Claudia am 14. Juni 2002 — Kommentare deaktiviert für Gifte und andere Sünden

Gifte und andere Sünden

Seit ein paar Tagen kämpft der arme Osterkaktus, der gerade noch einen starken Wachstumsschub hatte, ums Überleben. Etwa ein Drittel seiner Segmente hat er bereits abgeworfen. Sie faulen von innen heraus, werden schlaff und fallen ab.
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Claudia am 05. Juni 2002 — Kommentare deaktiviert für Die Einsamkeit des Netizen

Die Einsamkeit des Netizen

„Eines der zentralen Probleme unserer Lebensform ist die Einsamkeit. Und die wird nicht dadurch gelindert, dass wir nunmehr per Internet mit aller Welt kommunizieren können“, sagt der Benediktinermönch und ZEN-Meister Willigis Jäger in seinem lesenswerten Buch „Die Welle ist das Meer“. Richtig, ich fühl‘ mich grad‘ unglaublich einsam – und auf seltsame Weise ANDERS einsam als vor den Zeiten des Netzes.

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Claudia am 31. Mai 2002 — Kommentare deaktiviert für Wenn die Worte versiegen: Urlaub im hier & jetzt

Wenn die Worte versiegen: Urlaub im hier & jetzt

Seit Tagen bin ich unfähig, eine Zeile zu schreiben. Setze mich – wie gerade wieder – morgens vor den PC, beginne einen Halbsatz, starre auf die paar Worte, die die Seite verunreinigen wie Fliegenschiss, und vergesse, was ich sagen wollte. Oder ich vergesse es nicht, doch es kommt mir auf einmal lächerlich vor: Worte, mehr Worte, noch mehr Worte – wozu eigentlich? Schreiben ist Abstand halten vom Leben, und wenn es gut gelingt, ziehe ich auch andere hinab ins Schattenreich reiner Vorstellungen, dieses farblose „Leben anstatt“, nachdem wir alle so süchtig sind.

Ich glaube, es war am Montag, als ich mich mal wieder zwischen sechs ungefähr gleich wichtigen bzw. unwichtigen Aktivitäten nicht entscheiden konnte. Eins nach dem anderen taucht dann vor dem inneren Auge auf und eine Art Suchscheinwerfer checkt meine Gefühle zur Sache: hab ich LUST darauf? Winkt eine wie immer geartete Freude? Kann ich wenigstens einen Ehrgeiz befriedigen? Ist da vielleicht eine Angst, die mich antreibt? Und wenn keinerlei Resonanz erfolgt, dann wird das nächste Thema eingeblendet und ganz genauso auf Handlungsbedarf untersucht. Dann das ganze wieder von vorne, mit der ersten Möglichkeit beginnend, es erinnert mich ans TV, wenn die Aktienkurse am unteren Bildrand durchlaufen, um den einen oder anderen Zuschauer zur Kaufentscheidung zu verlocken.

Mehr als eine diffuse Angst im Hintergrund, die mir zu Recht sagt, ich müsse ja doch irgend etwas tun, wenn mir mein Berufsleben mit all seinen Einkommenschancen noch etwas bedeutet, spüre ich nicht. Und auch diese Angst ist kaum ein Gefühl, eher ein Gedanke, ein Pflichtgedanke, der zur inneren Einrichtung gehört wie das Kaffee-Service mit den röhrenden Hirschen irgendwo unten im Schrank, das man nicht wegzuwerfen vermag, solange die alte Tante noch lebt.

Was ist nur los mit mir? Immer öfter zeigt sich mir die Welt auf diese Weise, als ein beliebiges Sammelsurium von Plänen und Pflichten, die ich irgendwie sortieren soll, Prioritäten setzen, erfolgreich abarbeiten, und dann? Das nächste bitte! Ich kann zusehen, wie ich ohne Not neue Vorhaben ins Leben rufe, mich hier oder dort zu diesem und jenem verpflichte, ohne dazu gezwungen zu sein, ja, oft sogar, ohne dafür bezahlt zu werden – warum tu‘ ich das? Wenn mir dies alles sowieso schon als seltsames Schattenreich aus Zeichen und Bildern erscheint, warum setze ich immer noch eins drauf?

