Claudia am 12. Mai 2014 —

Warum wir nicht auf die Straße gehen

Zuerst sei gesagt, dass mir das „auf die Straße gehen“ nicht fremd ist, zumindest nicht im DEMO-Format. Ich gehöre einer Generation an, die ihre weltverbessernden Forderungen auf vielerlei Demonstrationen zu Gehör gebracht hat – und durchaus mit Erfolg. Das war allerdings noch eine ziemlich andere Welt, in der solche möglichst „massenhaften“ Treffen Gleichgesinnter unter freiem Himmel DAS probate Mittel zur Verstärkung politischer Anliegen war. Transparente, Flugblätter (!) und Megaphone waren die Tools der Wahl, die eigene Meinung lautstark zu vertreten – es gab ja kaum andere Möglichkeiten, die uns zur Verfügung gestanden hätten.

Und heute? Immer noch wird viel demonstriert, jedes Wochenende finden in Berlin bis zu zehn Demos statt. Allerdings sind das oft eher kleine Zusammenkünfte weniger hundert, im besten Fall weniger tausend Menschen, die kaum Aufmerksamkeit über ihre jeweiligen Mitstreiterkreise hinaus generieren. Und bei Großthemen wie etwa dem schwer angesagten Kampf gegen die totale Überwachung fragen sich viele: Warum passiert da so wenig? Warum wird nur geredet, gebloggt, getwittert, mal eine Petition gezeichnet, aber nichts GETAN, um dem Angriff auf die demokratische Gesellschaft entgegen zu treten?

Demoschilder

„Ihr redet nur, tut aber nichts!“

Das ist der häufigst formulierte Vorwurf: Es wird viel geredet und publiziert, aber nicht GEHANDELT. Als „Handlung“ gilt vielen offenbar nur ein Tun, das den Körper einbezieht, diese Wetware aus Fleisch und Blut, die es durch die Straßen zu bewegen gilt, um so zu „demonstrieren“, dass man etwas ernst meint. Aber mal ehrlich: ist dieser Anspruch nicht ein bisschen sehr 80ger? Ist es wirklich immer noch das einzig angemessene Verhalten, um Protest zum Ausdruck zu bringen?

Die Abstimmung darüber findet – ganz anspruchskonform – mit den Füßen statt. Füße, die lieber unter dem Schreibtisch bleiben, anstatt sich auf stundenlangen Spaziergängen unter Polizeischutz wund zu laufen. In einer Kommunikationswelt, in der fortwährend „Worte Welt bewegen“ und man beim „Agenda Setting“ auch mal erfolgreich sein kann ohne einen Schritt vor die Tür zu machen, erscheint der leibhaftige „Gang auf die Straße“ als überflüssiges Ritual, alten Zeiten geschuldet, als es noch nichts anderes gab. Was wollte und will man denn auf Demos TUN? Es ging doch immer darum, zu zeigen: Wir sind viele, wir sind DA, wir lassen uns nicht mundtot machen!

Aber heute macht uns niemand mehr „mundtot“. Jede und jeder kann bloggen, eigene Medien erschaffen, gemeinsame Kampagnen-Seiten unterstützen. Sogar massenhafte Reaktionen auf ein neues brisantes Hashtag bei Twitter oder eine hohe Zahl Mitzeichner bei Petitionen bekommen immer mal wieder Aufmerksamkeit, die weit über den Wirkungsgrad einer Demo mit den „üblichen Verdächtigen“ hinaus geht. Alleine oder zusammen mit vielen anderen kann man sich direkt an Abgeordnete, Institutionen und Unternehmen wenden, deren Social-Media-Plattformen entern, massenhaft Mails schicken und offene Briefe schreiben, zu denen sie sich in Zeiten des Internets auch äußern müssen. Als etwa der Verdacht aufkam, dass eine neue Saatgutverordnung das freie Samentauschen der Gartenfreunde illegalisieren könnte, reagierte sogar die EU-Kommission binnen einer Woche mit einer „Klarstellung“ – irgendwelche institutionellen Wege oder gar Demos hat es nicht gebraucht, weil der Wirbel im Web exorbitant und unübersehbar war.

Noch mehr Gründe für die Demo-Abstinenz

Neben dem „lähmenden“ Gewicht der Vermutung, dass die Musik heute eher online als „auf der Straße“ spielt, sehe ich weitere Gründe für die geringer gewordene Neigung zur gemeinsamen Massen-Demo:

  • Individualisierung: Wo immer Artikel und Reden geschrieben werden, die ein „wir“ im Titel tragen oder versuchen, ein solches zu beschwören, fühlen sich viele Menschen heute unzulässig vereinnahmt. Und nirgends ist die Chance so groß, zu erleben, wie anders die Anderen sind, als auf einer „Latsch-Demo“, wo man leibhaftig mit dem Mitmenschen konfrontiert ist. Eine Erfahrung, die sich nicht wenige lieber ersparen. Irgendwelche missliebigen Gruppen sind ja doch immer dabei, alles Gründe, lieber fern zu bleiben – nicht schön, aber wahr.
  • Alter: in der alternden Gesellschaft sind es vielfach nicht mehr die ganz Jungen, die sich einmischen und gegen oder für etwas aktiv werden. Erstens gibt es weniger junge Menschen und zweitens sind sie heute in Beruf und Ausbildung oft so eingespannt, dass sie gar nicht dazu kommen, sich umfangreich an Protesten zu beteiligen. So wird das Kernpublikum zwischen 20 und 35, denen Demos unter freiem Himmel neben dem politischen Zweck auch großen Spaß machen, natürlicherweise kleiner. Mit zunehmenden Alter verliert sich jedoch die Freude an Massenveranstaltungen, genau wie die Kneipenbesuche seltener werden.
  • Mangelnde Bündnisfähigkeit: Das ist die institutionelle Variante der zuvor genannten „Individualisierung“. Um wirklich „Massen“ auf die Straße zu bringen, braucht es breite Bündnisse, um die Mobilisierungskraft der einzelnen Gruppierungen zu bündeln. Das aber erscheint mir immer weniger gewollt: Zum einen lähmt die Tatsache, dass die SPD in der Regierung sitzt, deren Gliederungen und Partei-nahe Institutionen, sich zu beteiligen. Zum Anderen haben Parteien und andere Großstrukturen (Gewerkschaften, Kirchen, Verbände..) insgesamt Akzeptanz und Mitglieder verloren, so dass sie ungern durch kantige Positionierungen womöglich noch Teile der eigenen Klientel verschrecken. Und auch in der nicht partei-gebundenen „Linken“ sind sich die vielfältigen Gruppen nicht unbedingt grün, also macht jeder seins, womöglich noch ganz kurzfristig. Kein Wunder, dass „Großdemos“ so kaum mehr zustande kommen.

Trotzalledem: demonstrieren!

Obwohl ich bzgl. des herkömmlichen Demo-Formats eher pessimistisch gestimmt bin, beteilige ich mich gelegentlich an den Mobilisierungsanstrengungen, poste Demo-Aufrufe in meinem Berlin-Blog oder gehe – zugegeben recht selten – sogar selber hin (für die erste Stunde, damit ich gezählt werde). Das werde ich auch weiter tun, doch glaube ich, dass die Zukunft eher anderen Protestformen gehört. Gerne hätte ich eine Debatte darüber, wie man diese effektiver und fantasievoller gestalten könnte, damit sie – obwohl online umgesetzt – nicht „nur virtuell“ wirken, sondern tatsächlich. Ist ja nicht so, dass das noch nie geklappt hätte!

Die Kernfrage dieses Artikels ist jedoch: Warum zum Teufel gilt es immer noch als „Handeln“, wenn ich meinen Körper an Treffpunkt X bewege – nicht aber, wenn ich diesselbe Zeit oder sogar mehr Stunden der Verstärkung von Protesten per Internet widme?

Diskussion

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48 Kommentare zu „Warum wir nicht auf die Straße gehen“.

  1. Deswegen gehe ich nicht mehr auf die Strasse:
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    Ja, das System wehrt sich, wenn jemand die Deutungshoheit für sich zu deuten beansprucht.

    Chronik:
    United Stasi Of Amerika
    http://picload.org/image/oooddid/unites_stasi.png

    f*ck u nsa
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    Staatsterrorkunde
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    stopwatchingus halle
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    Links vs. Rechts
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    Tyrannei beginnt mit der Zerstörung der Wahrheit (B.Clinton)
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    ich habe nichts zu verbergen – dein Staat
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    2099 – Besatzungsende – Obama
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    Wölfe schockiert – Schaf entdeckt Kreide
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    System ungültig wählen
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    ja, ich glaube die Lüge vom 11. September
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    Widerstand ist Terrorismus
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    Erich’s Rache
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    Dumm, Dümmer, Menschen
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    Über 1300€ wolle die jetzt von mir, wegen Reinigungskosten (für Kreide?!) und ‚Nutzung der Strasse über Gemeingebrauch‘. Für den Fall, das ich meinen revolutionären Impulsen nach und wieder auf die Strasse gehe, hat man mich vorsorglich mit Willkür-Erzwingungshaft-bescheiden gelämt, um mich jederzeit entfernen zu können.

    Tja, als einzelner kann man halt nichts machen.

    Der Marktmaler aus Halle/Saale.

  2. Wir müssen mehrgleisig fahren. Demonstrieren ist gut. Die Partei wählen, die sich gegen Überwachung positioniert, ist gut. Aber auch Dinge, die ich im Grunde für wirkungslos halte, sind gut. Damit meine ich Änderung des persönlichen Verhaltens. (Ich habe immer gesagt, der Druck der Verbraucher bringt gar nichts. Das denke ich auch heute noch. Aber wenn man sonst keine Waffen hat.)

    Kein Bit den Amerikanern, wenn es irgendwie machbar ist. Aus Google aussteigen allein, hilft jedoch nicht völlig. Heute morgen wurde ich auf diesen Artikel aufmerksman gemacht. http://bit.ly/SSbyXl

    Er besagt, dass selbst dann, wenn du kein E-Mail-Konto bei Google hast, Google die Hälfte deiner E-Mails kennt. Allein durch Replies deiner E-Mail-Partner. Wir müssen daher E-Mail-Partner mit US-Mailkonto darauf hinweisen, dass wir mit ihnen über diese Adresse nicht kommunizieren wollen. Alternative Maildienste in Europa oder Island gibt es genug.

    Wir sollten auch nicht mehr hinnehmen, dass wichtige Open-Source-Organisationen ihren Sitz in den USA haben. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich im Moment mit dieser Meinung noch völlig allein dastehe. http://www.sudelbuch.de/2014/open-source-organisations-should-leave-the-usa Aber die USA haben uns den Krieg erklärt. Sie haben unsere Privatsphäre besetzt. Und da haben sie noch weniger zu suchen, als die Russen in der Ukraine.

  3. Hallo!

    Bevor ich beginne, möchte ich mitteilen, dass ich diesen Blog und andere Portale nicht kennengelernt hätte, wenn ein „Wir“ mir den Weg nicht gezeigt hätte.

    Seisdrum.

    Wer ist das „Wir“? Was ist „Wir“? Letzten Endes doch nichts anderes als die selbstverständliche und verselbstständigte Abgrenzung zu „denen“. Natürlich nicht gleichzusetzen mit der Kreation des „Wir“, mit dem sich Media Markt, die Volksparteien oder sonstige Meinungsfänger ungefragt schmücken.

    Wie viele „Wir“ gibt es überhaupt? Was hat das „Wir“ von heute noch mit dem „Wir“ von gestern gleich? Den Medien und Portalen zufolge nicht viel, so zumindest mein Eindruck.

    Dient die offensichtliche Pluralität des „Wir“ heute nicht mehr denn je dazu bei, sich auf der kleinsten Ebene bestmöglich voneinander abgrenzen zu können? Wo sind diese Grenzen zwischen den „Wir“ und wie entstehen sie? Derzeit habe ich das Gefühl, können gar nicht genügend „Wir“ geschaffen werden, um dem Tempo der gewünschten Abgrenzungen zu „denen“ Schritt zu halten.

    Wir sind das Volk? Immer noch? Momentan, wie es scheint, eher fraglich.

    Wieso wünscht sich „Wir“ überhaupt eine Abgrenzung zu „denen“? Trägt „Wir“ vielleicht eine Schuld, dass „die“ so sind und auch nur so sein sollen? Wieso dann die Empörung? Oder, dafür die Empörung? Ist „Wir“ unschuldig?

    Könnte „Wir“ etwas tun? Natürlich.

    Das „Wir“ darf jedoch das „Ich“ nicht vergessen. Ich, beispielsweise, mag so manches „Wir“, ich könnte mir vorstellen mit ihnen zu harmonieren. Dennoch fürchte ich auch deren Fratzen, welche meist dann erst zum Vorschein kommen, wenn es darum geht, sich gegenüber anderen „Wir“ abzugrenzen.

    Weiter im Text.

    „Das Internet ist kaputt“ hieß es kürzlich, dahingehend halte ich die Annahme, dass uns heute niemand mehr mundtot machen kann, zumindest für diskussionswürdig. Klar, noch ist das Internet ein prima Instrument, Mittler und Vermittler, aber ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass dieser Status Quo nur noch sehr temporär sein könnte.

    Die Basis für jeden Blog, jede Netzzeitung und jedes Forum ist äußerst fragil, nicht nur, weil die Abhängigkeiten teilweise so trivial scheinen. Was tun, wenn das Netz sich anpasst oder angepasst wird?

