Claudia am 15. Februar 2021 —

Mord, Totschlag und „Tischkantenmord“ im öffentlich-rechtlichen TV

OpferIm gestrigen Tatort „Hetzjagd“ verhörte die Kommisarin Lena Odenthal den Nazi-Täter, wobei sich folgender Dialog zutrug:

Lena: Sie haben zwei Vorstrafen, Körperverletzung und Landfriedensbruch – und jetzt Mord, zweifacher Mord“

Nazitäter: Totschlag! Das mit der Polizistin war Totschlag, das wollte ich nicht. Ich hatte Angst, dass sie mich umlegt, mich und die Kleine.“

Lena: Deshalb haben einfach Sie sie umgelegt, patsch und weg!

Täter: Ansonsten wär‘ ich dran gewesen!

Lena: Das ist doch Bullshit! Sie waren auf der Flucht, weil Sie zuvor M. umgebracht haben. Und deshalb haben Sie sich auch vorgenommen, sofort zu schießen, wenn irgend jemand Sie aufhalten will. Und das ist Vorsatz, also Mord!“

Beide befinden sich in Bezug auf die Bedeutung des Vorsatzes im Irrtum:

  • Der Täter, weil er ihn schlicht abstreitet („das wollte ich nicht“), obwohl er zugibt, dass er meinte, die Polizistin werde ihn ihrerseits erschießen. Er wollte also durchaus schießen und hat dabei den Tod der Polizistin zumindest „billigend in Kauf genommen“ (eine Variante des Vorsatzes). Sich auf Notwehr zu berufen, ist tatsächlich Bullshit!
  • Lena pflegt den Irrtum, dass allein der „Vorsatz“ eine Tötung zum Mord macht. Auch das ist Bullshit, denn im Strafrecht ist der Vorsatz zwingendes Tatbestandsmerkmal (§ 15 StGB) der Verwirklichung nahezu jeder Straftat:

„Strafbar ist nur vorsätzliches Handeln, wenn nicht das Gesetz fahrlässiges Handeln ausdrücklich mit Strafe bedroht.“

Dass sie den Vorsatz zu einem „Mordmerkmal“ erhebt, ist eine krasse drehbuchschreiberischer Fehlleistung. Für einen Mord nach §211 StGB braucht es nun mal die „Mordmerkmale“:

„Mörder ist, wer aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen, heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken, einen Menschen tötet.“

Die hier begangene Tat war somit auf keinen Fall Mord, da die Mordmerkmale fehlen. Sondern Totschlag, der im öffentlich-rechtlichen Fernsehen eine eher heimliche Rolle spielt, indem er allzu oft als „Mord“ behandelt und verhandelt wird.

Aber: Dass der Täter den ersten Mord tatsächlich nicht begangen hat, konnte Lena nicht wissen, sie hätte dazu dem Täter glauben müssen, was an dieser Stelle nicht verlangt werden kann. Vielleicht meinte sie ja, dass das Mordmerkmal „um eine andere Straftat zu verdecken“ hier greifen könnte, doch der ihr bekannte Ablauf legt eher das Gegenteil nahe: der Schuss auf die Polizistin wirkt geradezu als Eingeständnis: Ja, wir sind die Täter, die Ihr gerade sucht… „Verdeckt“ wurde damit gar nichts!

Totschlag ist nicht immer Mord,
der „Tischkantenmord“ erst recht nicht!

Immer wieder fällt mir auf, dass ganz offensichtlich „im Affekt“ handelnde Täterinnen und Täter in vielen Krimis als Mörderinnen verhaftet oder so bezeichnet werden, obwohl bereits klar ist, dass keinerlei Mordmerkmale vorliegen, bei weitem nicht. Es sind oft Taten, für die man aufgrund der Motive als Zuschauerin viel Verständnis aufbringt, umso nerviger wirkt es, wenn dann immer noch von „Mord“ die Rede ist (oder durch die Behandlung der Täterin bzw. im weiteren Handungsverlauf dieser Vorwurf unaufgelöst im Raum stehen bleibt).

