Thema: Weltgeschehen

Claudia am 26. März 2002 — Kommentare deaktiviert für Was geht mich das an?

Was geht mich das an?

In Berlin wurde gestern ein Mann zu 16 Monaten Gefängnis auf Bewährung verurteilt. Er hatte seine Frau auf deren Verlangen erdrosselt, weil sie ihr Luxusleben nicht gegen ein Dasein in Armut tauschen wollte. Beide konnten den Niedergang ihres dereinst florierenden Textilgroßhandels nicht aufhalten und standen vor dem Nichts – so die Berliner Abendschau.

Das ist mal ein verständnisvolles Urteil, milde gesagt. Soviel Mitgefühl und Nachsicht wird dem gemeinen Ladendieb nicht entgegen gebracht. Ob das ein Hinweis sein soll, eine Art guter Rat, wie mensch mit dem sozialen Abstieg umgehen soll?

Demnächst werden – egal, wer die Wahl gewinnt – etwa 250.000 Leute von der Arbeitslosenhilfe in die Sozialhilfe verschoben. „ALHI“ soll nämlich abgeschafft, bzw. „mit der Sozialhilfe zusammengelegt“ werden. Ein Thema, das derzeit kaum jemanden bewegt, lieber entrüstet sich die Welt über die „inszenierte Entrüstung“ der CDU im Bundesrat. Wenn es aber dem lieben Vieh an den Kragen geht, dann kocht der Volkszorn: der Berliner Finanzsenator hat angedacht, einen der beiden Zoos zu schließen, die Reaktionen sind heftig! Ich vermute mal, an der Stelle wird der Sparwille keinen Schritt weiter kommen, nicht, solange nicht mindestens eine der drei (!) hochsubventionierten Opern geschlossen wird.

Im Forum schreibt Wodile zum Thema „Sumpf“:

„Im Grunde genommen durchzieht unsere Gesellschaft inzwischen nur noch ein einiziges „hau jedem eins auf die Fresse, bevor er Dir eine reinhauen könnte“.

Das hat zwar ein paar individuelle Vorteile, bringt das Gesamtgebilde derzeit aber spürbar zum Einknicken. Ohne zumindest einen grundsätzlichen Solidargedanken funktioniert nämlich auf Dauer keine Gesellschaft. Es gibt dann keine wirkliche Entwicklung mehr, sondern nur noch Stagnation und läppische Verteidiung jedes noch so kleinen Status Quo. Bildlich ausgedrückt: es werden keine neuen Kuchen mehr gebacken, sondern nur noch die alten Kuchenstücke von gestern mit allen Mitteln verteidigt. Essen kann man die irgendwann aber auch nicht mehr.

Im Grunde genommen ist daher das derzeit fehlende „qualitative Wachstum“ gar nicht die Schuld der Politik, sondern der herrschenden Lebensphilosophie. Mit der kann es nämlich gar nicht mehr entstehen.“

Bin mal gespannt, ob der Appetit auf die „Kuchen von gestern“ nicht irgendwann in Übelkeit umschlägt. Aber vermutlich geschieht das eher nicht, Veränderungen kommen praktisch nie von denjenigen, denen es (noch) gut geht, sondern erst, wenn für relevante Minderheiten die Karre so richtig im Dreck steckt. Traurig, aber wahr. Trotzdem kann man sich das nicht etwa deshalb wünschen (der alte RAF-Standpunkt: Verschärfung der Widersprüche), denn aus Unglück, Wut und Angst entsteht nicht zwangsläufig kreatives Engagement und neues Miteinander, sondern vor allem Verzeiflung, Haß und Gewalt, mehr, nicht etwa weniger Hauen & Stechen.

Ich und die Anderen

So manchem ist in diesem Diary derzeit zuviel von Politik die Rede. Das langweilt, turnt ab, und überhaupt: Was soll denn ein Einzelner da machen! Schon der Gedanke, dass man hier persönlich gefragt wäre, ist irgendwie unangenehm, nicht? Ich wenigstens empfinde das so – im Moment, solange die Dinge noch so festgefahren wirken, daß man nur in uralte Schubladen (Parteipolitik z.B.) einsteigen und dort scheitern könnte (oder ein Teil des Problems werden).

