Claudia am 24. März 2011 —

Geld verdienen als Endzweck? Oder könnte es andere gemeinsame Ziele geben?

In Sachen Ausstieg aus der Atomkraft und Umbau in Richtung erneuerbare Energien hab‘ ich schon öfter mal gedacht: Warum macht man sowas eigentlich nicht zur großen gesellschaftlichen Aufgabe?

In Zeiten des Internets wäre es doch machbar, die verschiedenen Handlungsfelder mit „potenziell allen“ zu diskutieren und zu organisieren: den Aufbau dezentraler Energie-Erzeuger ebenso wie den erforderlichen Netzausbau, vor allem aber die unzähligen Möglichkeiten, Energie einzusparen. Informationskampagnen, bereichert durch „Schwarm-Intelligenz“, Communities, Anreiz-Systeme und vieles mehr wären denkbar – warum passiert das nicht? Warum bleibt die Diskussion im Wesentlichen in der althergebrachten Form „Bürger fordern, Politiker antworten“ stecken?

Könnte man „die Bevölkerung“ nicht so weitgehend in die Umsetzung der Ziele einbinden, dass Argumente wie „aber der Strom muss bezahlbar bleiben“ kein Totschlagsargument mehr sind? Weil eben dann genug Leute ihren Stromverbrauch deutlich senken und auch mal bereit sind, für Energie mehr zu bezahlen, wenn „der Umbau“ nicht anders zu haben ist?

Viele fordern mehr direkte Demokratie, ich auch. Natürlich müsste eine solche Mega-Kampagne abgestimmt werden – der Souverän, das Volk, müsste sich KONKRET dazu äußern, ob es das will: als gemeinsame Anstrengung, nicht als etwas, das „von oben“ serviert wird, weil man es bestellt hat – um dann zu meckern, dass die Suppe doch nicht so gut schmeckt wie gedacht.

Nihilismus: jeder macht seins und will in Ruhe gelassen werden

Auf die Idee zu diesem Beitrag brachte mich ein Artikel im FREITAG: Die Welt danach -Atomkraft überwinden, das hieße, die Abkehr vom Geldverdienen als Endzweck. Michael Jäger geht der Frage nach, warum ein Ereignis wie „Fukushima“ heute nicht mehr im Stande ist, „einen Diskurs zu widerlegen“ – nämlich so, wie etwa das Erdbeben von Lissabon 1755 einen solchen wiederlegt hat. Danach mochte niemand mehr daran glauben, was zuvor herrschende Meinung war: dass die Natur moralisch sei, auch wenn wir nicht immer erkennen könnten, was im katastrophischen Einzelfall „das Gute“ ist.

Abgelöst wurde das alte Denken durch den Kampf gegen die morallose Natur, wie ihn der deutsche Philosoph Fichte dann ausformulierte (zitiert nach „Freitag“):

„„All jene […] verwüstenden Orkane, jene Erdbeben, jene Vulkane können nichts anderes sein, denn das letzte Sträuben der wilden Masse gegen den gesetzmäßig fortschreitenden, belebenden und zweckmäßigen Gang […] – nichts, denn die letzten erschütternden Striche der sich erst vollendenden Ausbildung unseres Erdballes“. Die Wissenschaft, eine „durch ihre Erfindungen bewaffnete menschliche Kraft“, soll „eindringen“ in die Gesetze der Natur und sie „ohne Mühe […] beherrschen“. Es soll „allmählich keines größern Aufwandes an mechanischer Arbeit bedürfen, […] und diese Arbeit soll aufhören Last zu sein; – denn das vernünftige Wesen ist nicht zum Lastträger bestimmt.““

Diese Sicht der Dinge wirke im kollektiven Unbewussten fort, sei aber als bewusste Zielbestimmung längst in Vergessenheit geraten, meint Jäger. Denn:

„Ein Dreivierteljahrhundert später diagnostizierte ein anderer Philosoph, Friedrich Nietzsche, den „Nihilismus“, von dem Europas Kultur ergriffen werde. Nihilismus ist das Verschwinden von Zielen und Bestimmungen. Man lebt nur noch, um zu überleben. Diese Situation, von Nietzsche nur erst erahnt, ist sie nicht inzwischen eingetreten?

