Claudia am 17. März 2000 —

Arbeit in der Infogesellschaft

Man kann wunderbar arbeiten als Networkerin: In aller Ruhe in Schloß Gottesgabe vor dem Monitor sitzen, dazwischen mal aus dem Fenster auf die Wiese hinaussehen, kurz die Hühner besuchen oder in den Nachbarort einkaufen fahren – nicht so sehr wegen des Einkaufens, sondern um mal was anderes zu sehen, die weiten Felder, die Wäldchen, den unendlichen Himmel. Und daneben viele Fäden im Netz spinnen, Mail-Kontakte zu den unterschiedlichsten Menschen unterhalten, Projekte organisieren, die noch vor Jahren einen großen Mitarbeiterstab und ein physisches Büro erfordert hätten – alles easy, preiswert und schnell, allein mit Maus und Monitor und einem guten Bürostuhl.

Allein? Natürlich nicht. Die anderen sitzen da im Irgendwo, ebenfalls vor ihren Monitoren, das Interface, das uns trennt, ist die Bedingung des Zusammenwirkens. Aus 1000 Mailkontakten konkretisieren sich 2 bis 10 Leute, mit denen ich etwas anfangen kann und dann auch tatsächlich anfange – im physischen Umfeld hätte ich sie nie gefunden. Das FINDEN der richtigen Leute ersetzt zunehmend das mühevolle Zusammenraufen fester Belegschaften, zumindest in der Netzgesellschaft. Um jede Aufgabe entsteht ein neues Netz aus Individuen, die gerade für DIESE Aufgabe gut geeignet sind und die wiederum andere beteiligen, die die notwenige Zuarbeit optimal leisten. Verändert sich die Aufgabe im Laufe der Zeit, verändert sich das Netz der Aktiven entsprechend. Und zwar NICHT indem die bereits Beteiligten von irgend jemandem weitergebildet oder gesondert motiviert werden, sondern durch Austausch: Wenn die Aufgabe mir nicht mehr gefällt, suche ich jemand anderen, der mich ersetzen kann, bzw. der die in Zukunft geforderten Qualifikationen und die entsprechende Motivation bereits hat.

Ist das hart? Oder paradiesisch? Das kommt darauf an, woher jemand kommt, welche Art Arbeitsbedingungen er gewohnt ist. Wer das Thema Weiterbildung als etwas erlebt, das „von oben“ kommt, kann in dieser Welt schlecht bestehen, denn es gibt in diesem Sinne kein „oben“ mehr. Als die Sklaverei abgeschafft wurde, haben sich die ehemaligen Sklavenhalter mit der neuen Lage angefreundet, indem sie auf die Vorteile sahen: ein Arbeiter oder Angestellter muß nicht ernährt werden, man braucht auch keine Hütten für ihn bauen. Der Lohn genügt, damit organisiert der Ex-Sklave dann alles selber. Man kann sich gut vorstellen, daß nicht alle Ex-Sklaven die neue Freiheit begrüßten!

Was jetzt stattfindet, ist ein weiterer Schritt auf diesem Weg. Nur die Leistung, das Werk, der Erfolg zählt und wird bezahlt – die individuellen Bedingungen für das Zustandekommen von Erfolg muß das Individuum selber organisieren. Lebenslang lernen ist ein Muß, doch immerhin auch ein Spaß! Ich habe schon bei den ersten Einblicken in die Arbeitswelt (damals, Mitte der 70er) gespürt,. daß ich nie nie niemals eine Arbeit annehmen werde, die es erfordert, über Jahre dasselbe zu tun. Und ich glaube, daß dieser Widerwille in den allermeisten Menschen lebt, daß es nur eine feste und unausweichlich scheinende Tradition war, diese Last des Immerselben als Reich der Notwendigkeit zu akzeptieren. Die wirtschaftlich-technischen Bedingungen der Industriegesellschaft erforderten es eben – und der Einzelne fand sich damit ab, daß Arbeit eben eine schweißtreibende oder zutiefst langweilige Sache ist, die zwischen 9 bis 5 erledigt werden muß. Danach war dann die FREIZEIT, in der das EIGENTLICHE LEBEN stattfand. Da muß dann ABWECHSLUNG und ZERSTREUUNG her, und zwar nicht zu knapp, um das Defizit der öden Tage auszugleichen.

