Claudia am 11. September 2013 —

Fremdschämen für die TAZ – zum Rösler-Interview

Weder sympathisiere ich mit der FDP noch speziell mit Herrn Rösler. Dagegen mag ich die TAZ, meistens jedenfalls. Dort gibt es immerhin noch Journalismus, der sich für die Sache interessiert, nicht bloß dafür, aus dem Weltgeschehen möglichst viele Klick-bringende „Aufreger“ zu destillieren, egal, wen oder was man dabei unbesehen in die Pfanne haut. Bei der TAZ kommt Politik noch vor, nicht nur skandalisierende Geschichen über Politiker, die die Entpolitisierung voran treiben und ähnliche Bedürfnisse bedienen wie die Klatsch-Postillen, die im Detail über Geburten und Heiraten letzter Königshäuser berichten.

So dachte ich über die TAZ, Jahrzehnte lang. Doch dieses allzu positive Bild ist nun dabei, den Bach runter zu gehen. Vermutlich hat es lange schon nicht mehr gestimmt: ich lese sie ja nur punktuell, wenn ich über einen News-Aggregator auf einem Artikel lande, der mich interessiert (und ja, ich hab‘ da auch schon gespendet).

Unter dem Titel „Fragen und keine Antworten“ veröffentlicht die TAZ nun ein Interview mit Phillip Rösler – und zwar NUR die Fragen, keine Antworten. Das sieht dann so aus:

taz: Herr Rösler, wir möchten mit Ihnen über Hass sprechen.
Philipp Rösler: …………………….
Ihr Pressesprecher will auch lieber, dass wir das Thema “Stil und Anstand im Wahlkampf” nennen.
…………………….
Herr Rösler, welche Erfahrungen haben Sie damit gemacht, dass andere Probleme mit Ihrem asiatischen Aussehen haben?
……………………. …………………….
Sie bekommen immer wieder Hassmails. Weil Sie FDP-Chef sind? Oder weil man Ihnen Ihre nichtdeutschen Wurzeln ansieht?
………………………………………….. …………………….
Warum werden Sie gehasst?
…………………………………………..
In Niedersachsen, wo Sie herkommen, wurden Sie häufig als “der Chinese” bezeichnet. Ist das aus Ihrer Sicht Ausdruck von Hass oder Ressentiment?
…………………………………………..

Vor den 21 Fragen des Interviews beziehen sich 14 auf Aussehen und Herrkunft von Rösler, dazu noch die erste Frage zum „Hass“, die lediglich als Intro ins Thema gedacht ist. Der Brüderle-Spruch von der „Deutschen Eiche“ versus „Bambusrohr“ wird thematisiert, es wird gefragt, ob er sich als Kind diskriminiert gefühlt habe und warum er erst mit 33 Vietnam besucht habe.

Bruch gängiger Spielregeln

Als das im Original einstündige Interview wie in Deutschland üblich, zur „Autorisierung“ vorgezeigt wurde, erlebte die TAZ einen im Politikbetrieb ungewöhnlichen Affront: „Das Interview werde nicht freigegeben, weil Rösler sein asiatisches Äußeres im Wahlkampf nicht zum Thema machen wolle“, heißt es dazu im Artikel mit dem „Interview ohne Antworten“.

Mehr erfährt man in der Stellungnahme von Ines Pohl, Chefredakteurin der TAZ. Demnach hätten sie das Interview bringen dürfen, jedoch nur den Teil über die FDP-Programmatik – und maximal eine Frage zum Thema Rassismus. Pohl dazu:

Der FDP-Pressesprecher behauptet, dass unsere autorisierte Fassung nicht dem tatsächlichen Verlauf des Gesprächs entsprochen habe. In dem Gespräch am 20. August redeten wir gut 20 Minuten lang über Rassismus, gut 25 Minuten über andere Themen. In der taz-Fassung des Gesprächs nimmt Rassismus zwei Drittel ein, andere Themen nehmen ein knappes Drittel ein. Diese Gewichtung ist im Rahmen des Üblichen.

