Claudia am 20. Juli 1999 —

Gottesgabe, Tag 6

Der erste Regen. Die ganze Nacht hat es gewittert und noch jetzt gießt es wie aus Kannen. Eine hübsche Eigenheit des Schlosses ist der Lichthof, in dem die Wendeltreppe die beiden Stockwerke der Wohnung vebindet. Auf das Glasdach, das den Lichthof nach oben abschließt, prasselt jetzt der Regen und es hört sich an, als lebe man in einem großen Zelt.

Ich schaue auf die Wiese hinaus und stelle fest, daß ich für diese Witterung nicht gerüstet bin. Es braucht hier Gummistiefel! Überhaupt brauche ich dieses und jenes, und meine Neigung, zum „Jagen&Sammeln“ in die Umgebung zu fahren, ist gering. Zu stark der Kontrast zwischen der hiesigen Land-Idylle und den Großmärkten auf der grünen Wiese, diesen brachialen Veranstaltungen durchmaschinisierten Konsums. Dann schon lieber ganz ohne körperlichen Einsatz shoppen: In Zukunft werd‘ ich alles per Web bestellen, was ich brauche!

Ach, wenn ich daran denke, was früher meine Themen waren und worüber ich heute schreibe! Diese philosophischen oder zumindest nachdenklichen Texte über Glück, über das Virtuelle und das Reale…. Und heute schreibe ich über Schnecken!

Als ich gestern abend aus dem Küchenfenster sah, das ebenerdig auf ein kleines Beet mit Farnen und Ackerschachtelhalm führt, sah ich sie herankriechen: bestimmt 20 Nacktschnecken hatten offenbar nichts anderes im Sinn, als uns einen Besuch abzustatten. Ich mußte an Steven King denken, der so wunderbar den amerikanischen Horror & Ekel angesichts unkontrollierter Natur in gruslige Geschichten spinnt!

Im nächsten Jahr, wenn der Garten bepflanzt wird, werde ich den Kampf gegen die Schnecken aufnehmen, an dem unsere Nachbarn bereits gescheitert sind: sie fressen einfach alles weg und es sind sehr viele! Ich werde es mit einem Schneckenzaun versuchen. Harte Chemie kommt nicht in Frage: es ist häßlich, wenn hunderte Schnecken sich im Todeskampf winden und dann ausgestülpt herumliegen und faulen. Die diversen Öko-Methoden (Bier, Sand, Salz…) funktionieren leider alle nur marginal, wie mir engagierte Gärtner versichern. Also blosse Mechanik, mal sehen, ob es nützt!

All diese Eindrücke von Insekten, Pflanzen, der schweren Erde und der verschiedenen Gerüche haben mit den Appetit verschlagen. Großartig! Genau das hatte ich mir gewünscht! In Berlin spürte ich immer diesen suchtartigen Appetit auf nichts bestimmtes, Kochen und Essen bedeuteten ein echtes Highlight im durchschnittlichen Tag. Anstatt in frustrierende Diät-Versuche auszuarten, hab‘ ich es hingenommen als einen Tribut an das körperferne Stadtleben. Man lebt in Texten, in Medien und Gedanken, der Körper erlebt relativ wenig. Kein Wunder, daß das Essen eine überdimensionierte Bedeutung gewinnt – kein Wunder auch, daß mich 10 Kilo zuviel von meinem Wunschgewicht trennen. Noch! Denn der Appetit ist weg, und ich kann hoffen, daß die Kilos ganz von selbst dahinschmelzen….

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