Claudia am 15. Dezember 2015 —

9 von 10 töte ich nicht

Doch, ich kann einer Fliege durchaus was zu Leide tun, aber ich scheue davor zurück, andere Lebewesen „einfach so“ umzubringen. Die Stechmücken im Sommer wollen an mein Blut: wenns klappt, bin ich mit einem Handschlag schneller und die Schnake ist platt. Auch all die Schnecken, die den Salat im Garten wegfressen, trage ich mittlerweile nicht mehr jedes Mal in den Wald, sondern trete auch einfach mal drauf – allerdings mit einem unguten Gefühl der Schuld.

Zuhause sind es andere Mitbewohner, die mich zweifeln lassen. Sie fallen kaum auf und nur ab und zu flattert mir so eine Küchenmotte entgegen. Es ist nicht schwer, sie zwischen den Händen tot zu klatschen, eine gewisse Treffsicherheit vorausgesetzt.
Hier eine vergrößerte Ansicht der rund einen Zentimeter langen Dörrobstmotten bzw. Plodia interpunctella:

Dörrobstmotte

Sie gelangen in die Küche, indem sie ihre Eier in Reis, Mais, Müsli, Mehl, auch Teigwaren, Gebäck, Gewürzen, Nüssen, Kakao, Trockenobst, Suppenbeuteln, Schokolade und Getreide ablegen. Man kauft sie also gleich mit und bemerkt sie erst, wenn die Larven geschlüpft sind und die fertigen Motten das Weite suchen. Anfällig sind insbesondere Lebensmittel, die man vielleicht mal für ein bestimmtes Gericht gekauft, aber nicht aufgebraucht hat. Sobald ich vermehrt Motten bemerke, kontrolliere ich alles durch und werfe angebrochene Packungen weg.

Aber: diese eine, die da fliegt…

Vielleicht liegt es an dem relativ langsamen Geflatter dieser Geschöpfe, das mich jedes Mal zögern lässt, wenn mir eine fliegend begegnet: Diese Motte hat ja auch nur ein Leben, das sie vermutlich gerne lebt. Und: tut sie mir ein Leid? Bedroht sie mich? Nein, nicht wirklich. Kann sein, dass ich mal wieder eine angebrochene Packung entsorgen muss und mal so insgesamt durch die Küchenschränke schauen – aber deshalb ihr Leben jetzt beenden?
Manchmal schlag ich auch ganz schnell zu – vielleicht, weil ich an dem Tag schon drei Exemplare gesichtet habe. Das ist dann auch ok, aber wenn ich sie beim ersten Versuch verfehle, darf sie in der Regel doch entkommen, ich versuche es kein zweites Mal.

Der Moment der Schlaghemmung hat etwas Philosophisches: Die Motte und ich – beide sind wir Lebewesen, die ihr Leben nicht selbst gemacht, sondern geschenkt bekommen haben. Und wir haben größtes Interesse daran, nicht zu sterben. Je länger ich bei diesem Gedanken verweile, desto unwahrscheinlicher wird es, dass ich noch zuschlage.

Alle, die Ordnung und Sauberkeit als Wert ziemlich weit oben ansiedeln, werden das vermutlich verrückt finden. Aber es ist, wie es ist – und die Momente der Solidarität mit einer Motte find ich gar nicht so übel.

Diskussion

Kommentare abonnieren (RSS)
7 Kommentare zu „9 von 10 töte ich nicht“.

  1. Du hast nicht zufällig Schlupfwespen gegen die Motten ausprobiert und kannst berichten?

    Angeblich sollen die winzigen Schlupfwespen die Eier der Motten essen. Das sei so ziemlich die einzige Methode, um die Motten wieder loszuwerden.

    Und es wäre ja kein Totschlag (oder heimtückischer Mord mit Gift), sondern bloß Abtreibung. ;-)

  2. Darüber hab‘ ich grade gelesen, weiß aber nicht, ob ich Wespen angenehmer fände als Motten…
    Immer mal ausmisten und putzen hält sie im Zaum, bis jetzt jedenfalls. Wenn es zu viele werden, ziehe ich auch andere Seiten auf!

  3. Toller Text, Danke!

  4. „Jeder dumme Junge kann einen Käfer zertreten. Aber alle Professoren der Welt können keinen herstellen.“
    Arthur Schopenhauer

    Bei mir wird nix totgeschlagen. Hab mal gelesen, dass das, sollten solche Krabbler in der Wohnung sein, für ein gesundes Klima zeugt. Gegen Motten helfen vorsorglich Lavendel und Seife im Schrank. Hat bisher immer geklappt. ;-)

    Das viele der sogenannten Plagegeister ein Nutzen haben, wird leider oft übersehen. Ohne Wespen, die ja auch Insekten vertilgen, gäbe es mehr andere Plager. Ohne Spinnen ebenfalls… ;-)

    Netter Versuch… :-D

  5. Gegen Spinnen hab ich nix, die sind eher im Sommer zu Gange und fangen mit ihrens Gespinsten oben in den Ecken der hohen Altbaudecken die Schnaken und Minifliegen weg!

  6. Bei mir ist es so, daß ich bei einem Besuch in Jena vor einigen Jahren im optischen Museum war und dort die aussergewöhnliche Bauweise von Insekten im Mikroskop studieren konnte. Seitdem interessiere ich mich auch für Makro- und Nanofotografie.
    Dicke Spinnen entsorge ich über ein Gefäss, unter das ich ein Stück Papier schiebe und entlasse das Tier dann in die Freiheit. Kleinere können bleiben.
    Aber ihre Gespinste werden ab und an beseitigt.

  7. Dicke Spinnen entsorge ich über ein Gefäss, unter das ich ein Stück Papier schiebe und entlasse das Tier dann in die Freiheit. Kleinere können bleiben.
    Aber ihre Gespinste werden ab und an beseitigt.

    Ja, so halte ich es auch. Gegen Stechmücken gehe ich auch schonmal energischer vor, die sind ja auch alles andere als friedlich. Der Rest wird rausgetragen.

    Als wir mal eine Mottenplage hatten, die zwei Teppiche zerfressen haben, mussten wir auch einfach gründlicher gegen diese Tiere vorgehen.