Vielleicht ist es besser, mich vom Monitor zu entfernen? – so dachte ich jedenfalls am Montag morgen, stand vom Stuhl auf, öffnete die Balkontür, blickte in den wolkigen Himmel, atmete ein paar Mal tief durch und setzte mich auf den Boden. Mich selber aussitzen, einfach abwarten, bis sich das Kopfkino beruhigt hat, in der Hoffnung, dass sich dann alles wie „von selbst“ sortieren werde – so ungefähr hatte ich es mir vorgestellt.

Aber weit gefehlt! Mir schien, als beschleunigten sich die Gedanken noch, nun, da ich ihnen freie Bahn eingeräumt hatte. Zu den sechs anstehenden Arbeiten fielen mir prompt noch fünf andere ein, dazu die unzähligen Kleinigkeiten, E-Mails, die geschrieben werden müssen, anstehende Korrekturen an verschiedenen Webseiten, Überlegungen, ob ich nicht diese oder jene Seite lieber löschen sollte, anstatt immer wieder veraltete Links zu erneuern, Erinnerungen an abgebrochene Gespräche, als ich selber oder mein Gegenüber plötzlich in Aktivitäten versackt war, ja, und natürlich sind da noch die Projekte, meine Werbe-Seite ist nun echt mal fällig…
Und dann – es gibt ja ein Leben neben der Arbeit! – all die Gedanken ans Elend der Welt, Israel und die Palästinenser, Kampf gegen den Terror, Saddams Massenvernichtungswaffen, Kürzungen im Berliner Haushalt, Streiks, steigende Arbeitslosigkeit, Entlassungen, Insolvenzen, Globalisierung, Wahlkampf – oh Gott, wer rettet mich davor, nun auch noch in diesen Themen-Ozean zu versacken?

Nichts und niemand. Während das Kopfkino zu Hochform aufläuft, wird mir auf einmal klar, dass das immer so weiter gehen wird. All diese Gedankenbits werden sich weiter überschlagen und gelegentlich wird mich etwas davon in Aktion versetzen. Nicht, weil ich etwa sinnvoll Prioritäten setze, sondern weil der Reiz, die Idee, oder auch das, was droht, gerade besonders eindrücklich scheint, jedenfalls eindrücklicher als das zuvor oder später im Focus der Aufmerksamkeit befindliche. Nach außen mag das durchaus wie „Prioritäten setzen“ wirken – umso leichter, als ja doch niemand zuschaut, denn jeder ist mit dem eigenen Kopfkino beschäftigt. Tatsächlich ist da nichts außer einem Getrieben-Sein, eine seltsame Unruhe, die sich als Langeweile manifestiert, wenn man sich – warum auch immer – mal nicht dem Gang der Dinge tätig in die Arme werfen kann.

Ich kann die Augen nicht mehr davor verschließen: Was ich tue oder lasse, was ich denke und schreibe, tu‘ ich zu großen Teilen nicht aus guten Gründen (Geld, Ruhm, Ehre, Welt-Retten), nicht einmal, um einem eigenen Dämon, einem Hobby, einer Marotte zu folgen, sondern ich rede, schreibe, plane, mache meistens deshalb, weil ich nicht anders kann, weil gar keine Alternative zur Verfügung steht. Aufhören ist undenkbar, denn es gibt kein Diesseits des rechnenden Denkens, allenfalls Pausen, Entspannungsübungen, kleine Fluchten – allesamt dadurch gerechtfertigt, dass sie „notwendig“ sind, um den Status Quo zu erhalten, das Dasein „um-zu“: wenn man jeweils am Ziel angekommen ist, ist dort gar nichts, nichts außer der nächsten Aufgabe.

„Du spinnst!“, sag‘ ich mir, bzw. sagte ich mir am Montagvormittag, als ich so auf dem Boden saß und mich ernsthaft fragte, ob ich denn SO noch Jahrzehnte zubringen will: als Reality-Zapper ohne echtes Engagement, ziellos leer laufend im rasenden Stillstand.

