Claudia am 19. August 2021 —

Deuschland: Kein Mangel an Ideen, aber unfähig zur Umsetzung?

Deutlich wie nie zuvor traten während der Corona-Zeit und erneut während der Hochwasser-Katastrophe die Defizite der deutschen Politik und Verwaltung schmerzlich ins Bewusstsein. Auch angesichts der immer spürbareren Folgen der Klimakrise musste erst ein „Tritt in den Hintern“ der Regierenden durch das Bundesverfassungsgericht erfolgen, bevor zumindest ein klein wenig mehr zur Abwendung der Worst-Case-Szenarien getan werden soll: aller Voraussicht nach zu wenig, zu spät, zu halbherzig.

In den Kommentaren (unter einem anderen Thema) hat sich nun eine Debatte rund um diese Sachlage ergeben, die einen eigenen Blogpost wert ist. Juri beklagte die mangelnde Fähigkeit der Parteien, eine Vision für die Zukunft zu entwickeln:

„Bei jedem popeligen Job wird man auch gefragt, wo man sich denn in 10 Jahren sieht. Wo eine Partei das Land in 10 Jahren sieht, wird aber erst seit Greta gefragt. Von entsprechenden Parteien erwarte ich, dass sie nicht erst getrieben werden müssen, sondern eben selbst Konzepte für aktuelle Probleme erarbeiten und vorstellen und gerade bei Volksparteien eben auch Problemlösungen die das Volk betreffen und nicht nur die, der oberen 10.000.“

Aber: Ist das Entwickeln von Visionen tatsächlich Aufgabe von Parteien? Haben wir einen „Mangel an Visionen“ in der Gesellschaft? Gibt es nicht bereits eine Menge toller Ideen und auch Konzepte: für Digitalisierung, Energiewende, Etablierung einer Recycling-Wirtschaft, eine andere Mobilität und den ländlichen Raum? Aus meiner Sicht ist das Problem der Parteien die Konsens(un)fähigkeit in der veränderungsunwilligen Bevölkerung. Was für Widerstände entstehen, wenn der Bevölkerung ein wenig mehr Veränderung zugemutet werden soll, sieht man z.B. an den aktuellen Schmutzkampagnen gegen die GRÜNEN, die wiederum für einige bereits zu weichgespült, zu kompromisslerisch sind.

Dazu Juri:

Ja, das Problem ist der Konsens: unten Cut, oben Cut und den Durchschnitt irgendwie laufen lassen. Wie Convenience Food oder Schule oder Fernsehen. So sind keine Innovationen zu erwarten!
Zu all den Ideen und Konzepten „für Digitalisierung, Energiewende, Etablierung einer Recycling-Wirtschaft, andere Mobilität, den ländlichen Raum?“ liegt einfach eine Fehlkommunikation (auch seitens der Medien) vor.

  • Für Digitalisierung brauch es keine neuen Ideen, nur eine für alle bezahlbare Umsetzung. Daran ist in Deutschland keiner der Großkopferten interessiert, denn dann würde jeder von ihnen weniger verdienen. Beim Maschinist gibt es einen lesenswerten Reisbericht über Transnistrien dazu. Fehlkommunikationen n dem Bereich sind gewollt. Alle deutschen Medien (ÖRR & privat) haben bis vor 2 Wochen noch Cell Broadcasting als Warn-SMS deklariert (um ihre Zuschauer nicht zu überfordern). So etwas hat sich nicht mal Fox News getraut. Faktenchecker? Fehlanzeige!
  • Im Recycling waren wir mal richtig weit. Bis man sich doch wieder entschied, nur auf die Kosten zu schauen. Wir haben derzeit eine Quote von knapp 10 %. Tendenz sinkend. Der Rest wird einfach nach Afrika verklappt. Da waren wir sogar schon Ende der 90er weiter. Auch hier braucht es weniger Innovation, sondern Handlung.
  • Eine andere Mobilität? Hier gab es sogar schon von der ADAC-Motorwelt (einem Autoclub, wtf?) schon innovative Ideen seit Ende der 70er. Unvergessen auch die Idee von ’84 oder so: Eine Art Smart als Stadtauto, der für die große Pendelstrecke in der Bahn fährt. Nichts davon wird sich jemals in Deutschland durchsetzen! Deutsche haben schließlich aus US-Filmen gelernt, dass das Auto der Inbegriff persönlicher Freiheit ist (tatsächlich ist das Gegenteil der Fall). Vom eigenen Automobil wird man hierzulande niemals ablassen. So ungern ich das als Antiamerikaner zugebe, da sind die Amis wirklich weiter. Schon in den 80ern musstest in den USA Leute mitnehmen, wer in die große Stadt wolltest. Der Wagen musste dafür voll belegt sein, sonst wurde eine Strafzahlung fällig. Sowas in Deutschland? Undenkbar! Car Sharing gibt es jetzt seit gut 15 Jahren. Tendenz abnehmend. Nutzen nur noch Studenten und Aktivisten.
  • E-Mobilität? Naturkiller. Die ganzen Roller die aus der Elbe und Rhein geborgen werden hinterlassen deutliche Spuren. In Dresden gibt es wenigsten eine Koop der Verkehrsbetriebe mit Nextbike, die die kostenlose Mitbenutzung der Stadtfahrräder ermöglicht, Abomonatskarte vorausgesetzt.