Und jetzt? Die Bereiche ARBEIT und FREIZEIT verschwimmen. Wenn ich mir ein paar Stunden Zeit nehme, um Dreamweaver zu lernen, tu ich das anhand von eigenen, nonkommerziellen Webseiten. Es macht Spaß, ich lerne und erzeuge vorzeigbare Ergebnisse, über meine Privatseiten trete ich in Kontakt mit der Welt, entlang an ganz eigenen Interessen…. Oder ich spiele mit Fotoshop, probiere Schriften und Filter aus – und schon ist das wieder eine „Vorarbeit“, die mir, bzw. einem Auftraggeber, beim nächsten Logo zugute kommt, obwohl es mir, während ich es tue, als FREIZEIT vorkommt.

Oder: Wenn gerade etwas ‚brennt‘, arbeite ich auch für Aufträge durchaus mal spät abends, Samstags sowieso. Und hier zeigt sich denn auch die neue Kampfzone: Ich KANN mein Leben nicht ausschließlich vor dem Monitor verbringen, ich MUSS den Sonntag zu retten und mir als Gegenleistung für das, was einmal Freizeit war und jetzt unverzichtbare Weiterbildung ist, einen Ausgleich schaffen. Also auch z.B. mittwochs mal einen halben Tag im Garten zubringen und mit Pfeil und Bogen auf eine Strohscheibe zielen….

KAMPFZONE, genau! Die Kämpfe der neuen Arbeitswelt werden die alten sein, doch nicht mehr im Bereich „Nebenleistungen“ (Urlaub, Weihnachtsgeld etc.) stattfinden und auch keinen Bezug zu Arbeitsstunden-Berechnungen mehr haben. Die „Aufgaben“, hinter denen ja oft Geldgeber mit hohen Kapitalrendite-Erwartungen stehen, werden dazu neigen, die Auftragnehmer mit Haut und Haar aufzufressen: junge, voll-flexible Menschen, die Tag und Nacht 100%-engagiert arbeiten, sind die idealen Arbeitnehmer. Und wenn es davon hierzulande nicht genug gibt, müssen sie eben importiert werden.

Die Gewerkschaften, einst entstanden als Verteidigungsstruktur für die Arbeitnehmer der Industriegesellschaften, können und wollen sich auf die neuen Kampfzonen nicht einlassen. Ihnen ist der Info-Arbeiter ein Selbständiger und damit schon (fast) auf der „anderen Seite“. Zudem ist es garnicht SO leicht auszudenken, wie das neue Arbeiten so verregelt werden könnte, daß es NACHHALTIG für die Individuen lebbar ist. Im Gegenteil, es scheint noch jede Menge Entregelung nötig zu sein, damit wirklich VIELE in der Infogesellschaft ihr Auskommen finden können. Und: So etwas wie „Streikposten“ wird es niemals wieder geben – wie denn auch, im virtuellen Raum?

Wir selbst werden es letztlich leisten müssen, uns zu verteidigen und unsere Arbeitsweise nachhaltig zu gestalten. Mit den Mitteln des Netzes werden die Nachteile des Networking angegangen werden müssen und ich habe Hoffnung, daß das auch möglich sein wird. Derzeit expandiert die neue Wirtschaft noch so stark, daß das Auskommen, bzw. das Einkommen der neuen Infoarbeiter nicht schlecht ist: wer etwas leisten kann, das gefragt ist, verdient auch entsprechend gut, wenn auch bei verminderter Sicherheit und hohem Einsatz. Diese Rahmenbedingungen bleiben jedoch nicht immer so – laßt uns das zumindest im Auge behalten!

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