Es ist allerdings eine Illusion, zu glauben, man könne seine Haltung zur Gesellschaft frei wählen, etwa einfach umsteigen vom zynisch-ignoranten „jedes Volk hat die Regierung, die es verdient“ zur großen Anklage „der Kapitalismus ist an allem schuld“ – oder gar von diesen beiden Sichtweisen zur reinen „Selbstbeobachtung“ wechseln, für die eine Welt da draußen – sofern sie überhaupt existiert – ohne Bedeutung ist (…solange die Kohle reicht…). Die einen vergesellschaften ihr persönliches, selber angerichtetes Elend, indem sie es der Gesellschaft zurechnen und diese dann bekämpfen, anstatt mal in den Spiegel zu sehen. Die anderen beziehen ihre Sicht der Welt aus persönlichen Erfolgen, aus zufälligem Glück und freundlichen Umständen: Wenn es mir so gut geht, dann muß es doch an jedem einzelnen selber liegen, daß die nicht alle auf ähnlich grünen Zweigen hocken und den Tag loben! Ab ins Motivations-Seminar: Tschekkaaaaaaaaaahhhhh!

Nö, ich mach mich hier nicht über andere lustig. All diese Haltungen hab‘ ich schon mal ganz persönlich ausgelebt und für die einzige Wahrheit gehalten. Und das sagt mir vor allem eines: Ich bin nicht autonom, nicht die objektive Beobachterin dessen, was geschieht, sondern in hohem Maße ein Teil von allem, sowohl Ursache als auch Ergebnis, Opfer und Täterin – immer gleichzeitig.

Was der Einzelne machen kann? Eine falsche Frage, es muss heißen „was kann ich machen?“, bzw. besser noch „was will ich machen?“ Nicht aus einem „grundsätzlichen Solidargedanken“ heraus, der ist viel zu abstrakt und moralisch. Sondern aus dem Leiden heraus: Was stinkt mir wirklich? Was vermisse ich so sehr, dass es schmerzt?

Das ist nicht schwer heraus zu finden: Mir fehlen Zusammenhänge, in denen sich Menschen außerhalb des Marktes begegnen, gemeinsame Aktivitäten, die nicht so organisiert sind, daß einer der Anbieter und die anderen die Konsumenten sind. Ich will nicht mehr Eintritt bezahlen, um Gemeinschaft zu erleben, mich „weiter zu entwickeln“ oder gar, um meinen Seelenfrieden zu finden. (Deshalb zur Kirchgängerin zu werden, ist irgendwie nicht die richtige Lösung.) Vielleicht tun sich ja Möglichkeiten bzw. Notwendigkeiten auf, wenn der Staat jetzt seine Aktivitäten zurückfährt und große Lücken aufreißen, die nicht mehr mit Geld gestopft werden können. Wenn das „Soziale“ und Kulturelle nicht mehr nur mit Staat, sondern wieder mehr mit uns zu tun hat…

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Claudia am 06. März 2002 — Kommentare deaktiviert für Der Mörder brauchte Froschblut!

Der Mörder brauchte Froschblut!

Morgens gleich die SPAM-Lawine: bei mir sind es immer so ca. 10 bis 20 Mails, glücklicherweise am Titel erkennbar, nacheinander lösche ich sie weg: Register to your dream vacation! New product mp3 clock! Low Cost Merchant Account! Fatnews.de Newsletter – ach, was deutschsprachiges, was ist denn wohl fatnews?? Tonnen von Nachrichten oder Nachrichten für Tonnenschwere? Ich klicke mal hin, aha, ersteres. Naja, Nachrichten ist vielleicht nicht das passende Wort: Mann beim Sex mit Ziege erwischt, Wurde Pornostar Lolo Ferrari ermordet? Essen für den Hund – In Singapur gibts das! Ein Schwammwesen siedelt sich im Hafenbecken an und zerstört alle Tiere und Pflanzen … Und das soll man also auch noch Freunden empfehlen, gleich beim ansurfen springt ein zweites Fenster auf, das um Mailadressen von Bekannten bettelt…. Weiter → (Der Mörder brauchte Froschblut!)

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Claudia am 28. Februar 2002 — Kommentare deaktiviert für Menschen technisch verbessern?

Menschen technisch verbessern?

Die Gen-Debatte ärgert mich. Nicht weil da „Grenzen überschritten“ werden, die uns Gott, die Natur oder sonstwer auferlegt hätte, sondern wegen der verwirrten und verwirrenden Diskussionsweise. Man redet ohne Geschichte, bzw. benutzt die Geschichte allenfalls als Selbstbedienungsladen zur Untermauerung eigenen Wollens & Meinens. Ein gutes Beispiel ist die gerade wieder laufende Auseinandersetzung um die PID (=Selektieren der Embrionen vor dem Einpflanzen in die Gebärmutter). England hat es jetzt in einem Fall erlaubt und alle schreien AUWEIA! Weiter → (Menschen technisch verbessern?)