Übrigens war die Straße mal für alle gedacht. Nicht nur für die Autos. In kleinen Ortschaften macht sich das schon störend bemerkbar. Hier wird leider in Deutschland gar nichts passieren, obwohl wesentlich tollere Ideen vorliegen. Lieber kauft man sich ein E-SUV. Das ist nicht verwunderlich, denn der Staat wird in Zweifelsfall immer für die Autokonzerne arbeiten (auch ohne Scheuer). Da ändern auch die Grünen nix!

Ein wenig Hoffnung schürender Rundumschlag, den Juri hier vorträgt! Ist das aber durchweg so? Ich sehe z.B. den Fortschritt der Verkehrswende in Berlin: viel mehr Radwege, neuerdings auch die Umwandlung vieler Straßen. Der Autobereich wird mancherorts einspurig (in jede Richtung), daneben entstehen breite Radwege, wo auch zwei Lastenräder nebeneinander fahren bzw. überholen können. Beim Recycling ist die Frage: Quote von was? Zumindest bei Verpackungen gab es eine neue VerpackungsVO, die gewiss nicht völlig wirkungslos bleibt.

Das sind jetzt nur zwei Beispiele gegen dein Eindruck, es geschehe gar nichts. Allgemein bin ich mit Juri der Meinung, dass viel zu wenig passiert, um die Wirtschaft nachhaltig und CO²-neutral zu machen. Auch ganz abgesehen vom Klima sollte doch allen klar sein, dass die Ressourcen endlich sind und ein ewiges „weiter so“ einfach nicht funktionieren wird.

Diesem Blog per E-Mail folgen…

Diskussion

Kommentare abonnieren (RSS)
13 Kommentare zu „Deuschland: Kein Mangel an Ideen, aber unfähig zur Umsetzung?“.

  1. @claudia Mein Datenvolumen ist gerade abgelaufen (die Digitaloffensive Deutschland & so ). Bei der Textkorrektur muss noch mal der Lektor ran, fürchte ich.

    Nicht das ein falscher Eindruck entsteht: Bei Digitalisierung, Recycling und Mobilität bin ich durchaus offen für Visionen. Deutschland verfügt aber schon über die nötigen Ressourcen, das Machbare machbar zu machen. Leider passiert das nicht!

    Zum Thema Recycling kann man sich auch den (schon älteren) Artikel mal antun:
    https://www.spiegel.de/wissenschaft/technik/plastikmuell-deutschland-recycelt-nur-5-6-prozent-des-abfalls-a-1248715.html

    Bei der Digitalisierung reicht oft schon ein Kurzurlaub in den Nachbarländern aus, um zu sehen, was da so möglich ist. Noch seltsamer mag erscheinen, dass Entwicklungsländer höhere Standards aufbieten können. Da muss man nicht unbedingt nur nach den Trends schauen, sondern einfach mal ein Funk & Datennetz aufbauen, was diese Länder schon lange haben. Da können Kosten kaum als Argument taugen.
    Warum muss ich hier mit Modemgeschwindigkeit surfen, während ich in Pfefferwachsland mitten im nirgendwo Filme in 4 oder 8 k ohne Ende Streamen kann? Das entbehrt jeder Logik und muss daher Absicht sein.

  2. In anderen Ländern werden die Lizenzen nicht höchstbietend versteigert, so dass sich die Unternehmen die Kosten durch hohe Gebühren und wenig Investitionen wiederholen müssen vom Kunden. Dafür werden sie verpflichtet, eine top Infrastruktur aufzubauen auch in der Fläche.

  3. An einer Versteigerung muss man nicht teilnehmen. Da die entsprechenden Unternehmen in der Regel global tätig sind, bedeutet das was? Zudem sind die Preise auch noch abgesprochen. Ganz schlimmes Beispiel für Marktwirtschaft. Fast wie Heidelberg Zement oder Strombörse.

  4. Natürlich muss man nicht teilnehmen. Das ist aber kein Argument, schließlich wollen und müssen die Unternehmen Geld verdienen. Man könnte die Lizenzen auch für viel weniger vergeben und an bestimmte Auflagen koppeln.

