Thema: Lebenskunst, Philosophisches

Reflexionen über Wesentliches

Claudia am 03. Februar 2005 — Kommentare deaktiviert für Blicke nach drinnen

Blicke nach drinnen

Wenn ich einen Stein ins Wasser werfe, entstehen dort kreisförmige Wellen, die hübsch anzusehen sind. Wenn es windig ist und die Wasseroberfläche nicht gänzlich ruhig, sind sie weniger schön: verzerrt, auseinander gerissen, chaotisch.

Hätte der Stein ein Selbstbewusstsein, würde er vielleicht denken: „Oh, wie großartig! Ich bin ein Genie: so tolle Kreise hat noch keiner hingekriegt!“ Und im andern Fall würde er sich in Selbstvorwürfe stürzen: „Mist, ich kann es nicht, ich bin vollkommen unfähig!“.

Oft geht es mir nicht anders als dem Stein. Ich bin identifiziert mit den Wirkungen meines Tuns oder Lassens und vergesse, dass auch ich geworfen werde. Vielfältige „Ursachen“ bewirken mein Handeln, mein Begehren und Bewerten: Selbst wenn ich lange nachdenke und eine Sache von allen Seiten betrachte, bevor ich mich entschließe, etwas Bestimmtes zu tun, ist die Lage nicht anders. Die, die ich geworden bin, kann nicht anders, sondern eben „nur so“. Das ist dann der „Klinger-Stil“ im Umgang mit dem Leben und üblicherweise ist all dieses Erleben, Abwägen und Handeln mit dem Gefühl eines ICHs verbunden, das Träger all dieser Handlungen ist und sich in diesem Rahmen frei fühlt.

Über dieses Thema ist schon viel philosophiert worden, doch die abstrakte Fragestellung, wie „frei“ der Mensch überhaupt sein kann, interessiert mich nicht mehr so. Mir geht es um die Praxis, das tägliche Leben. Da finde ich mich immer wieder in mehr oder weniger irrationalen Bestrebungen und Tätigkeiten verhaftet: Ich rauche, ich sehne mich nach Arbeit A, wenn ich gerade B verrichten muss, worauf ich mich vorgestern noch richtig freute. Ich klebe vor dem PC, auch wenn der Körper lange schon signalisiert, dass es genug sei. Und ich hänge am regelmäßigen Besuch der Sauna, als sei sie der Garant fürs Seelenheil, obwohl ich doch da nur ein bisschen schwitze.

Wenn es mich nach etwas verlangt, fühle ich mich ganz besonders stark als „Ich“: Ich bin so bescheuert, ab und an Lust auf ein fettes Eisbein mit Sauerkraut zu haben – nun ja, das bin halt ICH! Deshalb, oder wegen all der anderen Verrücktheiten, die MEIN Leben ausmachen, lass ich mir doch von niemandem an den Karren fahren! Ich bin 50 und darf endlich ALLES. Wer sollte mir mit welchem Recht sagen, ich sei auf dem falschen Dampfer? Auf dem falschen Dampfer ganz ich selbst sein ist schließlich immer noch besser, als mich zu verkrampfen und ständig anders sein zu wollen – mit meistens eher weniger als mehr Erfolg.

Ran an den Feind…

Richtig und falsch: Lange Zeit kommen diese Bewertungen von außen, man versucht, sich danach zu richten oder dagegen zu rebellieren. Die Gesellschaft, die Herrschenden, die abendländische Kultur, die Megamaschine – alles böse, wahnsinnig, bekämpfenswert!

Später ist es dann der eigene Verstand, der der Feind zu sein scheint: Was nicht „verstanden werden“ kann, was irrational und unlogisch ist, ist irgendwie nicht in Ordnung. Als Gegenwehr gegen diese allzu beschränkte Sicht beginnt man, gegen den eigenen Verstand anzugehen: Ich bin doch nicht nur Großhirnrinde – der ganze große Rest will auch sein Recht, seine Freude und seine Spielfelder im Leben! Fühlen, Intuitionen, „innere Gewissheiten“ werden auf einmal die wesentlichen Identifikationspunkte: Weil ICH es will, ist es gut so! Niemand muss mich verstehen, auch nicht der eigene Verstand. Freiheit ist, einfach da sein und so sein, wie ich nun mal bin. Wenn ich damit aufhöre, ständig eine Andere sein zu wollen, ist alles gut.

