Claudia am 28. November 2009 —

Soziale Medien erfassen mich wellenförmig

… und diese Woche hat mich eine „große Welle“ schier umgehauen! Was so dramatisch klingt, ist nur der hilflose Versuch, in Worte zu fassen, wie mich das twittern, facebooken, lifestreamen/bookmarken und Wiki-diskutieren gerade wieder mal in seinen Bann gezogen hat.

„Wellenförmig“ erlebe ich dieses mich-ergreifen-lassen, weil nach jeder intensiveren Phase des Ausprobierens und Teilnehmens der Gedanke im Raum steht: Jetzt hab‘ ichs! Jetzt kenne ich es und weiß, was es mir bedeuten kann und was nicht. Es folgt dann eine Beruhigung: manche Dienste lasse ich links liegen, andere gemeinde ich in meinen Alltag ein und bin insgesamt überzeugt: da kommt nichts Neues nach.

Integration braucht Zeit

Personen, denen ich auf Twitter folgeDoch immer wieder ist das eine Täuschung! Um Twitter zu integrieren, habe ich fast ein Jahr gebraucht, mit mehreren Anläufen zur persönlichen Sinngebung und langen Pausen der Ignoranz. Heute will ich diesen schnellen Kanal für persönlich interessierende aktuelle Informationen und Stimmfühlungslaute mir wichtiger Menschen nicht mehr missen! Der Knackpunkt im Verständnis war die schlichte Einsicht: ich muss mir dort mein „Programm“ aus vielen Streams unterschiedlichster Twitterer ganz bewusst selbst zusammen stellen. Und seitdem ich das tue, zeigen sich alle Vorwürfe und kulturpessimistischen Klagen über den 140-Zeichen-Dienst als bloße mangelnde Medienkompetenz!

Diese Erfahrung lässt mich offen bleiben für weitere Verstrickungen in die „Social Media“. (Ich bin ja an sich auch gegen die überbordende Nutzung englischer Begriffe, doch haben die im Titel pflichtschuldigst verwendeten deutschen Worte tatsächlich eine andere „Bedeutungsfarbe“ – jedenfalls empfinde ich das so!)

Doch jedes tiefere Eintauchen erzeugt zunächst ein Gefühl des sich Verlierens im Chaos der scheinbar in alle Winde zerstreuenden Informationswelten, die zudem mehr und mehr als „Beziehungswelten“ erscheinen – gewöhnungsbedürftig für eine, die themen- und projektorientiertes Publizieren und Kommunizieren gewohnt ist! Und vielen geht es ja genau wie mir: erstmal ist da ein Gefühl der Abwehr, ein Versuch der Sammlung, der Abgrenzung, evtl. auch der Nichtachtung all der vielen Möglichkeiten, „Freunde“, „Kontakte“, „Fans“ und „Followers“ und wie die „zu Verlinkenden“ alle noch heißen mögen zu – ja was denn? Nutzen? Immer mal HALLO sagen? Stolz auf sie sein und nach MEHR streben?

Beziehungsweise – anstatt „ex cathedra“

Was soll mir das? Ich fühl‘ mich ja nicht etwa EINSAM! Muss doch nicht wie ein selbstdarstellungsgeiler Teenager virtuelle Bekannte um mich scharen, um mich als JEMAND zu fühlen – so war längere Zeit meine erste Reaktion auf all die „beziehungsorientierten“ Features der Web2.0-Medien.

Jetzt begreife ich so langsam: Gerade DAS ist das Neue, das zunehmend „Grund-stürzende“ des „Mitmach-Webs“, dessen Wirkungen nach und nach in alle Ebenen der Gesellschaft einsickern: Was mich bewegt, speise ich ein ins Netz der mit mir Verbundenen, die es wiederum weiter kommunizieren, sofern es auch sie bewegt.

So hat kürzlich die Idee, ein Audimax zu besetzen und gegen die schlechten Studienbedingungen zu protestieren (wofür es ja lange schon jeden Tag Grund genug gab!), binnen kürzester Zeit eine Resonanz gefunden, die das Anliegen blitzgeschwind auf die politische Agenda hob. Hier mal ganz großartig visualisiert anhand der Twitterdaten:

– mittlerweile wurde die Quelle gelöscht –

(via „Wissen belastet“ – dort mit Erläuterung, weiteren Beispielen und guter Analyse!)