    Die Demo – Abstinenz.

    Ich wohne und bin herangewachsen in der Mitte Deutschlands, in einer Region, welche einst stark politisiert, häufig aufgrund von Demonstrationen den Weg in die breite Öffentlichkeit gefunden hat. Erst war ich zu jung, dann habe ich mich beteiligt, dann konnte ich sie irgendwann nicht mehr verstehen.

    Die Fragen nach Sinn und Unsinn, Nutzen und Fragwürdigkeit von Demonstrationen sind auch mir nicht fern, dennoch habe ich momentan das starke Gefühl, dass mein Hintern im Freien mehr bewirken und mitwirken kann als auf meinem Bürostuhl.

    Warum wir nicht mehr auf die Straße gehen? Warum wird nichts getan? Vielleicht aus der Angst heraus, tatsächlich erfolgreich zu sein.

    Lieben Gruß

  4. Hallo Ferdinand,

    danke für den ausführlichen Kommentar.

    „Vielleicht aus der Angst heraus, tatsächlich erfolgreich zu sein.“

    erstmal kurz die Rückfrage: was meinst du damit? Wenn ich für etwas eintrete, wünsche ich mir doch IMMER den Erfolg – und bei Demos stört eher der Eindruck, dass sie nicht viel bewirken… – ?

  5. Keine Ursache!

    Es ist meine pauschale, mögliche Annahme, bzw. Erklärung dafür, wieso die sichtbare Anzahl jener, welche sich für etwas engagieren, derart gering ist in Relation zur betroffenen Menge.

    Natürlich wünsche ich mir den Erfolg einer Sache, für die ich mich engagiere. Aber gerade auf Demonstrationen ist meine Sache oft nicht deckungsgleich mit der Sache derer, die mich umgeben.

    Allerdings erklärt ein solcher Ansatz auch nicht das Phänomen der Mitläufer, daher kann ich nicht davon ausgehen, dass bloß, weil ich eine Überzeugung habe, diese auch von meinen Mitmenschen geteilt wird.

    Eine Frage ist überdies ja auch, woher der Eindruck kommt, dass Demos nicht viel bewirken, bzw. wieso er entsteht, sowohl bei den Ausführenden, dem Beobachter als auch den Adressaten. Vielleicht liegt jener Ursprung in der häufig egoistischen Natur einer Demonstration, von der mehr oder minder forcierten Kurzlebigkeit von Interesse bezüglich Ereignissen mal ganz abgesehen.

    Sind Demonstrationen und dergleichen hierzulande nicht häufig nichts weiter als Forderungen einer bestimmten Klientel auf Basis eines Minimalkonsenses, welcher individueller Profit ist? Welchen Nutzen oder Schluss ziehen andere Menschen daraus, außer einer eventuellen Empörung und Unbequemlichkeit?

    Sind Demonstrationen und dergleichen hierzulande nicht häufig lediglich das Sprachrohr und Instrument von verschiedenen „Wir“ Gebilden, welche vielleicht sogar mit edlen Zielen und Gedanken behaftet, sich letztlich aber doch meist nur oder gerade durch die Abgrenzung zu anderen „Wir“ profilieren und legitimieren wollen? Demzufolge das kollektive Ego wieder mal stärker als die Vernunft ist? Auch hier bewirkt der nach außen getragene Konflikt nicht mehr als Unverständnis oder gar Abschreckung.

    Die ursprüngliche Frage war weitaus kürzer als meine Ausführung, vielleicht bin ich am Thema vorbei gerast. Verzeihung, falls dem so ist!

    Mein Fazit dazu ist eventuell, dass nebst heutigen Bildungsdefiziten, vor allem der Charakter des Demonstrierens und der Demonstrationen möglicherweise zu stark vernebelt und verzerrt wurde, als das Menschen noch in großen Zahlen Anschluss dazu suchen oder finden. Das „Ich“ kommt zu kurz zwischen all den „Wir“.

    Eine interessente, aktuelle Möglichtkeit sehe ich vielleicht in den Friedensbewegungen oder wie man sie nennen möchte. Leider aber sind so arg fragil und möglicherweise anfällig.

    Noch etwas zur Ausgangsfrage.

    Impliziert der Erfolg einer Sache, sofern sie den Nutzen vieler beabsichtigt, nicht den individuellen Verzicht? Eine Angst, trotz Befürwortung von Petitionen, Likes und Applaus für das große Gute, im Endeffekt den gewohnten Standard zu verlieren oder zu riskieren? In der Psychologie und Soziologie sicherlich keine neue Erkenntnis.

  6. Ich bin 55 Jahre alt und war erst einmal auf einer Demo, weil ich mich in diesen anonymen Massen sehr unwohl fühle.

    Zudem war mir Politik schon immer zu wieder, eben weil es um Macht geht, und ich selbst ungern Macht über andere ausüben mag.

    Ich habe mich allerdings zu meinem 52. Lebensjahr entschlossen, mich zu beteiligen, eben über das Netz. Ich erwarte eine offene Gesellschaft, weshalb ich überall mit meinem Klarnamen zu finden bin.

    Meine Arbeit am Neuen findet auf meinem privaten Blog Faszination Mensch sowie auf dem mitinitiierten Blog Initaitive Wirtschaftsdemokratie statt.

    Ich sehe das Werkzeug Demonstration als eines, wo man dem Volk vorgaukelt wird, dass sein Protest etwas bewegen kann. Aber das geht in diesem Konzern-gesteuerten Politikzirkus genauso wenig wie mit dem Kreuzchen, das man uns alle 4 Jahre auf einen Zettel machen lässt, der bezeichnender Weise auch noch in eine Urne geworfen wird. Wie perfide ist es, das Spiel so offensichtlich zu machen, weil man meint, dass das tumbe Volk es eh nicht checken wird.

    Dennoch, warum nicht auch auf der Straße demonstrieren? Wer es mag, und es finden schließlich auch dort die eneuen Ideen passende Empfänger. Mein Handeln ist im Netz und in Gesprächen, um für weitere Aufklärung zu sorgen.

    Viele Grüße, und danke für den Artikel, in dem ich mich gut wiedergefunden habe,
    Martin

  7. „Die Kernfrage dieses Artikels ist jedoch: Warum zum Teufel gilt es immer noch als “Handeln”, wenn ich meinen Körper an Treffpunkt X bewege – nicht aber, wenn ich diesselbe Zeit oder sogar mehr Stunden der Verstärkung von Protesten per Internet widme?“
    Das Problem ist halt, dass die absolute Mehrheit eben nicht im gleichen Maße wie man sich früher an Demonstrationen beteiligt hat, sich online engagiert. Die Mehrheit setzt ihre digitale Unterschrift nur mal eben ganz schnell nebenbei unter eine Online-Petition oder ein Like unter einen Online-Artikel, beschäftigt sich aber nicht wirklich mit dem Thema, wählt weiterhin stumpf die großen Volksparteien und tut halt herzlich wenig sonst weiter und berieselt sich ansonsten im Wesentlichen mit Katzenvideos und emotionalisiert sich über Geschichten bei heftig.co. Die meisten leisten halt einfach nicht das Engagement und das merkt man halt deutlich, wenn man dann als Demonstrant von den meisten einfach nur belächelt wird. Wenn die vielen Leute in Mehrheit sich wirklich mal online im gleichen Maße bilden und engagieren würden wie diejenigen die sich bei Demos aufreiben und nicht nur unflätige Kommentare auf niederstem Niveau und hier und da ein paar Likes bei den Social Networks verteilen würden, dann würde davon glaube ich auch ganz anders gesprochen. So aber hat man den Eindruck, dass die wirklichen Online-Aktiven klar in der Minderheit sind und die Mehrheit sich lediglich was vormacht, dass sie was tun würden, aber im Wesentlichen nur Aufmerksamkeit heucheln im Großen und Ganzen aber mit der Suppe ihres Daseins irgendwie doch zufrieden sind bzw. keine Lust haben sonderlich Energie aufzubringen an ihr maßgeblich was zu ändern. Verstärkt wird dieser Eindruck der Heuchelei ja auch nicht zuletzt dadurch wie viele sich hinter einem Pseudonym verstecken, obwohl sie keine Verfolgung zu befürchten haben, diese Pseudo-Anonymität dann aber auch gleich gerne dazu missbraucht wird sich in einem Ton zu äußern der jeglichen Anstand vermissen lässt. Und da liegt wohl die Antwort auf die Frage: Wenn man dich auf der Demo sieht, sieht man, dass du eben nicht zu denen gehörst die nur Änderungswillen heucheln, sondern man hat den wahrhaftigen Beweis, dass dir wirklich etwas an der Sache liegt und du bereit bist Mühen deswegen auf dich zu nehmen. Zudem gibt man sich in „Gefahr“ erkannt zu werden und steht so wirklich mit seiner Persönlichkeit für die Ziele der Demo ein, natürlich vorausgesetzt, dass man sich offen an der Demo beteiligt und sich nicht gerade im Schwarzen Block vermummt versteckt.

  8. @Ferdinand: zum Thema „wir“ fand ich grade heute den interessanten Artikel von Katrin Passig:

    Die Wir-Verwirrung – Kontextfusion und Konsensillusion

    Passig analysiert sehr schon die Verwirrungen, die die Netzkommunikation in ihrer Entwicklung für uns alle mit sich gebracht hat. Er endet mit dem Statement:

    „Anstatt den Glauben an die spezifische Gruppe der eigenen Freunde oder an die größere Gruppe der Nutzer des Internet oder der sozialen Netzwerke zu verlieren, müssten wir uns vom Glauben an Gruppen verabschieden, in denen dauerhafte Einigkeit über mehr als nur einige wenige Punkte herrscht. Wir brauchten eine realistischere Einschätzung des allgemeinen Konsenses über unsere eigenen Ansichten. Es ist eine der zentralen Zumutungen der Vernetzung, dass die Anderen nicht nur so heißen, sondern auch wirklich anders sind. „

    Ich finde nicht, dass das „ich“ heute – auf Demos oder sonstwo – zu kurz kommt, sondern ganz im Gegenteil die vereinzelten Individuuen mehrheitlich kaum mehr ein „wir“ denken können. Weil es nicht mehr erlebt wird, nurmehr romantisiert und imaginiert als „Gemeinschaft der Gleichgesinnten“ – was natürlich eine Illusion ist, denn die Anderen sind nun mal anders.

    „Impliziert der Erfolg einer Sache, sofern sie den Nutzen vieler beabsichtigt, nicht den individuellen Verzicht? Eine Angst, trotz Befürwortung von Petitionen, Likes und Applaus für das große Gute, im Endeffekt den gewohnten Standard zu verlieren oder zu riskieren?“

    Wenn NSA & Co die totale Überwachung einstellen, was verlieren wir dadurch? Als nach Fukushima ein Drittel der Reaktoren mal eben abgeschaltet wurden, hatten wir nicht mal Stromengpässe – obwohl das immer so hingestellt worden war! Das nur mal so als Beispiele, womit ich nicht sagen will, dass es keinen Verzicht geben kann, wenn etwas „Gute“ durchgesetzt wird.

  9. @Martin:

    „Ich sehe das Werkzeug Demonstration als eines, wo man dem Volk vorgaukelt wird, dass sein Protest etwas bewegen kann.“

    Niemand gaukelt etwas vor, man bestimmt ja selbst, eine Demo zu veranstalten oder hinzugehen. Das wird doch nicht „von oben“ inszeniert – und wie gesagt, ich habe schon auf etlichen Politikfeldern erlebt, das Proteste – damals noch vornehmelich im Demo-Format – eine Menge bewirken können!

    Auch hab ich so Ende 20 begriffen, dass hier niemand gezwungen ist, NUR alle 4 Jahre wählen zu gehen und ansonsten die Regierung und das Wirken der gesellschaftlichen Kräfte und Mächte vom Liegestuhl aus zu ignorieren. Ein „Kundenverhalten“ in Sachen Politik ist Teil des Problems – Teilhabe ist anstrengend und bedeutet irgendwann auch, über Proteste hinaus zu gehen, die anderen Interessen zu sehen und nach Lösungen zu suchen, die alle Seite einigermaßen gerecht berücksichtigen. Bloß „den Wutbürger zu geben“ ist definitiv zu wenig.

  10. @Ben W: ok, das verstehe ich – und nehme es als Motivation, wieder mal hinzugehen! :-) Die „absolute Mehrheit“ hat sich allerdings nie an Demos beteiligt – davon wüsste ich! :-)

    Das Problem ist also auch, dass die Mühen, die ein Online-Engagement macht, nicht allgemein sichtbar sind – bzw. allernfalls in den Veröffentlichungen (wie hier etwa rechts oben dieser Spendenkasten: das Projekt bedeutet ordentlich Aufwand, der nicht etwa vom Spendenaufkommen bezahlt wird, den man nicht mitbekommt – eine Demo gegen die Asylpolitik ist viel sichtbarer, aber in 3 Stunden vorbei…- wenn man nicht zur Orga gehört).

    Dich will ich ermuntern, dich nicht von blöden Kommentaren deprimieren zu lassen! Wer da rumbasht oder „belächelt“, weil sich jemand auf Demos zeigt, projiziert sein eigenes verdrängtes „schlechtes Gewissen“ auf Leute, die sich engagieren und hackt auf ihnen rum – bekanntes psychologisches Phänomen!