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Claudia am 15. Februar 2002 — Kommentare deaktiviert für Geborgen im Detail – von den Freuden des Idioten zum einen Geschmack

Geborgen im Detail – von den Freuden des Idioten zum einen Geschmack

In den letzten Tagen, die ich wegen der technischen Erneuerung des Diarys mehr oder weniger im Code versackt zubrachte, ist mir aufgefallen, was für ein „stilles Glück“ diese Reduzierung des Bewusstseins auf einen kleinen Teilaspekt der Welt doch mit sich bringt. Weniger ist tatsächlich mehr, Beschränkung tut gut, ist das nicht seltsam?

Man bewegt sich in einem Raum aus Vorschriften und Methoden, der – zwar weitläufig und in Teilen unbekannt – erst erforscht und erlernt werden muss, aber doch insgesamt ein Gefühl der Sicherheit und Übersichtlichkeit vermittelt: Das Ziel ist klar, alles, was mir auf dem Weg begegnet, ist von Menschen geschaffen, die sich etwas dabei gedacht haben. Nicht das große Unbekannte, „ganz Andere“, nicht Natur, Gott oder gar Mitmensch lauern in den Weiten der Details, sondern die Gesetze der Logik, umgesetzt in lernbare Algorithmen, ergeben ein Gefühl der Sicherheit und Berechenbarkeit, das im „realen Leben“ immer mehr im Schwinden begriffen ist.

Auch wenn ich mich gewöhnlich als durchaus weltkompatibel einschätze, fähig, auf den Wellen der Existenz „surfend“ zumindest den Kopf oben zu behalten und das Herz nicht zu vergessen, stelle ich doch fest, wie GUT das tut. Alles ausblenden, was nicht zur „einen Aufgabe“ gehört, sich ganz auf das „Wie“ konzentrieren und keine Was-, Warum- oder Wer-Fragen zuzulassen: Wow, das ist Urlaub von den vielen Fronten des Daseins! Und so wird es möglich, sich an die Zeichenketten eines Codes wohlig anzuschmiegen wie an den warmen Sand eines Sonnenstrands im Süden.

…und noch mehr:

Diese vermeintliche Geborgenheit in einer, verglichen mit dem Weltganzen lächerlich unwichtigen Detailwelt, ist noch nicht einmal der ganze Spaß. Man wird auch von der Langeweile befreit, diesem wabernden Nichts, das sich in jeder Lücke zwischen den einzelnen Akten des Handelns, Denkens, Genießens und Leidens ausbreitet – immer dann eben, wenn die Frage „Was jetzt?“ nicht zwingend und unausweichlich zur einzigen lebensrettenden Antwort führt. Und wann ist das heute schon noch?

Das Wesen der Langeweile ist das Leiden, vom Dasein als Ganzem nicht angesprochen zu sein. Dieser Gedanke Heideggers ist die beste, mir bekannte Beschreibung des Phänomens. Langeweile durchdringt und erfüllt die Leerräume des Daseins, leer in dem Sinne, dass sie uns nichts sagen, uns nicht fordern, nicht einmal mehr beängstigen. Was soll ich hier? Was liegt an? Warum dieses tun und nicht jenes? Wenn ich im Augenblick nichts Konkretes tun muss, sondern auch anders kann, hat Langeweile ihre Chance.

Ich weigere mich, die beliebte Rede vom „Auf-sich-selbst-zurückgeworfen sein“ zu übernehmen, weil ich nicht behaupten will, zu wissen, was ein „Selbst“ ist. Auf jeden Fall ist da etwas, das die Welt beständig auf Chancen und Gefahren hin durchcheckt – der Scannerblick eines Wesens, das Überleben und Genießen will, und deshalb sämtliche Eindrücke und Informationen durch seine „Nützt-mir/schadet-mir-Filter jagt, alles andere gar nicht erst wahrnehmend.. Sobald sich dabei ein Leerlauf ergibt, weil zum Beispiel Sattheit und Sicherheit zumindest für den Augenblick und die überschaubare Zukunft erreicht sind, verliert dieses Wesen seinen Sinn. Man könnte auch dramatisieren und sagen, es drohe ihm der Tod – eine pathetische Formulierung, die ich aus der Erfahrung der Langeweile nicht wirklich herausfühlen kann. (Nicht umsonst gibt es ja verschiedene Worte für Langeweile und Angst.)

