Claudia am 15. März 2000 —

Morgens um 7

Es ist 7.14 Uhr, in einer Stunde werde ich hier den Abflug machen. Noch genieße ich die morgendliche Ruhe, diese ausgeschlafene Frische im Kopf, noch völlig frei von den üblichen 1000 Gedanken, die mich gewöhnlich – wenn auch mit begrenzter Macht – durch den Tag treiben.

Begrenzt ist die Macht der 1000 Dinge dadurch, daß das Bauchgrimmen seit Jahren verschwunden ist. Nichts von dem, was ich tue, hält mich derart gefangen, daß ich meine, die Welt gehe unter, wenn es nicht klappt. Das war natürlich auch früher schon ein idiotischer Gedanke, doch vermutlich ist das Leben sowieso nichts als der Prozeß, sich von eigenen und gesellschaftlichen Vorstellungen zu befreien. Und natürlich hat alles zwei Seiten: Kein Bauchgrimmen mehr, aber auch nicht das Gefühl, zu den Sternen zu fliegen. Ob ich einen Tanker manövriere, oder mit einem Tretroller unterwegs bin, „motivationstechnisch“ ist es dasselbe.

Ein seltsamer Zustand, eine gewisse Leere, wo früher gnadenloser Ehrgeiz (natürlich in verkleideter Form!), die Angst, zu versagen und das Bedürfnis nach immer MEHR den Kern der Antriebskraft ausmachte. Es fehlt etwas, vielleicht so, wie Zigaretten dem ehemaligen Raucher fehlen, selbst dann noch, wenn die Sucht vorbei ist.

Bei Manufactum hab‘ ich mir Pfeil und Bogen gekauft, ein alter Kinderwunsch, mal sehen, ob es mir Spaß macht. Das letzte Spielzeug, das ich anschaffte, war ein Keyboard – doch die Erkenntnis, daß ich dabei ja auch nur Tasten drücke und meine mangelnden musikalischen Fähigkeiten ließen es bald schon verstauben.

Es ist gar nicht leicht, mit Geld etwas Sinnvolles anzufangen, etwas, das das Leben bereichert und wirklich mehr Freude bringt. Man kann zum Beispiel immer nur eine bestimmte Menge essen und man schmeckt nun mal nur 4 – 5 Geschmacksrichtungen (sauer, bitter, süß….). Als ich neulich im Berliner KaDeWe die „beste Lebensmittelabteilung Europas“ besuchte, sah ich Leute stehen, die irgendwelche Brotaufstriche für 39,- pro 100 Gramm kauften. Und ich wußte genau: es ist völlig egal, ob ich auf einem Niveau von 3.90 oder 39,- Brotaufstrich einkaufe: mehr als schmecken kann es nicht. Dann probierte ich irgend so ein Gourmet-Häppchen für 16.80 aus und es war nicht mal gut! Kalbsleberwurst hätte mir besser geschmeckt.

Man kann das auf praktisch jedem Gebiet genau SO beobachten und es ist nichts als fortgeschrittener Wahnsinn, daß Geld, möglichst VIEL GELD so vielen Menschen als Motivation ausreicht, ihr konkretes Leben, die Freude am Augenblick dafür in den Wind zu schreiben.

Diesem Blog per E-Mail folgen…