    Es ist zwar aus einer anderen Zeit und die Gesellschaftsbeschreibung passt nicht mehr so richtig auf unsere doch recht komfortable Titanic – aber ich widme dir trotzdem diese „Ermunterung“ als Video des Abends: Lass dich nicht verhärten!

  11. Ein sehr interessanter Artikel, auch wenn ich so langsam Probleme bekomme, diesen auch vernünftig zu lesen. Ist spät!

    Lediglich an einer Stelle hakt es bislang etwas bei mir:

    „Gemeinschaft war bis zum Auftauchen des Internet ein knapperes Gut als heute.“

    Ich bin der Meinung, dass es genau umkehrt war und ein „Wir“ in der prä-Social Media Zeit weitaus höhere Möglichkeiten hatte, langfristig und gefestigt zu existieren. Ist es nicht gerade die Masse an Informationen, welche übereinander geteilt und offengelegt wird, welche die Macht hat, ständig neue Abgrenzungen und Gruppenzugehörigkeiten zu schaffen?

    Vielleicht habe ich die Passage über das „ich“ zu kurz formuliert, aber letztlich wollte ich auf einen ähnlichen Schluss hinaus. Das „Ich“ wird, wie ich finde, mittlerweile mit einer derart großen Menge „Wir“ konfrontiert, dass es schlichtweg in die Enge getrieben wird und mit quasi vorgehaltener Waffe ständig aufs Neue gezwungen ist, sich neu zu positionieren.

    Es kommen ja fast täglich neue Fronten und gar Feindbilder hinzu, welche nicht wirklich dazu beitragen zu entwirren oder auch nur irgendwie hilfreich sein können. Ich muss zugeben, dass ich wirklich überrascht bin, wie viele Konversationen ich momentan beobachte, in denen Skepsis und Vorsicht darüber geäußert wird, wie man sich denn nun zu einem Thema wie Frieden äußern könnte.

    In der aktuellen Diskussion über die Friedensdemos sind derartige Konflikte nun nicht nur offenkundig, sondern werden auch direkt kommuniziert, sprich, die Rekapitulation des Gemeininteresses über die „etablierten“ Grenzen hinaus.

    Mein Beispiel über das „große Gute“ zielte weniger auf derartige Umstände, eher auf jene Anstrengungen, deren Ziele über den persönlichen und nationalen Kontext hinaus gehen.

    Es tut mir leid, ich bin wirklich hundemüde und bekomme kaum noch einen vernünftigen Satz zusammen. Fortsetzung folgt ;)

  12. @ferdinand: hier geht es entschleunigt zu. Manche Gespräche ziehen sich über eine Woche… also nur kein Stress!

    Zum Thema Friedensdemo / Montagsdemos siehe das Kommentargespräch unter dem Beitrag „Im Clash der Subkulturen für den Frieden“.

    Sowohl deine als auch Passigs Äußerungen zu Gemeinschaft finde ich richtig!

    -> Einerseits finden viele im Netz diverse „virtuelle Gemeinschaften“, die zuvor kaum Möglichkeiten hatten, sich als Teil eines „wirs“ zu erleben – sei es wg. Introvertiertheit, sei es wegen exotischer Eigenheiten, die im eigenen sozialen Umfeld (falls vorhanden) nicht tolerabel erscheinen.

    -> andrerseits ist diese Form der Gemeinschaft in dem Sinne „bloß virtuell“, als sie eben nur auf Konsens über einen bzw. wenige Punkte und Gemeinsamkeiten basisert. Jederzeit können Infos über Personen auftauchen, die einem total gegen den Strich gehen – schmerzlich, wenn man doch meinte, sich hier unter „Gleichgesinnten“ zu bewegen und diese „Gesinnung“ unbewusst sehr viel weiter ausgelegt/imaginiert hatte.

    Hinzu kommt die Enthemmung durch Anonymität und die Schnellebigkeit: das Hüpfen von einem Reiz zum anderen, zu dem das Web so leicht verführt.

    Zudem fand ich das „alte Web“, das Passig beschreibt und das sich NACH THEMEN, nicht nach Personen sortierte, durchaus angenehmer und förderlicher für die Herausbildung diverser „wirs“, so fragil die auch gewesen sind.

    Seit Web 2.0 stehen nun Personen, nicht Themen im Vordergrund – ausgehend von Grundkonzepten wie das von Facebook, das ursprünglich zur Vernetzung realer Freundeskreise geschaffen wurde. Das schafft nun noch mehr Verwirrung, denn das zufällige punktuelle Übereinstimmen mit einer Person sagt noch viel weniger über potenzielle Gemeinsamkeiten aus, als wenn man jemanden in einem Themenforum trifft (was immerhin für ein größeres Engagement in einem bestimmten Themengebiet spricht).

    „Mein Beispiel über das “große Gute” zielte weniger auf derartige Umstände, eher auf jene Anstrengungen, deren Ziele über den persönlichen und nationalen Kontext hinaus gehen.“

    Also z.B. das Ende der Billigbelieferung von Afrika mit deutschen/europäischen Massentierhaltungshähnchen – das würde glatt ein paar wenige Arbeitsplätze in diesen Megaställen kosten bzw. zu Steuerausfällen führen, wenn die in Nicht-EU-Länder ausweichen.

    Jetzt ruft mich aber erstmal die Arbeit…

  13. Entschleunigt.. herrliches Wort, welches ich leider viel zu selten lese oder verinnerliche.

    Bezüglich Web 2.0 habe ich just vor ein paar Minuten folgendes via Facebook gelesen:

    „Too much stupid today. To elucidate my last post: Facebook receives 25% of all Internet traffic. With many web creators foregoing traditional websites in favor of Facebook pages, FB is becoming synonymous with „the Internet,“ much like AOL was in the 90s.

    The only difference is, Facebook is acting as the gate keeper and deciding what you see and what you don’t, based on the highest bidder. It’s the opposite of how content on the Internet was traditionally discovered, and more akin to commercials on network television: the highest bidder gets heard while smaller voices are drowned out.

    What would happen if Facebook started to represent 40%, 50% or more of traffic? If everyone started using FB for communication, messaging, email and posting content, would there be any functional distinction between Facebook and „The Internet“? Is this a future you want?“

    https://www.facebook.com/pages/Maddox/17359118290

    Es wurde veröffentlicht von Maddox, nennen wir ihn eine Person, welche versucht, als krasser Spiegel der Gesellschaft zu agieren.

    Bezüglich des alten Web habe ich natürlich ebenfalls noch in Erinnerung, dass der Prozess, zu einem Ziel zu gelangen, ungleich mühseliger war als mittlerweile, der Nutzen allerdings nachhaltiger und langfristiger war. Weniger Informationsflut und weniger Möglichkeiten, einer solchen Flut überhaupt ausgesetzt zu sein.

    Demzufolge müsste ich nun eigentlich den Like button drücken, da ich zu dieser Ausführung eigentlich nichts hinzuzufügen habe, aber da will ich mal weniger modern sein ;)

    Ohne nun, um diese leider erneut späte Stunde, auf die möglichen individuellen Definitionen des „Guten“ oder gar Platon mit einzubeziehen, würde ich sagen, das Hähnchenbeispiel wäre ein recht adäquater Kontext!

    Natürlich könnte ich falsch liegen mit meiner Annahme über die Ängste der Partizipation. Vielleicht würden tatsächlich mehr Menschen sozialer und gerechter mit allen Menschen der Welt interagieren, wäre es ihnen nur bewusster, inwiefern das eigene Handeln, der eigene Profit mit dem Defizit anderer korreliert.

  14. Auch ich denke bei vielen meiner Netzbekannten, die sich buchstabenreich über Zustände beschweren, oft. Geht doch mal auf die Strasse. Aber nicht zu Demonstrationen (dahin meinentwegen auch) sondern zum Nachbarn vor Ort. Und packt die Probleme da mal an. Engagiert Euch. WIR sind die Gesellschaft. Wenn da was schief läuft, läuft auch manches „bei uns“ schief. Mit bürgerlichem Engangement kann man diese Gesellschaft gleich vor Ort sehr wohl ändern. (Etwas, was Du Claudia, ja auch machst. Und auch mit dem Instrument „Internet“ abseits von reinen Texten, die freilich auch wichtig sind…)

  15. @Chräcker: Ja, die Erziehung zum Konsumenten und Selbst-Optimierer war ungemein erfolgreich in den letzten 20 Jahren. Andrerseits finden auch viele übers Netz zum bürgerschaftlichen Engagement, wie das früher gar nicht möglich gewesen wäre.

  16. @Ferdinand:

    hier mal noch ein Blogpost zum Thema „Unbehagen bzgl. Friedensdemos“, das du angesprochen hast:

    Montag ist Facebookdemo – Julia Schramm

    Ich hätte es lieber gesehen, wenn einfach „die Massen“ dazu gekommen wären, anstatt dass man sich das Format „Montagsdemo“ von einigen für suspekt gehaltenen Akteuren quasi aus der Hand nehmen lässt – es hat ja doch eine ganz andere Tradition.
    Aber letztlich bin ich auch nicht hingegangen: ich guck mir sowas immer erst eine Zeit lang an, schaue, wie es sich entwickelt – ein Fehler vermutlich, denn ich könnte ja „Teil der Masse“ sein und mit persönlichem Erscheinen dazu beitragen, dass das Spektrum breiter wird und die „unterkomplex Denkenden“ (Schramm) nicht mehr so unter sich sind.

  17. Hallo, Claudia!

    Ja, das Unbehagen bzgl. Friedensdemos.. Vielleicht sollte ich gerade nicht schreiben, denn ich bin etwas angefressen, nein sauer, aber es passt nun mal perfekt in den Kontext.

    Worum geht es? Nun, ich finde es unmöglich und nicht nachvollziehbar, wie bezüglich der Versammlungen unter dem Sammelbegriff „Mahnwachen für den Frieden“, berichtet wird. Ich finde die Berichterstattung seit Anbeginn unkritisch, unreflektiert, pauschal und unjournalistisch. Ein Journalismus, dessen Anspruch sogar noch tiefer scheint, als der der BILD oder TV Total.

    Über lange Zeit habe ich diesen Vorwurf einzig den Massenmedien gemacht, seit kurzem sehe ich diese Routine jedoch auch von anderen Gruppierungen und Ideologien in selbem, wenn nicht schlimmerem Maße, umgesetzt.

    Ich finde es abscheulich zu sehen, wie permanent eine heterogene Masse verunglimpft, beschimpft, verspottet und dämonisiert wird. Bei Youtube habe ich teilweise so wunderbare Redebeiträge und Protestformen im Rahmen dieser Veranstaltungen beobachtet, dass mir einfach nicht verständlich werden kann, wieso hier so unreflektiert vorgegangen wird.

    Es wird pauschal angeklagt, undifferenziert eine gigantische Masse heterogener Menschen bundesweit über einen Kamm geschert. Nicht wirklich neu für BILD und Co., aber, dass nun auch linkspolitisch derartige Rhetoriken aufgegriffen werden entzieht sich komplett meinem Verständnis.

    Der ständige Vorwurf und Grund zum Anlass? Diverse Personen des öffentlichen Lebens sind mit Attributen behaftet, welche als faschistisch, homophob, rassistisch aufgefasst werden können, nutzen diese Plattform für ihre Zwecke. Desweiteren wird der offene Charakter dieser scheinbar minimal kontrollierten Open-Mic Veranstaltungen kritisiert, welcher es erlaubt, dass sich Personen aus allen politischen Ecken und gesellschaftlichen Schichten beteiligen und vor allem sich dort oder in der Umgebung aufhalten können.

    Es wird permanent verlangt, man solle sich doch distanzieren. Man solle sich doch distanzieren von Berlin, Elsässer, Jebsen, Popp, Mährholz und was weiß ich wem noch.

    Ich stimme natürlich zu, dass man sich diesbezüglich als Plattform von menschenfeindlichen und verachtenden Ideologien distanzieren muss. Als Plattform wohlgemerkt. Ich stimme auch zu, dass man zumindest so weit kontrollieren sollte, dass man wenigstens etwas überprüft, wer da gerade sprechen will und was er sprechen möchte.

    Doch inwiefern legitimiert das eine Pauschalkritik? Wie kann man es sich anmaßen eine derart große Masse, etliche Individuen, komplett und undifferenziert über einen Kamm zu scheren? Wo lernt man so etwas?

    Jedem Teilnehmer wird zuerst einmal unterstellt, er würde nicht teilnehmen, da er dem Titel oder dem Aufruf der Veranstaltung gefolgt ist „Für den Frieden“. Nein, man unterstellt dem Individuum es wäre dämlich, würde konditioniert und von schädlichem Gedankengut eingenommen.

    Man unterstellt jedem einzelnen Teilnehmer, er hätte mindestens einen akademischen Abschluss und ein hervorragendes Allgemeinwissen, da man ja über jeden und alles bescheid wüsste und demnach auch weiß, auf was man sich da einlasse.

    Man unterstellt jeder einzelnen Person, sie wäre letztlich nur anwesend, weil sie dem Aufruf etwaiger Personen gefolgt ist und keinesfalls aus dem eigenen Grundbedürfnis für Frieden mit anderen und sich selbst heraus. Man sei ein Schaf, welches dämlich genug, dem nächsten Führer ewiges Geleit bietet, ohne eventuell auch nur jemals von der Person gehört zu haben oder es überhaupt zu wollen.

