Claudia am 18. November 2017 —

Alte weiße Männer? Es nervt!

Mit dem Titel „It’s Alte-Weiße-Männer-Ranttime“ hat Michael Seemann (laut Wikipedia deutscher Kulturwissenschaftler, Sachbuchautor und Journalist) in eine derzeit beliebte Kerbe gehauen und über „alte weiße Männer“ im deutschen Feuilleton abgelästert. Es geht mir hier nicht um die Meinungen der Gemeinten, die Seemann kritisiert und wie folgt zusammen fasst:

„Das vielleicht nervigste an alten, weißen Männern ist ihre vollkommene Ahnungslosigkeit ob ihrer eigenen Unoriginalität. Sie schreiben einen Artikel nach dem anderen gegen „Political Correctness“ und den „Totalitären Moralwahn“ und glauben tatsächlich jedes mal von neuem wahnsinnig mutig ein „Tabu zu brechen“..“

INHALTLICH habe ich nichts gegen diese Kritik (soweit sie bestimmte Autoren meint), teile sie sogar immer mal wieder. Voll daneben ist jedoch das verallgemeinernde Anprangern von „alten weißen Männern“, als gäbe es im breiten Spektrum dieser Personen zwangsläufig Gemeinsamkeiten abseits von Hautfarbe, Lebensalter und Geschlecht. Dass Seemann gleich zu Beginn kokett darauf verweist, dass er „seine eigene Identitätsgruppe“ kritisiere (weil er grade mal 40 geworden ist!), macht die Sache nicht besser. Warum?

Schlimm, dass man es heute wieder sagen muss: Menschen wegen ihrer Hautfarbe, ihres Alters oder Geschlechts zu diskriminieren, ist eine Gemeinheit! Ein Übel, das zumindest unter allen, die sich im weiten Sinne „links“ einordnen, überwunden schien. Taten und Meinungen sind in einer Demokratie selbstverständlich kritisierbar, aber Hautfarbe, Alter, Geschlecht? Im Ernst?

Nie hätte ich gedacht, dass diese Denke wieder akzeptabel werden könnte! Aber es passiert und greift immer weiter um sich. Personen, die ich eigentlich für intelligent halte, nutzen das „alte-weiße-Männer-Bashing“ und erkennen nicht einmal, warum sie auf dem falschen Dampfer sind. Beispiel: Auf ZEIT ONLINE hat sich ein „alter weißer Mann“ mit dem Artikel Identität ist kein Argument gegen diese gruppenspezifische Menschenfeindlichkeit gewehrt. Seemann zitiert Jochen Bittner mit dem Satz:

„In der Beschwerde über „weiße Männer“ steckt ja mehr als die Abwehr von offener oder unterschwelliger Diskrimierung. Sie ist eine Unterstellung, die selbst auf eine Diskrimierung hinausläuft: Jemand, der weiß ist, männlich und ein gewisses Alter hat, bringt höchstwahrscheinlich ein bestimmtes, nämlich falsches Denken mit.“

Ein Satz, den eigentlich jede und jeder egalitär und antirassistisch gesinnte Person hätte schreiben können! Aber Seemann findet ihn falsch und schreibt dazu:

„Und das ist schlicht falsch. Es geht nicht um Falschheit, sondern um Einseitigkeit. Niemand unterstellt weißen Männern generell ein falsches Denken oder ein falsches Bewusstsein. Es ist halt nur kein sonderlich originelles Denken oder sonderlich originelles Bewusstsein, sowie eine eingeschränkte Perspektive…“

So, so! Der Vorwurf der „Einseitigkeit“ statt „Falschheit“ macht es also besser, wenn man ihn gegen „alte weiße Männer“ erhebt? Das scheint tatsächlich Seemanns Meinung zu sein, der aber dann doch noch versucht, sich dem nahe liegenden Vorwurf entgegen zu stellen:

„Es ist fast peinlich, das erklären zu müssen: natürlich ist „weiße Männer“ nur die Schiffre für die Homogenität zum Beispiel in Redaktionen wie der der ZEIT, die über „weiß“ und „männlich“ weit herausreicht und natürlich immer auch den Arbeiter, den Behinderten den Schwulen, die Transsexulle, die PoC etc. strukturell ausgeschließt. „

Dass mit dieser „Schiffre“ (er meint „Chiffre“) mal eben ALLE „alten weißen Männer“ in einen Topf geworfen und des einseitigen Denkens bezichtigt werden, spielt offenbar keine Rolle. Nicht bei Seemann und nicht bei allen anderen, die zunehmend oft und gerne nicht Inhalte, sondern Identitäten kritisieren. Ist ja auch nervig und anstrengend, gegen unliebsame Meinungen zu argumentieren, da nimmt man doch lieber den identitären Holzhammer und guckt nur noch danach, WER etwas sagt: aha, alt, weiß, männlich – Klappe zu!