Langeweile nervt! Bis zum Schrecken, der vielleicht doch hinter ihr noch lauert, lasse ich es ja gar nicht erst kommen. Ausweichen scheint so leicht, wenn es auch mit zunehmendem Alter schwieriger wird, auf „Neues“ abzufahren. Das „Neue“ erweist sich nämlich immer öfter als das Altbekannte in neuem Outfit, und um der Langeweile weiterhin zu entgehen, müsste man die Geschwindigkeit des Reality-Zappings ständig erhöhen, damit dieser Erkenntnis und der ihr folgenden Ernüchterung keine Zeit bleibt, sich zu ereignen – wir sind ja dann schon „fort“ geschritten…

Leider ist Beschleunigung nun nicht gerade das, wonach man sich in der zweiten Lebenshälfte sehnt. Also findet sich der alternde Mensch – hängend zwischen Scylla und Charybdis -psychophysisch zu anderen Verhaltensweisen genötigt. Die Hoffnung, dass, wo „neu“ drauf steht, auch neu drin ist, nimmt immer mehr ab, und man wird bereit, immer länger in der Langeweile zu verharren. Beobachten, was ist, bzw. was fehlt; ausprobieren, wie man es trotzdem ganz gut aushält; über all das nachdenken – was will man sonst auch machen?

Dabei gewinnt die Frage, was es denn bedeuten mag, „vom Dasein als Ganzem angesprochen“ zu sein, immer größere Kraft. Gerade die Schmalspurigkeit der allzeit und überall aufgedrängten Zerstreuungen und Erregungen ist es ja, die die Leere immer besser durchscheinen lässt. Was also wäre ihr Gegenteil? Kann man es finden, besitzen, anwenden, und ist man dann auch wirklich gerettet?

Donnerworte des Daseins

Wenn ich innerlich aufliste, was mir zum numinosen „Angesprochen-Sein vom Ganzen“ so alles einfällt, sind es durchgängig intensive Breitband-Erfahrungen von einiger Wucht, die alle Ebenen des Daseins in Beschlag nehmen. Denken, Fühlen, Empfinden, Wahrnehmen – alles muss sich an der Antwort beteiligen, kein Teilaspekt kann sich irgendwie heraushalten und „business as usual“ praktizieren. Kein „Alltag“ mehr, keine Masken und Rollenspiele, kein modulhaftes Leben als „verteiltes System“. Ausnahmezustand.

Ausnahmezustand? Krieg, Todesgefahr, Stahlgewitter, Erdbeben, Ernstfall, 11.September, die Assoziationskette des großen Schreckens drängt sich bei diesem Begriff geradezu auf. Im „realen Leben“ dagegen steht eher das Wunderbare und Freudige, oft auch Abenteuerliche im Focus der Betrachtung, wenn man sich danach sehnt, vom Ganzen erfasst zu werden: Frühlingserwachen, heftige Verliebtheit („falling“ in Love), physische Extremerfahrungen, Euphorie, Orgasmus, Ekstase und Erschöpfung, mystische Verzückungen, eine neue, hochwichtige Lebensaufgabe – es kann gern auch mal eine politisch-soziale Bewegung, Revolte oder Revolution sein. (Der nationalsozialistischen Revolution hat Heidegger es immerhin eine Zeit lang ernsthaft zugetraut, das „sprechende Ganze“ in der Welt zur Wirkung zu bringen).

All diese Ausnahmezustände stehen mir nicht zur beliebigen Verfügung, sonst wären es ja keine. Von der Machbarkeit her gesehen, ist es also sinnlos, weiter über ihr Fehlen nachzudenken. Darüber hinaus fallen sie in ihrer Mehrheit noch nicht einmal ins Reich der Wünschbarkeiten, das tröstet über die mangelnde Machbarkeit doch einigermaßen hinweg. Wenn ich mir dazu noch die kleinen Paradiese genauer ansehe, in die ich mangels Alternative gelegentlich doch gelange – zum Beispiel ein paar Tage im Web-Coding versacken – dann frag ich mich, was eigentlich der wesentliche Unterschied ist zwischen den „Donnerworten des Daseins“ und dem lockeren Geplauder meines Alltags at its best. Ist da wirklich ein qualitativer Unterschied und nicht nur ein quantitativer?

Immer handelt es sich doch um eine REDUZIERUNG von Bewusstsein. Im Augenblick einer Todesgefahr werde ich zwar all meine Wesensbestandteile aufbieten, um auf die Gefahr zu reagieren (und sie dann vielleicht zum ersten Mal in dieser Gänze wahrnehmen) – aber doch unter dem einzigen Zweck, das persönliche Überleben zu gewährleisten. Also in der schärfstmöglichen Verdunkelung, in der man sich angesichts der Fülle des Seins befinden kann: Schotten dicht, Alarmstufe Rot, Überlebensalgorithmen „on“.