    Frieden als Marktlücke und Nischenprodukt einer Lobby.

    Wie kann man es wagen, all jene Menschen, stellvertretend für wenige, welche nicht einmal für ein Kollektiv sprechen, zu bestrafen und anzuklagen? Es gibt kein homogenes Kollektiv, weder beansprucht irgendjemand die Meinungs- und Deutungshoheit. Wieso also all das? Wieso wird die Kritik an Individuen nicht auch lediglich an jenen Individuen geführt? Wo und warum sind hier journalistische, wissenschaftliche und menschliche Grundsätze verloren gegangen?

    Was ich denke? Weil die Kritik sonst nicht marktfähig wäre. Auch Kritik ist letztlich nur ein Produkt, welches, gehandelt auf dem Meinungsmarkt, einen Anbieter und Abnehmer benötigt.

    Da auch Kritik sich irgendwie gesellschaftlichen Zwängen unterzuordnen hat, muss natürlich abgewägt werden, wer kritisiert wird, um welches Ziel zu erreichen.

    Die oder der einzelne Redner, welcher unbekannt, da ein Mensch aus der Masse, der über seine Ängste, Sorgen und Meinung spricht, kann nicht Ziel einer derart großen Maschinerie werden. Man hackt nun mal nicht auf den kleinen Leuten herum.

    Was tun also? Der unbekannter Redner hat einen akuten Attributemangel, welcher ihm die Marktfähigkeit entzieht. Man geht also einen Umweg.

    Statt sich mit den vielen tausenden individuellen Personen und Beiträgen auseinanderzusetzen, nimmt man jene von Personen des öffentlichen Lebens, welche es erlauben an ihnen eine Kritik auszuüben. Ein Stellverteter für die Kritik. Jeder Redner und Teilnehmer wird von nun an stellvertreten durch die Person X dämonisiert.

    Meine bloße Behauptung diesbezüglich ist überdies – Niemand kennt die Inhalte der vielen Redner. Die einzigen Inhalte, welche bekannt sind, sind jene, welche eben von jenen Personen des öffentlichen Lebens stammen und zudem noch weitaus massiver kommuniziert werden, was eine logische Konsequenz der positiven und negativen Popularität jener Personen ist.

    Niemand kennt die Inhalte von hunderten oder mittlerweile gar tausenden anderen Rednern dieser Veranstaltungen.

    Ich habe mir bereits etliche davon angeschaut und es waren oft wirklich starke Beiträge dabei. Diese finden jedoch keine Beachtung, werden sie auch niemals. Sie sind nicht marktfähig.

    Wozu auch? Wenn das abgesteckte Ziel die unkritische Pauschalkritik ist, möchte man sich doch nicht den Boden unter den Füßen wegziehen und sich im schlimmsten Falle sogar noch beim Klatschen und Zustimmen erwischen.

    Eine Aussage wie „Wir möchten auch Frieden, aber…“, wie sie gerne genutzt wird, um nicht als unliebsamer Spielverderber zu gelten, ist nicht mehr oder weniger, als das, was sie letztlich immer ist, eine heuchlerische „,aber…“ Argumentation, welcher es nicht gelingt, sich von der eigenen Subjektivität zu trennen.

    Warum genau bin ich nun überhaupt sauer? Nun, ich habe bereits mehrfach versucht, die Diskussion zu suchen, da ich gänzlich gegen eine Pauschalkritik bin und diese Methoden nicht im geringsten gutheiße.

    Letzte Nacht schrieb ich einen wirklich elendig langen Kommentar, welcher vor allem Verständnisfragen und Erklärungsgesuchen beinhaltete. Ein Falschauslegung ist gänzlich ausgeschlossen.

    Was geschah? Soeben wollte ich nachschauen, ob es eventuell schon eine Antwort gibt, doch zu meinem Erstaunen muss ich feststellen, dass der Kommentar schlichtweg gelöscht wurde. Unbegründet und ohne Hinweis.

    hxxps://linksunten.indymedia.org/de/node/113749

    Ich habe von den Massenmedien nie besonders viel gehalten, im Moment weit weniger als je zuvor, aber das es Menschen gibt, welche diese Messlatte sogar noch höher setzen, ist nur schwer zu begreifen.

    Hier geht es schon lange nicht mehr um pure Ideologie. Jemand befürchtet scheinbar schlichtweg einen Teil seiner selbst verliehenen Legitimation zu verlieren. „Das Feld des An­ti­mi­li­ta­ris­mus“, darum geht es. Dumm nur, dass, folgt man der „We are the 99%“ Formel direkt, beanspruchen mindestens 80 Millionen Menschen hierzulande dieses Feld. Ein zukünftiger Patentstreit könnte demnach gewissermaßen schwieriger werden.

    Ich bin enttäuscht.

  18. „Ich stimme natürlich zu, dass man sich als Plattform von menschenfeindlichen und verachtenden Ideologien distanzieren muss.“

    Hier fehlt das Wort „hier“ oder „diesbezüglich“ vor Plattform. Der eigentliche Sinn geht abhanden, liest man es so, wie es derzeit dort steht.

    Danke :)

  19. @Ferdinand: Wow, was für eine tolle Rede! Du solltest selbst ein Blog aufmachen, unbedingt!

    Mir leuchtet sehr ein, was dich aufregt und ich hab mich an anderer Stelle auch schon aufgeregt, allerdings mit weniger Werve und nicht so einem originellen eigenen Gedanken, wie du ihn in die Debatte wirfst mit:

    „Was ich denke? Weil die Kritik sonst nicht marktfähig wäre. Auch Kritik ist letztlich nur ein Produkt, welches, gehandelt auf dem Meinungsmarkt, einen Anbieter und Abnehmer benötigt……..
    …………………….
    „Der unbekannter Redner hat einen akuten Attributemangel, welcher ihm die Marktfähigkeit entzieht. Man geht also einen Umweg.“

    So hab ich das noch gar nicht betrachtet!

    Dass dich „linksunten.indymedia.org“ wegzensiert ist definitiv skandalös – aber leider bei vielen Grüppchen üblich. Ich bin mal mit einem Kommentar bei einem Klimawandel-Leugner nicht frei geschaltet worden, weil ich (ganz sachlich!) den Treibhaus-Effekt erklärt hatte. Nicht anlasslos, sondern weil ein Fan der Seite über die Dummheit der Allgemeinheit lästerte, die nicht mal wisse, dass CO² den Pflanzen doch GUT TUT, also ganz und gar nicht GIFTIG sei!

    Sowas erlebt man leider an vielen Ecken. Oft wollen die Leute ihre Meinungen nicht mehr hinterfragt sehen, sondern sortieren nurmehr stur nach „für mich/gegen mich“ bzw. „gut/böse“.

    Es ist ein ELEND – und mehr noch: es ist gefährlich. Je mehr Menschen auf diese Art intellektuell (und oft nicht nur da) verrohen, desto „kriegsbereiter“ wird die gesellschaftliche Atmosphäre.

    Warum postest du deinen Text nicht bei Julia Schramm?

    Siehe dazu auch das Gespräch bei Stefan Münz (G+)

    https://plus.google.com/u/0/+StefanM%C3%BCnzSELF/posts/11Hk7W21eqD

    und meinen kürzlichen Blogpost plus Kommentardialog:

    https://www.claudia-klinger.de/digidiary/2014/04/22/im-clash-der-subkulturen-fuer-den-frieden/

    ***

    Ich hab „diesbezüglich“ eingeführt, sah aber selber keine Notwendigkeit für eine Änderung. Da war nichts „sinnentstellend“. VON WAS man sich distanzieren sollte, sagst du ja im selben Satz.

    ***

  20. Oh, vielen Dank!

    Ja, es ist mehr als gefährlich, es ist grob fahrlässig und man kann meiner Meinung nach definitiv eine böswillige Absicht unterstellen.

    Den Text vervielfältigen? Ist er wirklich derart lesenswert? Sehr gerne, wie geht das denn vonstatten? Einfach kopieren und auf der Seite von Julia Schramm posten?

    Ich überreiche den Text auch gerne in kompetentere Hände ;)

  21. @Ferdinand: du hast doch auch hier kommentieren können (und hast bei Indymedia gewusst wie) und nicht vorher gefragt, wie das geht. Was ist also deine Frage?

    Natürlich solltest du ihn nur dort posten, wenn du selbst meinst, dass er unter ihren Artikel gut passt – und wenn du bereit bist, dort auch evtl. Reaktionen zu lesen.

    Julia ist ja immerhin auf so einer Demo gewesen. Wie sie das erlebt hat, steht in ihrem Text – und es wird dabei auch klar, dass in ihrer Wahrnehmung „das Facebook-Publikum“ und die Demo-Besucher zusammen fließen. Sie interpretiert die Anwesenden von ihren Erfahrungen aus FB-Diskussionen her…und mischt dann munter alles zusammen, ohne dass man erkennen kann, woher sie das jeweils bezieht.

    Ich denke, der ganze „Zirkus“ rund um diese Demos hat auch noch einen anderen Grund als all die bereits formulierten Bedenken und das Gezerre um rechts/links etc. Einen Grund, der auch die Demo-Askese der Vielen mit erklärt: Wir Deutschen neigen dazu, für alles eine perfekte Lösung in petto haben zu wollen. Probleme und Konflikte sollen gefälligst zügig analysiert und gelöst, bzw. bereinigt werden – am besten gleich vollständig und für immer (darf ich spotten und einen gewissen Hang zu „Endlösungen“ konstatieren?).

    Wer also keine Lösung in der Tasche hat, wer selbst nicht weiß, was gerecht wäre und wer von den vielen unmittelbar und mittelbar Beteiligten die Wahrheit sagt, wer auch nicht weiß, wer alles welche legitimen Interessen im Ukraine-Konflikt hat und wie man das alles unter einen Hut bekommen könnte – tja, wer mag sich da anmaßen, lautstark zu demonstrieren?

    Deshalb bemerkt Julia auf der Demo vermutlich viele „unterkomplex Denkende“. (Ich war selber nicht dort, kann dazu also nichts weiter sagen) Vielleicht hat sie recht und es sind mehrheitlich Menschen dort, die Führern, Verschwörungsstheorien und anderen Fantasmen folgen, um sich die Welt in einfachster Manier verständlich zu machen (während die „Komplexdenker/innen“ wie gelähmt zuhause vor den Monitoren verharren…)

    Kann aber auch sein, dass es Leute gibt, die sich trauen, für den Frieden zu demonstrieren OHNE eine Patentlösung für alles haben. Wir wissen es nicht. Es ist jeweils ein heterogener Haufen, über den man alles und nichts sagen kann – nicht nur nicht kritik-markt-fähig, sondern schlicht unfassbar.

  22. Natürlich, ich wollte nur nicht mit der Tür ins Haus fallen und musste mich erst einmal auf Julias Seite zurechtfinden. Ich muss gestehen, ich finde es ungleich übersichtlicher in ein Textfenster zu tippen, welches diesem hier gleicht.

    Dies sind letztlich noch meine ersten Schritte bezüglich Blogs oder größerer Forenteilnahme. Bislang habe ich mich relativ erfolgreich gegen Web 2.0 gewehrt und abgegrenzt.

    Ich versuche mal mein Glück! Vielen Dank für die Motivation!

  23. Ich habe mittlerweile Links zu deinem Lang-Kommentar hier unter zwei Diskussionen bei Stefan Münz auf Google Plus gesetzt. Mal schauen, ob sich noch jemand interessiert…

    Das Kommentarfenster bei Julia wächst offenbar mit, wenn man reintippt.

    Blogs sind aus meiner Sicht nicht „typisch Web 2.0“, sondern im Gegenteil ein zeiten-übergreifendes Format, das durch technische Vereinfachung und dadurch ermöglichte Beschleunigung massentauglicher wurde. Ich schreibe hier ja im 16. Jahr und Blogs gibts meines Wissens erst ab 2003… (selber bin ich erst 2006 auf die Blogtechnik umgestiegen).

  24. So dann, ich habe es vorhin gepostet, bin mir aber nicht sicher, ob es funktioniert hat. Habe aber glücklicherweise eine Kopie erstellt.

    Ja, wahrscheinlich ist Web 2.0 hier ein unglücklich gewählter Begriff. Ich hoffe, die eigentliche Aussage kam dennoch rüber. Bislang bin ich nur wenig über die pure Wissensbeschaffung, Unterhaltung und Alternativkommunikation (Skype etc.) hinaus gelangt.

    Hingegen als (Alternativ?)Medium zur Diskussion und Auseinandersetzung nehme ich es leider erst jetzt richtig wahr.

  25. Wow! Nach Emailkontakt ist es mir gelungen eine Alternativversion meines Kommentars dort veröffentlicht zu bekommen!

    Das freut mich, aber es macht einen kleinen Mini-Absatz in meiner „Klageschaft“ gewissermaßen hinfällig. Der große Rest hat nach wie vor Bestand.

  26. Nun ja, ich sehe dort immer noch keinen Kommentar… „0 Comments“ steht unter dem Artikel

    http://juliaschramm.de/2014/05/14/montag-ist-facebookdemo/

    ich finde, dass viele Blogger/innen selber einiges dazu tun, dass das Bloggen immer mehr verliert gegen die sozialen Medien, wo es keine Hürden für Kommentare gibt.