Nun, ich wollte es ja „aussitzen“: in meinem Kopfkino sitz‘ ich immerhin in der ersten Reihe. Einfach die Gedanken in aller Gelassenheit und ohne Bewertungen wahr nehmen – irgend wann würde der Strom schon ruhiger werden, nach und nach langsamer fließen, vielleicht gäbe es dann Momente der Stille, in die – toi toi toi! – visionsartig einfallen würde, was wichtig und richtig ist. Mehr noch: Was LEUCHTET, was warm und farbig das Herz berührt!

Denkste! An diesem Morgen hatte ich bereits drei Tassen (Pötte!) Milchkaffee intus, dazu bestimmt schon zehn Zigaretten – auf nüchternen Magen, versteht sich, ich frühstücke normal erst mittags. Mein Herz schlug schneller, ich zappelte herum, wippte mit dem Fuß, zwirbelte die Haut am Fingernagelbett bis es weh tat; es drängte mich, nun endlich aufzustehen, mich wieder „ins Cockpit“ zu setzen und mir eine anzustecken, damit der kurze Nikotin-Flash wenigstens für einen Moment fragloses Wohlgefühl erzeugen möge: Ohhhhh, Einheit von Körper und Geist! Dass meine Bronchien von dieser Art Einheit gerade wahrhaftig genug hatten, war zu hören und zu fühlen, aber offensichtlich spielte das keine Rolle.

Warum das alles? Und wie lange noch? Ich war auf einmal ziemlich entsetzt. Nicht, weil ich mich entgegen aller Vernunft mit Giften beschädige, auch nicht, weil ich vor irgendwelchen Lehrern, Partnern, Weltbildern oder hübschen Gedankengebäuden über ein gesundes Leben in einer besseren Welt gnadenlos versage – nein, ich sah auf einmal die Sinnlosigkeit, das Immer-Weiter-So, das Wiederholen des Immer-Selben.

Nichts von all den vielen Dingen, zwischen denen ich hin- und hergerissen bin, haut‘ mich noch wirklich vom Hocker. Nichts mehr lässt mich fasziniert den Spuren folgen und jeden Einsatz bringen. Nichts scheint mehr so drohend, dass es mir einen richtigen Schreck, eine ordentliche Angst einjagen, mich also in Bewegung versetzen könnte – und dennoch bin ich immer in (mentaler!) Bewegung, MUSS in Bewegung sein, muss ständig zwischen den 10.000 Dingen wägen und wählen. Kann vielleicht – als einziger Notnagel – darüber schreiben, um mich wenigstens ein bisschen als Mensch zu fühlen, als GANZES, das zumindest in der Lage ist, die Lage zu SEHEN, in der es da zappelt.

Das immerhin war noch möglich. Ich sah mich auf einmal ganz klar: Fast immer „Probleme bedenkend“, darüber redend, lesend und schreiben. Sicher, ich mach‘ auch Yoga, gehe sogar ins Fitness-Center, mag Spaziergänge, – aber das Gefühl des „Heimkommens“, das mein Yogalehrer nahe legt, wenn wir uns auf den Körper konzentrieren, fühle ich eher dann, wenn ich mich an den Computer setze. Das ist der Ort, von dem aus ich „meine Welt“ gestalte, erhalte und verwalte, wo mir all‘ meine Ressourcen und die vieler anderer zur Verfügung stehen, wo ich „in Kontakt bin“, zumindest „der Möglichkeit nach“, eben so, wie das Virtuelle in diesem Leben vorhanden, bzw. nicht vorhanden ist und trotzdem voller Kraft: der Kraft nämlich, alles andere restlos zu verschlingen.

Fühlt Euch nicht auf der sicheren Seite, ihr Freunde des Buches und der „Papers“. Sich zurück lehnen und in einen interessanten Essay versinken, auf der Couch liegen und die Welt über einem vielschichtigen Krimi vergessen – auch das ist kein Leben, sondern ist „Lesen über das Leben“. Es braucht keinen Computer, um sich im eigenen Kopf zu verlieren – ich mach’s auch gern per Buch, wie meine Leseliste beweist.

