Claudia am 29. Mai 2000 —

Netzgespräche

Je länger ich „am Stück“ webdesignerisch arbeite, noch dazu am selben kommerziellen Projekt, ergreift mich das heftige Verlangen, zu schreiben. Nicht zu einem bestimmten Thema, sondern einfach nur schreiben.

Nun ist Schreiben auch nicht mehr das, was es vor dem Netz war. Die längsten Diary-Artikel zum Beispiel sind auch gleich das maximale an Textlänge, was ich heute noch zustande bringe. Ein Gewinn, wie ich finde. Schließlich verfasse ich keine Sachbücher und Gebrauchsanweisungen und schaffe auch kein „Werk“, mein Schreiben ist vor allem kommunikativ.

Und das ist ein Problem! Wird sogar immer problematischer, je mehr Gesprächsebenen ein Thema durchwandert, während ich an ihm „klebe“. Es beginnt zum Beispiel im Diary mit Das andere Netz – und weil ich weiß, daß Polemik einen höheren Unterhaltungswert hat, als meine üblichen besinnlichen Betrachtungen, poste ich die URL auch in die Liste Netzliteratur. Dort entspinnt sich ein Gespräch darüber, das mich zur Fortsetzung Der dunkle Anzug inspiriert – woraufhin sich in der Liste erneut ein paar Leute am Thema entzünden. Darunter ein besonders spritziger Schreiber, der unverhofft beginnt, mir [privat] weiterzumailen, in der nicht falschen Annahme, das Thema sei dort eher offtopic.

Nun entspinnt sich ein erstaunlich witziger und spannender Mail-Dialog (der Mensch schreibt auch bei ZYN), der in großen Teilen für die Liste interessant wäre, aber auch für die Diary-Leser. (Fun & Tiefgang gibt’s echt selten!). Der Mail-Dialog entfaltet sogleich die ihm eigene Dynamik: Wie immer beginnt es linear, unter Zitierung der jeweiligen Passagen des anderen – doch bald schon gerät dieses Vorgehen an die Grenze. Eine Mail, die hintereinander weg 15 Themen berührt und ausgedruckt zwei Seiten lang wäre, kann ich zwar bestens lesen, aber nicht mehr sinnvoll beantworten. Es würde ja alles immer länger werden, da zu den 15 Themen Rede- und Gegenrede weitergeht, aber auch jeder NEUE Themen einbringt.

Geplättet halte ich ein, picke mir schließlich einfach Punkte heraus, die mich gerade ansprechen und sende eine „Ein-Thema-Mail“. Das Festhalten an Linearität und Ganzheit ist beim Mailen eher hinderlich. Mail fällt von selber in Hypertext-Teile auseinander.

Wie aber so eine Kommunikation abbilden?`Um z.B. anderen Gelegenheit zu geben, einzusteigen? Maildiskussionen und Dialoge linear im Web abzubilden, hab ich schon ausprobiert. (Beispiel: Selbstdarstellung im Web). Es ist mühevoll zu lesen, irgendwie nicht „mediengerecht“. Einen logisch-korrekten Hypertext zu erstellen, indem der Kommentar ans entsprechende Textteil gelinkt wird, Antworten dahinter, wäre möglich, entspricht allerdings nicht dem Erleben, das ja „angesichts der anderen Texte“ stattfindet.

Ein Versuch, sowas im größeren Rahmen zu organisieren, war das „Webgespräch“. Ich forderte Freunde auf, zu meinem Starttext etwas zu schreiben und an einer beliebigen (passenden!) Textstelle anzulinken (ihr Text blieb auf IHREM Server). Den Link mußte ICH setzen, sonst nix. Und an SEINEN Text konnte ich wieder anlinken, oder andere, die wir dazu einluden.

Webgespräch - Startseite

Das ging eine Zeit ganz gut – aber leider sind Server für Netznomaden flüchtige Behausungen und schon bald bekam das Netz Löcher. Unangenehm auch, dass der ÜBERBLICK fehlte und man nicht merkte, wenn ein neuer Beitrag dazukam. Ich gründete also eine begleitende Mailingliste, wo wir uns die URLS mitteilten – sie war NICHT zum plaudern, das Gespräch sollte allein im Web laufen – etwas sorgfältiger als in den Listen, Leser-freundlicher. Die Sache fand dann ein übles Ende, als eine Teilnehmerin den Sinn der Liste ignorierte und Streitigkeiten aus einer anderen Liste (wo sie gerade zwangs-unsubscribiert wurde) ausgerechnet HIER zum Thema machen wollte. Es waren halt Leute da, die auch in der Streit-intensiven Liste mitschrieben, also fühlte sich die Frau so frei, den großen Rest zu ignorieren, bzw. allen dieses sachfremde Thema aufzunötigen. Nach mehreren Abmahnungen hab‘ ich sie technisch blockiert – für mich war das das emotionale Ende dieses Projekts. Einige Seiten stehen natürlich noch herum, ein Mitschreibprojekt ist nicht einfach zu „terminieren“.

Es reizt mich ungeheuer, neue Versuche in der Richtung zu machen – NOCH MEHR als bisher auf die Form achtend, noch weniger duldsam gegenüber Störungen jeder Art. Und eigentlich will ich auch vom reinen Text weg, Bilder sollten Teil der Sache sein. Wer Leute kennt, oder URLS zum Thema weiß, möge mir mailen.

Diesem Blog per E-Mail folgen…