Punkt, Schluss!? Zu Ende philosophiert für dieses Leben? In letzter Zeit bemerke ich das Auftauchen eines neuen Gefühls, das man leicht mit alten, lange überwundenen psychischen Instanzen verwechseln könnte. (Zum Beispiel mit dem inneren Sklaventreiber, der sich stets zu Wort meldet und sagt: Du SOLLTEST ..! ) Und doch ist es ganz anders, nicht vorwurfsvoll, nicht drängend, nicht verurteilend – mehr eine Frage, die gelegentlich auftaucht, wenn ich mal wieder viel Herzblut auf mein „So-Sein“ verwende, wenn ich meine persönliche Freiheit, bzw. das, was ich dafür halte, einfach genieße: Ist das schon alles? Willst du das jetzt bis ans Lebensende so betreiben? Jaaaa, du kannst! Du darfst! Niemand redet dir rein und wenn es jemand tut, lässt du dich nicht beirren. Nun und? WAS fängst du damit an?

Es ist KEIN schlechtes Gewissen, wie man meinen könnte. Sondern eher wie unerfüllte Liebe – die ganz große Liebe, die sich niemals mittels eines konkreten Menschen erfüllt. Eine Liebe zu ALLEM – und die Unzufriedenheit entsteht daraus, dass sie sich nicht genug verströmen und mitwirken kann, wenn ich meine Lebensenergie allzu sehr aufs ganz persönliche Streben, was immer es gerade sein mag, konzentriere.

Mir einen Ruck geben und „was Nützliches tun“ ist da nicht das Mittel der Wahl. Das habe ich im Leben allzu oft praktiziert, es ist nur Kratzen an der Oberfläche. Ich kann mit dem Verstand (noch?) nicht sagen, WAS die andere Qualität ausmacht, bzw. ausmachen würde, wenn ich dem folge. Im Moment weiß ich nicht mal, wie ich „dem folgen“ sollte! Also halte ich mich an das, was ich bereits kenne: Hinsehen, genau hinsehen, was geschieht – ohne Bewertung, ohne Umerziehungsabsichten.

Kein Nest nirgends

Als ich vor vielen Jahren mal das Glück hatte, mehrere Monate in einem Toskanischen Bauernhaus verbringen zu können, schaute ich mir mangels Alternative auch alles sehr genau an. Damals war es ein Blick nach draußen: die Natur, das Wetter, die Pflanzen und Tiere, die Nachbarn und ihre Aktivitäten, die Anwohner und Touristen. Insbesondere die Insekten fand ich sehr interessant, wohl deshalb, weil mich manche davon erschreckten oder gar anekelten. Das gab sich im Lauf meiner Beobachtungen. Ich begann, sie zu bewundern, und auch, sie ein bisschen zu erforschen.

Da war etwa ein kleines Wespennest am oberen Ende eines Balkens, der am Zaun zwischen Wiese und Weg lehnte. Nachts, als die vielleicht dreißig Bewohnerinnen nicht mehr wild herum flogen sondern friedlich schliefen, löste ich das Nest vom Balken und legte es auf einen anderen Balken, einen guten Meter entfernt. Am Morgen sah ich dann, wie die Wespen ausflogen, aber nicht zurück fanden. Sie umschwirrten den ursprünglichen Balken, die Stelle, an der das Nest gehangen hatte und ich fragte mich, was sie dort wohl hinzog. Da war ja nichts mehr!

Lange sah ich ihnen zu. Ihre bewusstlose Automatenhaftigkeit irritierte mich, sie gefiel mir nicht. Ich spürte Bedauern, Mitgefühl – aber nicht so sehr für DIESE dreißig Wespen, die ihre Heimat verloren hatten, sondern für alle Wespen und Insekten, die ihren inneren Programmierungen folgen (müssen…), ohne den Schimmer einer Chance, zu erkennen, was wirklich los ist. Ohne jede Möglichkeit, zu lernen, das größere Ganze in den Blick zu nehmen und entsprechend zu handeln. Wie furchbar!

Kann ICH das denn? Erkenne ICH im Fall des Falles, dass „da kein Nest ist“, wenn ich mich zielstrebig und voller Verlangen in eine Richtung bewege, in die es mich zieht? Sehe ich, „dass da nichts mehr ist“, wenn ich zum Beispiel in Folge immer noch vorhandener psychischer Altlasten nach DIESEM strebe und JENES vermeide?

Es fühlt sich seltsam an, sich als eine solche Wespe zu erkennen. Wenn das innerste Verlangen nicht „Ich“ ist, sondern auch nur ein Programm, das ins Leere läuft – was dann? WER bin ich dann?

Jedenfalls bin ich sehr gespannt, ob dieses „Sehen“ etwas ändert! Kann ich aufhören, das Nest zu suchen, wo es keines mehr gibt? Vielleicht niemals eins gegeben hat?

Schau’n wir mal!