Am Montag jedenfalls hatte ich plötzlich keine Lust mehr auf die geschriebene, gemeinte, erzählte und gezeigte Welt. Ich schaltete den PC aus und räumte ein bisschen das Zimmer auf. Staub saugen, Papierkorb leeren, Tabak, Zigaretten und Aschenbecher entsorgen, Müll runter bringen – alles freute mich, was ich anfassen, riechen und spüren konnte. Selbst Geschirr spülen macht seither Spaß! Die Farben draußen scheinen kräftiger, das Licht kommt heller durch die Wolken, der Himmel ist blauer und die Wolken sind weit dramatischer als ich es gewohnt bin. Wenn ich das Haus verlasse, bestimmten die Füße, wo es lang geht – und am Computer komm‘ ich seit Tagen kaum noch vorbei. Musste mich heut‘ morgen richtig zwingen, es wieder einmal zu versuchen: Drüber schreiben, statt selber leben.

Langsam frag ich mich: Was wird aus mir werden, wenn ich mich der Zeichenwelt dauerhaft entfremde? Wenn das nicht nur eine Pause, eine Art Spontanurlaub im Hier & Jetzt ist, sondern sich eine große Veränderung ankündigt? Ohne Tabak und ohne die kontinuierlichen Koffeinschübe von früh bis spät fühl‘ ich mich deutlich zu wach zum arbeiten, zu spritzig für dieses reduzierte Herumsitzen und in die Tasten tippen, das ich gerade wieder betreibe, damit Ihr nicht glaubt, ich sei verstorben.

Aber selbst wenn alle das dächten, ja, wenn es wahr wäre, wär‘ das denn irgendwie schlimm?

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Claudia am 23. Mai 2002 — Kommentare deaktiviert für Der Abschied, die Katze, das Leiden

Der Abschied, die Katze, das Leiden

Die Spannung steigt. Gestern den unterschriebenen Mietvertrag mit sieben Anlagen an den Makler geschickt und die Kaution für die neue Wohnung in Friedrichshain überwiesen. Jetzt muß noch die „Gegenseite“ unterschreiben, dann ist der Umzug „im Kasten“. Eigentlich dürfte nichts mehr dazwischen kommen, doch bin ich gewohnt, nicht auf Dinge zu vertrauen oder gar zu hoffen, die noch nicht ganz sicher sind. (Auch das ein Teil der selbst anerzogenen Verteidigungshaltung gegenüber der Welt: Nichts wünschen, nichts erhoffen, dann kann ich auch nicht enttäuscht werden). Weiter → (Der Abschied, die Katze, das Leiden)

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Claudia am 23. Mai 2002 — Kommentare deaktiviert für Am Puls der Zeit: Bush-Besuch

Am Puls der Zeit: Bush-Besuch

Vermutlich ist es das Alter: Herr Bush und alle, die in diesen Tagen einen solchen Wirbel um seinen Besuch veranstalten, langweilen mich. Heut‘ will er, so ist zu hören, eine HISTORISCHE Rede im Bundestag halten – ach, ich bin mir fast sicher, dass in dieser Rede kein halber Satz vorkommen wird, den man nicht schon kennt, nicht so oder ähnlich erwartet. Und alle Nachrichtensprecher, Kommentatoren und Reporter auf den Straßen tun ebenfalls ihr bestes, vorgestanzte Sätze und Statements auszutauschen. Demonstranten in karnevalesken Kostümierungen geben brav zu Protokoll, gegen was sie jetzt gerade demonstrieren und wenden sich dann wieder dem fröhlich-bunten Miteinander zu. Trommeln dröhnen, die Leute tanzen, einzelne führen akrobatische Kunststücke vor – man kann nicht unterscheiden, wer hier demonstriert und wer nur flaniert, sagt ein Reporter.

Mir reicht es, alles vom TV aus anzusehen, man sieht sehr viel mehr und wenn ich mich ärgere, kann ich es ausschalten. Schon der Karneval der Kulturen am Sonntag war medial betrachtet sehr viel angenehmer, denn es hat die ganze Zeit geschüttet.

Am Dienstagabend kam alles ein wenig näher – wie immer, wenn die Welt „gewalttätige Ausschreitungen befürchtet“, versammelten sich mehrere hundert junge Menschen auf dem Boxhagener Platz, viele mit Bierflaschen in den Händen. Bald war der Bär los, wieder erklangen die „Bush-Trommeln“, ab und an redete jemand Unverständliches in einen Lautsprecher, gelegentlich raffte man sich zu kurzen Sprechchören auf („Hoch die internationale Solidarität!“). Ich ging runter, wollte mal gucken, die Atmosphäre aus der Nähe schnuppern, aber da die Wannen/Einsatzfahrzeuge sich grad von allen Seiten um den Platz stauten, hab mich lieber wieder verzogen. Zwar werde ich normalerweise (altersbedingt..) von den Polizeibeamten nicht mehr als „Zielgruppe“ wahrgenommen, aber es war verdammt dunkel.