  27. Hallo, Claudia!

    Pardon, da war ich wohl wieder etwas zu unspezifisch. Ich bezog mich eigentlich auf meinen Kommentar bei linksunten, diesen habe ich nun nach ein paar Emails doch noch bekommen, wenn auch nicht in seiner originären Form, dafür eine geupdatete.

    Mein Kommentar bei Julia Schramm befindet sich scheinbar noch in einer Art Warteschleife. Dort stand jedenfalls gestern, dass er noch nicht freigegeben wurde. Ich kann ja auch nicht erwarten, dass Julia Schramm einzig darauf wartet, von mir einen Kommentar zu erhalten :)

    Übrigens, es tut mir leid, dass ich eventuell Deinen Kommentarbereich gewissermaßen vollspamme. Entschuldigung, aber ich wüsste halt nicht, wie ich die Konversation, wenn auch nur mit kleinen Mitteilungen sonst führen sollte. Dir geht wahrscheinlich einiges an Übersicht dadurch verloren.

  28. @Ferdinand: das ist doch in ORdnung – und ich verliere auch nicht die Übersicht, sind die Kommentare hier doch recht überschaubar! :-)

    Wir schweifen hier gerne mal ab..

    Was meinst du aber zu meiner letzten Vermutung, woran die Demo-Abstinenz auch noch liegen könnte? (Ab da ging es nur noch um deine Kommentare anderswo…)

  29. Guten Morgen, Claudia!

    Eins vorweg, langsam komm ich mir blöd vor, wenn ich in einem Gespräch dieser Qualität unter einem Namen agiere, welcher auch zur Vermarktung von Wurstwaren genutzt wird. :)
    Aber ich werfe halt prinzipiell ungern mit persönlichen Informationen im Internet um mich.

    Daher, mein Name ist Ralf. Hallo!

    Ja, mir scheint ich habe mich in Rage geschrieben und gelesen, dabei jedoch den Faden etwas verloren.

    Ich finde diesen Ansatz bezüglich der Abstinenz interessant, aber auch nicht überzeugend, denn meiner Meinung bedient er doch recht stark die genannten Klischees. Aber es sind doch gerade diese Pauschalisierungen, welcher mir in diesem Kontext so schwer im Magen liegen.

    Das Phänomen ist in seiner Gesamtheit – jedenfalls dem Teil, welchen ich bislang kenne – einfach viel zu komplex, als dass ich mir zutrauen würde, ihn mir darüber zu erklären.

    Ich habe ein wahnsinniges Interesse mehr über diese Massen zu erfahren, fürchte jedoch auch etwas um den Verlust meiner Neutralität bezüglich der Beurteilung dieser Thematik. Die Entwicklung des Phänomens beeindruckt mich einfach so enorm, dass ich eventuell der Angst unterliege, die negativen Stimmen könnten obsiegen und ich feststelle, dass es wieder einmal nur einer blinden Herdendynamik, angefeuert durch geschicktes Marketing und der ideologischen Leere im System, gelungen ist, das vorgezogene Sommerloch auszufüllen, während nebenan parallel der Schrecken der Realität unbehelligt weiter herrscht.

    Doch ich habe ein Bauchgefühl. Dieses sagt mir unter anderem auch, dass eine Abstinenz oder gar die Teilnahme lediglich aufgrund der „deutschen Denke“ relativ sicher ausgeschlossen ist.

    Von Freunden und Bekannten, Internetkontakten und etlichen Videobeiträgen habe ich ein Bild geschildert bekommen, welches stark konträr dessen ist. Die Vielfalt, Passion und Aufrichtigkeit der Menschen wird mir so glaubhaft, ehrlich und ernstzunehmend beschrieben, ganz ohne etwaige Fantasmen, Verschwörungen und Patentlösungen, so dass ich wahrscheinlich nicht anders kann, als ins kalte Wasser zu springen und mich selbst zu überzeugen.

    Vielleicht ist es ein Irrglaube, ein Wunschdenken, dass jede Generation einen krassen Umschwung miterleben und gestalten sollte. Aber das glaube ich nicht, denn meine Ängste und Gedanken sind ebenso real, wie jene meiner Mitmenschen. Ich ersehne mir keine Katastrophe herbei, ich bin kein Revolutionstourist. Ich weiß jedoch, dass die Welt formbar und gewiss mehr herauszuholen ist, vor allem für die, die nach mir kommen. – So ein Träumer… – Wahrscheinlich, aber meinem Kind würde ich diese Traumwelt wünschen.

    Zurück zu den Patentlösungen.

    Ja, leider gibt es auch diese. Nicht nur, weil mir auch davon berichtet wurde, sondern auch weil es dank Internet unvermeidlich ist das zu erkennen. Die Patentlösungen werden dabei jedoch nicht von dem bunten Völkchen erbracht, sondern von jenen, teilweise bekannt durch die Medien, die versuchen Profit aus der Sache zu ziehen.

    Beispielsweise musste ich gestern Abend lesen, wie die Person Elsässer doch tatsächlich den „Wir“ Begriff derart inflationär und aggressiv in den Raum wirft und tatsächlich versucht, die Meinungs- und Deutungshoheit über das Konstrukt der Bewegung zu erlangen. Er wirft sämtliche Anstrengungen der Menschen und die Individualität des Konzepts über den Haufen, dass es mich wahrlich anwidert.

    Man müsse die Friedensdemos vor der „SAntifa“ schützen und Schutztrupps organisieren, heißt es beispielsweise. Abscheulich! Diese Bewegung braucht und fordert keine Köpfe, das hat er scheinbar nicht begriffen und fühlt sich scheinbar durch die glücklich ergatterte Gelegenheit, vor der Masse in Berlin sprechen zu dürfen, beflügelt und wittert neue Abos, Umsätze und eine Legitimation seiner wirren Thesen und Person.

    Elsässer braucht Mensch, aber kein Mensch braucht Elsässer.

    Blöderweise muss ich nun den neutralen Boden – scheinbar – verlassen, denn ich möchte eine gewagte These in den Raum stellen. Also.

    Ich oute mich jetzt als Verschwörungstheoretiker.

    Ken Jebsen arbeitet im Auftrag der Bundeszentrale für politische Bildung.

    Man mag über die Person Jebsen denken und sagen was man möchte, aber im Rahmen meiner durchaus neutralen Beobachtung und der derzeit starken Korrelation von Friedensdemos und Jebsen ist mir etliches, vorrangig positives, aufgefallen.

    Ich kann mich nicht daran erinnern, wann die Gesellschaft, vor allem die jüngeren Generationen, das letzte mal so stark politisiert wurden.

    Klar, man kann jetzt behaupten die geopolitischen Umstände führen letztendlich zwangsläufig dazu, das sich jeder damit auseinandersetzt. Aber ich denke, dass dies wenn überhaupt nur der Gate – Keeper ist.

    Der Gate – Keeper des Gate – Keepers sozusagen.

    Endlich diskutieren die Leute, endlich werden Fragen gestellt und komplexe, fremd und „heiße“ Themen angesprochen. Rassismus, Faschismus, Antisemitismus, Politik, Demokratieverständnis, Gesellschaft, Wirtschaft. Diese Themen sind derart präsent und werden von so vielen Leuten thematisiert, dass ich schlichtweg verblüfft bin.

    Natürlich fällt auch Schatten wo viel Sonne scheint, aber ganz gleich ob positive oder negative Effekte, wie beispielsweise scheinbar hirnlose Forendiskussionen und Fanboy – Gequatsche, es wird kommuniziert und landet im Gedächtnis, statt nur auf Titelseiten der Wochenzeiten.

    Das jene, welche bislang scheinbar eine dichte Hegemonie beansprucht haben auf dieses Feld jetzt auch allergisch reagieren, ist nur zu verständlich – siehe meine Annahme bezüglich des „Feldes des Antimilitarismus“.

    Plötzlich kommt der ungebildete Pöbel daher und möchte mitreden, das geht doch nich! Jeder ist doch irgendwie froh, sich abgrenzen zu können. Das macht auch keinen Halt vor schein-elitären Kreisen. Mehr oder minder auch die Rechnung für langes Dulden und Bejahen.

    Ich habe mich nicht absolut mit Ken Jebsen beschäftigt, er ist für mich auch nur ein neues Phänomen, welches plötzlich im Kontext der Ukraine – Eskalation aufgetaucht ist. Wahrscheinlich will und brauche ich mich auch nicht damit beschäftigen, denn ich habe keine derartigen Ansprüche mich auf Seiten zu schlagen, für oder gegen jemanden zu argumentieren, weil es die gegenwärtige Norm gerade so erwartet oder ihn gar zur perfektionierten Wikipedia zu erklären.

    Belanglos. Zugegeben, er liefert interessante und lesenswerte als auch hörenswerte Beiträge, aber für integre Personen stellt sich dahingehend auch keine weitere Frage, denn diese Funktion erfüllen andere Tools schon seit jeher.

    Von Belangen ist es jedoch in dieser Theorie. Denn ich bin wirklich begeistert, welch starke Wellen das schlägt. Eine Leistung, die von keinem politischen Lager oder Think Tank so ambitioniert vollbracht wurde. Wie man mit dem Resultat umgeht, dass hat jeder zu verantworten, der sich bislang gedrückt hat und es derzeit noch vehement tut.

    Man kann nicht erwarten, dass andere die Denkanstösse liefern, aber der Ball im Anschluss nicht aufgefangen wird.

    Letztlich jedoch braucht diese Bewegung keine Köpfe. Einfach mal keine Hypes und ohne Kult. Darauf kann und muss diese und vielleicht folgende Bewegungen verzichten, nicht nur um ernst genommen zu werden, sondern auch um Unabhängigkeit zu beweisen, der medialen Hetze standzuhalten, welche sich momentan ja allein durch die Präsenz jener Köpfe legitimiert, und schließlich um Abhängigkeiten zurecht der Geschichte zu vermachen.

    So, zurück auf den neutraleren Boden.

    Den Begriff „Montagsdemo“ hätte auch ich wahrscheinlich vermieden, sei es wegen seiner originären Attribute oder aber, weil man sich damit tatsächlich auf ein breit umkämpftes und besetztes Gebiet begibt. Eine Version 2.0 von etwas kann nicht immer gelingen, sofern man denn auf Parallelen abzielt. Im Film klappts nicht und auch hier scheint mir gerade diese Namenswahl auch einer der Gründe für die Streitigkeiten zu sein.

    Wie dem auch sei..

    Nächste Woche, habe ich beschlossen, werde ich es jedenfalls tun. Ich begebe mich ins Fadenkreuz der Kritik, der medialen Hetze und den pauschalen Verunglimpfungen und werde eine dieser Mahnwachen besuchen. Vielleicht Berlin, vielleicht Hannover oder Leipzig. Mal schaun! Geglaubte Neutralität adé? Ich glaube nicht, denn ich möchte mir endlich selbst ein Bild machen, auch um besser urteilen zu können.

    Auf zur Facebookdemo! ;)

    Nun gut, ich bin mir sicher, ich habe ein paar mal den Faden verloren und hier und da Dinge vergessen, die ich eigentlich schreiben wollte, aber das kann sich ja noch ergeben.

    Jetzt erstmal frühstücken und der kalten Sophie auf Wiedersehen zuwinken!

  30. Hmm, also einen Daumen hoch würde ich mir dafür rückblickend nicht geben, habe ein wenig zu frei und unbedacht geschrieben. Bissle nervig grad beim nachlesen.

  31. Um ein paar Aussagen deutlicher zu machen, hier ein Nachtrag…

    Worauf ich im Kern hinaus wollte, ist, dass meine Befürchtung, es wäre nur eine weitere temporäre, nicht über sich hinauswachsende, letztlich jedoch zwangsläufig, in der Breite, inhaltsleere neue soziale Bewegung.

    Ich hoffe, dass jene positiven Umstände triumphieren, statt Masse auch tatsächlich langfristig Klasse entsteht und nicht nur die Anwesenheit der Menschen, aber die Abwesenheit des Geistes und der Vernunft den inneren und äußeren Diskurs bestimmen.

    Eine schöne wie auch recht treffende Formulierung über den Charakter der Bewegung fand ich übrigens im „opablog“ durch einen Zufall, die da lautet:

    „Die Montagsdemonstration ist keine Demonstration. Sie ist auch keine Mahnwache.

    Am treffendsten ist sie vielleicht als Kundgebung bezeichnet und zwar eine mit Momenten von Happening, die sich zu verstärken scheinen.

    Doch die Form, zumal noch wenig fixiert, beiseite gelassen. Auch den Inhalt, über den Etliches zu sagen ist, muss ich vorerst beiseite lassen. Nur den Grund möchte ich benennen: Es sind freie Individuen (reine Atome), marktradikale Menschen, die beginnen, ihr individuelles Lebensinteresse zu begreifen und zu vertreten.“

    Noch etwas bezüglich der schrägen „Verschwörungstheorie“. Der Name „Jebsen“ taucht mir eindeutig zu oft auf, da ich ihn lediglich als Instrument nenne, gegenwärtig, zu großen Teilen, vor allem über soziale Netzwerke, einen direkten oder indirekten Draht zu denen und zwischen jenen zu finden und zu schaffen, die zu großen Teilen bislang im Wesentlichen nicht wirklich in umfangreichen Kontakt mit sich und ihrer Umwelt gekommen sind.