Lasst uns Geld verdienen, denn morgen sind wir tot – wenn das alles ist, was wir noch wollen, dann gibt es nichts mehr, was selbst durch eine Kernschmelze widerlegt werden könnte. Das Erdbeben verachten wir als „Sträuben der wilden Masse“, bemerken es aber gar nicht mehr. Eine Strategie wird also gebraucht, die den Diskurs wieder bewusst macht, der Arbeit, Bestimmung des Menschen und Krieg gegen die Natur verknüpft, damit man ihn widerlegen kann.“

Mir gefällt an diesem Gedankengang, dass er eben nicht fatalistisch auf „die Kapitallogik“ abhebt, die unsere Welt so „alternativlos“ aussehen lässt. Sondern dieses Kapitallogik aus Auswuchs eines in Vergessenheit geratenen Diskurses ansieht, den man auch wieder aufnehmen kann – und umsteuern.

Diskussion

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8 Kommentare zu „Geld verdienen als Endzweck? Oder könnte es andere gemeinsame Ziele geben?“.

  1. Den gegen Ende Deines Textes anklingenden Optimismus teile ich liebe Claudia, wenn auch nur bedingt.

    Sicher könnte es andere gemeinsame Ziele geben, anstatt Geld-verdienen weiterhin als sich selbst genügendem Endzweck anzusehen. – Der Konjunktiv in diesem Satz – könnte – sitzt allerdings wohl behütet in einer quasi uneinnehmbaren Festung.

    Andererseits zeigen just in dieser Zeit absolut sicher geglaubte Trutzburgen Zersetzungs-erscheinungen, als ob echte Erneuerungen zwingend in die Sichtbarkeit drängen wollen. So mein Eindruck jedenfalls. Dass es dabei jede Menge hässlicher Szenen und leidvolle Ereignisse gibt, scheint in der Natur unseres Daseins zu liegen.

    „Schwarm-Intelligenz, Communities, Anreiz-Systeme und vieles mehr wären denkbar – warum passiert das nicht?“ fragst Du.

    Wart’s ab. Könnte schneller passieren, als Du Dir das träumen lässt.

    Warum die Diskussion im Wesentlichen in der althergebrachten Form “Bürger fordern, Politiker antworten” stecken bleibt? – Auch diese althergebrachte Form wird nicht ewig leben. Entgegen meiner persönlichen Natur bin ich diesmal eher optimistisch.

  2. Hallo Claudia,
    wie Du weißt, haben Menschen für jeden Fortschritt „bezahlt“ – meist
    durch Tod und Not. So auch mit der Atomnutzung. Wenn ich richtig informiert bin, sind alle Störfälle bisher durch menschliches Versagen entstanden – in Fukushima durch Schlamperei und Ignoranz.

    Daraus lerne ich, wir müssen wieder moralischer, werden – die menschlichen Ideale, wie sie von Dichtern und Denkern formuliert wurden, sollten mehr durchgesetzt werden. Danach sieht es immer noch nicht aus, wenn ich Syrien, Jemen und nicht zuletzt Libyen sehe.

    Es hilft alles nichts, Menschen werden vernichtet, letztlich durch Amoral. Welch dunkles Bild bietet da die Politik. Es wird noch sehr, sehr lange dauern, bis dies genügend Menschen begriffen haben.

    In diesem Sinne
    Gruß Hanskarl

  3. […] Geld verdienen als Endzweck? Oder könnte es andere gemeinsame … […]

  4. @Hanskarl: wenn du meinst, es sei „menschliches Versagen“, wenn ein AKW ein solches Erdbeben plus Tsunami nicht unversehrt übersteht, gehst du im Grunde von unbegrenzter technischen Machbarkeit bzw. totaler technischer Beherrschung der Naturgewalten aus.

    Das ist genau der Ansatz Fichtes (und das, was heute „herrschendes Denken“ ist, sofern überhaupt noch jemand denkt).

