Claudia am 21. März 2009 —

Die Wirtschaft ankurbeln: warum eigentlich?

Nicht kleckern, sondern klotzen: die FED pumpt Unmengen „neu geschaffenes“ Geld in den Kreislauf, um Investitionen und Konsum wieder anzukurbeln. Dabei horten Banken und Unternehmen derzeit das Geld, um für eine unsichere Zukunft „flüssig“ zu sein – eine geradezu normalmenschliche Reaktion, die ja auch viele „Verbraucher“ davon abhält, Dinge zu konsumieren, die man nicht wirklich braucht.

Es fehlt das Vertrauen, heißt es – und das wird durch MEHR billigen Kredit wohl kaum wieder hergestellt. „Yes, we can“ ist das Motto des neuen Präsidenten, der grade Anstalten macht, die USA auf allen Problemfeldern gleichzeitig umzukrempeln (ich bewundere diesen Mut, das Unmögliche zu versuchen!). Hätten die USA ein besseres soziales Netz und eine weniger katastrophale Krankenversicherung für alle, würde sie das wirtschaftliche Downsizing weniger treffen – dem ist aber (noch) nicht so, also MÜSSEN sie erstmal die Wirtschaft ankurbeln, koste es, was es wolle.

Und doch schreiben viele kundige Experten, dass es gewiss nie wieder werden wird, wie es war: die USA werden nicht mehr die über beide Ohren verschuldeten Konsumenten für die ganze Welt sein – und das ist gut so! Ein funktionierendes Banken- und Finanzsystem ist wichtig, doch wichtiger noch ist der Erhalt eines funktionierenden Planeten Erde. Und dem tut die Überproduktion all der vielen Dinge, die man nicht wirklich braucht, nicht gut – wir WISSEN es alle, können aber offensichtlich aus der Einsicht heraus keine Veränderungen bewirken.

Oder können wir doch? Vielleicht JETZT, unterstützt durch die Zwangsbremse der Krise? Anpassungsfähigkeit ist DIE menschliche Eigenschaft, die unseren Erfolg als Gattung ausmacht. Fortwährend wachsen Kinder in Zustände hinein, die die jeweils Alten als „schlimm verkommen“ ansehen – und finden alles ganz normal. Der menschliche Drang, dazu zu gehören, den die schöne bunte Warenwelt in „must have“-Konsum leitet, kann auch in ganz andere Bahnen fließen – es muss lediglich eine genügend große bzw. beeindruckende Gruppe neue Losungen ausgeben. „Yes, we can“ ist ja schon mal ganz gut, aber WAS wollen wir eigentlich können?

Selbst im Innersten des ökonomischen Denkens liegt ein „alter Wert“: ein Ergebnis mit dem Einsatz geringstmöglicher Mittel erreichen. Also Sparsamkeit, kein nutzloses Verschleudern von Ressourcen – man nennt es „Effizienz“. Leider kennen wir das fast nur als „Produkt-Optimierung“, was in der Regel bedeutet, dass das Produkt schlechter und der Weg in den Mülleimer kürzer wird.

Wir könnten das „Effizienzdenken“ aber auch auf das persönliche Lebensglück anwenden: Was bringt mehr – ein neuer guter Freund oder ein Neuwagen? Ein weiterer Karrieresprung oder mehr Zeit und Muße, um persönliche Beziehungen zu pflegen? Was spricht dagegen, weniger zu arbeiten, weniger zu verdienen, weniger einzukaufen – und dafür MEHR ZEIT zu haben? Sind die Dinge, die nachhaltig glücklich machen, denn wirklich mit Geld zu kaufen? Wieviel Paare kranken daran, keine Zeit für sich und die Beziehung zu haben, weil beide so im Stress sind, dass an Erotik kaum mehr zu denken ist? Wie viele Kinder wären glücklicher, wenn ihre Eltern mehr Zeit mit ihnen verbrächten, anstatt sie in Zimmern voller Spielzeug und Medien sich selbst zu überlassen? Wieviele Alte, Einsame, Kranke bräuchten vor allem mehr menschlichen Kontakt?

Ein Segen für die ökonomisierte Gesellschaft sind die wenigen glücklichen Arbeitslosen, die weder depressiv noch verrückt werden, sondern einfach da sind, wenn man sie braucht. Jemand, der zuhört, wenn man sich mal aussprechen will, jemand, der hilft, wenn ein Umzug ansteht oder der Kindergarten dicht macht – und jemand, der all die Päckchen annimmt, die noch immer per DHL und Hermes in die Häuser geliefert werden.