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Claudia am 06. Oktober 2004 — Kommentare deaktiviert für Kleine Nachrichten im Oktober: Verdunkelung, Ärger, Schreiben, Harmonie

Kleine Nachrichten im Oktober: Verdunkelung, Ärger, Schreiben, Harmonie

Es klopft und hämmert, gerade bauen sie ein Gerüst auf, um die Fassade des Mietshauses zu erneuern, in dem ich wohne. Heut‘ wird sich also meine physische Nahwelt verdunkeln und ich werde zwei Monate Düsternis und Lärm ertragen müssen. „Besser jetzt als im Frühling“, sagte der Hauseigentümer, und wo er Recht hat, hat er Recht. Ich bin gespannt, ob es mir gelingen wird, diesen Teil der „Außenwelt“ einfach auszublenden und frohgemut weiter meine Tage vor dem PC zu verbringen!

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Ich habe es gewagt, einem Autor, den ich gerne lese, etwas aus dem eigenen Erleben zu berichten – mit Bezug auf seinen letzten Artikel, in dem es darum ging, wie beschissen er sich fühlt, wenn andere Menschen ihn penetrant von etwas zu überzeugen versuchen, von dem er genau weiß, dass es falsch ist.
In einer solchen Situation kann ich zwar schweigen, weil ich weiß, dass Argumentieren sowieso nichts bringt, doch nicht immer ist es ein „gelassenes Schweigen“: anscheinend lebt in mir immer noch der Wunsch, Andere zu meiner „Sicht der Dinge“ zu bekehren – und genau das erlebe ich dann als „genervt sein“, als Ungeduld und Ärger. Warum sollte es mich sonst stören, wenn Andere irren? Allenfalls Mitgefühl wäre angebracht, schließlich sind SIE es, die mit den Folgen der eigenen Blindheit und Verbohrtheit leben müssen.
Dieses Mitgefühl empfinde ich allerdings nur dann, wenn ich gerade ganz mit mir im Reinen bin, wenn ich nichts will und nichts brauche, sondern „alles fließt“. Also eher selten.

Der Weblog-Autor war über den freundlich vorgetragenen Versuch, meine Erfahrung mit ihm zu teilen, offensichtlich „not amused“. Er fühlt sich „belehrt“ und schimpft nun vor sich hin, bzw. rein ins WorldWideWeb.

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Ich wundere mich immer wieder darüber, was Menschen so alles nervig finden können: wollte man sich danach richten, dürfte man nicht mal mehr „Piep“ sagen! Manche können scheinbar mit Freundlichkeit und Anteilnahme nichts anfangen: fühlen sich geradezu bedroht, vereinnahmt, von fremden Mächten in unüberschaubare Pflichten genommen. Das „Fenster zum Anderen“ verschließt sich so mehr und mehr. Spontane angstfreie Kommunikation wird unmöglich, denn die Empathie im Miteinander funktioniert nicht: die Freundlichkeit wird gar nicht GEFÜHLT, geschweige denn beantwortet. Statt dessen verdunkelt irgend ein feindseliges „Denken über den Anderen“ jeglichen Kontakt. Angenehm ist es gewiss nicht, so zu empfinden.

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Meinen alten Bürostuhl, auf dem ich so gelitten habe, hab‘ ich getauscht und sitze nun auf einem schlichteren Teil, das ANDERE Leiden mit sich bringt: nicht mehr Beine und unterer Rücken schmerzen und schlafen ein, sondern Hals und Schultern verspannen sich. Abwechslung ist gut, sag ich mir. Wenn’s gar nicht mehr geht, benutze ich den Swopper, der absolute „Gesundstuhl“, der zu „aktivem Sitzen“ zwingt und nach jeder Seite frei schwingt. Ein tolles Teil, aber eben auch anstrengend! Letztlich werde ich, egal auf welchem Stuhl ich sitze, einfach öfter aufstehen und etwas anderes tun müssen.

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Mein neues Kursthema „Erotisch schreiben“ fasziniert mich! Zwar schreibe ich seit Jahren schon gelegentlich Szenen und Geschichten, doch sah ich das lange als bloßen Teil der persönlichen Kommunikation mit einem „Geliebten in der Ferne“: lustvolles Schreiben, aber nicht weiter erwähnenswert, jedenfalls nicht im beruflichem Sinn. Jetzt sehe ich – inspiriert durch den kommenden Kurs und ein persönliches Schreib-Coaching, das bereits angelaufen ist – die vielen Facetten dieser „Unternehmung“: Erotisches Schreiben eignet sich aufs Wunderbarste, die Basics dessen zu vermitteln, was ich unter „gutem Schreiben“ ganz allgemein verstehe. Ich glaube nämlich nicht ans „Pauken“ schreibtechnischen Wissens, sondern sehe das Schreiben als Geste des Beobachtens und Mitschreibens: Je mehr Dimensionen und Aspekte mir im Rahmen des „Geschehens“ einer erotischen Fantasie bewusst sind, desto besser wird das Schreiben. Und was könnte sich dazu besser eignen, als Texte rund ums erotische Erleben, das wir ja alle teilen?

