Claudia am 12. November 2009 —

Prominenz und Masse

In einem Kommentar zum äußerst Presse-kritischen Artikel „Der Freitod eines Torwarts und die Ethik“ verteidigt ein Leser mit großer Leidenschaft die Presse, die gestern mit großem Aufgebot jedem Detail des Fußballer-Selbstmords nachging. Hier ein Auszug aus dem noch viel längeren Kommentar:

„Als ich heute morgen vom Tod Robert Enkes erfuhr, war ich schockiert. Enke. Ausgerechnet. Hätte ich nie erwartet. Dieter Bohlen. Norbert Lammet. OK. Die interessieren mich nicht, die kenn ich nicht. In China fällt ein Sack Reis um. Vor einigen Monaten habe ich erfahren, dass jemand, mit dem ich zur Schule ging, gestorben ist. Pffh. Ich habe ihn seit dem Abi nicht gesehen.
Aber Robert Enke, den habe ich jede Woche gesehen (im Fernsehen). Den kannte ich wirklich gut. Ich wußte oft schon vorher, was er nach dem Spiel sagt, ich kannte seine typische Mimik, ich hätte seine Stimme unter Tausenden herausgehört. Sein Tod schockiert mich wirklich.
Heute morgen habe ich alle googel-news Artikel zu Enke gelesen. Stand in den meisten das Gleiche. Egal. Ich wollte alles wissen, jedes Detail, wieviel vor Zugdurchfahrt war er an den Gleisen, wo hat er den Autoschlüssel aufbewahrt, wen hat er vorher noch gesehen.
Ist das nur Voyeurismus, den die Medien besser nicht bedienen sollten?
Nun, zunächst ist es einmal menschliche Anteilnahme. Durchs Fernsehen “kannte” ich Enke ja. Durch die Anteilnahme an Enkes Leben habe ich ein Recht darauf in ähnlichem Umfang an seinem Tod teilzunehmen und Details zu erfahren. Die Berichterstattung wäre damit also gerechtfertigt, da sie auf ein berechtigtes Informationsbedürfnis trifft.
Zum Zweiten möchte ich noch auf die immense Bedetung hinweisen, die Prominente für das moralische und politische Urteil von Indivieduen und der Gesellschaft haben.“

All die anderen Kommentatoren und diverse Blogs (z.B. 11Freunde, Niggemeier, Meedia, Spreeblick) sind sich im wesentlichen einig, dass hier mal wieder ein abscheulicher Voyeurismus zelebriert wird: eine Klick-Jagd um jeden Preis, der Selbstmord Enkes werde bis weit über jeglichen guten Geschmack hinaus ökonomisch ausgebeutet. Ja, es stehe der „Werther-Effekt“ in Gestalt diverser Nachahmer zu befürchten, da die Berichterstattung komplett gegen sämtliche „Empfehlungen für die Berichterstattung in den Medien“ der Deutschen Gesellschaft für Suizid-Prävention verstoße.

Ist die Ethik pietätvoller Zurückhaltung veraltet?

Kann es sein, dass diese Sicht der Dinge gnadenlos veraltet ist und die psychische Verfasstheit der heutigen Individuen einfach nicht mehr trifft? Ich staune schon lange über den ausufernden Starkult, der in Zeiten des Web 2.0 äußerst skurrilie Züge annehmen kann (so will z.B. ein Fan von einer gewissen Miley Cyrus seine Katze aufessen, sollte Miley ihren kürzlich gekündigten Twitter-Stream nicht weiter führen). Zu Prominanten und sogar zu bloßen Serien-Charakteren scheinen immer mehr Menschen Beziehungen zu pflegen, die weit wichtiger sind bzw. an die Stelle früherer, ganz normaler Freundschaften treten.

Warum ist das so? Was reizt Menschen z.B. jede Regung im Leben der mittlerweile entmündigten Pop-Figur Britney Spears zu verfolgen? Warum sprechen massenhaft Fans in die Mikrophone, Michael Jackson sei „ihr Leben“ gewesen? Hat man heute kein EIGENES Leben mehr?

Klar, in meiner Teeny-Zeit war ich auch Fan des einen oder anderen Pop-Sängers. Das verblasste allerdings schnell, als ich eigene Liebesbeziehungen hatte und mich insgesamt aufmachte, meine Vorstellungen vom Leben zu verwirklichen: das war dann viel spannender als jede Info über irgend einen Star!