  5. Der Klimaschutz der BRD entwickelt sich erwartungsgemäß auch zum Megaerfolg:
    https://www.spiegel.de/wissenschaft/deutschland-verpasst-klimaziele-deutlich-a-2cf90514-0f9c-4cca-ac7c-063eed701939
    Es wird wohl doch Zeit, nicht nur Visionen zu entwickeln, sondern auch Handlungsweisen und Notfallpläne. Die Bisherigen klappen nicht mal für Nordrheinvandalen.

  6. Was mich wundert: Dass diese Defizite (insbesondere bei der Digitalisierung) nicht mehr Volkszorn erzeugen, bzw. dass da so wenig Druck entsteht.
    Was die Versteigerung der Lizenzen angeht: Die Auflagen für die Top-Versorgung in der Fläche scheinen aber nicht eingehalten/abgearbeitet zu werden, denn immer wieder lese ich von Tröpfel-Internet auf dem Land.
    Wie man so bescheuert sein kann, sich ausgerechnet um diesem wichtigen Punkt nicht besser zu kümmern, verstehe ich einfach nicht. Schnelles Internet ist doch das Wichtigste, wenn man will, dass auf dem Land noch Unternehmen arbeiten können und nicht alle in die Städte pendeln müssen!

  7. „Was mich wundert: Dass diese Defizite (insbesondere bei der Digitalisierung) nicht mehr Volkszorn erzeugen, bzw. dass da so wenig Druck entsteht.“

    Mich wundert das nicht. „Schau mal da: Ein Einhorn!“

    Eher witzig, dass Deutsche immer über die horrenden Kosten der Versteigerung der Lizenzen wettern, ohne zu berücksichtigen, dass das seltsamen neuen Tom-Buhrow-Gehälter der CEO, CPO, CTO, etc. pp. von ihrer neuen Telefonrechnung abgehen, obwohl diese Posten erst wesentlich später dazukamen. Da nutzen auch die 20 Leute nicht, die im Call Center deswegen gefeuert werden.
    Allein Google schüttet schon 25 % an die Telcos aus, bei denen natürlich nur oben etwas ankommt. Da gibt es dann noch Apple, Facebook, Amazon….

    Meine VT: Wir haben schon die Funknetzabdeckung.
    Es wäre schon bitter, wenn da Tansania besser aufgestellt wäre.
    Wir haben wahrscheinlich inzwischen sogar die Netzabdeckung für das normale Netz.
    Es wird von den Telcos nur solange gedrosselt, bis Deutschland auch 9 Milliarden zahlt, wie sie es bei der Lufthansa taten. Dann könnte man selbst in Deutschland so Surfen, wie in Transnistrien, obwohl man das Volumen trotzdem noch begrenzen wird.
    Deutsche sind halt so blöd! Die zahlen für alles! Das muss man unbedingt mitnehmen!

  8. Widerstand ist zwecklos. ;-) Viele Gemeinden oder Bürgerinitiativen nehmen die Sache selbst in die Hand und verbuddeln die letzten Kilometer Glasfaserkabel auf dem Land selbst. Es gibt keine Verpflichtung für die Unternehmen, für eine 100%ige Netzabdeckung zu sorgen weder kabelgebunden noch per Funk. Wie gesagt werden in anderen Ländern die Mobilfunklizenzen wesentlich billiger vergeben und mit Auflagen verbunden, was die Abdeckung angeht. In Deutschland will der Staat nur möglichst viel Geld bekommen durch die Versteigerung. Beides zusammen geht nicht.

  9. @Brendan Natürlich geht das. Einfach die Telcos wieder verstaatlichen. Schon hat man kompletten Zugriff.

    Wäre aber auch schön, wenn man noch über etwas anderes, als die Digitalisierung reden könnte.

    Der Probleme harren viele.

  10. “ Natürlich geht das. Einfach die Telcos wieder verstaatlichen. Schon hat man kompletten Zugriff.“

    Du hast aber davon geschrieben, dass sie einfach nicht an der Versteigerung teilnehmen müssen. Das ist etwas völlig anderes. Und wenn ich an die gute alten Telekommunikationsdienstleistungen in staatlicher Hand denke, fahren wir jetzt wesentlich besser. Der Staat ist keineswegs immer besser als Private.