Vieles erinnert mich in diesen Tagen an die 80ger, ich war Ende zwanzig, voll begeistert und hoch engagiert „Häuserkampf“, Anti-Reagan-Demo, TUWAT-Festival – oh, wenn ich anfangen würde, davon zu erzählen, wär ich genau wie der Opa, der immer die Geschichten von „damals im Krieg“ zum besten gab, ob sie einer hören wollte oder nicht.

Anders als der nervende Opa bin ich mir nicht sicher, inwieweit ich überhaupt noch ein Geschehen „richtig“ beurteilen kann. Zwar sehe ich die Ähnlichkeit der äußeren Formen zu „früher“, gleichzeitig nehme ich auch Unterschiede wahr. Alles kommt mir ein wenig unecht vor, als zelebrierten die Menschen weitgehend bewusst hohle Rituale, ein Protest ohne Herz und ohne echte Wut, abgeleistet für die Medienwelt weil es nun mal sein muss, wenn ein amerikanischer Präsident kommt. Dass man versucht, dabei ein Maximum an Spaß und guter Unterhaltung mitzubekommen, versteht sich von selbst. Die Bush-Demo als Event der Spaß-Gesellschaft – von den Berlinern nur mit gebremstem Schaum mitgetragen. Zu komplex sind die Themen, nur wenige formulieren noch klare Feindbilder, der Schatten des 11.Septembers hindert viele daran, in ein schlichtes „Ami go home!“ einzustimmen. Auch die befragten Demonstranten äußern sehr differenzierte Meinungen, so dass praktisch jeder etwas anderes sagt.

Das sind meine Eindrücke – inwieweit sie etwas Objektives beschreiben oder mich nur selber spiegeln, kann ich nicht wissen. Berührt hat mich das Statement eines amerikanischen Journalisten, der sagte, er erlebe die Demos nicht als anti-amerikanisch, dieselben Proteste gäbe es weltweit und auch in den USA selbst. Im übrigen sei es gut, wenn in Deutschland demonstriert werde – erst wenn NICHT mehr demonstriert werde, bekäme er Angst.

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Claudia am 15. Mai 2002 — Kommentare deaktiviert für Die ganz normale Korruption

Die ganz normale Korruption

Schon im Wort selber schwingt Entrüstung mit: KORRUPTE Politiker! Kann man das auch ganz emotionslos sagen? So wie „Baugenehmigung“ oder „Evolutionsvorsprung“? Eher nicht, beim Aussprechen oder Niederschreiben stellt sich im Gegenteil die Gier ein, noch eins drauf zu setzen: Widerlich-korrupte Politiker-Bande! Schamlose Selbstbereicherung! Übelster Spendensumpf! Und je mehr man um Worte ringt, desto größer wird die Entrüstung. Die ansonsten belächelten Schlagzeilen der BILD-Zeitung können jetzt gar nicht groß genug sein, gewaltige Lettern schreien die eigentlich nie richtig neue Wahrheit quer über die Straße: KORRUPTION! Und auf einmal ist das gut so. Weiter → (Die ganz normale Korruption)

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Claudia am 13. Mai 2002 — Kommentare deaktiviert für Die Oder, der vergessene Fluß

Die Oder, der vergessene Fluß

Achtzig Kilometer sind es von Berlin bis zur Oder. Der Kontrast zur Stadt könnte nicht größer sein: eine kilometerbreite Auenlandschaft, aus dem Wasser ragende Weidenwäldchen und Gebüsche, mäandernde Nebenarme, Tümpel, Weiher, Sümpfe und fette Wiesen, alles blüht, summt, duftet und wiegt sich tänzerisch im Wind. Drüben auf der polnischen Seite ein breiter Gürtel wegloses Schilf, dahinter Wälder. Der Blick sucht ganz aus alter Gewohnheit die üblichen Wunden und Schründe megalomaner Menschenarbeit – nichts!