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„Ich will nicht streiten, ich will Harmonie!“, sagt ein lieber Freund, der mir gelegentlich von frustrierenden Erfahrungen mit der Kommunikation im Internet berichtet. Ich weiß gut, wovon er spricht: Bloßer Text, ohne Mimik und Gestik, ohne die Möglichkeit, das eben Gesagte angesichts der Reaktion des Anderen zu relativieren, birgt unendlich viele Möglichkeiten zum Missverständnis. Als Schreibende bin ich weitgehend machtlos, kann nicht wissen, was der Leser in meine Worte alles hineindeuten wird, und wenn ich zuviel darüber nachdenke, kann ich das Schreiben gleich ganz lassen.

„Harmonie“ ist etwas, das ich in mir selber herstellen muss, wenn ich darauf Wert lege. Wer angesichts einer feindseligen Reaktion ausschließlich denkt: Was habe ICH falsch gemacht? Womit hab‘ ICH das verdient?, lebt in ständiger Verteidigungshaltung – nicht gerade harmonisch! Zudem geht dieses Denken davon aus, dass es wünschenswert wäre, das eigene Verhalten in vorauseilendem Gehorsam stets allen üblen Möglichkeiten anzupassen, die da vielleicht lauern mögen. Wo aber bliebe dann das Eigene, die „Harmonie mit mir selbst“?

Wenn ich mich so verhalte, dass ich selber in aller Klarheit dazu stehen kann, ist auf meiner Seite alles geleistet. Was der Andere damit anfängt, ist seine Sache. Versteht er etwas falsch, bin ich gern bereit, noch einmal zu erläutern, was ich meinte. Wenn er aber „darüber sauer ist“, dass ich bin, wie ich bin, kann ich’s auch nicht ändern. ER müsste sich ändern, wenn ihm die Welt so nicht gefällt – oder er kreist eben weiter in üblen Stimmungen und Missgefühlen.

Ich habe in den ersten Netzjahren schmerzlich gelernt, darauf zu achten, meine EIGENEN üblen Gefühle nicht ins „öffentliche Gespräch“ der Netze zu kippen. Emotional begründete Auseinandersetzungen kommen überhaupt erst in Betracht, wenn ich jemanden persönlich und nicht nur per Email kenne. Und selbst dann stimmt meistens der Spruch von Baghwan Sri Raynesh: „Denk nicht, sie sind gegen dich. Dafür haben sie gar keine Zeit!“.

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Claudia am 24. Juli 2004 — 7 Kommentare

Fünfzig

Gestern also mein Geburtstag, wie immer ohne „besondere Aktivitäten“ – im Gegenteil, ich blieb den ganzen Tag allein, hatte nicht viel zu tun, und konnte es mir so richtig gut gehen lassen. FÜNFZIG – beeindruckt mich das? Höchstens im Sinne eines kleinen Staunens: was die nur alle haben, die sich so vor den runden Geburtstagen fürchten!?

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Claudia am 16. Juli 2004 — Kommentare deaktiviert für Zärtliche Entsagung

Zärtliche Entsagung

Vor über 15 Jahren lernte ich meinen „liebsten Freund“ kennen. Diesen Titel hab ich schon bald für ihn erfunden, weil er – genau wie unsere Beziehung – in keine Schublade passte.
Wir waren (und sind) kein Paar, aber auch nicht nur Freunde, vielleicht so etwas wie „Wahlverwandte“, aber das passt auch nicht so recht. Klingt viel zu leidenschaftslos,
zu cool.

Leidenschaft? Das übliche „Entbrennen zwischen Mann und Frau“ war es nicht – davon hatte ich gerade genug, als ich mich eines Abends neben ihn setzte. Hochwichtige konfliktreiche Beziehungen lagen hinter mir, eine nach der anderen, seit den Teeny-Jahren. Liebe als Kampf um das Sagen, endlose Streitigkeiten, euphorische und deprimierte Phasen, Liebe, die in Hass umschlägt, innere Leere und Verzweiflung, immer wieder Hoffnung und Enttäuschung, selten eine „Hoch-Zeit“ – halt all das Schöne und Schreckliche, das den gewöhnlichen Geschlechterkrieg ausmacht, zumindest in der ersten Lebenshälfte.

Dann saß ich neben ihm, Abend für Abend. Wir plauderten, philosophierten über Gott und die Welt – ich bewunderte ihn, aber ich verstand ihn nicht. Und gerade das faszinierte mich. Er war mir ein Rätsel.

