Claudia am 04. August 2019 —

Für hassfreie, vernünftige Debatten – auch über Kriminalität bei Migranten

Verschiedene Twitter-Gewitter und Blogartikel rund um die verstörenden Straftaten der letzten Wochen (#Frankfurt #Voerde, #Stuttgart) inspirieren mich zu diesem Artikel, den ich aber auch zu fast jeder Zeit in den letzten Jahren hätte schreiben können, leider.

Regelmäßig sind die Abläufe ähnlich: Ein Verbrechen geschieht, das aus dem „üblichen“ Rahmen fällt und von Flüchtlingen und/oder Migranten begangen wird. Die Medien melden das Schreckensereignis großflächig, updaten ihre „Ticker“ in kurzen Abständen, auch wenn es noch kaum Genaues zu wissen gibt. Empörungswellen rollen durch die sozialen Medien, wobei sich sofort die Kreise spalten:

  1. Die einen sehen sich in ihrer Skepsis gegenüber Migration und Flüchtlingspolitik bestätigt und fordern Konsequenzen, prangern Politikversagen an und vieles mehr.
  2. Andere tun das ganz ebenso, nutzen die Tat aber auch, um ihre spezifische Rechtsaußen-Agenda (alle raus, Grenzen dicht, #dankeMerkel etc.) zu promoten und explizit Hass zu verbreiten.
  3. Darüber regen sich wiederum breite Kreise auf, prangern Instumentalisierung an, verweisen auf urdeutsche Täter ähnlicher Schreckenstaten und werfen gern mal alle in denselben Nazi/Rassistentopf, die sich zu den Taten UND der Herkunft der Täter äußern.
  4. Was wiederum Empörungswellen hervorruft, weil die schrecklichen Taten durch solche „Ablenkungen“ únzulässig relativiert würden, bloß weil sie von Migranten bzw. Flüchtlingen begangen wurden…

Diese Spiralen kommunikativer Empörung wiederholen sich, es wird kaum mehr diskutiert, der Schlagabtausch dominiert und erstickt jeden Ansatz zu einem vernünftigem Gespräch. Nicht wenige ziehen sich zurück, äußern sich nicht mehr öffentlich zu brisanten Themen und überlassen das Feld den „Radikalen“, die dann – mehr noch als bisher – den Eindruck einer Mehrheit vermitteln.

Was sind vernünftige Debatten?

„Vernünftig“ nenne ich eine Debatte, in der rational diskutiert und argumentiert wird. In der Probleme benannt werden dürfen, ohne dass man bereits in eine Schublade gesteckt wird, für die man sich durch nichts sonst qualifiziert hat.

Das muss auch für Themen gelten, über deren Problemhaftigkeit Uneinigkeit besteht, denn auch über ein „von vielen als Problem wahrgenommenes“ Phänomen muss man sprechen können, ohne zur Zielscheibe von Hass und Hetze zu werden.

Klar liegt es nahe, vor allem „Front gegen Rechts“ zu machen, aber wenn dabei regelmäßig Leute mit unter die Räder kommen, die definitiv keine Rechtsradikalen, sondern eher links, grün, ehrlich liberal oder gutbürgerlich-konservativ sind, dann wird mehr Schaden angerichtet als Nutzen gestiftet.

Der Dissenz, das Bashen und Shitstormen geht oft schon bei der Benennung los. Um ein Thema sinnvoll diskutieren zu können, muss man es benennen. Wie aber soll man die Gruppen benennen, um die es  geht, ohne gleich massiven Ärger auf sich zu ziehen?

  • Für Zugewanderte hat sich unter Vernünftigen (=den nicht von Gruppen-bezogenem Menschenhass Motivierten) der Begriff „Migranten“ bzw. „Menschen mit Migrationshintergrund“ eingebürgert, der dann allgemein wurde.
  • Für andere, also die einst monokulturellere Bevölkerung von Deutschland wird derzeit oft der Begriff „Bio-Deutsche“ verwendet. Das finde ich wenig passend, denn mit „bio“ hat das Gemeinte nichts zu tun. Besser wäre „Ureinwohner“. Darunter kann dann eine Bandbreite von 10plus Generationen bis hin zu den Kindern und Enkeln der Gastarbeiter verstanden werden.