    Demnach braucht es bloß „sicherere Reaktoren“ (und besser technisch kontrollierte Abläufe, um menschliches Versagen zu mindern) und alles ist gut. Da glaub ich einfach nicht dran und deshalb bin ich fürs ABSCHALTEN. Das Risiko ist einfach zu groß!

    @Hermann: ja, schön wärs! Gern wär ich auch noch etwas optimistischer…

  5. Hallo Claudia,
    wäre auch fürs Abschalten – möchte aber nicht kalt sitzen und nicht auf meinen Komfort verzichten. So einfach ist das.
    Gruß Hanskarl

  6. @Hanskarl: niemand muss „kalt sitzen“, wenn die AKWs verschwinden. Und sag: wieviel und welcher Komfort ist dir ein „Restrisiko“ im GAU-Format denn wert?

  7. Demnach braucht es bloß “sicherere Reaktoren”
    (…..) und alles ist gut. Da glaub ich einfach nicht
    dran und deshalb bin ich fürs ABSCHALTEN.
    Das Risiko ist einfach zu groß!

    @Hermann: ja, schön wärs! (….) optimistischer…

    ABSCHALTEN.ALLES.SOFORT.

    jep.
    Strich drunter.
    Zusammenrechnen was „uns“ die Atomtechnologie
    alles über alles GEKOSTET hat.

    (und damit meine ich nicht nur die Baukosten der
    AKWs und die Unterhaltskosten dazu sondern wirklich
    _alles_ was notwendig ist um ein Atomkraftwerk zu betreiben.
    dazu gehört auch
    Forschung und Entwicklung
    Verluste durch zu späte Forschung erneuerbarer Energien
    Verluste durch nicht gemachte (oder zu spät begonnene) Gesetze
    im Wohnbau (Energie-effizientes Bauen, all das mögliche und nicht
    umgesetzte Wissen um zum Beispiel Heizung dezentral einzusetzen)
    Verluste durch fehlende Einlagerung (Endlagerung)
    Verluste durch notwendige Sicherungsmassnahmen
    bei Atommülltransporten etc.
    Verluste durch REGRESSANSPRÜCHE der AKW-Betreiber!!
    Mehrkosten im gesamten Energiebereich, die anfallen weil
    AKWs abgeschaltet werden und damit den Betreibern
    ein weiteres (unsinniges) Argument liefern, die Energiepreise
    zu erhöhen.

    dazu fallen mir noch wesentlich mehr Verluste,- die die gesamte
    Verbrauchergesellschaft zu bezahlen hat- ein, ist die Richtung erst
    mal klar, gibt es bestimmt Fachleute, denen dazu auch rechtlich
    einwandfrei abgesicherte Berechnungen einfallen werden.

    Diese sich ergebende Summe soll den Verantwortlichen
    präsentiert werden mit der Auflage zur Zahlung innerhalb
    von 14 Tagen. (2% Skonto).

    die eingehenden Gelder werden dazu verwendet, die unzufriedenen
    Verbraucher mit erneuerbaren Energien zu versorgen.
    Die Kohle dürfte ausreichen, sämtliche Probleme auf einem Schlag
    zu lösen.

    Möglicherweise findet sich auch eine Technologie, die es ermöglicht,
    die Gegend um Tschernobyl und Fukushima wieder bewohnbar zu
    machen. das glaube ich persönlich nicht, aber die Zukunft hat schon immer
    aus unglaublichen Überaschungen bestanden.

    …ansonsten (was das „Geld verdienen“ angeht):
    man darf niemals den Glauben daran verlieren, dass sich arbeiten
    -in welcher form auch immer- tatsächlich lohnt.
    auch wenn gewisse institutionen genau davon leben,
    einem Handwerker genau dies mit Plan und Ziel
    nachhaltig auszutreiben. (Syssiphos nur so zum Beispiel..)

    gruss imsz

  8. Hallo Claudia,

    man soll nicht so am Leben hängen – die allermeiste Zeit sind wir tot.

    Gruß Hanskarl