Den Robert Enke hab ich nicht mal dem Namen nach gekannt, denn ich interessiere mich nicht für Fußball. Dass sein Selbstmord in Sachen medial vermittelter Erregung fast an den Tod von Lady Di oder des letzten Pabstes heran reicht, finde ich sehr seltsam – aber naja, Deutschland ist ja „Fußballnation“, da kann ich nicht wirklich mitreden.

Es nehmen allerdings nicht nur Fußballfans teil an diesem Ereignis, wie ja auch nicht nur die Leserinnen der bunten Was-macht-der-Hochadel-Blättchen um Lady Di trauerten. All diese Prominenten scheinen eine Art Archetypen der kollektiven Seele zu sein, mit deren Schicksal sich Menschen massenhaft identifizieren können. Enke ist jetzt der gefallene Held, der von einem bösen Dämon (der Depression) nieder gestreckt wurde, nicht etwa durch den ganz normalen Druck im Hochleistungssport – und schon gar nicht durch die „Info-Geilheit“ von Seiten der interessierten Masse, von der Last extremer kollektiver Aufmerksamkeit für jede kleine Regung, die ein „Star“ so von sich gibt.

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Diskussion

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14 Kommentare zu „Prominenz und Masse“.

  1. Im letzten Abschnitt, denke ich mal frech, näherst Du Dich dem Punkt. *zwinker* – Manche Idole, und Herr Enke war ja eher eine der stillen, aber auch immerhin Leistungsglaubwürdigeren, dienen uns als Projektionsfläche.

    Das mag hart und ungerecht für sie sein, aber letztendlich ist es auch ein Teil des Jobs, den diese Leute ja auch freiwillig machen.

    Diese Projektionsflächen, so denke ich wirklich, braucht eine Kultur, vor allem, je mehr individualisiert sie wird, weil sie gemeinsamen Austausch ermöglicht über Lebensthemen. Das besondere an „wir sind Papst“ ist ja nicht der Papst, sondern das „wir“.

    So habe ich auch mit Bestürzungen und Beklemmungen der mitfühlenden Art gestern die Bilder in den Tagesthemen gesehen, obwohl ich bis vorgestern nicht mal wusste, wer das ist. Weil hier Herr Enkes Schicksal stellvertretend steht für viele Menschen mit Depressionskrankheiten und Angstzuständen, etwas, was mir auch nicht fremd ist.

    Mit Rollenspielszenarien zu arbeiten, wenn Personen über sich selbst nichts sagen „können“, ist ein probates Mittel, eben doch was gesagt zu bekommen. So ähnlich funktioniert hier Herr Enkels Schicksal nun auch. Und durch die Pietät und das Mitgefühl vielleicht auch in so (relativen) moderater Art, daß mehr Leute nun etwas zum gesellschaftlichen Problem „wie gehen wir mit Krankheiten um“ sagen können, als es vorher der Fall war.

    Ich sehe diesen Vorgang an sich nicht so kritisch, und bisher wurde die Familie Enkel ja noch nicht so medial vorgeführt, daß man wirklich da Abscheu haben muß. Natürlich wäre das stecken lassen der blitzenden und klickenden Kameras bei der Pressekonferenz eine gute Geste gewesen, anderseits war dieser Schritt von Frau Enke ein von ihr gewollter und, wie ich finde, „starker“.

  2. Na ja, bei aller Tragik des Geschehenen löst sich doch allmählich die Schockstarre der Nation. Denn man kennt inzwischen zumindest die Ursachen von Enkes Depressionen: Robert Enke war nämlich OSSI (geboren und aufgewachsen in Jena). Woraus sich folgerichtig schließen lässt, dass er im zartesten Kindesalter von seiner Mutter getrennt, in eine so genannte KINDERKRIPPE verbracht und dort ZWANGSKOLLEKTIVIERT wurde (für alle Nichtossis: die Kleinkinder wurden dort in einer langen Reihe aufs Töpfchen gesetzt und mussten auf Kommando ihr Geschäft verrichten). Den Rest bekam klein Robert dann nach der Einschulung bei den JUNGEN PIONIEREN. Als in seinem zwölften Lebensjahr die MAUER endlich fiel, Robert Enke frei reisen und frei atmen durfte, war, wie man sich denken kann, „das Kind längst in den Brunnen gefallen“.