  11. Damals ging es zumindest flächendeckend, auch wenn nicht immer die neueste Technologie anlag.

    Heute? 1&1 schmeißt die Leute sporadisch raus, wie anno 1998, damit der Traffic nicht steigt, andere halten das nicht anders, Vodafone lässt gerne ganze Stadtviertel ausfallen, weil die Router, genau wie die Verteiler nicht gewartet werden können, gleiches gilt für die Telekom. Netze werden nur auf außergewöhnlichen Druck neu gemacht.
    Da sage ich: „Einfach abwarten!“ Staatlich kann alles besser, was die Grundversorgung angeht. Nichts Neues!
    Man stelle sich vor, das wären keine Daten, sondern Wasser. Wasser kommt mal an, kommt mal nicht an, manchmal monatelang in bestimmten Dosen, manchmal auch nur beim Nachbarn, aber bezahlen musste die volle Summe für jeden Tag, obwohl Du keine Leistung bekommen hast.

    Nö!

    Haut die Telcos weg und und kastriert deren CEO und CPO, damit da nix nachwächst!

    Die Privaten waren übrigens diejenigen, die meinten Lichtleiterkabel in Plaste packen zu müssen. Macht sich richtig gut!

  12. Wenn sich eine Gesellschaft schon einmal so weit auseinanderdividiert hat, wie unsere, werden es selbst so genannte Volksparteien nicht fertig bekommen, nötige Konzepte und Innovationen landesweit in der Form umzusetzen, dass sie sich (von Detailstatistiken abgesehen) in der Breite niederschlagen. Es mag diese guten Beispiele, Projekte geben, die das Potenzial hätten, die Aussicht auf Umsetzung in der Fläche bleibt gering. Ich teile Juris Dystopie. Es ist schlimm, so etwas zu sagen. Aber China ist unserem System gerade in diesen Fragen überlegen, weil die totalitären und kollektivistischen Strukturen ganz andere Möglichkeiten eröffnen.

    Ich will nur ein Beispiel nennen: Ich nahm an, es wäre gesellschaftlicher Konsens, dass der Ausbau der regenerativen Energien unabdingbar für unsere Zukunft wäre. Wie naiv ich war! Wir scheitern auch mit den Offshore-Parks. Wir haben schon zigtausende von Arbeitsplätzen verloren. Die Solarenergie lässt grüßen. Aber auch mit der Entwicklung in der Fläche. Aber nicht etwa, weil die Politik z.B. falsche Abstandsregeln erlässt oder – wie immer behauptet wird – den Arsch nicht hochbekommt. Nein, es sind unzählige Partikularinteressen – nicht weniger Mächtiger, sondern eines großen Teiles unserer Bevölkerung, die die Misere verantworten. Wie viele Klagen gegen Windkraftanlagen kann ein Rechtsstaat eigentlich verkraften? Auf welchen Wegen diese Klagen überhaupt zustande kommen, ob sogar Umweltschützer hier nicht eine geradezu paradoxen Einfluss haben, fragt man sich. Dabei scheint es in Wahrheit eine Lobby zu geben, die äußerst effektiv wirkt und die – einmal mehr – vom INSM unterstützt wird. Dass sich hunderte kleiner Gruppen von solchen Leuten unterstützen lassen, ist doch ein Skandal. Es zeigt ganz klar, wie sehr viele in unserer Bevölkerung so drauf sind. Ohne Überzeugung, wenn es um etwas anderes geht als die eigenen Pfründe und Interessen. Und wir wundern uns dann über das Handeln unserer Politiker?

    Demokratie ist toll. Politische Parteien sind ok. Aber sie funktionieren wie unsere Gesellschaften insgesamt. Wenn alles nur noch dafür benutzt wird, die Rechte jeder kleinen Randgruppe abzuchecken und irgendwie auch sicherzustellen, bekommen wir Probleme. Dafür muss man nicht allergisch gegen gesellschaftlichen Konsens sein.

    Ich glaube, wir müssen radikaler denken, wir brauchen etwas Neues, vielleicht auch etwas Altes. Sonst sollten wir uns damit abfinden, dass die freien Gesellschaften bald an ihre Grenzen kommen werden. Ganz klar, Deutschland ist kein Land, von dem gesellschaftliche Innovationen zu erwarten sind. Der Altersdurchschnitt hindert progressive Kräfte daran, irgendeine Wirkung zu entfalten. Wir sind fixiert auf Besitzstandswahrung und die wenigen, die das spüren oder sehen, vermögen es nicht, auf diese Voraussetzungen Einfluss zu nehmen.

  13. Ja Horst, da bin ich ganz bei dir! Und ich wünsche mir da etwas mehr „durchregieren“, wenns um wichtige Zukunftsvorsorge und das Gemeinwohl geht.
    Je länger diese in Vorschriften und Klagen versumpfte stagnierende Situation bei hohem gefühltem Veränderungsdruck anhält, desto mehr steigt die Wahrscheinlichkeit, dass es irgendwann einen Durchbruch in Richtung autoritäres Regime gibt. Und dann eben nicht nur in den Themen, die alle Vernünftigen eigentlich einsehen müssten…