Aber es geht noch schlimmer: Gefühlte 50% der in diversen Krimireihen behandelten Fälle sind „Tischkantenmorde“, in Wahrheit aber nicht einmal Totschlag! Typisches Beispiel: Im Streit „schubst“ die Täterin das Opfer, das leider stolpert und so unglücklich auf die Tischkante fällt, dass es stirbt. Nie im Leben hätte die Täterin das gewollt, nicht einmal für möglich gehalten. Das ist am Handlungsende dann auch sonnenklar, dennoch wird immer noch so getan, als seien das alles Mörder/innen oder zumindest Totschläger/innen. Dabei braucht es für Mord und Totschlag Vorsatz! Ist der nicht vorhanden, kommt allenfalls „Körperverletzung mit Todesfolge“ nach §227 StGB in Betracht.

(1) Verursacht der Täter durch die Körperverletzung (§§ 223 bis 226a) den Tod der verletzten Person, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.
(2) In minder schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

Aber: Auch in diesem Fall muss VORSATZ vorliegen, wenn auch nur bezüglich der Körperverletzung. Hat die Person nur „kurz geschubst“, was normalerweise gar keine Verletzung nach sich zieht, ist nicht einmal der vorhanden und das Ganze ist nur ein bedauerlicher Unfall – und somit nicht strafbar.

FAZIT: Zum Glück ist unser Strafrecht nicht so, wie es der deutsche Krimi darstellt!

 

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Diskussion

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3 Kommentare zu „Mord, Totschlag und „Tischkantenmord“ im öffentlich-rechtlichen TV“.

  1. Mich regen diese Dinge ebenso auf. Je mehr und je länger ich Krimis gucke – und ich gucke täglich mehrere Serienfolgen! -, desto öfter bzw. bewußter stolpert man über diese Stereotypen.
    Nerviger sind für mich die in jedem Krimi vorkommenden Floskeln. In Befragungen das schnoddrige „War’s das?“ oder „Wir sind hier fertig!“ oder „Was darf ich den Herrschaften anbieten?“

    Möglicherweise meine Hybris, doch bilde ich mir ein, abwechslungsreichere Dialoge schreiben zu können; mir fallen während des Zusehens immer häufiger bessere, originellere Möglichkkeiten ein.

  2. Deshalb lese ich auch lieber die Kolumne von Thomas Fischer. Da ist Fachkenntnis pur angesagt.

    Bei den Filmen auch abseits von Krimis liegt es vielleicht eher daran, die Sache etwas aufzuladen. Die reine Ermittlungsarbeit ist m.E. zum Grossteil Papier und PC und die mehrheitlich auf einen Showdown hinlaufenden Filmschluss sind da eher die Ausnahme.

    Nur holt man so eben niemanden vor die Glotze. Bedauerlich ist daran, dass über diese Bilder viele annehmen, dass so wirklich Polizeiarbeit aussieht. Ganz ähnlich trifft das auf Straftaten zu, die wegen ihrer Schwere oder den Umständen überregional in die Medien gelangen. Da sind es oft schon die Journalisten selber, die undifferenziert mit Tat- und Täterdefinitionen um sich werfen um der Schlagzeile willen. Und das ist beileibe nicht nur die Klatschpresse oder die BILD. Insofern müssen diese sich da oft zuerst selbst an der Nase zupfen.

  3. Wieviel Realitätsbezug soll man einem Fernsehkrimi abverlangen, also einem Unterhaltungsformat? Wahrscheinlich nicht zu viel. Aber es sollten auch im Fernsehkrimi einige grundlegende Sachverhalte korrekt dargestellt werden:

    – Festnahmen und Verhaftungen sind unterschiedliche Vorgänge
    – Staatsanwälte stellen keine Haftbefehle aus
    – Polizei und Staatsanwaltschaft sind verschiedene Behörden. Staatsanwälte haben auch nicht ihre Büros auf den Fluren der Polizei
    – Staatsanwälte sind nicht Vorgesetze der Polizisten
    – Kriminalhauptkommissare arbeiten in der Regel nicht im Duo
    – Rechtsmediziner sind nicht Angestellte der Polizei
    – Rechtsmediziner ermitteln nicht selbsttätig, sondern nur gutachterlich auf Anforderung
    usw.

    Wenn selbst der juristische Laie dies weiß, warum nicht auch der professionelle Drehbuchschreiber? Ist es Schlampigkeit, Gleichgültigkeit oder steht dahinter Zuschauerverachtung?