Sammlungsversuche

In meinem Kopf schwurbeln zur Zeit ständig Ideen für neue Projekte, da mich das Erkunden der vielen Kommunikations- und Community-Medien unsäglich inspiriert. In so einer Situation verharre ich dann lieber mal ein Weilchen, bis ich besser spüre, was die Stunde geschlagen hat. Denn ich habe das sichere Gefühl, dass die alten Herangehensweise nicht mehr unverändert zum Kommenden passen, ohne doch schon zu wissen, was in Zukunft für mich passt.

Vor allem muss ich mich erst daran gewöhnen, weniger das Projekt (Digital Diary, Webwriting-Magazin u.a.) im Blick zu haben, sondern mehr „Person“ zu sein, bzw. da zumindest mal eine gewisse Konsistenz der Namen und Symbole zu berücksichtigen

Claudia Klinger = HumanVoice = Claudia/Berlin

Humanvoice Humanvoice Claudia Klinger

Um den Überblick zu behalten, hab‘ ich mir mal einen sozialen Graphen als klickbare Map erstellt, der aber auch nicht alles zeigt, bzw. nur „grob“ die Vernetzungen abbildet – immerhin eine Hilfe:

Mein Social Media Graph

das Facebook-Profil mein Haupt-Twitter-Account der 'LifeStream' auf Friendfeed Digital Diary - vom Sinn des Lebens zum Buchstabenglück Vom Publizieren und Kommunizieren im Internet mein Berlin-Blog: Friedrichshain, Neukölln und der große Rest Vom faulen Gärtnern und der Liebe zu allem, was wächst das Erotik-Blog über Liebe, Lust u. Leidenschaft Twitter-Account fürs Lustgespinst-Blog News rund um den Garten und alles, was man da so braucht ein Social Bookmarking-Tool, das die URLs auch weiter reicht per Google-Reader empfohlene Seiten mein Xing-Profil auf YouTube empfehle ich neuerdings auch mal ein paar gute Videos Fotos auf Flickr - die lass ich nicht automatisch melden

Ich bin gespannt, was in 10 Jahren aus der Gesellschaft, wie wir sie kennen, geworden sein wird, wenn zunehmend viele mit vielen über alles kommunizieren und das mehr und mehr auch das Handeln bestimmt!

Wer mag, möge sich eingeladen fühlen, vom eigenen Social-Media-Erleben zu erzählen! Oder entsprechende Links posten… :-)

Diesem Blog per E-Mail folgen…

Diskussion

Kommentare abonnieren (RSS)
11 Kommentare zu „Soziale Medien erfassen mich wellenförmig“.

  1. „Person zu sein“ war immer schon für mich das wichtigste. Deswegen habe ich auch immer unter den selben Namen mich im Netz „veröffentlicht“ und nutze auch immer verstärkt das selbe Avatarbildchen, daß ich wohl auch eher seltens modernisieren werde.

    Avatarbildchen waren für mich eh lange vom „seriöserem Netz“ unterschätzte Identifikationsmöglichkeiten, die „Content ist Text ist Inhalt ist alles“-Fraktion schaut da auch immer etwas spöttisch drauf. Naja, und die Avatarbildchen vieler Forne vom Wackelbusen bis kotzendem Smily taten ein übriges zum schlechten Image. Aber nun sind sie durch die social-Netze rehabilitiert.

    Ich sah das Netz immer schon mehr als sozialen Raum, komme ja aus der lokalen Mailboxecke, wo viele Mailboxen virtuelle Stadteiltreffs waren. Als solche mag ich Twitter und Facebook sehr gerne, wobei mir bei Twitter die 140-Zeichenbeschränkung mal als angenehme Beschränkung und Übung zum Konzentrat vorkommt, mal als Hemmnis anständiger Auseinandersetzung.

    Aber so oder so: wir sind nur auf einer weiteren Sufe einer noch lange gehenden Treppe der Entwicklung, da „ist noch was drin“… Und ich mit Sicherheit neugierig „in Persona und echt“ dabei.