Seeadler kreisen hoch über dem Fluss, elegante Graureiher strecken ihre schmalen Schnäbel in die Luft, Störche stolzieren gemütlich durch den Überfluss, der sich ihnen in den stehenden Wassern anstrengungslos darbietet: Hunderttausende Frösche und Kröten konzertieren lautstark ihre Erregungszustände. Kaum verebbt das Geckern und Quaken in dem einen Weiher, hebt es umso beeindruckender in einem anderen wieder an. Ich muss an Nachrichten denken, wie sie sich wellenförmig über verschiedene Medienkonglomerate immer wieder hochschaukeln – den Fröschen nehme ich die Geilheit nicht übel, die aus ihnen schreit.

Ich spaziere auf dem Damm entlang – ach ja der Damm, das große Werk. Wäre er nicht errichtet worden, würde sich diese Wildnis zwanzig Kilometer in Richtung Berlin erstrecken, den „Oderbruch“ gäbe es nicht. Ein flacher, tief liegender Streifen fetter Erde, für Brandenburg eine Seltenheit. In Abständen hingeduckt altertümliche bäuerliche Anwesen, teils verlassen und verfallen, aber auch lebendige darunter. Wahre Idyllen für das Auge des Städters, Fachwerkhäuser in beige und braun, marode Schuppen, nicht ganz ernst gemeinte Zäune um blühende Gärten – RICHTIGE Gärten, nicht so etwas Aufgeräumtes, Rasenmäher-gepflegtes wie in den stadtnahen Einfamilienhäusern der Pendler.

Und sonst? Nichts. Das hat mich schon immer gewundert, seit ich die Oder das erste Mal sah. Keine Yachten und Tretboote, kein Kanu-Sport, kein Wasserwandern, man muss schon ein paar Stunden warten, bevor mal ein Schiff vorbei kommt – und das ist dann ein kleiner Transporter, keinesfalls ein Ausflugsschiff. Auch kein „Strandleben“ an den Ufern, keine Cafés, nirgends Restaurants oder gar musikbeschallte Biergärten – und, das wundert fast noch mehr – auch kein „Ökotourismus“. Kein Naturlehrpfad ruft mir Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen in Erinnerung, kein Infocenter belehrt über die hier noch erhaltene Tier- und Pflanzenwelt und legt rote Listen aus. Mein Gott, wo bin ich hier? Eine richtige Wildnis mit allem Drum und dran eine gute Stunde vor Berlin – und völlig ignoriert!

Der Rhein, dieser voll-betonierte Abwasserkanal, wird immer noch heftig besungen, Elbe, Donau und Spree sind dichterisch und touristisch in aller Munde, die letzten paar Meter ihrer ursprünglichen Auenlandschaften werden mit Klauen und Zähnen als letzte Refugien der Natur geschützt und gepriesen – hier an der Oder erstrecken sich wild-belassene Weiten von Küstrin/Kostrzyn bis ins vielfach verzweigte Mündungsdelta, man könnte tagelang auf dem Damm wandern. Warum tut „man“ es nicht?

Deutsche Geschichte. Oder-Neisse-Grenze. Drüben der Feind – ist es das? Immerhin waren Polen und die DDR „befreundet“ – warum ist dieser Grenzfluss dennoch so sehr Grenze geblieben? Eine Grenze, von der man sich abwendet, als wolle man vergessen, dass es ein „drüben“ gibt?

Ich stehe am äußersten Rand der EU und schaue nach „drüben“. Der Fluss fließt ruhig aber geschwind, hier ist gewiss keine Stelle, an der nachts die Illegalen herüber kommen. Weit und breit kein Bundesgrenzschutz, vielleicht ist es ja nachts anders. „Wenn sie beigetreten sind, schauen wir mal, was auf der anderen Seite ist“, sagt mein Lebensgefährte. Warum eigentlich erst dann? Der Personalausweis reicht, „sie“ nehmen sogar Euro. Was hindert uns, mal eben ‚rüber“ zu gehen?

Ich weiß es nicht, aber ich fühle es auch.