Ein Mensch, der nichts will und nichts vorhat – gibt es das? Sollte ich das glauben? Dass er von mir nichts wollte, war spürbar, und doch hatte ich den Eindruck, dass er zumindest unsere Gespräche mochte. Sonst saß er immer alleine an einem kleinen Tisch, ein Glas Wein vor sich, und schaute so vom „Rand des Geschehens“ auf all das Getriebe, das in einer
Berliner Kiez-Kneipe die Menschen umtreibt. Unberührt, ohne Verlangen, ganz zufrieden mit dieser Art Rand-Existenz.

Seine Eltern waren früh gestoben und das Erbe versetzte ihn in die Lage, den Verstrickungen aus dem Weg zu gehen, die ein Arbeitsleben mit sich bringt. Er lebte von seinem Bankkonto, kaufte gern mal den Rosenverkäufern den ganzen Strauß ab, spendete Geld, wenn jemand ihn darauf ansprach, aber ansonsten war es ihm egal. Er machte sich auch nie Gedanken, wie er es erhalten oder gar mehren könnte – ich konnte nur den Kopf schütteln über soviel weltfremde
Naivität und Sorglosigkeit. Meine größte Sorge war, er könnte denken, ich sei hinter seinem Geld her – dabei liebte ich ihn doch nur.

Er war mir wie eine kühle Quelle nach einem langen anstrengenden Marsch durch glühende Wüsten und Steppen. Bei ihm konnte ich „einfach da sein“, ohne befürchten zu müssen, von ihm be- oder verurteilt zu werden. Er verlangte nichts, begehrte nichts, allenfalls musste ich aufpassen, ihn nicht durch allzu vieles Reden, durch heftige Emotionen und mein gesamtes damaliges Engagement in 10.000 Dingen und zig Projekten zuzutexten. Ich lernte, auf mein Gegenüber zu achten, lernte zuhören und auch mal zu schweigen. Zusammensitzen und den Rest der Welt beobachten – nie hätte ich gedacht, dass das so angenehm sein könnte!

Ich versuchte mit aller Kraft, das Rätsel zu lösen. Ich forschte, fragte ihn aus, scannte sozusagen sein gesamtes Leben, Denken und Fühlen, immer auf der Suche nach etwas, das er vielleicht doch ersehnte, wenn auch ganz im Geheimen. Aber da war nichts, allenfalls eine leise Melancholie, die ihn umgab wie ein ganz besonderer Blumenduft. Betörend – aber weit weg von der Art Leidenschaft, Liebe und Sex, wie ich sie kennen gelernt hatte. All das war viel zu grob für ihn, zu drastisch, zu handfest und folgenreich. „Wenn man drüber reden muss, ist es eh schon zu spät“ – solche und ähnliche Sätze sagte er oft. Mich trafen sie wie ein eisiger Hauch, denn ich glaubte noch an das Machbare, an den Sinn des Sich-Anstrengens und daran, dass es immer eine Lösung gibt, die allen Seiten gerecht wird. Er dagegen verzichtete von vorneherein, erwartete von sämtlichen „Realisierungen“ nichts Gutes, jede Verwirklichung möglicher Wünsche war ihm nur Weg in die Entzauberung, lieber blieb er am Rand und schaute zu. Ein Blickwechsel unter Fremden – davon konnte er richtig schwärmen. In der Fremdheit läge die größte Wahrheit, sagte er, und alles, was danach komme, alles Bemühen, das Fremde zum Bekannten zu machen, führe in Verstrickung und Leid.

Er hat mich verändert, ohne jedes Wollen mehr beeinflusst als irgendjemand bis dahin. Was er sagte und wie er lebte erschreckte mich, zog mir den gewohnten Boden unter den Füßen weg. Und doch klebte ich an ihm wie eine Klette, hatte ja so sehr die Nase voll von meinem gesamten Wollen und Machen, meinen Engagements, meinen vielen Kämpfchen um dies und das, von all diesen kräftezehrenden, Herz-verletzenden, gierigen und rücksichtlosen Zwischenmenschlichkeiten, die als „normal“ gelten. Er war mein Licht in der Finsternis, in der ich mich verirrt hatte, doch es war ein „schwarzes Licht“: die Wärme musste ich mir oft dazu denken; was es erhellte, war kein Weg, sondern die Leere.

Mein liebster Freund – durch ihn hab‘ ich verstanden, was Zärtlichkeit ist. Eine unendlich sanfte Berührung, die nichts will. Nicht formen, nicht besitzen, nichts erreichen, nichts vermeiden, nichts kritisieren, nichts ändern. Ein seltenes Geschenk.

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Claudia am 22. Juni 2004 — Kommentare deaktiviert für Sich verstehen – und dann?

Sich verstehen – und dann?