Soweit vermutlich noch halbwegs konsensfähig. Aber wann ist es überhaupt legitim, die Herkunft eines Täters zu nennen? In der Diskussion eines gesellschaftlich wahrgenommenen Problems darf es aus meiner Sicht keine politische Todsünde sein, auf die Herkunft hinzuweisen, wenn es im Kontext der jeweiligen Rede (!) Sinn macht.

Man kann dem ja dann entgegen stellen, dass die Herkunft im jeweiligen Einzelfall keinerlei Bedeutung hatte und das argumentativ untermauern. Dennoch bleibt jegliche Häufung von Delikten, die über den entsprechenden Straftaten-Anteil der Ureinwohner hinaus geht, ein legitimer Grund, darüber zu sprechen.

Ähnliche Konfliktfronten gibt es nicht nur bei diesem, sondern auch bei etlichen anderen Themen.

  • Etwa, wenn der Versuch von Frauen, Probleme mit Transfrauen zu debattieren, als „transphob“ abgebügelt wird, weil Transfrauen nun mal einfach „Frauen“ seien.
  • Oder wenn jegliche  Diskussionsversuche über problematische Inhalte des Islams als „islamophob“ gegeiselt werden.

Eine weitere, massiv Streit-schürende Strategie ist die mittlerweile unfassbar weite Ausweitung von Begriffen wie „Rassismus“ oder „Sexismus“, worunter heute schon das Nicht-Einhalten von Quoten fällt, wo sie weder vorgeschrieben noch sinnvoll sind. (Für manche sogar schon das bloße Widersprechen, wenn das Gegenüber ein Mensch mit Migrationshintergrund oder „POC“ ist). Aber das ist ein weites Feld und braucht extra Artikel.

Gemeinsam ist diesen Streitigkeiten, dass ernsthafte Debatten über real existierende (oder meinetwegen auch „von vielen so wahrgenommene“) Probleme gar nicht erst stattfinden bzw. gleich abgewürgt werden.
Das schadet ernsthaft der Demokratie, die ohne die Möglichkeit der freien Debatte (nicht: Hass und Hetze) nicht auskommt, sondern wegen der immer tiefer gespaltenen Gesellschaft dann irgendwann ins Autoritäre abgleitet.

Mehr zum Thema:

Zur Sache empfehle ich folgende Blogposts – was nicht heißt, dass ich mit allem, was da geschrieben wird, einverstanden bin. Die ersten beiden hab ich ausführlich kommentiert:

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Diskussion

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9 Kommentare zu „Für hassfreie, vernünftige Debatten – auch über Kriminalität bei Migranten“.

  1. […] lese den Anfang eines bei Claudia verlinkten Artikels und denke: whow, erwischt – der meint mich. Schon wieder einer, den meine zunehmenden […]

  2. Deiner Sicht auf die Vorgänge kann ich mich nur voll anschließen. Man merkt deinem Text an, wie nachhaltig die Entwicklung auch bei dir wirkt. Es hat nicht den Anschein, als würden wir uns aus dieser Sackgasse je wieder hinausbewegen können. Es gibt ja nicht nur ein streitiges Thema, bei dem es vergleichbar kontrovers zugeht.

    Dass es nicht mehr um den Austausch von Argumenten geht, sondern dass sich die Bataillone ideologisch schwer bewaffnet , macht es schier aussichtslos. Es sind weniger unzulässige Verallgemeinerungen oder Stinkstiefeleien, die Sorgen machen müssen, sondern die emotionale Aufladung der Themen. Gegenhalten kann man mit rationalem Denken und Argumenten. Was sollen wir denen entgegenhalten, die stereotyp behaupten, dass es die Opfer nicht gegeben hätte, wenn Merkel die Grenzen nicht geöffnet hätte. Da bringt kein philosophischer Exkurs irgendwas.

    Wahrscheinlich neigen wir in Deutschland zu Übertreibungen. Andererseits wissen wir, dass die Briten gerade in dieser Hinsicht auch nicht besser dran sind.

