Claudia am 14. März 2000 —

Vom Wanderzirkus

Herzlichen Dank an die Leser, die mir wegen meiner Ausschaltprobleme Tips geschickt haben! Ja, ich habe so ein neues PC-Gehäuse, doch es tut nicht ganz, wie es eigentlich soll – aber das ist ja praktisch normal, wer vom Gerät Perfektion erwartet, sitzt einem Mythos auf: dem Mythos, wir wären in der Lage, etwas besseres zu schaffen, als uns selbst. Geschenkt!

Es regnet und regnet und regnet immer weiter. Unsere Hühner werden naß, weil sie das Scharren und Herumlaufen nicht lassen mögen, dabei stehen sie keineswegs auf Wasser! Ich besuche die Hühner manchmal, schaue ihnen zu, wie sie das Laub umwühlen und denke mir: es ist ihnen nie langweilig und Streß haben sie auch nicht. Doch ihre Hackordnung ist unübersehbar: immer gibt es mindestens einen Underdog, ganz wie bei den Menschen.

Morgen fahre ich nach Essen, übermorgen zurück. Eine Arbeitsbesprechung, manchmal reicht E-Mail einfach nicht. Ich reise ungern, scheue den Aufwand, doch dann ist es jedesmal sehr inspirierend, andere Networker zu treffen und gemeinsam etwas auszuspinnen. Alleine vor dem Monitor treffe ich letztlich immer nur auf mich selbst, trotz der vielen Kontakte. Ich lese E-Mails und verstehe sie im Rahmen meiner Erwartungen und Lebenserfahrung, sehe WebSites und beurteile sie nach bereits vorhandenen Kritierien. Und meine Motivationen sind ebenfalls allesamt „hausgemacht“, abhängig vom Wetter, von der körperlichen Befindlichkeit, der „Laune“, die daraus resultiert und recht wenig vom Input durch andere. Geht ja auch nicht anders angesichts des gewaltigen Inputs, den mensch durch das Netz erfährt, es ist wie eine übermächtige zentrifugale Kraft, die mich in alle Windrichtungen zerstreut, wenn ich mich nicht konzentriere.

Wieder bin ich eingeladen, irgendwohin zu reisen, um ein bißchen zu reden. Diesmal Frankfurt, nicht Tokyo, es kann gut sein, daß ich zusage, es ist erst im November und Frankfurt liegt bei Wiesbaden, wo meine Family (Schwestern, Mutter) lebt. Auf Tagungen und Symposien Reden halten ist etwas, vor dem ich mich fürchte. Gerade deshalb sag‘ ich manchmal zu, schließlich treffen wir keine Löwen mehr in der Umgebung, zu Katastrophen neigt dieses Land auch nicht. Irgendwas muß ja mal sein, was es zu überwinden, zu bestehen gilt, sonst roste ich ein.

Die Scheu, vor fremden Gruppen zu reden, kenne ich mein Leben lang. Zur Aufführung des Weihnachtsmärchens in der Schule bekam ich 41 Fieber, um nicht auftreten zu müssen! Auf das mündliche Abitur hab‘ ich verzichtet. Doch mit 26 verschlug es mich in die Berliner Hausbesetzerbewegung und auf einmal klappte es. Ich WOLLTE etwas und es war kein Problem mehr, das auch einer beliebig großen Gruppe zu sagen, ja, es machte sogar Spaß! Wenn ich bei dieser Leitlinie bleibe, bestehe ich jede Veranstaltung: nicht daran denken, was die wohl von mir erwarten, sondern daran, was ich IHNEN gerne mitteilen will. Im Grunde ist es eine tolle Sache, dafür, daß man sagt, was man denkt, auch noch Honorar zu bekommen! Und das in einer Zeit, in der Aufmerksamkeit das kostbarste Gut ist und eigentlich die Leser, die Zuhörer und Zuschauer bezahlt werden müßten.

Mach ein paar Jahre etwas und rede davon – auf einmal gehörst du zum Wanderzirkus! Keine Videokonferenz wird das je ersetzen, vermute ich mal. Immer wieder versammeln sich Menschen an verschiedenen Orten, vordergründig zu honorigen Zwecken, zu interessanten Themen und wichtigen Zukunftsfragen. Im Grunde aber ist es nicht das Thema, sondern das Ereignis: ein Energieaustausch, den kein Medium ersetzen kann. Gut so, es zeigt: wir sind noch keine Maschinen.

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