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Claudia am 06. Mai 2002 — Kommentare deaktiviert für In der langen Weile

In der langen Weile

Alles blüht, auch die Bäume direkt unter meinem Fenster im zweiten Stock. Der Duft der vielen Blüten, der unscheinbaren genauso wie der der in Schönheit auffälligen, hat etwas Verstörendes, Aufrührendes. Er trifft mich in einer Tiefe, die vom Denken nichts weiß. Die unermüdliche Großhirnrinde, die es einfach nicht schafft, sich heraus zu halten, versucht trotzdem, die Botschaft zu übersetzen: Hey, es gibt ein anderes Leben! Das RICHTIGE Leben, von dem das deine nur ein schwacher Abklatsch ist. Der Regenwurm, der sich genießerisch durch die feuchte Erde wühlt – welche Intensität mag er als reines Freß- und Ausscheidungswesen spüren, ungetrübt von Gedanken und Aufgaben, ohne Zukunft? Oder die Krähe, die mit elegantem Schwung auf der Laterne landet und die Passanten beobachtet, ob sie nicht etwas fallen lassen – sie kennt keine Zweifel, keine Bedenken, keine Langeweile, sie weiß, was sie tun muss und es macht ihr sichtlich Spaß.

Die Düfte des Frühlings lassen mich ahnen, wie es wäre, kein Mensch zu sein. Oder ein Meister des DAO, der tut, was kommt, und gewiss nicht frühmorgens die innere To-Do-Liste abklappert, alles „in Erwägung zieht“, nach Dringlichkeit einstuft und Gründe sucht, dies alles noch ein bisschen weg zu schieben – weg? Wohin? Vor allem: wofür?

In diesen Frühlingstagen fühle ich die Absurdität meines Verhaltens mehr als sonst. Freiheit – so scheine ich es mit der Muttermilch eingesogen zu haben – ist die Abwesenheit von Zwang. Zwang ist alles, was man tun MUSS, und letztlich ist fast alles Tun darauf gerichtet, diese Zwänge zu „erledigen“. Dabei ist es letztlich egal, ob ich die einzelnen Aufgaben gerne tue oder nicht. Oft genug ist es mir gelungen, genau das zu „verkaufen“, was mir – als reines Tun betrachtet – die größte Freude macht. Und jedes Mal kann ich sehen, dass die Verbindlichkeit selbst, das Versprechen „Ja, ich werde das tun“ diese seltsame Haltung aufruft, die sich wie eine Hürde vor die Dinge stellt, mich vom Leben „im Fluss“ trennt.

Was ist das? Kann ich irgend etwas tun, um es zu verändern? Bis jetzt sieht es nicht so aus, ja, es wird immer weniger wahrscheinlich, je mehr ich mich in das Geschehen versenke. Ich lerne von den Erfolgen, die mein Herangehen zeitigt, lerne, dass es SO nicht geht. Immer wieder erreiche ich nämlich den „Freiraum“: alles Wichtige ist abgearbeitet, nichts drängt mich – und dann? Dann kann ich zusehen, wie mein innerer Arbeiter sich neue Aufgaben ausdenkt, wunderbare Vorhaben und Projekte, die sogar echte Chancen auf Verwirklichung hätten, wenn… ja, wenn ich nicht erkennen würde, dass hier gerade neues Material für die To-Do-Liste entsteht, das morgen ganz genauso, wie das eben erst „erledigte“, etwas sein wird, das ich ganz gerne noch ein wenig vor mir her schiebe.