  3. @Horst,
    immerhin schreiben derzeit wieder mehr Leute dagegen an! Und die „versaute Debattenkultur“ ist in vielerlei Medien derzeit Thema und damit auch die Frage, was denn dagegen gehalten werden kann. Dass Schweigen und Sich-zurückziehen im Einzelfall vielleicht nötig ist, sehe ich ein – ganz allgemein ist es aber nicht der richtige Weg. Lieber sich mal was trauen…

    „Was sollen wir denen entgegenhalten, die stereotyp behaupten, dass es die Opfer nicht gegeben hätte, wenn Merkel die Grenzen nicht geöffnet hätte. “

    Wenn es Adolf Hitler nicht gegeben hätte, wäre ich jetzt nicht auf der Welt. Denn mein Vater wäre als Pragerdeutscher nach dem Krieg nicht nach Schwaben gekommen, wo er meine Mutter kennen lernte.

    Merkel hat die Grenzen nicht „geöffnet“, sie waren damals offen, Schengen und so. Auch ohne öffentliche Unterstützung wären jede Menge Flüchtlinge gekommen.

    Dass einige Flüchlinge zu Straftätern werden, hat vielvältige Ursachen – das mit dem stereotypen Argument abzubügeln, dass das „draußen halten“ alles Übel verhindert hätte, ist einfach nur dumm und feindselig. Denn erstens ist es faktisch nicht möglich, wir hätten einfach mehr Illegale – und soweit es mit drastischen Methoden möglich wäre, kostet auch das Opfer. Nicht nur bei den womöglich mit Gewalt Ferngehaltenen, sondern auch durch die Aufgabe letzter humaner Werte, für die Europa immer noch steht – und zusätzlich noch mehr Ärger mit den Nachbarstaaten.

    Es geht mir momentan aber weniger um das „Zurückholen“ der Unverbesserlichen. mit denen keine echte Debatte mehr möglich ist. Sondern um Menschen wie Du und ich und viele andere, auch im Bekanntenkreis, die verdammt nochmal Probleme besprechen können wollen und Auswüchse/Extreme in alle Richtungen nicht zielführend finden.

    Es gibt Werte, für die man einstehen muss – sogar solche, über die quer durch die politischen Schubladen hierzulande weitgehend Einigkeit besteht. Z.B. dass man Frauen genauso respektieren muss wie Männer – und dass Religion nicht über den Gesetzen des Staates steht.
    Ebenso selbstverständlich bleibt aber auch, dass Menschen in Seenot gerettet werden müssen. Dass man sie nicht einfach absaufen lassen darf, genauer gesagt.

    Man kommt aber kaum mehr zu vernünftigen Gesprächen darüber, wie das alles denn im realen Leben zu verwirklichen wäre. Weil schon allein, DASS man ein Problem benennt, völlig ausreicht, um in eine zu bekämpfende Schublade gesteckt zu werden.

    Wie auch immer: weiter schreiben! Es ist ja auch ein Wert, mit sich selbst im reinen zu sein – und sich nicht ängstlich schweigend wegzuducken!

  4. Hallo Claudia, ich habe mich gestern durch deinen Beitrag gelesen und besonders, durch die von dir Verlinkten. Das Netz glüht ja, how, how, how…. Definitiv werde ich mich derzeit nicht auch noch als Missionar auf dieses Schlachtfeld der Kreuzzüge werfen.

    Ich habe nach langer Pause wieder angefangen zu schreiben. Aus Angst und Sorge, wie es in diesem Land weitergeht. Und ich bin erstaunt, wie gut mir das Schreiben tut. Für mich ist es die beste Medizin. Saß ich bisher vor dem geschlossenen Bühnenvorhang, in großer Angst, ob sich dahinter vielleicht fauchende Tiger oder feuerspeiende Drachen verbergen, geht nun mit dem Schreiben der Vorhang auf und ein normales Bühnenbild erhält Konturen.
    Und mit diesen klarer werdenden Konturen kann ich mich nun konkret auseinandersetzen.

    Du hattest hier schon einmal einen sehr guten Beitrag über die Eigenreflexion beim Schreiben eingestellt. Daran habe ich mich die letzten Tage oft erinnert und so möchte ich deinem letzten Absatz dick unterstreichen.
    „Wie auch immer: weiter schreiben! Es ist ja auch ein Wert, mit sich selbst im reinen zu sein – und sich nicht ängstlich schweigend wegzuducken!“ Evtl. würde ich dem „ängstlich“ noch ein „und aus Bequemlichkeit“ hinzufügen.