Da bricht also der Neuwagenverkauf um 40% ein. Gut fürs Klima! Warum nicht kleinere, sparsamere Autos länger nutzen, anstatt fortwährend „Jahreswagen-Hopping“ zu betreiben? Warum nicht die Arbeit an der abgespekten Auto-Flotte auf mehr Leute verteilen, die weniger arbeiten und weniger verdienen? Ein Opel-Arbeitnehmer gehörte bisher sicher nicht zu den Geringverdienern, da müsste ein „Downsizing“ drin sein, natürlich gestreckt über eine längere Anpassungszeit.

Im Luxus-Warensegment findet ja so etwas schon statt. Der große Erfolg von Unternehmen wie brands4friends bedeutet nichts anderes als dass die Hersteller dieser „Marken für Besserverdiener“ nun WENIGER verdienen, wenn sie ihren Kram noch unters (krisensparsame) Volk bringen wollen. Und da die Arbeiter in der dritten Welt, die die Shirts und Taschen tatsächlich herstellen, eh bereits am untersten Limit arbeiten, wird jetzt bei denen gespart, die bisher die großen Handelsspannen einsteckten.

Es gab Zeiten mit lang anhaltender und deutlich höherer Arbeitslosigkeit als jetzt. Da sprach man schon von der „Hinwendung zu postmateriellen Werten“ und so richtig schlecht ging es kaum jemandem. Der neoliberale Zeitgeist machte dieser Entwicklungstendenz dann ein Ende, doch nun sieht man ja, dass das mit allen Mitteln aufgeblähte Wirtschaftswachstum auf tönernen Füßen stand. Was bringt es, immer mehr vermeintliches Vermögen zu produzieren, dass dann doch nur als „notleidendes Kapital“ durch die Welt vagabundiert und Luftnummern erzeugt?

Genug rumphilosophiert für heute. Gewiss werden „geht nicht, weil…“-Kommentare nicht ausbleiben (nur zu!). Mir geht zur Zeit das viele Jammern, Schimpfen, Entlarven, Anklagen und Untergang-an-die-Wand malen einfach ziemlich auf den Senkel. Draußen wirds Frühling, der ist unbezahlbar, ganz umsonst und macht richtig glücklich!

Diesem Blog per E-Mail folgen…

Diskussion

Kommentare abonnieren (RSS)
24 Kommentare zu „Die Wirtschaft ankurbeln: warum eigentlich?“.

  1. Hallo Claudia,
    … nun meine Meinung…… Diese Weltwirtschaftskrise bietet ebenso eine Chance, nämlich der kompletten „Erneurung“ des Gesamten.
    Wir befinden uns nicht in einer Rezession sondern schon am Beginn der Inflation. Die Politiker wissen ebenso nicht wirklich weiter. Niemand würde dem Volk „die Wahrheit“ mitteilen. (Sonst würde ja Panik ausbrechen). Diese Regierungsform wird es zukünftig nicht mehr geben können, da müsste was ganz Neues her. Denkt man nur mal an den Generationenvertrag, der „Rentenpyramide“. Das und Vieles mehr, wird nicht weiter zu realisieren sein. Die Welt befindet sich im totalen Umbruch. Was das für jeden Einzelnen noch bedeuten wird, wissen wir erst wenn es soweit ist. Für mich „spiegelt“ sich alles Geschehen. Die Menschen verstehen sich untereinander nicht mehr ( Mobbing, Ellenbogendenken usw.) Die Natur befindet sich bekanntlich ebenso wenig im Gleichgewicht.  Nun, das alles „zwingt“ die Menschen, nachzudenken. Die Technik ist weit voraus aber der einzelne MENSCH ist dabei auf der Strecke geblieben, folgedessen ist das für mich nur zu logisch, dass  es dem entsprechend so ist wie es ist und zukünftig sein wird. 