Also sitze ich es aus, verharre in der langen Weile, öffne vielleicht mal die Balkontür und schaue in die Welt „da draußen“: Hm, naja, nichts lockt, nichts fordert, nichts ängstigt, ich stehe da, erlebe das Wetter, höre die Geräusche der Stadt – und bald schon sagt eine innere Stimme: Und was jetzt? Ich schließe die Tür also wieder, setze mich vor den Monitor, ein Doppelklick auf die „Netzwerkverbindung“ öffnet das Tor zur virtuellen Welt. E-Mails rieseln herein, Werbung und Viren fallen der Entfernen-Taste zum Opfer, die verbliebenen Nachrichten überfliege ich – da schreibt mir jemand, den ich nicht kenne, etwas, das ich nicht verstehe. Warum sagt er mir das? Was will er? Warum meint er, mir das berichten zu müssen? Ich klicke auf „Antworten“ und beginne, eine halbwegs freundliche Nachfrage zu formulieren – mitten drin erinnere ich mich, dass ich BIN, und dass ich gerade wieder eingeschlafen war. Warum um Himmels Willen tippe ich Mails an unbekannte Menschen, die mir unverständliche Dinge mitteilen? Klick und weg, meine angefangene Botschaft verschwindet im Nichts – und ich sitze ebenfalls wieder in einer Art „Nichts“ fest, in dieser seltsamen Ratlosigkeit, die mir dennoch als persönlich wachste Wachheit erscheint. Unangenehm, ohne „Linie“, das dräuende „ES GIBT“ des Seins, das Gewahrsein der schieren Eksistenz – ach, es in philosophische Worte zu packen ist auch nur ein kurzes Amüsement, das mich keinesfalls rettet.

Also wieder aufgestanden, ein wenig gehe ich im Zimmer umher, schau mal rüber, was mein Lebensgefährte gerade tut. Er liest und hat offensichtlich in der nächsten Zeit auch nichts anderes vor. Oh ja, Bücher sind die schönste Form der „Rettung“. Mangels einer irgend wie gearteten „Lösung“ des zwanglosen Daseins im Nichts verabschiedet man die Aktualität zugunsten einer guten Geschichte, in der man sich ganz verliert. Zumindest das verliert, was sich langweilt, das immer fragt „und jetzt?“ Um aber lesen zu können, bedarf es physischer Ruhe und guten Lesestoffs, durch dessen Zeilen und Seiten der Charakter des „Nur-Zeit-Totschlagens“ nicht allzu deutlich hervorschimmert. Also vielleicht mal ein Spaziergang um den Block – oder das Fitnetss-Center, das Laufband, das mir „Bewegung“ vermittelt, und danach die Sauna, die durch die schiere Hitze den Körper derart belastet, dass ich endlich in der Lage bin, für kurze Zeit am „reinen Gewahrsein“ Genüge zu finden.

Mein Gott, was für ein absurdes Theater! Manchmal nehmen die Gedanken dann den Weg des schlechten Gewissens. Lebe ich hier nicht wie die Made im Speck? Mit Zentralheizung, großen Zimmern, Kachelbad, heißem Wasser aus der Wand und freier Auswahl an guten und sogar gesunden Lebensmitteln? Wieviele Milliarden Menschen auf der Welt würden mich beneiden? Strampeln sich lebenslang ab, ohne auch nur das Nötigste zu haben, kämpfen in den Kriegen und Gulags dieser Welt ums tägliche Überleben? Bin ich nicht der Gipfel der Bosheit und Ignoranz, hier auch nur für Minuten in der Betrachtung der Langeweile zu verharren, anstatt irgend einen Weg zu finden, ihnen zu helfen?

Aber wie? Kann ich mir ein soziales oder politisches Engagement wählen wie einen Song in der Musicbox? Leider nicht, ich kann’s nicht zwingen. Diese Gedanken und Gewissensbisse kulminieren genauso in Ideen und Vorhaben, die mich für dieselbe kurze Zeit aus meinem seltsamen Zustand reißen wie die eher eigennützigen Initiativen. Binnen kurzem verlieren sie ihre Leuchtkraft, ihren schwachen Draht zur Motivation, wenn nämlich offensichtlich wird, dass auch das nur Methoden sind, aus der langen Weile zu entfliehen. Diesmal auf dem Vehikel der Moral.

Was ist schlecht daran, zu flüchten? Kann man das überhaupt „Flucht“ nennen, ist das nicht eher das ganz normale Leben? Schließlich sind wir nicht auf der Welt, um still an die Wand zu starren und zu schauen, wie der Geist damit zu Recht kommt oder auch nicht!

Das ist der letzte Gedanke, der mir dann immer kommt. Agressivität, ein Grundimpuls des Überlebens, Trotzreaktion, Rechtfertigung dessen, was offenbar nicht geändert werden kann, Umdefiniton einer gefühlten Frage in eine schnelle, nach allen Seiten leicht abzusichernde „sinnvolle“ Antwort.

Und dann wende ich mich der To-Do-Liste zu. Wie jetzt.

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