Oft wundere ich mich, wie empfindlich Menschen auf das reagieren, was ein Anderer ihnen schreibt – zum Beispiel auf einem Webboard oder in privater Email. Schon 1996, als ich eine große Mailingliste zum Thema „Webkultur“ moderierte, war ich hauptsächlich damit beschäftigt, die „Stimmung zu balancieren“: alles mitlesen, bemerken, wenn sich jemand auf den Schlips getreten fühlt, selber provoziert, nur noch Albernheiten oder gar Feindseliges postet – und eingreifen, die Wogen glätten, Klarheit und Freundlichkeit verbreiten, soweit eben möglich. Tat ich es nicht, konnte ich zusehen, wie schnell die negativen Gefühle überhand nahmen, und als Listenveranstalterin bekam ich dann auch gleich die Austritte mit, die sich zu solchen Gelegenheiten häuften. Weiter → (Sich verstehen – und dann?)

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Claudia am 14. Juni 2004 — Kommentare deaktiviert für Über Sein und Sollen

Über Sein und Sollen

Braucht es eigentlich eine „Lizenz zum Dasein“? Muss mir erst jemand erlauben, SO zu sein, wie ich gerade bin? Habe ich die Pflicht, mich dafür zu rechtfertigen? Muss ich gar Gründe und Ursachen benennen, wissenschaftliche Forschungen heran ziehen, mein Denken, Fühlen und Verhalten stets mit dem Denken und Meinen anderer abgleichen? Zwingt mich irgend etwas dazu, heute genauso zu sein wie gestern oder vorige Woche? Muss ich „logisch nachvollziehbar“ bzw. „vernünftig“ sein? Oder gar politisch korrekt? Weiter → (Über Sein und Sollen)

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Claudia am 07. Juni 2004 — Kommentare deaktiviert für Vom Buchstabenglück

Vom Buchstabenglück

Schreiben heißt, ganz nah bei mir zu sein.

Jetzt steht er da, dieser Satz. Zwar ist er nicht in Stein gemeißelt, hört sich aber so an. Und gleich fühlt sich das Denken provoziert und rattert Kommentare herunter: Stimmt nicht, wenn du über Berlin oder HTML schreibst, bist du nicht bei dir. Und wenn dir nichts einfällt, wo bist du dann? Und überhaupt, was soll der Scheiß? Wer bitte ist hier bei wem? Woher fällt etwas ein – und wohin fällt es dann? Weiter → (Vom Buchstabenglück)

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Claudia am 05. Mai 2004 — Kommentare deaktiviert für Der Andere, der Täter – ich armes Opfer!

Der Andere, der Täter – ich armes Opfer!

An manchen Tagen ist viel los in der alten Markthalle, die Wege zwischen den Ständen sind nicht sehr breit, die Menschen drängeln – auf einmal rempelt mich da doch einer richtig an!

Was geschieht? Werde ich böse und remple zurück? Gehe ich ungerührt weiter, denn schließlich kommt so was dauernd vor, wenn es eng ist? Stelle ich ihn zur Rede und mache ihn zur Schnecke? Oder fühle ich mich unfähig, weil ich schon wieder nicht in der Lage bin, eine „richtige Antwort“ zu finden? Bin ich zu ängstlich und mach mir daraus ein „Gewissen“? Mache ich einen lockeren Witz und ziehe fröhlich weiter?

Kann alles sein! Ja, ich hab‘ einige dieser Varianten schon erlebt, nix besonderes. Das Besondere ist: es ist immer dasselbe Ereignis, nur meine Reaktionen sind gänzlich unterschiedlich. Je nach Stimmungslage, je nach dem, was gerade in mir vor geht, was für ein Gefühl zu mir selbst und meiner „Lage in der Welt“ ich gerade habe, dem entsprechend fällt meine „spontane“ Reaktion aus.

Was lerne ich daraus? Es kommt nicht auf den Anderen an, wie ich ihn empfinde, sondern auf mich selbst. Und WEIL das so ist, kann ich gut damit aufhören, mich als Opfer meiner Mitmenschen zu betrachten: was ich empfinde, ist „mein Bier“ – und wenn ich damit unzufrieden bin, wenn ich darunter leide, was ich empfinde, dann sollte ich etwas ändern. AN MIR – nicht am Andern!

Fühlen deiner Wahl…

„Was immer du auch fühlst von mir, ist Fühlen deiner Wahl“ – ein guter Freund, von dem ich in diesem Leben viel gelernt habe, hat mir diesen bedenkenswerten Satz in einem Gedicht geschrieben. Ich habe ihn nicht verstanden und auch nicht glauben wollen – ja, ich hab mich dagegen gewehrt! Wo kämen wir denn da hin, wenn alle die Verantwortung für die Folgen ihres Handelns für die Betroffenen derart locker beiseite stellen könnten!

