigeria besteht „nur“ die Hälfte der Einwohner aus Christen, die andere aus Muslimen. Wir reden in Deutschland zwar vom Pillenknick aber https://www.spiegel.de/wissenschaft/medizin/datenlese-pillenknick-nicht-verantwortlich-fuer-geburtenrueckgang-a-959087.html.

    Die in Afrika vermutlich fehlende soziale Absicherungssystem (ich weiß nicht, ob es dort inzwischen welche gibt) hat dazu geführt, dass Kinderreichtum u.a. die Chance bietet, den Menschen im Alter ein halbwegs abgesichertes Leben zu führen. Die dort im Vergleich immer noch hohe Kindersterblichkeit wird dazu führen, dass auch die Geburtenrate entsprechend ist. Die Lebensumstände in Afrika in der Art zu verkürzen und zu entstellen, wie Tönnies das getan hat, ist also kritikwürdig. Aber wenn sich einer für einen Fehler entschuldigt, sollte es auch mal gut sein. Ich finde es fragwürdig, wenn Linke einfach behaupten, solche Äußerungen – egal unter welchen Umständen sie auch zustandegekommen wären – ließen auf den Charakter eines Menschen (auf den Rassisten) schließen. Das ist absoluter Mist und leider typisch für linke Gutmenschen. Ein falsches Wort und man ist Rassist, Nationalist, Nazi oder Klimaskeptiker.

    Es passiert jedem mal, dass er sich vergaloppiert und etwas sagt oder schreibt, für das er sich nachher schämt. Mir jedenfalls.

  11. Hallo Claudia,
    dein Kommentar ist inzwischen auf „irgendwie jüdisch“ erschienen.

    Finde deinen Beitrag und die hier angezeigten Kommentare, hinsichtlich der Frage : „Wann beginnt Rassismus“, sehr befruchtend.

    In dem lesenswerten Beitrag hier:
    https://taz.de/Von-moralischem-Totalitarismus/!168884/
    sagt Svenja Flaßpöhler u.a.:
    „Wenn an die Stelle von Argumenten Gefühle treten, ist an Diskutieren nicht zu denken. Das würgt alles ab.“
    @Solminore hat das sehr erhellend auf den Punkt gebracht. :-)

  12. @Ute: danke für den Hinweis und den Link. Flaßpöhler finde ich insgesamt erfrischend, die traut sich was!