    Oder hat man Herrn Christian Pfeiffer (als einen der vielen Psycho-Experten für die „Aufarbeitung des DDR-Unrechts“, siehe Wikipedia) etwa noch gar nicht zu Enkes Ableben interviewt und ich bin der erste, der das verkündet? Na, egal, BILD wird es sicher bald herausfinden und dafür Sorge tragen, dass sich die Volksseele noch eine Weile an Enkes Schicksal erwärmen kann. Hoffentlich erliege ich bloß nicht dem „Werher-Effekt“! Ich hatte nämlich eine ähnliche Kindheit zu erleiden und fühle mich auch schon ganz elend …

  3. @chräcker: Der Aspekt, der die kollektive Identifikation ermöglicht, ist aus meiner Sicht vor allem der erfolgreiche „Leistungsträger“, der uns ja allen als gefälligst anzustrebendes Vorbild hingestellt wird.

    Bringt sich so einer dann um, ist offenkundig, dass Erfolg und Leistung auch mal nur äußerer Mantel allergrößter Verzweiflung sein können – mit der nicht weit her geholten Vermutung, dass genau dieses dauernd-Hochleistung-bringen auch ursächlich für die Verzweiflung ist.

    Mich persönlich ärgert der damit einhergehende Siegeszug der Depression als Krankheit: mir scheint, hier wird die schlichte Überforderung und ganz normale menschliche Reaktionen darauf, zur KRANKHEIT erklärt. Also zu etwas gemacht, was nur durch irgendwelche durcheinander gekommene Botenstoffe im Hirn über das arme Opfer herein bricht. Und es ist ja BEHANDELBAR, man hat also gefälligst rechtzeitig zum Arzt zu gehen und andere Stöffchen einzuwerfen, die das destabilisierte Gleichgewicht auf chemischem Wege wieder erzwingen. Auf dass der Held weiter LEISTUNG BRINGEN kann… (Die Trauer um Enke ist m.E. der Entrüstung über Doping durchaus vergleichbar – beides ist eine unbewusste Heuchelei).

    Ich finde all diesen extremen Ehrgeiz zum Kotzen! Denn die Selbstidendifikation mit irgend einem konkreten Erfolg schafft ganz sicher auf Dauer Unglück: niemand bleibt immer „oben“ oder jung, schlank, schön, straff….

    Wir haben eine Wirtschaftskrise, die mal eben alles um gute 20% Output gesenkt hat. Es droht die Klimakatastrophe, doch kaum jemand denkt darüber nach, wie man vom WACHSTUM Abstand nehmen könnte, das diese immer mehr verschärft.

    Es herrscht ein Arbeits-Ethos, der die Leute extrem stresst, sie zunehmend krank und unglücklich macht – und doch machen dabei alle gerne mit, was man an den Diskussionen über arbeitslose Hartz4er immer wieder sehen kann: wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen – bzw. ist kein ernstzunehmender Mensch, sondern ein fauler Versager.

    Die Frage ist für mich also nicht: Wie gehen wir mit Krankheit um? Sondern: wie gestalten wir ein Erwerbsleben, dass uns nicht zu Tode stresst?

    @Peter: hey, du arbeitest SELBST an dem mit, was du dann angreifst – merkst du das nicht? Die von dir eingebrachten Aspekte spielten bisher keinerlei Rolle in der öffentlichen Ursachenforschung!

    Du wolltest doch nach vorne sehen! Und da gäbe es durchaus auch für Ex-DDR-Bürger etwas beizutragen: schließlich gab es im Planwirtschaftsstaat kaum die Möglichkeit, derart auf ein Leistungs-Rattenrennen einzusteigen wie in der „freien Welt“. Und man hat ja durchaus auch gut gelebt ohne: meine Reisen ins Berliner Umland zeigten mir lange vor dem Hereinbrechen der Sanierungsgelder ziemlich gemütliche idyllische Landschaften mit ganz vielen Datschen in wundervoller Natur…

  4. Hm Claudia, ich glaube, Du machst es Dir aber nur auch etwas einfach mit der pauschalisierenden Ferndiagnose von Depressions-befallenen, um jetzt nicht das Reizwort „Krankheit“ zu nutzen. Es ist nicht nur einfach die Formel: Depression nur durch krankhaften Leistungsdruck und Ergeiz.