Ja, wo kämen wir hin? Und: ist es wirklich „verantwortungslos“? Ist es denn überhaupt MÖGLICH, die Folgen meiner Handlungen im Empfinden anderer Menschen voraus zu sagen, geschweige denn, sie zu „bestimmen“?

So gesehen, wirkt der Satz schon weniger absurd. Und im Lauf der Zeit hab ich verstanden, dass „die Verantwortung“ nicht etwa negiert, sondern nur anderswo angesiedelt wird: meine Handlungen verantworte ich – aber nicht die Reaktionen des Anderen. Dafür übernehme ich die volle Verantwortung für MEINE Gefühle und Empfindungen in Bezug auf alles, was mir vom Anderen so blüht. DAS ist nicht unbedingt das leichtere Geschäft, ich muss mich dazu beobachten, in Frage stellen, mein In-der-Welt-Sein reflektieren, genau unterscheiden, woher wann und warum meine „spontanen Reaktionen“ eigentlich kommen – und sie nicht als „gegeben“ und unveränderbar ansehen. Sondern begreifen, dass sie Ergebnis eigener Haltungen und Meinungen sind: wenn ich überzeugt bin, dass ich ein unfähiger Trottel bin, dann werde ich das in den Handlungen anderer immer bestätigt bekommen! Die Welt zeigt sich mir so, wie ich sie erwarte – nicht unbedingt immer bewusst, aber das lässt sich ändern.

Das oben genannte Beispiel ist sehr einfach, gewöhnlich, banal. Betrachten wir ein anderes, nicht weniger häufiges: Ich will etwas von einem Anderen: er soll sich mit mir befassen, soll mir auf meine „wichtige Mail“ von gestern schnellstens antworten, er soll für mich da sein und mir Resonanz geben auf etwas, was gerade in mir wühlt. Aber er tut es nicht. DER SAUBÄR! Was für ein Unmensch! Prompt laufen in mir allerlei „spontane“ Gedankenspiele ab: war ich nicht selber immer für ihn da? Habe ich nicht ein RECHT auf seine Zeit, sein Eingehen, seine Zuwendung? Ist es denn nicht „allgemein üblich“, dass Menschen, die sich mögen, füreinander da sind? Ich rechtfertige also meine Erwartungen an den Andern vor mir selbst, indem ich „eigene Leistungen“ und „allgemeine Moral“ auffahre. Und dann fang ich an, zu deuten und zu urteilen: Warum reagiert er nicht, wie erhofft? Aha, er mag mich nicht, ich bin ihm nicht wichtig genug…. er ist ein arroganter Schnösel, ein in sich selbst verstrickter Egoist. Und ich werd ihm jetzt lange böse sein, das muss er erst mal wieder „gut machen“!

Hat er überhaupt etwas „gemacht“? Nichts von dem, was da in meinem Denken und Fühlen abgeht, hat ER erzeugt. Das mache ich mir selber, das ist, wenn man es so im Detail betrachtet, ganz deutlich. Ich bin mit meinen Erwartungen an ihn heran getreten, und er hat sie nicht so beantwortet, wie ich es wünschte. Warum, kann ich gar nicht wissen! Selber schuld, wenn ich solche „Annahmen“ hege, die mich in üble Gefühle stürzen.

Ich könnte auch ganz anders mit demselben Ereignis umgehen: Aha, er reagiert jetzt nicht auf das, was mir gerade wichtig ist. Nun, er wird anderes zu tun haben, oder er hat seine spezifischen Gründe, auf ein bestimmtes Thema nicht so einzugehen, wie ich es will. Also wende ich mich mir selber zu: Hab ich denn eigentlich ein RECHT, dass der Andere so sei, wie ich ihn wünsche? Ist er mein Papi oder meine Mami, die sich immer ums Kind kümmern müssen? Warum geh ich davon aus, dass er mein „Zuwendungs-Automat“ zu sein hat, wenn mir danach ist? Etwa, „weil ich ihn liebe“? Was für eine Liebe wäre das, die dem Anderen spezifisches Verhalten abfordert? Will irgend jemand ernsthaft solche Bedürftigkeit, solches Anspruchsverhalten mit dem wunderbaren Wort „Liebe“ in Zusammenhang bringen??? (Der möge sich melden und es mit mir im Forum austragen!)