    Die Gate – Keeper Sache halte ich im Nachhinein allerdings für einen schrecklichen, geistigen Fauxpas meinerseits. Vielleicht kann dieser Part ja gestrichen werden :)

  32. Folgende Formulierung finde ich beispielsweise berechtigt und wird auch im Sinne der Befürchtung von mir unterstrichen.

    „Da entwickelt sich anscheinend ein neues, unangenehmes Konglomerat aus „Frieden für die Welt“, „wir sind das Volk“ im Sinne von deutschem Volk, womit auch die Ablehnung eines geeinten Europas und Stärkung von Nationalstaaten einhergeht, gepaart mit den üblichen Truther Verschwörungstheorien die darauf hinauslaufen, dass die internationale Finanzwirtschaft, die dann auf die Rothschilds zurück geführt wird, uns alle versklaven will!

    Mir wird übel! Ist die aktuelle Methode, politisch zu mobilisieren, öetztendlich wieder das übliche Zurückgreifen auf alte Verschwürungtheorien und Klischees, die uns schon mal in die Scheiße geritten haben? Es gibt so viel kritikwürdiges, was falsch läuft heute. Aber einfach mit verkürzter Kapitalismuskritik einen neuen Sündebock verantwortlich zu machen, hilft nicht. Der Kapitalismus ist nämlich viel zu flexibel, um sich von halbgaren Verschwörungstheorien ernstahft gefährden zu lassen.

    Die Welt ist schlecht. Aber das ändern wir nicht dadurch, indem wir noch mehr Zwietracht sehen und in alte, rechtskonspirative Vortsellungen zurückverfallen!“

    von hxxps://joindiaspora.com/posts/3928193

  33. Gerade deshalb meine ich allerdings, dass die Abstinenz eines Korrektivs bzw. das „absichtlich am Rande stehen und beobachten“ letztlich nur zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung führen kann.

  34. @Ralf: ich war übers Wochenende offline, deshalb erst jetzt: danke für die Kommentare, es wäre allerdings vermutlich besser, wenn sie etwas konzentrierter kämen. Nichts gegen Länge, aber manchmal führt das auch dazu, dass du vom 100. ins 1000ste kommst und man nicht mehr so genau weiß, was jetzt eigentlich dein Punkt ist! Evtl. hilft ein „vorschreiben“, nochmal lesen und evtl. dann kürzen?

    Verstehe das bitte als konkstruktive Kritik!

    Du sprichst im übrigen viel über die Motivation der Teilnehmenden, wogegen ich mit der These „es ist ja nicht klar, welche Lösung die RICHTIGE wäre“ darüber spekulierte, warum da nicht spontan viel MEHR Menschen mitmachen.

    Welche Gatekeeper-Passagen du als Fehlgriff siehst, erkenne ich nicht ohne Weiteres, denn der Begriff kommt im FB-Kontext vor, aber auch in Bezug auf Ken Jebsen.
    Ändern würde ich aber ungern, denn auch alle späteren Bezüge zum Änderungswunsch müsste man mitlöschen – und hey, es kommt doch rüber, dass du da einiges „ins Unreine getippt“ hast – und dich eben später auch selbst korrigierst.

    Zum Namen Ferdinand Fuchs: Wurstwaren waren mir da gar nicht bekannt, ich hatte eher die Assoziation: dieser Mensch muss über 70 sein… :-)

    Schreib also bitte in Zukunft nur als „Ralf“!

    So, und jetzt muss ich mich erstmal wieder in die Arbeit finden-…

  35. darf ich (mal wieder) den party-crasher spielen?

    [..] wir

    seid mir nicht böse, aber dieses „wir“ ist eine illusion, genährt von der vorstellung, daß alle doch irgendwie „nett“ sind … nur weil sie im internet sind … das ist eine kategorie, die schon vor 10 jahren nicht mehr stimmte. die galt vor 20 jahren und wir klammern uns an diese illusion, weil sie es uns erleichtert, dinge auszublenden.

    ich habe hier mal für ein klareres „die und wir“ plädiert. wir müssen erst wieder herausfinden lernen, wer „wir“ sind und da wäre es vielleicht gar nicht mal so schlecht, über „die“ nachzudenken.

    da draussen sind extrem dumme menschen, die tagein tagaus einen haufen büffelmist erzählen. da draussen sind extrem böse menschen, deren einziger job es ist, zu verwirren, indem sie stimmungen vorgauckeln … wir müssen scheinbar auch wieder lernen, selbst zu denken, statt uns an jeden zu kuscheln, der gemeinsamkeit & wärme verspricht.

    [..] demo

    ich habe das ja schon gesagt: meine letzte war die gegen das massaker auf dem tienanmenplatz 89 … und ich denke heute, daß ich ziemlich dämlich war. vielleicht bin ich auch bloß zynischer geworden. oder klüger. keine ahnung.

    den verstärker für diese bande von knallchargen zu spielen, käme mir aber unter gar keinen umständen in den sinn

    [..] krieg/frieden

    ich war und bin pazifist.

    nur halt keiner von diesen „kein blut für öl“ leuten, die heute der nato vorhalten, serbien bombardiert zu haben.

    sorry, genau das habe ich damals _gefordert_, bevor dcd oder joschka das taten. don’t count me in. man kann nur in frieden leben, wenn es keinen bösen im spiel gibt, der einfach etwas anderes als frieden will.

    wenn mir jemand 5 mal hintereinander erzählt, er zöge jetzt die truppen von der ukrainischen grenze zurück … dann frage ich mich jedenfalls, ob er nicht vier ggfl. fünf mal gelogen hat. sagt mir jedenfalls die logik.

    kann, darf ich einem lügner vertrauen?

    ich wäre also per se nicht bereit, so gegen die NATO zu demonstrieren, wie ich das in den 80ern getan habe, weder mit diesen leuten von den montagsdemos noch mit irgendjemand anders. für mich ist das mittlerweile schlicht die „polizei“, die wir uns halten und im moment ist gerade ein hühnerstehlender fuchs auf dem hof …

    und, dafür, daß in europa grenzen respektiert werden, dafür demonstriert ja keiner.

    @claudia

    „nichts gegen länge“

    hihi. ich find’s süß und verstehe, warum manch einer sich einfach alles von der seele schreiben muss und kein ende mehr findet. und noch süßer, daß ich jetzt mal nicht als der mit dem längsten kommentar hier raus geht ;-)

  36. @klaus

    [..] dabei jedoch den Faden etwas verloren

    ah, ich liebe es, den faden zu verlieren. das ist manchmal fruchtbarer, als sich den seilen entlang zu hangeln, an dem man hängt ;-)

  37. Sogar Steinmeier, der sonst so gelassen ist, regt sich furchtbar auf:

  38. Auch das hier ist interessant:

    Der Querfront einen Schritt näher
    http://www.taz.de/Linke-streitet-ueber-Montagsdemos/!138834/

    „Über zwei Monate nach Auftauchen der „Friedensbewegung 2014“, die sich seither jeden Montag in drei Dutzend Städten versammelt, wollen einige Vertreter etablierter linker Organisationen nicht mehr nur Zaungäste sein. In einem Offenen Brief, verfasst vom Linken-Bundestagsabgeordneten Andrej Hunko, rufen sie dazu auf, sich „wenn möglich“ an den Mahnwachen zu beteiligen. „

    und:

    „Unterzeichnet haben den Brief unter anderem die Bundestagsabgeordneten der Linken Sabine Leidig und Heike Hänsel, mehrere Attac-Funktionsträger, der emeritierte FU-Professor Peter Grottian, Laura von Wimmersberg von der Berliner Friedenskoordination und Aktivisten der Interventionistischen Linken, darunter Thomas Seibert.“

  39. claudia,

    interessant – ich lese den artikel anders als du.

    er endet so:

    „Die Unterzeichner machen sich zu „Feigenblättern der Berliner Mahnwachenzentrale, der längst die Felle wegschwimmen, weil die Leute teils keine Lust haben, sich immer wieder den gleichen Unfug anzuhören und anderswo das Nachdenken über ernsthafte politische und Friedensarbeit begonnen hat!“ Für Steinbicker konterkariert der Brief „die notwendige Auseinandersetzung mit den auf den meisten dieser Mahnwachen verbreiteten antisemitischen Inhalten und Verschwörungstheorien!““

    ich will ja nicht unbedingt auf einem essentiellen punkt meines kommentars bestehen, aber …

    für mich sieht die sache so aus: es gibt leute, die sind in der lage, sich daran zu erinnern „was mal links war“ (titel einer netten doku) … und andere, deren verständnis von „links“ in einem nicht gerade demokratischen staat geformt wurde und wieder andere, die so hilflos in ihrer eigenen verwirrung verstrickt sind und partout in einen zustand von hrmonie streben – wobei sie dann geradezu selbstmörderische kompromisse machen. sidn wir nicht alle ein bißchen „Links“?

    als ich gestern meinen kommentar da oben schrieb, dachte ich kurz daran, warum die leute die merkel wählen. es gelingt dieser frau einfach mit ihrer person alles zu überdecken, wofür die cdu steht. zb. für eine kumpanei mit victor orban, der ja nur deshalb zum problem werden konnte, weil die cdu und die gesamte „christliche“ frktion im eu-parlament dessen gelenkte demokratie stillschweigend billigen.

    sie steht für eine komplett verfehlte euro-rettung, für kumpanei mit der wirtschaft zu ungunsten des sozialen gefüges, für eine unerträgliche a****kriecherei der NSA gegenüber, für die zustimmung, daß von unserem boden drohnen gesteuert werden … ich könnte den ganzen tag so weitermachen.

    und trotzdem wird sie gewählt.

    warum bloß? weil wir ein harmoniesüchtiges späterbe der nazis mit uns herumschleppen, das in eine mitte, in ein „ist ja alles nicht so schlimm“ drängelt. streit um eine sache wird als disharmonisches gezänk bestraft.

    das alles spiegelt sich in der kompletten verwirrung dessen, was mal links war, wieder, macht es möglich, daß wir händchen halten sollen mit leuten, die _rein gar nichts_ mit _uns_ zu tun haben. die stehen für ein ganz anderes weltbild als _wir_ und weil wir alles ausblenden, was uns doch eigentlich aufstoßen müsste und würde, wirkt das schleichende gift der zersetzung (euro-„skepsis“, pauschales misstrauen gegen die „mainstreammedien“ bis hin zu offener feindschaft gegen andere)

    _da_ liegt der hund begraben.

    wir wollen nicht mehr streiten. wir wollen in ruhe gelassen werden und „unseren frieden“. nicht frieden, einfach nur „in frieden gelassen“ werden, damit wir unsere zeit mit dem ganzen schnickschnack der technischen moderne verbringen können. die neuen features des handys müssen ja getestet werden …

    wenn ich „feindselig“ bin (du hast da übrigens mal wieder einen kommentar zu moderieren), dann gegen diese wischiwaschi haltung. ich habe irgendwie noch sehr altmodische wertvorstellungen und auch irgendwo so etwas wie einen stolz darauf, mir so etwas wie selbstrespekt bewahrt zu haben.

    und deshalb bin ich nicht blöde: ich will wissen, wer die plakate bezahlt. ich will wissen, woher die euroNeurotischen das geld für ihre projekte her haben. ich will wissen, warum marine le pen und die ganze nationalistische brut gerade permanent in moskau gehätschelt & getätschelt wird.

    und da sehe ich kein „wir“, das sich dem entgegenstemmen würde. ich sehe eher eine selbstgefällige internetboheme, die sich die letzten jahre ausschließlich um ihre kleinkarierten selbstdarstellung, das hegen und pflegen der fangemeinde, das erfinden immer neuer immer kreischender blogposttitel bemüht hat … aber _nie_ um die ernsthafte auseinandersetzung mit dem, was _die anderen_ im demokratischen spektrum denken.

    wenn ich etwa „Gabriel heuchelt wieder“ als header einer post des law blogs lese, bekomme ich das kalte kotzen. ich kann auch das wort TTIP nicht mehr hören, wenn jemand über google jammert, schalte ich nur noch ab … „wir“ sind schlicht übrsättigt von dieser permanenten _hysterie_, die nur so tut, als sei sie politische debatte.

    nein, es ist MARKTSCHREIEREI.

    die könnten alle genau so gut aale auf dem fischmarkt verkaufen.

    wir sind so abgestumpft und hilflos und gleichgültig geworden, uns ist in den letzten jahren der sinn für jedes maß abhanden gekommen. wir wollen nichts mehr erreichen, wir wollen nur noch bemerkt werden.

    und genau deshalb gibt es kein „wir“ als bewegung.

    wenn einer sagt „da lang“, kreischen sofort 10 auf ihren blogs los und teilen uns mit, was sie da nicht ganz so toll finden. dabei finden sie nur nicht toll, daß ein anderer die aufnerksamkeit bekommt

    du erinnerst dich, meine „internetgemeindenbeschimpfung“? yep. ich bin das alles so leid. es führt zu rein gar nichts und wenn einer (law blog) den andern (gabriel) anschreit, dann macht der eben die ohren zu.

    und, wer hat was erreicht? genau, der law blog hatte ein paar klicks wegen einer kreischenden überschrift mehr. na danke.

    wie soll man eine „friedensbewegung“ hinkriegen, wenn man auf der niedrigsten ebene keinen frieden hat?