  2. … was mich erfasst und fesselt, sind Botschaften. Ob sie auf einer Welle surfgleiten, oder wie sie mich sonst erreichen, ist mir egal. Und so sind es die verschiedenen Medien, sollten sie Substantielles an mich herantragen, ebenso egal. Was mir eine alte Frau in den Bergen sagt, kann fuer mich persoenlich vielleicht wichtiger sein, als tausende fade Informationen aus aller Welt … Wir baden, ueber die vielen Medien zugetragen, in einer Fuelle von Botschaften. Leider schmecken die meisten wie lauwarmes abgestandenes Wasser.

  3. @Chräcker: und warum ein HUT?? :-)

    @Mohnblume: mich erreichen umso mehr „bedeutende“ Botschaften, je mehr ich lerne, diese sozialen Netze entsprechend zu konfigurieren – das merke ich gerade!

  4. … Claudia, ich hab nichts gegen die Flut. Soll sie auf mich zukommen. Es kann hoechstens jener Effekt entstehen, dass ich abschalte, wenn es mir zuviel wird.

    Ich weiss, da gibt es diese Multitasker, die nie Zeit haben, immer „sooooo busy“ sind, vor lauter Hektik kaum noch einen vollstaendigen Satz hervorbringen … nach einer Weile benehmen sie sich wie Besessene, kaum noch in der Lage eine Pause zu machen, Telefonegespraeche haben sie gleich zwei oder drei, beginnen sogar im Stehen zu essen und trinken … waehrend sie schon zum naechsten Event eilen. Und dann sind sie etwas schockiert, weil ein interessantes Angebot anderweitig vergeben wurde. Nur deshalb, weil sie keine Zeit zum Verweilen und Zuhoeren hatten … Hab sowas in der Familie!

    Ach uebrigens, kennst du den Vergleich der beiden Bauern? Der eine hat sich zum Ziel gesetzt, bester Bauer im Dorf zu werden. Und so graebt er taeglich in seinem Acker, kommt kaum zur Ruhe … Der andere Bauer nebenan, graebt zwar auch, doch dann tut er nur noch wenig. Es kommt der Herbst. Die Erde gibt ihre Ernte her. Der fleissige Bauer geht leer aus, denn dessen Saat hatte keine Zeit zu reifen.

  5. Was mich bewegt, speise ich ein ins Netz der mit mir Verbundenen, die es wiederum weiter kommunizieren, sofern es auch sie bewegt.

    Dieser Satz kommt mir sehr klug vor. In mehr als einer nur angenehmen Richtung, allerdings.

    Die eine, die Schöne: wir bewegen einander, wenn wir (im Netz) kommunizieren. Ja, sicher, das ist einer der Impacts der Kommunikation zwischen Wesen, die nicht solitär sein können, weil sie andernfalls stürben.

    Die andere, die Häßliche: was bewegen wir denn da? Eigentumstitel, Cash-flow, der Lohn zahlte, oder zumindest (Hapimag!) das Aufatmen eines geruhsamen Alterns der (noch einmal) Davongekommenen? Mitnichten! Da bewegt sich womöglich wohl eher das Stefan-Raabsche, rülpsende Ik-bin-oll-do-ik-bin-gagga!

    Bunt und quirlig – ist das wirklich lebendig?

    Ich weiß es selbst nicht, aber ich möchte wenigstens, daß ein paar Menschen sich diese Frage überhaupt (noch) stellen!

  6. Nach Vilém Flusser ist die Absicht aller Kommunikation, die letztliche Einsamkeit und den Tod vergessen zu machen und der auf den Wärmetod zusteuernden Welt (Enthropie) eine künstliche negentrophische Welt der Bedeutungen entgegen zu setzen.

    Stefan Raab et al sind für mich eher ein Element der TV-Welt, aber egal: es findet sich im Social Web für jeden das Passende, weit eher, als im Raum der begrenzten, vor-gebündelten Sender. Wer sich seicht unterhalten will, findet dafür genug Gleichgesinnte und jede Menge Klickibunti. Das ist es ja gerade: jeder stellt sich seine Kommunikationsströme selbst zusammen, ist Herr/in der eigenen Verschaltungen, was ein großer Fortschritt ist.