Die anderen genannten Erfahrungen funktionieren ähnlich: Wenn es wirklich zum „Vom Ganzen erfasst -Gefühl“ kommt, dann nur deshalb, weil ein Teilbereich des Daseins kurzzeitig den gesamten Platz im Bewusstsein einzunehmen in der Lage ist. So kulminiert zum Beispiel sexuelle Erregung im Orgasmus, indem vornehmlich physisch wahrnehmbare Empfindungen sich ausweiten und andere Prozesse still stellen. Aber auch wenn „nur“ der erste Tropfen eines süßen Likörs auf die Zunge trifft und unverhofft den „einen Geschmack“ entfaltet, geschieht dieselbe Verengung. Es ist nur weit schwieriger, sich auf den kleineren Reiz einzulassen und die Reduzierung als Tor zur Fülle zu nutzen.

Für jetzt will ich diesen ins Nirgendwo führenden Überlegungen nicht weiter folgen. Ausweichen ist angesagt, ich sitze hier schon viel zu lange still! Für jetzt muss es mir reichen, festzustellen: Ausnahmezustände führen in die Illusion, sie unterscheiden sich nur in der Intensität von „normalen“ Erfahrungen und gehen wie diese vorüber. Was bleibt, ist die Langeweile – doch sie wird zunehmend interessanter.

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Claudia am 09. Februar 2002 — 1 Kommentar

Im Code versackt

14.2.: Bin gerade dabei, das Update einzuspielen und zu testen – dieser Beitrag ist also faktisch überholt… :-)

***

Dies ist hoffentlich einer der letzten Einträge ins Diary der „alten Technik“ – seit Tagen sitz‘ ich dran, meine Lieblings-Website vollständig umzubauen, starre von früh morgens bis in die Nacht auf den Bildschirm, mache viel zu wenig Pausen und auch während dieser Pausen häng‘ ich am Code: durchwandere geistig weiter die Räume von HTML, XHTML und CSS, fühl‘ mich zwischen spitzen und geschweiften Klammern so seltsam wohl – es ist wie eine Sucht, eine Besessenheit – und ganz wunderbar! Weiter → (Im Code versackt)

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Claudia am 23. Januar 2002 — Kommentare deaktiviert für Die Niedermacher

Die Niedermacher

Eigentlich hätte das „Philosophische Quartett“ gar nicht mehr gesendet werden müssen. Man konnte nämlich darauf wetten (und gewinnen!), dass allein schon das Ereignis „Sloterdijk im TV – in einer Autofabrik!“ eine Verriss-Welle nach sich ziehen werde, deren jeweilige Textgestalt kaum noch der Auffüllung mit Fakten und Anmutungen aus der Sendung am späten Sonntagabend bedurft hätte. Weiter → (Die Niedermacher)

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Claudia am 26. Dezember 2001 — Kommentare deaktiviert für Weihnachten, ein Opferfest

Weihnachten, ein Opferfest

Es ist still in Berlin Friedrichshain, nun schon den dritten Tag. Das „In-Viertel“ rund um die Simon-Dach-Straße ist wie ausgestorben, die meisten Kneipen bleiben zu und die Fassaden der Gründerzeit-Altbauten zeigen sich nächtens in gespenstischem Dunkel: alles leer, alles ausgeflogen. Die ungewöhnlich jugendliche Bewohnerstruktur – fast jeder ist hier unter 30 – führt an traditionellen Feiertagen zum Komplett-Ausfall der ansonsten so beliebten und gelobten kulturellen Eigenständigkeit. Man fährt halt heim zu den Eltern oder gleich ganz weit weg, in den Süden. Immerhin findet sich so endlich locker ein Parkplatz!

Da ich in keinerlei festive Aktivitäten eingesponnen bin, sind diese Tage einfach eine ruhige Insel im Getriebe. Das Gefühl, etwas (mehr!) tun zu müssen fürs „Fortkommen“, tritt in den Hintergrund. Wenn alle abschalten, darf ich ja wohl auch… Beiläufig beobachte ich die Medien im Christmas-Taumel, besonders das Fernsehen, und mit einem Mal wird mir klar, dass Weihnachten ein Opferfest ist.