  2. Liebe Yona, es gibt keine „Verschwörung“, dem Volk irgendwelche Wahrheiten vorzuenthalten – ganz einfach, weil es keine Gruppen von Politikern gibt, die auch nur irgend etwas „geheim halten“ könnten. Sogar das, was in internen Besprechungen, in Ausschüssen, Fraktionssitzungen etc. verhandelt wird, sickert in der Regel raus. Schon ganz undenkbar ist „Verschwörung“ über kleinste Kreise hinaus… Wir leben nun mal im Wettbewerb um Aufmerksamkeit und da ist es einfach allzu verführerisch, etwas der Presse „zuzuspielen“, wenns denn wirklich mal was gibt, das „geheim“ bleiben soll.

    Soviel dazu. Das ganze Geschehen rund um Deflation/Inflation und seine möglichen Entwicklungen wird in der Presse breit behandelt. Derzeit ist von Inflation keine Rede, wir sehen eher deflationäre Tendenzen, denn vieles wird billiger (weil vor allem die besser Verdienenden sparen). Inflation droht erst DANACH, wenn die Konjunktur wieder „anspringt“ und das Geld, das jetzt eher gehortet wird, zu zirkulieren beginnt. Auch dann gibt es jedoch Möglichkeiten, dem entgegen zu steuern, genau wie man jetzt mit verschiedenen Maßnahmen darauf hin steuert. Eine gewisse Inflation ist sogar gut, denn die vielen Schulden werden dadurch entwertet. Gerät es aus dem Ruder, gibts im schlimmsten Fall eine Währungsreform – das ist nichts, wonach wir uns sehen sollten, aber nicht unbedingt das Ende aller bekannten Strukturen.

    „Da müsste was ganz Neues her“ ist leider kein ausreichendes Programm, um Gesellschaft und Politik zu verändern. Jedes Volk hat in der Regel die Politiker, die es verdient. Bei uns ist zum Beispiel die Neigung, sich in die komplexen Problemfelder Renten, Gesundheit u.a. richtig einzuarbeiten, um fundierte Alternativen zu finden, recht gering. Also haben wir eine sogenannte „repräsentative“ Demokratie, die all das Vollzeitpolitikern, engagierten Lobbys und Betroffenen-Gruppen überlässt. Was hättest du denn gerne statt dessen?

    Das Problem der Alterspyramide ist keinesfalls unlösbar. Es kommt nicht auf die Anzahl der Alten an, sondern z.B. auch darauf, wie weit sie noch an der Arbeitswelt  teilnehmen (bisher scheidet man ja eher alle 50+ aus!), wie hoch die Produktivität insgesamt ist und wie man umverteilt. Ein Bauer hat früher auch nur eine Familie ernährt, heute ist es ein Vielfaches davon.

    Dass „die Menschen sich nicht mehr verstehen“ würde ich so pauschal nicht unterschreiben. Und speziell hier liegt es an jedem Einzelnen, sich zu verändern und solidarischer zu werden – von OBEN wird das nicht kommen. Und ja, in der Krise geht das besser!

  3. Liebe Claudia,
    ich empfinde die gerade extistierende Weltwirtschaftkrise nicht als Weltuntergang.  Da ich aber sehr viel mit älteren Menschen zutun habe, lege ich sehr großen Wert auf deren Meinung zu dem ganzen Geschehen denn schliesslich waren diese in der Vergangenheit Zeitzeugen. Jeder selbst macht sich halt seine Gedanken darüber. Zudem glaube ich ebensowenig den Medien da diese manipulieren was das Zeug hält. Wir werden es alle erleben, wie es weitergeht. Ich sehe und höre eben dass was gerade in meinem Umfeld abläuft und das ist zurzeit weiß Gott nicht „rosig“ sondern ich sehe was ich sehe. Sicherlich ist das was ich halt sehe, ein „kleiner Ausschnitt“ vom Ganzen. Ich lebe nun mal darin.  

  4. Dann erzähl doch mal von deinem konkreten Ausschnitt!

    Ich rede mit Menschen jeden Lebensalters über das aktuelle Geschehen und frage immer danach, was sie über die Krise denken und wie sie sie persönlich spüren. Ergebnis bisher: Von den etwas Vermögenderen haben einige (=>Anleger) ein paar Verluste gemacht, es blieb aber noch genug übrig. Die Vermögenslosen berichten bisher keine Einbrüche, sondern sagen eher: wer nichts hat, kann auch nichts verlieren. Wechsel zwischen arbeitslos und arbeitend hab‘ ich bei vielen Menschen in den letzten 30 Jahren erlebt – individuell gefühlt als großen Verlust bis hin zu großer Befreiung mit Aufbruch und Umorientierung.