    Was bewegt wird? Kommt drauf an, was die Individuen bewegen wollen und wie ein Impuls „durchdringt“, weil er von vielen geteilt wird. #unibrennt ist ein gutes Beispiel (siehe oben), die insgesamt 17 Brunnen in Tani, die mittels der Spendenaufrufe im Digital Diarys 2007 und 2008 in Kambodscha errichtet wurden, ein anderes.

    Und so beinhaltet das Netz die „letzte Utopie“: bietet es doch die Möglichkeit, nach der „Methode Flashmob“ auch Handlungen zu initiieren: Handlungen, die viele gleichermaßen als JETZT RICHTIG ansehen. (Habermas sollte eigentlich begeistert sein, steht doch die technische Infrastruktur für seine „Diskursethik“ nun zur Verfügung).

    Den Glauben, dass die repräsentative Demokratie das einzige und einzig richtige Mittel ist, rechtzeitig „das Richtige zu tun“ stirbt in vielen Menschen zunehmend ab. Abgesehen von der Verfallenheit vieler Repräsentanten an einzelne Lobbys und ihrer Versunkenheit in „abgehobene“ Politikwelten, sind ihre Prozesse auch unsäglich langsam.

    Aber stell dir vor, es dringt durch, dass die Bahn verdammt nochmal nicht an die Börse soll – und alle, die es irgendwie ermöglichen können, fahren einfach mal nicht mehr mit: kollektiv „bewegt“ durch einen übers Netz vermittelten Aufruf.

    Bewusster und politischer Konsum: ist er nicht durchs Mitmachweb viel leichter zu befördern?

    Das sind nur kleine Beispiele. Im Grunde geht es um die 2.0-Variante der alten Sprüche:

    „Alle Räder stehen still, wenn der Arbeiter es will“

    bzw. mehr 80ger:

    „Wenn wir es nur wollen und machen, kommt der Stein ins Rollen und Krachen!“

  7. hihi, Claudia, der Hut „an mir“ wird wenigstens nie alt. Den kauft man sich eher neu als, zumindest unsereiner, ein neues Gesicht oder mehr Gedächtnisleistung im Alter…

    Mohnblume, diese oft beschriebenen Multitasker begegne ich in dieser Färbung eher selten. Mir begegnen andere Multitasker häufiger, die, damit es eben nicht im Streß ausartet, einfach alles verknappen und verflachen. Klar können die lässig telefonieren, chatten und gleichzeitig Zahlen in der Tabellenkalkulation verschieben während auf dem zweiten Monitor der Fernseher läuft… man widmet allem eben nur noch verminderter Aufmerksamkeit in dem man entweder die Tiefe weg läßt oder die Aufmerksamkeit stark fragmentiert.

    Und klar sind alle hier lesende strengstens ausgenommen. Leider aber nicht alle die, mit denen ich zu tun habe.

  8. Liebe Claudia,
    Dein Artikel hier „verfolgte“ mich wohl ebenso wie Deine Passion (nennen wir es so) mit den vielfältigen Diensten.
    Zunächst war mir diese Verstrickung fast unheimlich, dann erinnerte ich mich Tage später, daß ich 10 Jahre lang systematisch bestimmte Dokus aus den 3ten Programmen, Arte, 3SAT ect sammelte. Nur diese Sendungen führte ich mir zu.
    Irgendwann wurde mir das zuviel, auch weil sich plötzlich an die 100 ungesehene Sendungen anhäuften (was vorher nie der Fall gewesen war). Ich möchte diese Zeit damals nicht missen, es brachte mich mit 1000 anregenden Dingen in Kontakt.
    Insofern also hat sich mein Blick auf Deinen Artikel wieder etwas gewandelt.
    Gruß
    Gerhard

  9. manchmal ist es
    wenn der wind weht
    wenn ein kind tanzt
    wenn ein könig föllt
    manchmal ist es
    wie wenn alte zeiten
    im neuen kleid
    manchmal über
    horizonte schreiten

    manchmal ist es nicht
    egal
    umsonst
    vergeblich
    manchmal ist es
    wert.

    manchmal wenn der wind weht
    geschichten trägt und leise
    in jedem offnen ohr
    ein raunen ist
    wie vor langer zeit
    manchmal ist es gut

  10. und wenn es dann ganz stille wird
    (…)
    ist es wie es ist

  11. @Ingo: wow, was für ein schönes Gedicht!