Was wird geopfert? Zu welchem Zweck? Der Sinn des Opferns ist immer gleich: Man will einen übermächtigen Gott bestechen bzw. gnädig stimmen, damit die Dinge einmal nicht ihren „natürlichen“, also gottgewollten Lauf nehmen, sondern sich nach den Wünschen der Opferer entwickeln. Wird das Opfer akzeptiert, hat mensch kurzzeitig Ruhe vor der göttlichen Eigendynamik, der satte Gott hält sich ganz raus oder verhält sich dem Menschenwunsch gemäß – für kurze Zeit, ein Opfer reicht ja nie für immer.

Bis zum Abend des letzten verkaufsoffenen Tages vor Weihnachten berichten die Medien intensiv von der Konsumfront: Wieviel und was gekauft wird, ob mehr oder weniger als im letzten Jahr, was die Händler dazu sagen und ob das Volumen des Weihnachtsgeschäfts insgesamt ausreicht, der Wirtschaft zum Jahresende zu deutlichen Gewinnen zu verhelfen oder aufgelaufene Verluste zumindest spürbar zu mildern. Man beobachtet also die Opferzeremonien und versucht, zu beurteilen, ob das Opfer ausreicht und ob es angenommen wird.

Offensichtlich ist das dieses Jahr wieder der Fall, denn am Nachmittag des 24.Dezembers schließen nicht nur die Läden und Büros der Welt des Kaufens & Verkaufens, auch innerpsychisch verläßt man die erweiterte Kampfzone und legt erleichtert die Rüstung ab, checkt aus, um mal wieder „richtig Mensch“ zu sein – so zumindest ist es gemeint, gedacht, gewollt. Für ein paar Tage sind wir dann frei (gelassene..), haben uns frei gekauft und können nun Seiten zeigen und Aspekte leben, die im immer mehr Lebensbereiche umfassenden täglichen Kampf ums Fortkommen hinderlich bis peinlich sind: Weichheit, spontane Freundlichkeit, Mitgefühl, Sehnsucht nach Liebe jenseits von Leistung und Nützlichkeit, und die aus alledem folgende Großzügigkeit mit der Bereitschaft zum Helfen, Schenken und Teilen.

Die Medien begleiten bereitwillig die kurzfristige Richtungsänderung, Familienfilme handeln von harten Geschäftsleuten, die zu liebevollen Vätern mutieren, Lokalsender zeigen tatsächlich Menschen beim schenken, helfen und teilen – von der Feuerwehrgruppe, die ein Kinderheim beschert bis zum Viersternehotel, das in der heiligen Nacht fünfzig Obdachlose verköstigt und beherbergt. Geld ist nicht alles, das darf jetzt mal gesagt, geschrieben, gesendet und gesehen werden. Sind ja nur ein paar Tage, dann ist wieder das große kollektive „Speicher löschen“ per Silvesterfete angesagt, mit anschließender kraftvoller Neuprogrammierung auf neue Wünsche, Ziele und Vorhaben im neuen Jahr. Die kurze Auszeit muß rituell gebrochen werden, sonst könnten ja Spuren in den Psychen zurückbleiben, die Freude am Helfen, Schenken und Teilen könnte um sich greifen – mit unabsehbaren Folgen! (Man sieht ja, was diese „Tradition“ z.B. im Internet angerichtet hat, wo sie die ersten Jahre des neuen Mediums kulturell dominierte: kein Geschäft nirgends, E-Commerce ein Milliardengrab!)

Bald ist sie vorbei, die „freie“ Zeit, das Opfer ist aufgezehrt und hungrig erwacht der Gott unserer Tage zu neuem gefräßigen Leben. Wir werden das Visir herunterklappen, die Samthandschuhe ausziehen, das Herz wieder als bloße Pumpe ansehen und tun, was wir tun müssen. (Wem der Übergang zu hart ist, der wird vielleicht im Januar krank -> Zeit des höchsten Krankenstandes in diesem Land).

Ist das der Endzustand? Wird es immer so sein, solange diese Welt steht, dass wir unsere liebevolle, weiche und freundliche Seite verbergen, besser noch verdrängen und vergessen müssen, um „fort“ zu kommen? Ja wohin denn eigentlich ? Man kann sich lange an der eigenen Kreativität berauschen, am Wachsen des Bankkontos, am Aufsteigen auf neue Siegertreppchen – irgendwann mal meldet sich gerade auch bei den Erfolgreichen die Frage nach dem „Wozu?“. Macht mich das jetzt wirklich glücklich? Bringt es mir echte Freude? Gewinne ich Freunde und Freiräume, oder verheize ich nur meine Lebenszeit für Dinge, die ich nicht fühlen und nicht spüren, sondern nur wissen, bzw. mir „ausrechnen“ kann?