  5. Ich weigere mich eben, alles als KRANKHEIT anzusehen, die irgendwie vom Himmel fällt und gar nix mit der jeweiligen Person und deren Lebensweise und Umfeld zu tun hat. Dazu weiß ich einfach aus persönlicher Erfahrung zuviel darüber, wie „falsches Leben“ sich in „richtig krank“ umwandelt, wenn man nicht auf sich achtet und immer nur den äußeren Anforderungen zu genügen versucht.

    Was es bei Herrn Enke konkret war, davon hab ich natürlich keine Ahnung, das stimmt! Ich meine das auch ganz GANZ ALLGEMEIN und die Zahlen der diagnostizierten Depressionen sind ja doch deutlich im Steigen – zu Zeiten, in denen sich die Arbeit verdichtet hat und der allgemeine „Wettkampf“ ums dabei sein doch ziemlich verschärft ist (gefühlt seit den 90gern).

  6. @Claudia: Genau, du sagst es: Ich nehme mich selbst „auf die Schippe“ – mitsamt dem bescheuerten Medienzirkus, der da um den Suizid eines Menschen veranstaltet wird. Und bisher spielten die von mir (ironisch!) eingebrachten Aspekte in der Ursachenforschung keine Rolle; allerdings befürchte ich (und das völlig unironisch), dass wenn alles zum hundertsten Mal ausgezutscht ist, irgend ein mediengeiler „Experte“ auch noch auf diese Schiene kommt.

    Und „kluge“ psychologisch-analytische Gedanken über psychische Krankheit oder schlichte Überforderung hier abzulassen, halte ich für überflüssig. Also schweige ich zu dem Thema jetzt besser, bevor du mir zürnend einen Platzverweis erteilst.

  7. Naja, wir müssen uns jetzt nicht am Wort Krankheit zwingend aufhalten, ich interpretiere „Krankheit“ eben als das Gegenteil von Gesund, und Gesund scheint mir eine Depression eben nicht.

    Ich nehme Krankheit nicht als Begriff einer rein körperlich mechanischen Fehlfunktion oder als reiner Begriff für „sozail-marktwirtschalftlich nicht genehm funktionierend“ etc. – aber da gehts, denke ich, echt jetzt nur um das Wort…

    Die reine Beobachtung, das der allgemeine Wettkampf UND die Zahl der Depressionen zunimmt, und deswegen allein daran die Hauptursache gesucht werden sollte, ist mir einfach zu schlicht und wird dem einzelnen Betroffenen auch nicht gerecht. Damit wird der einzelne Betroffene mit seinem individuellem „Zustandsbild“ (um nicht Krankheit jetzt zu sagen) über ein Kamm geschert, ohne ihn erst mal als das zu nehmen, was er ist: ein individueller Mensch mit eigener Vita und dem „Recht“ auf eigenem Depressiosnhintergrund.

    Der dann natürlich vielleicht, aber auch nur vielleicht, auf den von Dir gesehenen und ja auch vorhandenen Druck zurück zu führen ist. Vielleicht.

  8. … wer sich beruflich in die Politik, die Kunst. Schauspielerei oder den Sport wagt, dort so erfolgreich ist, um in den Spitzenpositionen mitzuhalten, weiss um den Stress, welcher auf ihn/sie zukommt. Und dass es laengst nicht nur um das Koennen, denn auch um harte Ellbogenarbeit und Durchhalten geht. Wer das nicht schafft, gehoert eben nicht dorthin.

    Jederman welche/r in diesem Fall zu sich steht und dann eben aussteigt, ist mit mehr Achtung zu begegnen, als jemandem, der bis zum Kollaps durchzuhalten versucht. Ich kannte Enke nicht und es tut mir sehr leid, dass es mit ihm soweit gekommen ist. Haette er doch besser auf seine Frau gehoert. Aber zu einem solchen Schritt gehoert eben Mut und sehr viel persoenliche Kraft.

  9. Ist die Ethik pietätvoller Zurückhaltung veraltet?

    Sie ist kein Kulturbestandteil unserer Gesellschaft mehr oder platt gesagt: Mit so einer Einstellung läßt sich kein Geld verdienen.