    ich reagiere langsam auf das alles wie auf die krätze. ich bekomme alle zwei tage einen aufruf von campact, mich gegen dieses oder jenes zu engagieren und einen appell zu unterschreiben. die ganze welt ist nur noch missstand, der bekämpft werden muss.

    sorry, aber ich habe in den letzten 10 jahren genau 3 appelle gezeichnet, jeder einzelne wohlüberlegt, ich bin doch kein hystrisches karnickel, das sein gewissen dadurch eleichtert, daß es PC redet (zigeuner! neger!), vegan isst (man reiche mir ein hartgekochtes ei!) und genderbewusst ist und alles unterschreibt, was man ihm unter die nase hält.

    graadseläätz: nein danke!

    du hast es da oben gesagt: „entschleunigung“.

    wir sollten alle mal, was dieses wöchentliche treiben von säuen durch dörfer betrifft, entschleunigen – du erinnerst dich, ich bin hier mal ziemlich sauer gewesen, weil ich das gefühl hatte, du surfst da gerade auf einer dieser wellen.

    ich finde schon, daß es so schwer nicht ist, sich diesem elenden hamsterrad zu entziehen und in einer zeit, in der man nur noch sekunden hat (angeblich) um sympathie/antipathie zu äußern, einfach mal drei tage nachzudenken, bevor man was sagt, und das am besten erst dann, wenn man ein minimum von drei sich widersprechenden meinungen gehört und überdacht hat.

    statt dessen: das hamsterrad (ist von 2011, ich bin so was von langweilig und unbeweglich) und die ausstehende frage, warum wir überhaupt laufen und wohin das führen soll.

    sorry, wurde mal wieder länger und ich habe viel zu oft fensteredenmäßig das wort „wir“ kombiniert mit „sollten“ verwendet – was eigentlich überhaupt nicht mein ding ist.

    ich bin ich – und mit diesem politisch komplett unterbelichteten VÖLKchen mache ich mich nicht gemein …

    nicht mal – und schon gar nicht – um des „lieben friedens“ willen. da kann ich genau so gut die merkel wählen …

  40. @Hardy: toll, viele deiner Sätze sind im Grunde einen eigenen Blogpost wert (damit sie besser bemerkt werden!).

    Das Fazit des TAZ-Artikels hab ich nicht zitiert, weil man dann gar nicht mehr hinlesen hätte müssen – ich dachte, die Aufrufe einiger Linker machen neugierig, was es damit auf sich hat (ich gönne der TAZ ihre Klicks).
    Dass übrigens Grottian unterschrieb, hat mich echt gewundert, der ist ein „gestandener Linker“ und hat uns (ca. 3500 Hausbesetzer/innen) in den 80gern engagiert unterstützt. Nun ja, er muss jetzt schon recht alt sein…

    An einigen Punkten schüttest du m.E. das Kind mit dem Bade aus: dass Menschen sich für Tierrechte einsetzen, gegen Massentierhaltung sind und dann konsequent vegan leben, empfinde ich nicht als Gleichgültigkeit, ganz im Gegenteil (es ist nicht ganz easy, sich vegan zu ernähren, ich weiß, wovon ich rede!). Auch das Bemühen um eine gerechtere und nicht diskriminierende Sprache finde ich ehrenwert, wenn ich auch nicht jedes * teile. Anders als du unterschreibe ich gelegentlich Petitionen, die ja durchaus auch mal Erfolg haben, wenn irgendwelche Potentaten merken, dass sehr viele weltweit ihre aktuelle Schandtat verurteilen.

    Das Internet machts möglich, dass wir von viel mehr miesen Vorgängen und Vorhaben wissen können als je zuvor. Es ist doch nicht die Schuld der einzelnen Menschen, dass es insgesamt ZU VIEL ist, um sich an jedem Punkt voll zu engagieren. Und sei es auch „nur“ alles mitlesend…

    Meinen eigenen Zustand derzeit würde ich als „meinungsschwankend“ bezeichnen. Noch immer denke ich, man hätte die Montagsdemos auch mit „massenhaftem Erscheinen“ verändern und die zweifelhaften Demagogen so marginalisieren können. Mittlerweile denke ich, eine Dienstagsdemo wäre vielleicht angesagt – was aber nur funktionieren würde, wenn viele dazu aufrufen, die sich von Elsässer & Co. distanzieren. Was wiederum nicht geht, weil die sich nicht einigen und weil sowieso niemand sagen kann, was eigentlich gefordert werden könnte, um die extrem komplexen Konflikte zu befrieden.

    Gleichzeitig merke ich, dass ich langsam alt werde – in dem Sinne, wie ich früher die Alten sah, gegen die ich aufbegehrte: die mir unbeweglich, verknöchert, uneinsichtig vorkamen. Z.B. hab ich mir den Redeausschnitt von Steinmeier angehört, der grade herum gereicht und ganz übel bewertet wird – und ich fand: er hat recht! Die Welt ist leider komplizierter, es gibt nicht hier die Friedensengel und da die Bösewichte, zurück zur D-Mark ist kompletter Unsinn und die europäische Geschichte bzw. den Sinn des EU-Projekts ist den meisten wohl nicht präsent, die da für die einfachen Lösungen eintreten. Im übrigen ruft er zum Zuhören auf.
    Wie das nun an vielen Stellen kommentiert wird: da kommt MIR das Kotzen!

    Gleichzeitig hab ich das Gefühl, dass ich das mit 30 ganz anders gesehen hätte. Ich hätte ihn als Vertreter der „Herrschenden“ nicht ernst genommen und seine Vorhaltungen als „am Thema vorbei“ bzw. bloße Ablenkung von den wichtigen Kritikpunkten angesehen.

    Nun aber sehe ich diese Demo-Videos und an vielen Stellen erkenne ich: so nicht! Da rufen Leute dazu auf, nicht nachzudenken, sondern aufs eigene Gefühl zu vertrauen. Da wird sogar die Demokratie in die Tonne getreten („was wäre, wenn ein Ameisenstaat demokratisch beschließen müsste, wo es lang geht..“ – so in etwa eine mit Applaus beantwortete Bemerkung eines Redners). Auch der Stil, in dem diese Reden gehalten werden, ist ganz anders als der, den ich von früheren Demos kenne – mehr so wie diese Tschakka-du-schaffst-es-Typen ihre Kundschaft „ermuntern“ – furchtbar! Da merkt man, dass sich die Redner bemühen, ein „Gefolge“ zu erschaffen, das nicht groß nachdenkt, sondern endlich „seine Identität findet“ im gemeinsamen Protest gegen was auch immer.

    Gleichzeitig finde ich manche Vorwürfe gegen die Montagsdemonstrierer ebenso fehlgeleitet: Genau wie ich die israelische Politik kritisieren kann, ohne deshalb Antisemitin zu sein, sollte es möglich sein, die FED zu kritisieren, die Finanz-Elite, die Spekulanten – auch dann, wenn darunter Menschen jüdischen Glaubens sein sollten. Ich verfolge die Geldkritik seit Jahren und hatte nie den Eindruck, dass das irgendwas mit Antisemitismus zu tun hat!

    Na, jetzt les ich mal deinen jetzt frei geschalteten Kommentar.

  41. „Doch nie fand über Monate eine europaweite Kampagne gegen ein Abkommen statt, das doch laut EU nur Gutes bringt. Der Widerstand könnte das Ganze zu Fall bringen.“

    http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/streit-um-ttip-wir-sind-der-universelle-suendenbock-1.1971014

    von wegen sinnlose „Marktschreierei“!!

    (Dennoch denke ich, dass man auch bei diesem Thema alle Seiten anhören/nachlesen sollt)

  42. [..] ich gönne der TAZ ihre Klicks

    ich eigentlich nicht mehr. ich habe da vor zwei wochen einen artikel gelesen und mir eigentlich geschworen, _nie wieder_ taz zu lesen. da sind die leute im kommentariat die decke hoch. und diese AFD anzeige? na danke …

    [..] dass Menschen sich für Tierrechte einsetzen,
    [..] gegen Massentierhaltung sind und dann konsequent
    [..] vegan leben, empfinde ich nicht als Gleichgültigkeit

    claudia, ich glaube, du mißverstehst.

    natürlich sind das ehrenwerte ziele. blöd nur, daß das alles gerade eher mode ist. und moden wechseln. für viele sind diese haltungen nichts anderes als der versuch, sich ein gutes gewissen zu verschaffen oder anderen vorschriften machen zu dürfen. die diktatur der „wohlmeinenden“ (auch so ein böser scherz, aber ich gehe davon aus, litells buch ist nicht wirklich deine lektüre. mich hat es nachhaltig geprägt (wie „the walking dead“, von der ich denke, die sollte man im unterricht nach „die pest“ von camus gucken, jedenfalls die erste staffel)

    [..] Das Internet machts möglich, dass wir
    [..] von viel mehr miesen Vorgängen und
    [..] Vorhaben wissen können als je zuvor

    ja ich weiss, die welt ist voller dinge, die wir abscheulich finden sollten. wir sind so viel damit befasst, uns über irgendwas aufzuregen, daß wir … vollkommen das maß verlieren und vergessen, das gute zu sehen.

    für mich ist das nur das hamsterrad, in dem sich halbgebilete einbilden, wenn sie denn ein thema gefunden haben, schon zu wissen, was sache ist.

    wir sind ständig GEGEN was

    zu blöd, daß wir vergessen, FÜR was wir sind …

    und da hast du deine antwort, was genau schiefgegangen ist.

    ich will (verdammtnochmal) endlich mal irgendwo einen LÖSUNGSANSATZ hören. dieses gejammer macht mich fertig.

    [..] Gleichzeitig merke ich, dass ich langsam alt werde

    och, nö!

    claudia, du bist 2 jahre älter als ich. wir werden nicht alt, wir rosten nur ein bißchen ;-)

    nein ernsthaft: der fehler in dem gedanken ist der, daß wir nicht äpfel mit birnen vergleichen sollten. unsere eltern sind von nazis erzogen worden. wir haben uns emanzipiert. wir sind humanisten, wir vertreten einen gedanken, der für die alten, mit denen du dich jetzt nicht ernsthaft vergleichen willst, nicht ansatzweise verstanden hätten.

    wir mögen leute.

    unsere elterngeneration fand: der mensch ist des menschen wolf. und dieser gedanke feiert gerade fröhlich urständ.

    nein, nicht wir werden alt: die jungen sind schon alt, bevor sie jung waren, unsere eltern und großeltern würden die liiiieben, so wie sie uns geradezu gehasst haben, weil wir ihre welt in frage gestellt _und_ verändert (!) haben.

    die jungen wollen in die 50er zurück. na danke.

    [..] Genau wie ich die israelische Politik
    [..] kritisieren kann, ohne deshalb Antisemitin
    [..] zu sein

    hey, soll ich dich mal aufhetzen?

    dann hör mal diesem katholischen pater zu …

    bitte ganz, bitte über den moment hineg, wo er sagt „ich bin froh, daß sie mich das fragen …“. auch nur so ein „antisemit“.

    bibi ist ein verdammter verbrecher …

    aber es gibt unfassbar viele deadheads in israel ;-)

    [..] Da merkt man, dass sich die Redner
    [..] bemühen, ein “Gefolge” zu erschaffen

    aaaahhhhh … du hast es glasklar erkannt, was läuft!

    [..] sündenbock

    „Ich verbringe meine Zeit damit, Missverständnisse aufzuklären“

    ich sehe das ja schon länger sehr viel differenzierter und weniger von den ganzen kreischern angesteckt, bei denen jeder so seine persönliche schwarz/weiss-weltuntergangsphantasieen marktscheierisch an den mann bringen muss.

    die leute hören einfach nicht mehr zu. jemand steckt sie mit seiner angst an, sie vervielfältigen sie und am ende kommt die große paranoia.

    also ich – ich liebe knusprige hähnchen mit dieser luxembourger eher curry als paprika mischung und etwas frischem rosmarin – werde jedenfalls kein chlorhähnchen kaufen. andere auch nicht. aber alle tun so, als ob in zukunft alle etwas kaufen müssten, was sie nicht wollen.

    ich denke nicht, daß sich die EU da ihre maßstäbe mehr kaputtmachen lassen wird, als sein muss, wir haben ja auch unsere interessen. es wird immer so getan, als ob nur die USA welche hätten und unsere leute uns sofort an die verkaufen würden. alleine diese denke! wo haben die das gelernt? im nachmittagstv?

    immer nur kreischen, kreischen, kreischen. das entwertet die – absolut gerechtfertigte! – kritik, alles dreht ins hysterische entweder/oder.

    tue ich mir nicht mehr an.