    Als Beispiel dafür, dass es auch weiterhin noch sehr gute Gespräche gibt, möchte ich hier den link einfügen, den Horst Schulte in seinem Blog aufführte:
    http://bit.ly/2GHhy0e
    Den vielen positiven Kommentaren unter diesem youtube Video schließe ich mich. Und bei den Trollen, die sich natürlich auch dort einfinden, frage ich mich: Seit wann gehört diese Form des „Miteinanders“ zu unseren Grundwerten und vor allem: Verlieren diese Menschen tatsächlich nur VERBAL die Kontrolle über sich?

  5. […] ist das MigMagazin (Migration in Germany) und ProAsyl (Der Einzelfall zählt). Auch wenn man über problematische Aspekte der Integration von Flüchtlingen und Migranten nicht (mehr) hinweg sieht, bleibt es wichtig, diese Berichte zum realen Geschehen zu lesen und sein […]

  6. Schreiben hilft mit dem umzugehen, was im Land vor sich geht. Es geht wirklich nicht (nur) um missionarischen Eifer oder darum, die eigene Meinung kundzutun. Es ist ein Stück Eigenreflexion, es bringt Ordnung in die Gedanken. Der laufende Prozess wird für LeserInnen nicht unbedingt gleich erkennbar sein, er ist aber im Gange. Ob wir dafür die so genannten sozialen Netzwerke ebenfalls in Anspruch nehmen können? Meines Erachtens nicht. Auch wenn der Ausstieg bedeutet, dass man eine Menge netter Leute aus den Augen verliert. Bloggen ist schöner.

  7. […] um welche Selbstverständlichkeiten es sich auch handelt, kann ein Desaster erleben. Sachlichen Widerspruch meine ich nicht, der ist unbedingt […]

  8. Guter Artikel und ich finde Du triffst das Problem auf den Punkt. Mehr Sachlichkeit wird überall benötigt. Je emotionaler ein Thema ist, desto schwieriger ist das. Ich denke, ein großes Problem bei vielen Auseinandersetzungen ist die Tatsache, dass wir sehr viel über geschriebene Sprache und das Internet kommunizieren. Bei manchen Dingen wäre es hilfreicher, einen direkten menschlichen Kontakt zu haben. Denn im Internet können die Menschen sich nicht als Menschen zeigen und werde sich immer ein Stück weit hinter ihren „Ansichten“ verstecken.

  9. @Julia:

    „Bei manchen Dingen wäre es hilfreicher, einen direkten menschlichen Kontakt zu haben. “

    Genau! Ich hab schon öfter gedacht: dieses Land brauch Stuhlkreise!

    Erinnere mich, wie katastrophal das von großen Mainstreammedien gepushte Projekt „Deutschland spricht“ gescheitert ist! Da wurden Leute gesucht, die bereit waren, mit jemandem gegenteiliger Meinung zu diskutieren – beim selbst zu organisierendem Zweiertreffen im richtigen Leben. Grade mal 6000 Paarungen haben sie angeblich zustande gebracht – und das bei dem großflächigen Einsatz! Kein Wunder, dass dann schnell nicht mehr darüber gesprochen wurde!
    Ich hatte mich auch gemeldet und bekam eine Frau zugeteilt, die – leider, wie im Anschreiben stand – in praktisch allen Punkten meiner Meinung war. Da erschien mir ein Treffen unsinnig.
    Zu zweit bringt das auch nichts, es muss eine Gruppe möglichst unterschiedlicher Menschen aus verschiedensten Lebenswelten sein – erst dann wird es interessant, umso mehr, weil eben niemand wissen kann, was in diesem Kreis womöglich „angesagt“ ist. So würde unser primatentypisches Hordenverhalten erstmal ausgetrickst.

    Zur Startrunde müsste gelten: Jede/r spricht nur von sich, also vom eigenen, lebensweltlichen Bezug zum zu diskutierenden Thema. Das ist auch sehr „Frieden schaffend“!