    Ich halte viel von der Idee der sog. „sozialen Dreigliederung“ .
    Also ganz knapp gefaßt: GLEICHHEIT (Rechtsleben), FREIHEIT (Kultur/Bildung), BRÜDERLICHKEIT (Wirtschaftsleben). Idealerweise sind das selbständige Bereiche, die nicht von einem anderen Bereich dominiert werden, sondern die sich gegenseitig befruchten. Zurzeit wird natürlich die Brüderlichkeit am wenigsten gelebt, sondern dem Wirtschaftsleben müssen sich die anderen Bereiche völlig unterordnen (aktuelles Beispiel: die EU will der Forderung der mächtigsten [noch] Wirtschaftsmacht willig nachkommen und sämtliche Kontodaten aller EU-Bürger der USA zur freien Verwendung zur Verfügung stellen)
    Kurze Frage: Warum erscheint das nicht drei Tage hintereinander als Schlagzeile der BILD?
    Auch die Bildungslandschaft orientiert sich im Wesentlichen daran, welchen Typ Arbeiter/Akademiker (angepasst, materiell denkend) das Wirtschaftssystem am besten brauchen kann, um weiterhin profitable, aber menschenverachtende Pharmaforschung / Waffenforschung usw. zu betreiben. Schulbeginn möglichst ab fünf (England), Turboabitur mit totalem Freizeitverzicht usw., bloß keine freie Zeit zum Spielen oder Nachdenken oder Musikschule/Sport aufkommen lassen -ab der Geburt ins Hamsterrad.
    Falls doch mal Zeit übrig ist, betreibt die TV/Medienindustrie erfolgreich ihr paralysierendes Verblödungsgeschäft.
    Wenn also alle Lebensbereiche des Menschen vom Wirtschaftsleben beherrscht werden, führt das natürlich mit der Zeit zu Erscheinungen des menschlichen Daseins, die zunehmend allerorten zu beobachten sind: ängstliche, abgestumpfte, zu keinem eigenen Urteil fähige, ihre Kinder nicht mehr erziehen könnende, willige Brot-und-Spiele-Statisten (Enke Hype), lebensuntüchtig – aber- ( und das ist ja schließlich gewollt) dadurch immer leichter lenkbare Menschen.
    Aber es gibt Ausnahmen :)

  10. … was ich noch ergaenzen moechte: Wie waere das Presseecho, wie wuerden wir alle reagieren, wenn Enke’s Selbstmord nicht gelungen waere, wenn er noch lebte?

  11. Ein paar Leute kenne ich, die sich umgebracht haben. Die hatten alle „starke Ehepartner“.

  12. @Achim: deine Weltbeschreibung ist mir recht nah, doch weigere ich mich ab und an schon noch, voll zum Misantrophen zu werden. Einerseits zugunsten der eigenen Stimmung, andrerseits aber auch wegen der tatsächlich doch vielen Möglichkeiten, die ein Individuum heute hat. Insbesondere das Web bietet ungemein viel, um sich unabhänging zu informieren, es gibt unzählige Beispiele, wie sich Menschen mit irgend einem kleinen Online-Geschäft selbständig gemacht haben und nun weitgehend nach eigenen Vorstellungen leben. Die Macht der Gatekeeper und „alten Mächte“ ist drastisch im Schwinden und nicht nur das eigene Erwerbsleben kann man anders gestalten, es gibt auch vielfältige Formen des Engagements, die mittels des Netzes viel leichter zugänglich sind (im Lokalen bahnt sich das grade erst an, wird aber gewiss auch noch kommen!).
    Wie haben immer noch ein soziales Netz, das bei aller berechtigten Kritik es definitiv ermöglicht, auch mal auf das „Rattenrennen“ zu pfeiffen und sich neu zu orientieren – verdammt nochmal, warum sind viele Menschen hierzulande so unbeweglich, ängstlich, risikoscheu und leicht deprimiert??

    Na, das führt jetzt weg vom Thema, dazu gibts gewiss bald einen anderen Artikel! :-))

    @Peter: für kluge analytische Gedanken bekommt hier niemand einen Platzverweis! :-)

    @mohnblume: ich glaube, beim Aufstieg macht sich kaum wer Gedanken, wie es am Ziel sein wird! Denk mal an all die verrückten Jugendlichen, die als Berufsbild „ein Star werden“ im Kopf haben. Mal abgesehen davon, dass „ein Star“ heute offenbar kaum mehr was können muss und wie eine Ware inszeniert und produziert wird, können sie sich (verständlicherweise) noch gar nicht ausmalen, wie das Leben sein würde, wenn sie wirklich „ganz oben“ wären.

