Claudia am 11. September 2021 —

In Memoriam 9/11

Nach dem 9.11.2001 hat es mir erst einmal die Sprache verschlagen. Ich konnte und wollte nicht bloggen. Das Ereignis war zu groß für mich, das mediale Geschehen sowieso überwältigend.

Eine Woche ging ins Land, bevor die Blog-Starre von mir wich und der Eintrag „Vom Glück mitten im Grauen“ erschien. 20 Jahre nach 9/11 poste ich ausnahmsweise daraus ein Selbstzitat:

„Es gibt nämlich ein großes GLÜCK mitten im Grauen, eines, das an den Ausnahmezustand gebunden ist: Auf einmal steht die Welt still, das gewöhnliche Geschäft ist tot, das Rattenrennen setzt aus, endlich! Der Mensch da drüben ist plötzlich Mitmensch, Nachbar, Bruder, Schwester, alle sind wir Gefährten im Entsetzen und nicht mehr potentielle Gegner oder einander vollkommen gleichgültig wie sonst. Wo normalerweise jeder ganz in sich versunken seiner Wege geht, um sich her nichts sehend und nichts hörend, stracks von A nach B strebend, um den Erfordernissen des rechnenden Denkens zu entsprechen, eröffnet sich eine andere Dimension. Nichts Fremdes, sondern etwas immer Ersehntes, ein Raum der Gemeinschaft, des spontanen Miteinanders, ein Stück Paradies und echte Heimat, in dem wir die Lizenz zum Miteinander reden nicht erst kaufen müssen. Gefühle nicht mehr voreinander verbergen, sich schwach und weich, geängstigt und traurig zeigen zu können – ohne Angst, vom Anderen deshalb gleich in die Pfanne gehauen zu werden! Das schlägt schnell um in hintergründige Euphorie, Freude, ja, für kurze Zeit sind wir Liebende mit heißen Herzen – und genießen es, genießen unser eigenes Bestes und Menschlichstes, mitten in der Katastrophe.“

Es ist ein Phänomen aus dem „Real Life“, das ich hier beschreibe. Online ging es massiv in die andere Richtung, in Foren und Mailinglisten stritten sich die Leute wie nie zuvor. Ein Forum, das ich als Admin betreute, stellten sogar den Betrieb ein, weil die Deutungen des Geschehens zu weit auseinander drifteten.

Heute findet das „Glück mitten im Grauen“ im Ahrtal statt. Kein Terror, „nur“ Naturgewalt kostete viele Leben und zerstörte viele Ortschaften entlang der Ahr. Noch immer fahren Menschen weite Strecken, um dort zu helfen und es werden weiterhin Leute gebraucht. Es gibt mittlerweile eine Webseite mit Infos zu den Helfereinsätzen, einen Shuttle-Dienst und ein Camp.

Einen Eindruck, wie es da zugeht, gab gestern nacht Stefan bei „Domian Life“, der seit Wochen immer wieder hin fährt, um zu helfen und auch seinen Urlaub dafür opfert. Wer Stefan zuhört, erkennt in seiner Schilderung neben all den furchtbaren Katastrophenfolgen auch das zwischenmenschlich herein brechende Glück.

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Diskussion

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3 Kommentare zu „In Memoriam 9/11“.

  1. Zum Glück gehört das (noch?) zum Selbstverständnis menschlichen Daseins, dass in solchen Situationen geholfen wird, ohne zu hinterfragen. Das lässt sich normalerweise bis zur ersten Hilfe bei Unfällen oder dem Trösten wildfremder Menschen in manchen Situationen herunterbrechen.

    Meines Erachtens gehört dieser soziale Reflex und Altruismus zum Menschen dazu, leider wird das gesellschaftlich jedoch eher verpönt. Geht es bevorzugt um Materielles, ist spontanes Helfen schon wieder oft mit einer „Kosten-Nutzen-Analyse“ verknüpft und handelt es sich dann noch um „Fremde“, wird es schnell eklig. Deren Notlage wird nicht so gerne akzeptiert, was vielleicht auch damit zusammenhängt, dass es weit weg ist und uns diese Bilder nicht so massiv in den Medien präsentiert werden. Diese Tiefpunkte unserer Gesellschaft reichen vom Umgang mit den Flüchtlingen und Asylsuchenden der jüngeren Vergangenheit und gipfelten jetzt erneut im Versagen beim Retten der afghanischen Helfer.

    Das lässt sich auf Einzelne wie Edward Snowden, Julian Assange oder Ai Weiwei erweitern und traf auch Deutsche wie Khaled El-Masri, Elisabeth Käsemann und andere, die gesellschaftlich missliebig waren und daher eher noch verschwiegen und sogar kriminalisiert werden.

    Dein Hinweis auf den Unterschied zwischen dem wahren Leben und dem, was in den sozialen Medien dazu oft geschieht, zeigt nur zu gut das dabei oft vorhandene Zerrbild. Von daher ist es sehr wichtig, eben nicht alles für bare Münze zu nehmen, was dort laut und mit scheinbarer Masse daherkommt.

    Thomas

  2. Danke für deinen ergänzenden Beitrag! Leider scheint das Verhältnis zu „Fremden“ (von Ignoranz über Ausgrenzung bis zur offenen Feindseligkeit) ebenfalls evolutionär bedingt zu sein. Harari führt in seiner „Geschichte der Menschheit“ sehr spannend aus, wie es „Sapiens sapiens“ trotzdem gelungen ist, auch in großen Massen zu kooperieren und so das dominante Wesen auf dem Planeten zu werden: Religionen, andere „große Erzählungen“, die es ermöglichten, im Sinne dieser Megastories zu leben und zu handeln.

  3. Da gilt es aber noch zu unterscheiden zwischen der evolutionären und im Überlebenssinne wichtigen Furcht und Vorsicht vor Fremden und Fremdem, die berechtigt in uns drin steckt und durch Versuch und Erfahrung zu Wissen wird und überwunden werden kann.

    Und dann gibt es die künstlich geschürten Ängste, bei denen trotz vorhandenem Wissen der Fremde oder eben einfach Andere über Vorurteile und Falschaussagen zur Zielscheibe wird für Dinge, deren Ursachen tatsächlich an ganz anderer Stelle liegen.

    Das ist grundsätzlich auch ein guter Test, über den sich über Abklopfen von o.g. und eventuell zusätzlich tendenziösen Verhalten durch Weglassen oder einseitigem „Erzählen“ einschätzen lässt, wes Geistes Kind manche Vereine so wirklich sind.