Claudia am 30. Juni 2000 —

Consumed

„Du suchst Musik, die dich berührt?“ hatte er gefragt. Ja, und ich bin es lange schon satt, mir für’s „berührt werden“ zehn bis 25 Jahre abgehangene Oldies anhören zu müssen. Sentimentale Besuche in den Sound-Museen der eigenen Vergangenheit langweilen mich. Selbst wenn ich niemals davon loskomme, wie ein Automat auf Stücke wie „I ‚ve got life“ (aus dem Musical „Hair“) oder „Avalance“ von Leonard Cohen mit einchlägigen Gefühlen zu reagieren, ödet es mich doch schon an, während es geschieht. Also lebe ich seit den Zeiten der neuen deutschen Welle mangels Alternative in musikalischer Stille.

Was ich gerade höre, heisst „Consumed“ und ist von „plastikman“ – tja, die Worte laden dazu ein, weiter zu schreiben: Und so hört es sich auch an… Das wäre allerdings eine Verfälschung um des Lästerns willen, die vielleicht in den SPIEGEL passt, aber nicht in Mymedium, wo es mehr um den aufrechten Gang geht als um die Effekte.

Der eher metallisch als plastikhaft klingende Sound, der sich hier rundum entfaltet und diese miese PC-Anlage bei weitem überfordert, ist mir nicht völlig fremd. Immerhin. Ich hatte mit allem gerechnet. Wer bereitwillig Musik-Favoriten von deutlich jüngeren Menschen ausprobiert, kann auch schwer auf den Bauch fallen, sich Ohr und Gemüt nachhaltig beschädigen (meine Eltern haben das zu meiner Musik auch gesagt, nur weit weniger höflich).

Was hier tönt, ist wieder einmal der beruhigende Sound der Maschine, den ich bei Kraftwerk, Mike Oldfield und in manchen New-Age-Stücken kennen lernte – damals allerdings noch mit allerlei herzergreifenden Melodien versetzt. Im Techno hat sich die Musik ganz vom Herzen emanzipiert, in die unendlichen Möglichkeiten des Sound-Mixens vervielfältigt, nur noch einzuordnen in verschiedene „Richtungen“ durch die Anzahl der Beats per Second. Zum Eingewöhnen für Over40s ist „Trance“ als langsamste Variante sicher das Mittel der Wahl – man bekommt mehr vom Geist der Musik mit als bei den schnellen Formen, die den Körper so gewaltätig ergreifen und völlige Unterwerfung verlangen.
 
Was ist nun mit diesem Geist? Er ist gerade dadurch am besten beschrieben, daß er eben vom Herzen wegführt. Und zwar nicht panisch oder aufgeregt, voll schierem Entsetzen über das Leiden, sondern eher aus coolem Überdruss, aus Langeweile im Rad der ewigen Wiederkehr. Wir wissen ja so viel – aber wir können trotzdem nicht heraus. Ist das Kreisen in den Wissenswelten also alles?

Nein, aber der Austritt kostet dich den Austretenden, das wußten Mystiker schon immer. Techno ist eine Lösung auf Zeit, Samadhi on demand, insoweit ich eben willens und fähig bin, mich darauf einzulassen. Dieser Sound erzählt keine Geschichten und strebt nichts an. Wenn etwas Treibendes aufkommt, so ist es eher Tanz als Kampf. In jedem Fall verlockt es, zu vergessen, jegliche Spannung zwischen innen & aussen, alle Spaltung, die durch Gedanken ins Leben tritt, zu verabschieden. Und tschüss!

Mir fällt das nicht leicht. Ich fühle den Sog, der von den kreativ gesetzten Sounds, den seltsamen Geräuschen und den mit Monotonie & Aufmerksamkeit spielenden Rhytmen ausgeht. Es zieht gleichzeitig hinunter und hinauf, zur Basis allen Lebens, zum geradezu vegetativ-ekstatischen Sex, und zum reinen Geist, insofern Geist mit einem Stein oder einem Kristall verglichen werden kann.

Doch ich will nicht mit. Ich verweigere regelmäßig das Paradies, nicht nur in der Trance-Musik. Obwohl ich diese Sehnsucht immer spüre, gehe ich doch nicht weiter. Ich müßte das „ich denke“, „ich erlebe“ loslassen. Und das ist offenbar nicht drin, ich bleibe lieber im Sumpf von Freud & Leid und schreibe darüber.

Morgen hör‘ ich in die andere CD, es waren ZWEI Favoriten…

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