    Danke Euch allen – ich finds immer klasse, dass hier solche guten Gespräche entstehen!

  13. Versteckter Zorn macht sich in mir breit. Es ist wohl effizienter, als beruehmter Saenger oder Sportler zu sterben, denn als hochrangige/r Politiker/in oder Friedensnobelpreistraeger. Man sollte sich einfach mal klar sein, was hier zelebriert wird, was derzeit das Stadion in Hannover fuellt, ist das „Versagen“, bzw. die Krankheit in einem Menschen.

    Kein Mensch fragt sich je, was der Bahnfuehrer denkt, wie es ihm geht. Und wie er das Ueberfahren eines Menschen in den Tod verarbeitet.

    PS: Wann ist denn die Heiligsprechung?

  14. Du fragst, wann wohl die Heiligsprechung folgt? Sie ist bereits geschehen:

    Enke ist eingegangen in die Sphäre der massenhaft und öffentlich betrauerten Toten. In jenes medienolympische Jenseits, in dass nur die geballte Aufmerksamkeit vieler jene wenigen beamen kann, deren Schicksal es vermag, die Seele der Massen zu berühren. Dorthin, wo sie dann als Engel (Enke) und Erzengel (Ladi Di, Michael Jackson) für einige Zeit am ewigen Leben teilhaben.

    Der Papst ist dabei recht unbeteiligt, es sein denn, er geht den Weg in eigener Person, wie Woytila, der vorige Papst.

    An den Bahnfahrer denken viele schon auch mal – ich hab das jedenfalls schon öfter gelesen. Dessen Schicksal eignet sich jedoch nicht zu einer gefühlvollen Identifikation: schließlich hatte er nicht den Schimmer einer Chance, den Selbstmord zu verhindern. Dass Menschen in solche Situationen kommen können, ist eine grässliche Möglichkeit, die sich im Bahnfahrer verwirklicht hat – es deprimiert nur, darüber nachzudenken: weder gibt es da Schuld, noch Alternative, noch eine sinnvolle Verbesserungsforderung – NICHTS!

    Wogegen ENKE der ist, der „doch ALLES hatte“ und dennoch an seinen jahrelangen Versagensängsten (also die Angst, ALLES zu verlieren) zugrunde ging. Welch eine Identifikationsfigur für eine Gesellschaft im beschleunigten Leistungsstress!

    Zum Schluss noch ein Gedanke, der den Zorn vielleicht dämpfen kann: In diesen Zeiten der extremen Individualisierung benötigen die Menschen ab und an kollektiv erlebte Ereignisse mit großem emotionalen „Impact“. Etwas, das Dimensionen annimmt, dass fast keiner, der halbwegs wach ist, davon unberührt bzw. uninformiert bleibt. Ein Ergeignis, an dem man sich dann auch rituell beteiligt (Trauermärsche, Kondolenzbücher, Blumenniederlegungen, Schweigeminuten etc.) und sich in dieser Beteiligung mit den anderen VEREINT fühlt: mal wieder einig und eins in derselben Erregung, denselben Gefühlen – wann HAT man das heute schon noch?

    Es ist ein zeitgemäßes „Eins-Sein“, nämlich eines OHNE die solchen Begängnissen früher zwangsläufig anhaftende existenzielle Bindung als verpflichtende Verbundenheit (Clan, Dorf, Großfamilie…)

    In eine heutige kollektive Trauerwelle kann man nach Belieben rein und wieder raus surfen: baden in der Masse „Mitmensch on Demand“, dabei große Nähe und Verbundenheit spüren – und danach auseinander gehen ohne irgend jemanden zu vermissen oder auch nur im Gedächtnis zu behalten.

    Das kann man nun so oder so bewerten – ich enthalte mich da mal, bzw. frage einfach: ist das nicht genau DIE Freiheit, die wir immer schon wollten?

    Und ist nicht die Unkaputtbarkeit dieses Verlangens nach dem Miteinander OHNE jede Basis für ein „Gegeneinander“ eigentlich etwas GUTES?