Nein, wenn ich genauer hinsehe, sehe ich tatsächlich: ich bin WIRKLICH auf der „Papi-Schiene“ gewesen, als ich meine Ansprüche umzusetzen suchte (und „verurteilte“, wenn ich keinen Erfolg im Sinne meiner Vorgaben hatte) . Bin es in gewisser Weise immer, zumindest bei Männern, die mir wirklich etwas bedeuten. Das ist nun mal das „Urmodell“ für den Umgang mit dem gegengeschlechtlichen „Anderen“ – im Guten wie im Schlechten, im Normalen wie im Abstrusen, spezifisch Verrückten. Davon kann man sich nicht verabschieden, indem man im Lauf des Lebens nur eben mal die verschiedenen Beeinflussungen bekämpft und mit dem Gegenteil beantwortet – das ist nur der erste Schritt. Ist reine Reaktion, nicht Freiheit, nicht eigene Wahl.

Na, ich will jetzt nicht ins rein Autobiografische abdriften, sondern auf den Leitgedanken zurück: Nicht der Andere ist der „Schuldige“, der „Täter“, sondern ich muss mir schon angucken, wie es dazu kommt, DASS er es zu sein scheint: wie ich ihn also dazu MACHE! Wie ich denkend und fühlend, Eindrücke (Datenlage) auswähle aus vielen möglichen Auswahlen, und dann daraus mein „eigenes Gesamtes“ erbaue – vielleicht darunter leide oder Lust daran empfinde – und von daher versuche, den Anderen als „Automaten in mein Spiel“ einzubauen!

Wenn ich damit aufhöre, bin ich frei. Niemand kann mir „üble Gefühle einbrocken“, also muss ich niemanden verurteilen. Meine Lust und meine Leiden hängen nicht von Anderen ab – seit mir das klar ist, ist das Leben deutlich leichter. Kein inneres Herum-Rechten mehr, kein Grübeln, keine „Beziehungsdiskussionen“, keine Manipulationsversuche, vor allem kein „Festkleben“ an Frustrationen, denn ich weiß ja: die hab‘ ich selbst erzeugt, indem ich eine Erwartung hegte und pflegte, die ich ebenso gut wieder loslassen kann. Anfänglich bedarf es eines kleinen inneren Rucks, braucht eine kurze Konzentration der Aufmerksamkeit auf all das – aber bald wird es selbstverständlich. Meine Wünsche sind keine „Ansprüche“ mehr, sondern nurmehr Vorschläge. Und dass nicht alle meine Vorschläge angenommen werden, erscheint mir heute ganz normal.

*** Philosophie end – – –

Glaubt bloß nicht, ich wär aus meiner innovativen Geisteskraft zu diesem Text und seinen Aussagen gekommen! Es ist vielmehr so, dass das „auf mich selbst zurück geworfen sein“, das mir einzig übrig blieb, wenn sich mein jeweiliger Hauptgesprächspartner verweigerte, zu diesen Erkenntnissen führte. Gewiss ist auch der übliche Einwurf berechtigt: Das ist doch nichts Neues, zu alledem gibt’s ja ganze Buchregale…

Schreiben?

ABER ich sag immer, es ist ein Unterschied, ob man etwas erlebt und dann versucht, die gewonnene Erkenntnis in Worte zu fassen – es mögen alte Worte sein, es mögen bekannte Gedankenfiguren vorkommen, oder auch neumodisch esoterisch-wirres Zeug… ;-) .. – ODER ob man nur „zu einer Frage Stellung nehmen“ will. (Weil ja jeder, der in der Infogesellschaft ernst genommen werden will, zu allem etwas sagen kann, muss, sollte… und es macht ja auch Spass!)

Dieser Unterschied ist die „Lizenz zum Schreiben“. Etwas, wonach mich ein großer Teil meiner Kursteilnehmer mit je eigenen Worten immer wieder fragt: Wie kann ich wagen, etwas von MIR zu berichten – wenn doch alles, was ich „dazu sagen“ könnte, schon tausendmal gesagt wurde? Falls mir überhaupt was einfällt…

Wer so fragt, hat schon die halbe Miete! Ist auf dem besten Weg zur „Lizenz“. Warum?

Die Schreibenden teilen sich für mich in zwei Gruppen auf: diejenigen, die auf dem Markt des Geschriebenen Fuß fassen (oder sich im Job besser formulieren/rüber bringen) wollen, und die anderen, die aus sich heraus schreiben wollen, weil es sie danach verlangt. Wer ohne Blick auf literarische Weihen und kommerzielle Erfolge „einfach schreibt“, wird auf jeden Fall etwas gewinnen: Klarheit, Gelassenheit, Distanz zum eigenen Erleben, auf der manche Frucht der Erkenntnis reifen kann – für die Schreibenden, manchmal auch für die Leser.

Das Leben und das Schreiben – ich weiß letztendlich nicht, in welchem Verhältnis sie ganz genau zueinander stehen, sondern experimentiere es aus. Deshalb schreibe ich ja immer weiter.

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