    [..] Dennoch denke ich, dass man auch bei
    [..] diesem Thema alle Seiten anhören/nachlesen
    [..] sollt

    willkommen ;-)

    du wirst auf meiner playlist bei tv3 immer auch stimmen von leuten finden, deren meinung ich persönlich _überhaupt_ nicht teile. aber ich höre ihnen wenigstens zu …

    die übrigens, auch wenn man die sachen nicht hört, doch so etwas wie eine „chronik“ ist oder ein ausruck der dinge, die mich jeden tag so interessieren. und mich interessiert halt auch, was die denken, die ich nicht mag.

    die kreischer leben in „echokammern der gleichgesinnten“ – und das führt dazu, daß sie am ende überhaupt nicht mehr verstehen, daß es auch _andere_ mit anderen meinungen gibt.

    wenn sie dann ihr reservat verlassen, auf widerspruch treffen, ist ihre natürliche reaktion eben nicht, daß sie nachdenken – die wollen die anderen nur WEG haben.

    ich will übrigens das TTIP nicht WEG haben. ich will, daß es unsere interessen wahrt, der druck ist absolut okay, aber … könnte man das alles nicht ein bißchen rationaler tun. schon alleine,d amit die, die man kritisiert, überhaupt noch zuhören und nicht denken „dieses hysterische pack kann uns gestohlen beiben mit seinen likes & tweets, die haben keine ahnung und bilden sich nur was ein“

    denn das ist im grunde die reaktion der „gegenseite“, die keine ist, sondern eigentlich unsere „interessensvertretung“.

    wer etwas besser machen will, der soll verdammt noch mal als politiker kandidieren. dann wird er eben mal erleben, wie jemand, der nun wirklich einen prächtigen job macht, behandelt wird … viel spaß bei der lektüre der kommentare …

    _das_, claudia, ist der kern meines gedanken: alle jaulen, kreischen, bekommen hysterische anfälle … aber den job machen will keiner mehr.

    zu blöd, einer muss ihn machen – aber die kreischer und jauler wissen, warum sie ihn nicht machen wollen: sie wollen nicht zum ziel dieses PÖBELS werden …

  43. das war jetzt alles ziemlich OT, aber zu den montagsdemos habe ich seit ich hier das erste mal was dazu gesagt habe, meine meinung nicht groß geändert und eigentlich von anfang an die punkte benannt, die jetzt allgemeingut sind ;-)

    ich bin so was von einem elenden rechthaber …

    ach ja: hähnchen …

    das mache ich natürlich _nicht_, um dich zu ärgern.

    ich liebe wirklich hähnchen … nur werde ich halt nie eines bei wiesenhof zb. kaufen. die bekamen von mir ne email, die wohl zu den ersten 10 gehört haben dürfte, die überhaupt bei denen eintrudelten, in denen ich beklagt habe, daß sie deutsche schlachter nach polen schicken, die dort polnische schlachter ausbilden, die dann wiederum nach deutschland kommen und die deutschen ersetzten …

    der finanzielle schaden, den ich angerichtet haben dürfte (sagen wir mal -früher- 1 hähnchen in der woche, auf gut 16 jahre gerechnet) rechnet sich … heute esse ich natürlich nur noch eines maximal zwei im monat, ich bin ja kein unsensibler tierquäler, aber … ich liebe halt hähnchen.

    da ich in meiner kindheit auch schon mal selbst mit dem beil und so … inclusive kopflosem geflattere über den hof … weiss ich auch, was es heisst, daß tiere für meinen fleischkonsum sterben müssen.

    ein veganer wird jedenfalls nicht aus mir ;-)

  44. „…und moden wechseln. für viele sind diese haltungen nichts anderes als der versuch, sich ein gutes gewissen zu verschaffen oder anderen vorschriften machen zu dürfen. die diktatur der “wohlmeinenden”“

    da ists nicht mehr weit zum Gutmenschen-Bashing! ;-)

    Darf ich dir mein Buch schicken? (Aber nur, wenn du zumindest die ersten 20 Seiten liest).

    „wir sind ständig GEGEN was
    zu blöd, daß wir vergessen, FÜR was wir sind …
    und da hast du deine antwort, was genau schiefgegangen ist.
    ich will (verdammtnochmal) endlich mal irgendwo einen LÖSUNGSANSATZ hören. dieses gejammer macht mich fertig.“

    Da hab ich grade was entdeckt: Die Mutmach-Parade.

    „Unsere eltern und großeltern würden die liiiieben, so wie sie uns geradezu gehasst haben, weil wir ihre welt in frage gestellt _und_ verändert (!) haben.
    die jungen wollen in die 50er zurück. na danke.“

    Vielleicht geht gesellschaftlicher Fortschritt halt viel langsamer als gedacht. Aber wir übersehen da auch gerne, dass „sie“ in einer sehr viel härteren, anstrengenderen Welt leben als wir in den 70gern und 80gern. Damals konnte man mit 1 bis 1,5 Tagen Arbeit die Miete erjobben – davon können die heute nur träumen! (hier könne ich locker 30 weitere Stressfaktoren anführen, die „wir“ nicht hatten – zugunsten der Kürze lasse ich das weg).

    Wir hatten Sicherheit, konnten also locker drauf scheissen!
    Sie haben nur Unsicherheit – und sehnen sich nach Stabilität, Freiheit von Existenz-Ängsten, Geborgenheit.

    „ich liebe knusprige hähnchen mit dieser luxembourger eher curry als paprika mischung und etwas frischem rosmarin – werde jedenfalls kein chlorhähnchen kaufen. andere auch nicht. aber alle tun so, als ob in zukunft alle etwas kaufen müssten, was sie nicht wollen.“

    Du bist in dem Bereich wirklich nicht informiert. Schon heute müssen Leute kaufen, was sie nicht wollen, weil nicht bekannt ist, was drin ist! Die Kennzeichnungspflichten sind ein eigenes politisches Kampfgebiet – und bisher ist es so, dass z.B. die individuelle Entscheidung, keine Produkte von Tieren verzehren zu wollen, nicht respektiert wird. (Wenn du dich damit befasst hättest, würde sich auch dir vermutlich der Eindruck aufdrängen, dass dieses breite Streuen tierischer Bestandteile in alles und jedes auch einen Ruch von „Müllbeseitigung“ hat. Ja klar, wohin mit alledem?)

    „ich denke nicht, daß sich die EU da ihre maßstäbe mehr kaputtmachen lassen wird, als sein muss, wir haben ja auch unsere interessen. es wird immer so getan, als ob nur die USA welche hätten und unsere leute uns sofort an die verkaufen würden. alleine diese denke! wo haben die das gelernt? im nachmittagstv?“

    Die USA führen sich definitiv als „Welt-Hegemon“ in einer Weise auf, die nicht unbedingt Sympathien erweckt. Höflicher hätte ich das kaum sagen können… Auch ist manches in der amerikanischen Kultur „europäischen Werten“ ziemlich ferne (Todesstrafe, absurd lange Haft-Urteile, „Hard Working“ als Summum Bonum [Calvinismus], u.a.)

    Die USA hatten in meinen Kindertagen ein ganz anderes Image, sie waren die Vertreter universalistischer Werte – und jetzt gelten ihnen amerikanische Interessen als oberste Direktive – ein furchtbarer Abstieg. DAs Vorbild ist weg, sein Einfluss nicht!

    Aber das war ja nicht dein Punkt, sorry!

    „wir haben ja auch unsere interessen“

    Und tatsächlich formulieren derzeit viele relevanten DE-Politiker quer durch alle Parteien genau DAS, was auch „die Straße“ und „das Netz“ fordert: Unsere Standards sollen nicht gesenkt werden!

    Nur: kann man ihnen denn glauben?

    Was meinst DU?

  45. [..] da ists nicht mehr weit zum Gutmenschen-Bashing! ;-)

    au. nein, claudia, ich würde das wort nicht mal in den mund nehmen. ich mag menschen, die gutes wollen, aber ich kenne auch den unterschied zwischen mitläufern und menschen, die es ernst meinen. moden streift man irgendwann ab und viele der glühenden veganer werden das irgendwann eben nicht mehr sein. für manche ist das wirklich nur ein grund, anderen klarzumachen, daß sie die „besseren menschen“ sind und ihnen vorschriften zu machen. das hat _zero_ mit gutmenschenbashing zu tun, so sind die dinge.

    erfahrungswert.

    [..] Sie haben nur Unsicherheit – und sehnen
    [..] sich nach Stabilität, Freiheit von
    [..] Existenz-Ängsten, Geborgenheit.

    akzeptiert.

    [..] Du bist in dem Bereich wirklich nicht informiert

    hmpf. claudia, so gut das eben geht, würde ich mal sagen, aber … menschen tendieren nun mal dazu, dinge zu tun, die sie nicht dürfen. das ist entweder der regelfall oder die ausnahme. und ich tendiere zur _ausnahme_.

    das muss ich. wenn ich es für die regel hielte, müsste ich allem und jedem misstrauen, was ich mich weigere zu tun.

    ich kenne den unterschied zwischen einem hähnchen, das eingefroren war und einem, das frisch ist. ich kaufe nie eingefrorene, die sind eklig. meine werden auch in zukunft nicht aus amerika kommen … mit was sie gefüttert worden sind, ist eine andere sache, aber da bin ich wieder da oben: mißtrauen gegen alle oder vertrauen in den laden meiner wahl.

    [..] „Welt-Hegemon“

    die können sich aufführen als was sie wollen, die sind im ####. ihr präsident ist ein verbrecher, weil er menschen ohne gerichtsverfahren tötet. bitte an dieser stelle keine „belehrungen“, man muss mich da nicht überzeugen.

    ich habe es mit pest und cholera zu tun und komme nicht raus aus der nummer.

    [..] Aber das war ja nicht dein Punkt, sorry!

    eben.

    [..] Nur: kann man ihnen denn glauben?

    ich sagte es ja: ihch bin froh für den druck, ich wäre froher, er käme von ruhig und sachlich argumentierenden menschen, aber er kommt oft von hysterischen tanzmäusen, die in einer erregungswelle lärm machen … und nur abstumpfen erreichen.

    ich weiss nicht, ob ich ihnen glauben kann, es ist mal wieder wahl und unsere kanzlerin läßt mal wieder die sau raus, woran sich hinterher aber keiner mehr erinnern wird.

    was ich glaube?

    es gibt so’ne und so’ne …

  46. Ok, ich denke, an dieser Stelle haben wir den Austausch ausgeschöpft! :-)

    Nur eins noch: Mit der „Informiertheit“ meinte ich den Fakt, dass versteckte tierische Bestandteile in Lebensmitteln sind, ohne dass sie gekennzeichnet werden müssen – nicht die allgemeine Info über Massentierhaltung etc.

    Siehe dazu:

    https://www.foodwatch.org/de/informieren/versteckte-tiere/2-minuten-info/

    Bisher ist es trotz intensiver Bemühungen nicht gelungen, da eine Regelung zu bekommen.

    Und noch was: ich bin keine Veganerin, sondern versuche lediglich, mich weitgehend vegan zu ernähren – mit Ausnahmen und „unverbissen“.

    Natürlich werden etliche „glühende Veganer/innen“, die auch all ihre Lederklamotten entsorgt haben, später wieder anderen Engagements folgen – vermutlich aber eher selten zu solch massivem Fleischkonsum zurück kehren, wie er heute in der „Normalkost“ üblich ist. Jugend ist nun mal so – ich war mit twentysomething auch schon mal 2 Jahre Vegetarieren.

    OHNE SIE gäbe es aber den Megatrend nicht! Und der ist stabil bzw. wachsend: letztes Jahr sollen 30% mehr vegane Lebensmittel verkauft worden sein. Ich hoffe, dass immer mehr Unternehmen auf die Idee kommen, diese Kundschaft noch „mitzunehmen“, indem sie ihr Milcheiweiß (das fast überall drin ist), ihre Gelatine, ihre tierischen Aromen und was weiß ich noch alles aus den Produkten entfernen, wo sie verzichtbar bzw. ersetzbar sind.

  47. nur noch so viel: ich weiss, du bist _vegetarierin_, sonst würde ich mich hier nicht über veganer mokieren.

    und: ich habe viel zu früh „akzeptiert“ gesagt und mich nicht über das desinteresse vieler junger menschen für ihre lebensumstände ausgelassen. du ahnst nicht, wie oft ich in den letzten jahren vor genau dem gewarnt habe, was jetzt ist – und gesagt: _ihr_ müsst dann damit umgehen.

    aber okay, ausgeschöpft.

  48. doch noch ein kleiner nachschlag, dem gestrigen abend in trier geschuldet.

    zurst ein radiotipp. kommt ursprünglich von meiner ältesten (28) vor ein paar jahren: jeden samstag, 10 vor 12 auf deutschland radio kultur hat udo pollmer seine sendung „mahlzeit“.

    ich mag foodwatch, aber ich liebe „mahlzeit“.

    pollmer hat so was ungemein entspannendes und ist übrigens der mit den „ernährungslügen“.

    und ich sollte erwähnen, ich _muss_ quasi, daß besagte älteste wohl letzte woche in trier auf dem hauptmarkt eine rede gegen die todesstrafe gehalten hat, weil die eingeladene rednerin ausfiel. womit ich darauf hinweisen möchte, praxisnah, daß mir die engagierten und „guten“ schon qua familiärer umstände vertraut sind: sie ist in einer humanistengruppe engangiert und hat, deshalb _muss_ ich es eben anhängen, das neue buch von michael schmidt salomon beworben.

    wie sie mir erklärt, erstaunt er „papst der deutschen atheisten“ gerade seine leute damit, daß er quasi eine eigene „religion“, die der humanisten, ausruft, weil es ja gut und schön sei, immer an allem herumzunölen und alles schlecht und kritikfähig zu finden … am ende aber mal jemand sagen müsse, was man den so als humanist eigentlich _positiv_ WILL: „hoffnung mensch“.

    jetzt, claudia, könnte es ausgeschöpft sein ;-)

    aber, wenn wir es gelesen haben, reden wir noch mal drüber.