Claudia am 28. März 1999 —

Krieg, Tag 4. die NATO hat einen Tarnkappenbomber verloren

Endlich wieder bewölkt. Der graue Himmel, der sporadische Regen setzen eine Pause in das fast gewaltsame Frühlingsgeschehen. Wenn es draußen plötzlich 20 Grad hat, die Sonne auf einmal warm und stechend scheint, dann steigt der Lärmpegel in den Straßen. Alles wuselt herum in einer inneren Unrast, man will etwas unternehmen, rausgehen, das Verschwinden des Winters überschwenglich feiern. Es herrscht so eine überfröhliche Aufgeregtheit, die es kaum zuläßt, noch das „ganz gewöhnliche“ zu tun. Da tut ein bißchen Regen und grau-in-grau ganz gut, ich kann wieder am Schreibtisch sitzen ohne das Gefühl: hier bin ich falsch…

Krieg, Tag 4. die NATO hat einen Tarnkappenbomber verloren, wird gemeldet. Kostet schlappe 80,58 Millionen Mark, so ein Gerät. Offenbar wirkt der High-Tech-Verlust derart schmerzlich, daß Clinton extra betonen muß, man werde trotzdem weitermachen. Der Pilot konnte immerhin gerettet werden, doch der Nimbus der vermeintlich ‚unsichtbaren‘ Nighthawks ist weg und das tut weh.

Wer ab und zu amerikanische Mistery-Filme sieht, kennt die fast religiöse Wertschätzung technischer Geräte, die aus diesen Filmen spricht. Der Gegensatz dazu ist der „Alien“, meist ein Wesen aus dem All, manchmal auch durch irdische Wissenschaftler herbeigeklont. Der „Alien“ ist all das, was (nicht nur) Amerikaner am meisten fürchten: eine schleimige, glibberige, unkontrollierbar wachsende, allzu lebendige gefräßige Bioform. Der Alien greift in der Regel nicht von außen an, sondern wandert zunächst in die Menschen ein – mal per Stich in den Nacken, mal durch Mund zu Mund-Übertragung durch bereits Infizierte. Dann verdrängt der Alien den Menschen aus der Herrschaft über seinen Körper und übernimmt die Macht, der Mensch IST jetzt der Alien, verfügt über gesteigerte Kräfte und tut alles, um die Invasion des gesamten Planeten voranzutreiben.

Diese Geschichte wird derart häufig in so vielen Varianten gezeigt, daß sie etwas bedeuten muß. Vordergründig ist es die archaische und in zunehmend technischen Umwelten noch gesteigerte Angst vor der Natur, ihrer Macht und Unkontrollierbarkeit, die uns trotz aller hochentwickelter Geräte immer wieder kalt erwischt – sei es durch Katastrophen oder die schlichte Tatsache, daß gegen den Tod noch immer kein Mittel gefunden ist.

Spinnt man ein bißchen herum, ganz in Mistery-Manier, könnte man andrerseits sagen, der Alien-Mythos befördere absichtlich eine bestimmte geistige Verwirrung, die die Verhältnisse, wie sie sind, ins Gegenteil umdeutet. Während wir in untergründige Angst vor allem Biologischen versetzt werden, sind es in Wahrheit die Geräte, die ihre Invasion vorantreiben – bin hinein in die einzelnen Körper. Wir versinken in Bewunderung der Apparate, vom Herzschrittmacher über den Tarnkappenbomber zum „intelligenten“ Kühlschrank. Je mehr wir mit der Maschine verschmelzen, desto größer werden unsere Kräfte, was die Macht des Machens angeht. Das Allerwichtigste aber verschwindet dabei, fällt sogar als Gedanke aus dem Kanon des „vernüftig Diskutierbaren“: die Macht über uns selbst.

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