Wenn ich mir angucke, wie so mancher Werbespot zur KUNST gerät, so daß schon kaum mehr erkennbar ist, für welches Produkt hier um Sympathie geworben wird, sehe ich die Verzweiflung erfolgreicher Kreativer: Es ist schon hart, sein ganzes Herzblut ohne Pause für so hehre Ziele wie die bessere Vermarktung von Gummibärchen oder Schokoriegeln einsetzen zu müssen – und sowas geht heute nicht mehr „mit links“, schon gar nicht in einer gewerkschaftlich abgesicherten 35-Stunden-Woche.

Der Gott unserer Tage will uns GANZ, nicht nur werktags zwischen 9 und 17 Uhr. Er ist unbescheiden, allgewaltig und groß wie es sich für einen Gott immer schon gehört. Und er nutzt moderne Kommunikationsmittel, lichtschnell und frei von allem menschlichem (Wohl-)Wollen kreist das Kapital, sein farbenfernes Blut durch die vielfach vernetzten Adern unserer Welt – in endloser Suche nach Vermehrungsmöglichkeiten. Dieser Gott will vor allem eines: wachsen. Ist er – mal so als Wachstums-Junkie betrachtet – denn wirklich allmächtig und in dieser Allmacht ewig?

Wer von Sucht etwas weiß, weiß auch, daß Zusammenbruch, Tiefpunkt und Entzug schon im kleinen menschlichen Rahmen katastrophal sein können – an einen göttlichen Breakdown mag man da lieber gar nicht erst denken! Zudem ist eine solche Entwicklung planerisch sowieso nicht zu beeinflussen und auch alle Versuche, freundliche selbstgebastelte Gegen-Götter zu etablieren, sind gescheitert – auch der Gott DIESER Welt ist ja nicht etwa irgendwo „außen“, sondern lebt in uns selbst.

Und trotzdem: Tote Götter pflastern unsern Weg, daran könnten wir uns gelegentlich erinnern! Schließlich ist noch nicht aller Tage Abend…

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Claudia am 03. November 2001 — Kommentare deaktiviert für Vom Krieg reden

Vom Krieg reden

Seit dem Anschlag auf das WTC hat es im Digidiary nur zwei Beiträge zum Thema gegeben: „Vom Glück mitten im Grauen„, etwa eine Woche danach, und „Der Feind: die eigene Frage“ am 12.Tag der Bombardierung Afghanistans. Das ist wenig, sehr wenig. Warum nur diese extreme Sparsamkeit angesichts von Ereignissen, die die Welt bewegen wie nichts sonst seit dem Fall der Mauer?

Auch in Mailinglisten diskutiere ich nicht, lese nicht einmal mehr mit, wenn diejenigen, die das Wort ergreifen, mit tödlicher Sicherheit aneinander geraten – egal, wie sehr sich der Einzelne bemühen mag, gerade das zu vermeiden. Zum Nachdenken über den Krieg bevorzuge ich wieder traditionelle Medien: die ZEIT, den SPIEGEL, die Berliner Zeitung, selten die TAZ, dazu ARTE und 3SAT – die panisch-hysterischen Brennpunkte in ARD und ZDF hab‘ ich mittlerweile abgewählt.

Ein Grund, mich weitgehend mit eigenen Meinungen zurückzuhalten, ist das, was ich den „inneren Mainstream“ nenne. Wenn ich ehrlich in mich hineinsehe, finde ich dort allermeist genau die Gefühle und Gedanken, die die Demoskopie gerade als „Mehrheitsmeinung“ oder als „wachsenden Trend“ ermittelt. Am Anfang das fassungslose Erschrecken, auf das schnell ein Bedürfnis nach dem wie auch immer zu leistenden „Strike back“ folgte – und dann die wachsende Unzufriedenheit mit dem Krieg, je länger er dauert und je mehr Bilder von zivilen Opfern präsentiert werden, verbunden mit einer immer kritischeren Haltung gegenüber den USA.

Dieses innere Mitschwingen mit dem, was MAN denkt, kann ich nicht mehr ganz ernst nehmen. Nicht, dass ich es im Einzelnen kritisieren könnte, das wäre Schizophrenie, aber in seiner automatenhaften Zwangsläufigkeit ist es mir ausreichend suspekt, um es zumindest nicht als „handlungsleitend“ anzusehen. Es wäre geradezu hirnrissig, für irgendeine aktuelle Position in den Ring zu treten, wenn ich doch weiß, dass diese in einer Woche schon wieder ganz anders aussehen kann, je nach Informationslage und medialem Input. Mehr noch: Es scheint mir ganz unmöglich, angesichts der Komplexität, die das ganze Thema mittlerweile angenommen hat, überhaupt irgend eine Position zu vertreten, von der ich noch glauben könnte, dass sie wahr und richtig, oder auch nur „erfolgversprechend“ sei.