Nebenbei: Ist es wirklich so, dass noch nie ein/e Nicht-Weiße/r, Homosexuelle/r oder Behinderte/r einen Artikel im deutschen Feuilleton schreiben durfte? Wenn das wahr ist, ist das tatsächlich kritikwürdig! Allerdings sollte das Thema dann extra recherchiert und debattiert werden – und eben nicht als Totschlagsargument gegen andere Meinungen (z.B. zum Fahren eines SUVs) gebraucht werden.

Warum? Weil man sich dagegen nicht wehren kann, denn aus Alter, Geschlecht und Hautfarbe kann niemand einfach aussteigen. Der Anwurf dient nicht einer Debatte, sondern zielt auf die Verdrängung bestimmter Menschen aus der Debatte – aufgrund, von Alter, Hautfarbe und Geschlecht.

Es gruselt mich mehr und mehr in dieser schönen neuen Welt!

Diskussion

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9 Kommentare zu „Alte weiße Männer? Es nervt!“.

  1. Sehr gut, Claudia! Es ist wirklich kaum mehr auszuhalten. Und diese Positionen kommen von Leuten, von denen man das nie erwartet hätte. Man kann sich nur noch schütteln.

    Wie arrogant muss die- oder derjenige sein, um nach all den Jahren Gerede und Kampf um halbwegs differenzierte Weltbilder, wenn man heute noch solche Sachen in die Welt setzt? Und Seemann tut es ja nicht alleine.

  2. Tamerlan der Welteroberer, auch Timur Lenk genannt, war ein Enkel des Dschinghis Khan. Er prägte folgenden Satz: „Hütet euch vor den alten Männern, denn sie haben nichts zu verlieren.“ Nachzulesen bei Peter-Scholl-Latour, es war eines seiner Lieblings-Zitate.

  3. Liebe Leute. EInfach langsam in den besinnlichen Modus umschalten.
    Wars der Staudenmarkt im Frühling so nun nochmal raus nach Lichterfelde bei Berlin. Und viel Spaß und Besinnliches. Heh, Heh, heh

    http://www.botanischer-garten-berlin.de/de/event/christmas-garden-berlin-0

  4. Es ist mutig, zu dem Thema so klar Stellung zu beziehen. Immerhin reicht das heute schon, um als „rechts“ eingestuft zu werden. Gleiches gilt für Deinen Beitrag zum Fall Damore. Das verdient Anerkennung.

  5. Na ja, die Unterscheidung von Populations- und Individualperspektive hätte hier auch Anwendung finden können.

  6. @Peter: noch ist nicht Dezember! Und – so harmoniesüchtig ich gelegentlich bin – bei dem Thema wünsche ich mir mehr kostruktiven Streit!

    @Arnd: ja, ein Elend ist das! Die einen übernehmen einfach alles, was so aus den USA kommt und nutzen es, um sich das Argumentieren zu sparen und missliebige Meinungen mit der identitätspolitischen Keule aus der Debatte rauszumobben – und viele andere lassen es schweigend geschehen, nicken alles ab, winken alles durch, obwohl sie selbst tatsächlich anders denken. Man hat ANGST, als „rechts“ gelabelt zu werden und sagt lieber nichts. Hab‘ ich f2f auch schon öfter bestätigt bekommen, es ist eine richtige geistige Pest!

    Was können solche „Linke“ eigentlich noch erreichen, wenn sie mal auf echte Gegner stoßen? Aber das will man ja gar nicht, sondern sich lieber intern zerfleischen…. Manchmal denke ich: wäre ich Verschwörungstheoretikerin, würde ich glatt annehmen, die mit der Identitätsdenke sind von den NeoLibs bezahlt, um die Reste der Linken endgültig zu zersetzen! (siehe dazu auch ->)

    @Brendan: oh bitte, dann mach das doch mal beispielhaft an diesem Thema! Und wirf nicht nur ein paar Brocken hin…

  7. […] gilt. Gut daran ist, dass ich mittlerweile darüber schreibe /z.B. hier, hier und hier), und nicht aus Angst vor Ausgrenzung über alles schweige, was mich […]

  8. […] In ihrem Blog kritisiert Claudia Klinger diese Klischees: […]

  9. […] ist es ja vielleicht doch nicht falsch, was Seemann  gestern geschrieben hatte? Wenn ich mir das Gesülze dieses 58jährigen durchlese, […]