Ja ja, die Journalisten-typische GEWICHTUNG! Aus eigener Erfahrung aus politisch aktiven Jahren weiß ich, wie sich das anfühlt: man spricht eine Stunde über „alles Mögliche“ mit einer Person, die Vertrauen erweckt und zum Mitdenken willens zu sein scheint, um danach zu erleben, wie nur ganz bestimmte Themen oder Sätze im Artikel vorkommen. Egal, welch geringen Anteil diese Sätze im Gespräch hatten und wenn man Pech hat, ganz ohne oder sogar im falschen Zusammenhang. Hauptsache Aufreger!

Man könnte zugunsten der TAZ immerhin fragen: Hätte Rösler nicht ahnen können, dass es beim Thema „Hass im Wahlkampf“ vor allem um Ressentiments gegen seine Person und seinen Migrationshintergrund gehen werde? Wir wissen nicht, warum er nicht gleich abgesagt hat, aber ich kann mir denken, wie das zurecht gestutzte Interview am Ende auf ihn wirkte. Und finde es daher in Ordnung, dass er die Reißleine gezogen hat, auch mittels eines „Bruchs üblicher Spielregeln“.

Auch wer „nur“ in der Wunde bohrt, vergrößert sie

Die TAZ tut nun so, als könne sie kein Wässerlein trüben und veröffentlicht das Interview theatralisch „ohne Antworten“. Anscheinend meinen die Verantwortlichen in ihrer individuellen Filter-Bubble, dieses Vorgehen reiche immerhin noch dazu aus, der FDP ans Bein zu pinkeln. Für mein Empfinden trifft der Vorwurf des FDP-Pressesprechers, die TAZ instrumentalisiere hier rassistische Ressentiments voll ins Schwarze. Das Interview und auch die Veröffentlichung ohne Antworten zielt auf Klicks und Käufe von jenen, die „den Chinesen“ aufgrund seines Aussehens und seiner Herkunft ablehnen und es gerne sehen, wenn da jemand ausführlich in dieser „Wunde“ bohrt.

Dass man das Thema auch ANDERS hätte ansprechen können, zeigt Thimo Reinfrank von der Amadeo-Antonio-Stiftung auf, der auf dem Hausblog der TAZ (immerhin!) von sich sagt, er wäre an Röslers Stelle mitten im Interview ‚raus gegangen. Und weiter:

Man hätte ihn zum Beispiel fragen können, ob er aus seiner Partei Solidarität erfährt und wie er mit den Anwürfen umgeht. Das wäre ein anderer Zugang gewesen. Wenn Sie mit ihm über Rassismus hätten reden wollen, dann hätten sie ihn doch fragen können, was die FDP dagegen macht. Das Interview kehrt aber immer wieder zu seiner Person zurück. Er wird nach seinem asiatischen Aussehen befragt, nach seinen nichtdeutschen Wurzeln. Es geht die ganze Zeit um ihn, nicht um die Gesellschaft.

Die Kommentierenden unter der Stellungnahme von Ines Pohl kritisieren weniger verhalten. Ein „Paul“ kreiert sogar ein analoges Interview mit Pohl, das ihre sexuelle Orientierung in derselben Manier aufgreift, wie es das TAZ-Interview mit Röslers Herkunft und Aussehen macht.

Ob es was nützt? Ich zweifle… Ist doch alles nur „journalistisches Handwerk“.

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[Update] Auch zum Thema:

[Update 2] Es gibt dazu jetzt auch das Hashtag #tazfragen auf Twitter.

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Diskussion

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Ein Kommentar zu „Fremdschämen für die TAZ – zum Rösler-Interview“.

  1. einmal abgesehen davon, daß ich eh probleme mit der taz habe, weil ich die libération einfach besser finde und sie an die abgeklärtheit des französischen vorbilds nie heranreichte … nach der geschichte mit dem horrorinternat war sie für mich jedenfalls tot: das war das pendant dazu, wie damals die BLÖD über das internat, in dem mmaw arbeitet, berichtet hat.

    noch mehr hat mich allerdings entsetzt, wie die „gemeinde“ da in empathische hysterie verfiel und sich nicht einmal ansatzweise fragte, wie sie dieses problem lösen würde. wenn man ein klo reinigt, muss man manchmal sehr unangenehme dinge tun.

    daß die die sache mit den fragen jetzt auch noch kläglich zu rechtfertigen suchen, macht die sache nur schlimmer