Dass ich bei dieser Erkenntnis stehen bleiben kann, sehe ich als Privileg. Ich darf den Mund halten und außer ein wenig Verwunderung beim einen oder anderen Leser droht mir deshalb nichts. Die Meinungsfreiheit in einem demokratischen Staat umfasst das Recht, zu schweigen, genau wie die Möglichkeit, jeden Schrott zu verzapfen, der einem gerade in den Sinn kommt – bis hin zu Verschwörungstheorien, die davon ausgehen, der CIA hätte das WTC selber in die Luft gejagt, um endlich gegen die Taliban in den Krieg ziehen zu können (=politische Bildung per „Akte X“).

Wir dürfen denken und schreiben, was wir wollen. Das ist gut so und davon wird ja auch weidlich Gebrauch gemacht. Mittlerweile ist der Schrecken und die erste Solidarisierung von der Volksseele gewichen und die meisten Denker & Schreiber kehren zu ihren immer schon geliebten Denkfiguren und Weltsichten zurück, ordnen die Ereignisse säuberlich entsprechend ein und widmen sich dem Geschäft der Meinungsbildung: dem Volk sagen, was gut und richtig ist, und denen da oben beibringen, was sie alles falsch machen. Das intellektuelle „Business as usual“ geht seinen Gang, was wäre auch anderes zu erwarten?

Was mich dabei immer wieder wütend macht, ist die Ignoranz bezüglich der eigenen Position und Privilegierung, die vom anerkannten „Experten“ bis hin zum schlichten Mailinglisten-Autor zu beobachten ist. Die Analysen, Meinungen und Forderungen mögen überdacht und gut gemeint sein, aber wer tut das denn im klaren Bewusstsein, dass dieses „Meinungen vertreten“ etwas ganz anderes ist als das „Handeln müssen“ der politischen Akteure?

Zum einen vermisse ich die Zurückhaltung im Urteilen und Verurteilen, die aus einem solchen Gewahrsein automatisch folgen würde, zum anderen sehe ich ein Bemühen, sich selber immer hübsch auf der sicheren, sauberen Seite zu halten und moralisch möglichst unangreifbare Positionen einzunehmen – wohl wissend, dass Moral alleine im politischen Geschäft nicht ausreicht. Für mich ist damit dann auch das Ende der intellektuellen Redlichkeit erreicht.

Es wird Zeit für ein Beispiel. Eine derzeit wieder gern genommene Simplifizierung allzu komplexer Sachverhalte ist die „Öl-Brille“: Es gehe den USA doch „nur ums Öl“ – der Krieg werde „in Wahrheit“ wegen einer durch Afghanistan zu verlegenden Pipeline geführt, bzw. um eine weitere USA-hörige Öl-Provinz zu errichten. Ich halte diese platte Sicht der Dinge für falsch, angesichts der beispiellosen Geschlagenheit der amerikanischen Bevölkerung, die eine kriegerische Antwort faktisch unausweichlich machte, auch für dumm. Aber das ist nur meine Meinung, darauf will ich jetzt nicht hinaus – sondern darauf, auf welchem Hintergrund dieser Vorwurf von denjenigen, die ihn im Gestus moralischer Empörung erheben, eigentlich formuliert wird.

Als hätten wir alle mit dem Öl nichts zu tun! Da sitzt der Autor in seinem ölzentralbeheizten Altbau in seinen kunststoffbeschichteten Designermöbeln und schreibt seinen Text, erhebt sich dann, fährt mit dem Mittelklassewagen zum Flughafen, steigt dort in den kerosinfressenden Flieger zur nächsten Tagung des Verbandes XY, wo er seine Thesen vorträgt: Der böse Westen, allen voran die USA, halten ihre Hände aufs Öl, unterstützen undemokratische Regime, solange sie nur den Nachschub sichern und leisten dadurch dem Terrorismus Vorschub, weil die aufstrebende Intelligentia in diesen Ländern keine legale Perspektive in der Opposition entwickeln kann.

Tja, daran ist mit Sicherheit viel Wahres! Danach geht’s dann zum Italiener, im kleinen Kreis wird weiter diskutiert, bei Parmaschinken, Chianti und Aqua Pellegrini, die es vor dem letzten Tunnel-Unfall auf ihren transalpinen Brummis gerade noch hergeschafft haben. Salute!

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