    Was die Vergangenheit angeht, hab ich grade ein Buch über den Crash 1929 gelesen, geschrieben 1954. Sehr spannend – viele Parallelen einerseits, andrerseits ist auch vieles ganz anders.

  5. Liebe Claudia,
    das Leben in meinem „Fokus“ sieht folgendermaßen aus:
    Ich sehe Menschenschlangen vor  der „Tafel“ stehen die es so, in der Vergangenheit, halt hier nicht gab. Aus meinem Bekanntenkreis wurde die Hälfte, arbeitslos. Gestern war ich noch auf einem Geburtstag, da berichtete mir ein Bekannter, dass seine Firma Insolvenz angemeldet hat. Ich habe einen sehr lieben Freund in Köln ( hat ebenso keine Arbeit mehr und ist alleinerziehend), der musste Hartz 4 anmelden, damit er seine Kinder  irgendwie“durchbekommt“.
    Ich sehe die Europreise 1:1. Derjenige der noch Arbeit hat, verdient, im Vergleich zur DM, um die Hälfte weniger. Ich könnte hier endlos über solche Situationen schreiben aber es würde wahrlich den Rahmen sprengen. Sicherlich geht es uns hier in Deutschland immer noch, trotz der Weltwirtschaftskrise, im Vergleich zu anderen Ländern, verdammt gut.

    Ich bin von Beruf kein Politiker wie jeder unschwer lesen kann.

    Die älteren Menschen erzählen von der Vergangenheit, sicherlich ist das nicht mit HEUTE genau gleichzusetzten.  Die Politik die heute entschieden wird,greift m.E. erst 10 Jahre später. ( Gesetze ect.) Alles m.E. zu langwierig. Es wird zu lange rumgeeiert.

    Nun zu meiner Person (51Jahre)…und was ich spüre,
    persönlich halte ich mich „über Wasser“ mit nächtlichem Zeitungen austragen und Innenreinigung. Aufgrund der schlechten Arbeitsmarksituation blieb mir nichts anderes übrig. ( war 22 Jahre bei einem großen Erdölkonzern  in der Nachrichentechnik und Verwaltung tätig. Die Fa. fusionierte und entließ alle Mitarbeiter.)
    Die  Arbeitsmarktsituation ist bekannt. Alles was über 50 Jahre ist, ist „Schrottstufe“. Trotzdem schreibe ich schon 6 Jahre immer wieder Bewerbungen,……….ohne Frust.

    Mein Zuhause ist eine zwei Raum Wohnung in der ich ohne Waschmaschine und Tv leben. Es gibt ab und an Zeiten, wo ich nicht mal was zu Essen habe. Ich bin Single und erwachsen und daran konnte ich mich gewöhnen. Zudem müssen meine Fixkosten bezahlt werden. (Miete, Engergie,Auto) Da bleibt NICHTS mehr übrig zum „Zurücklegen“.
     
    Lediglich mit Auto kann ich meine jetzige Arbeit verrichten (über 300 Zeitungen sind des Nächtens zu verteilen). Da es zu alt ist und keinen Kat hat, werde ich es im September verschrotten lassen müssen. Woher sollte  ich das Geld für ein „neues gebrauchtes“ Auto nehmen? Zukunft ebenso ungewiss.

    Ich weiß zu was der Mensch alles fähig ist. Was einen nicht umhaut macht einen nur stärker……….und die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. 
     

  6. Liebe  Yona,
    hab Dank für die Schilderung deiner Situation!  Du gehörst für mich zu den „Helden der Arbeit“ (NICHT ironisch gemeint!), die es vorziehen, solche Jobs zu machen anstatt einfach Hartz4 zu beziehen – alle Achtung! Vermutlich bist du „Aufstockerin“?
    Ich möchte nicht HIER damit anfangen,  persönliche Details und evtl. Alternativen deiner Lage zu diskutieren, sondern lade dich ein, mir zu mailen!
     

  7. Liebe Claudie,
    dass Yona nicht ganz unrecht hat, die Krise also größere Ausmaße hat, als bisher angenommen und die Politiker die Angelegenheit gerne gedämpft halten, ist m.E. den neuesten Äußerungen des Chefs der Bundesagentur für Arbeit zu entnehmen, der nun eine pessimistische Einschätzung zur Entwicklung der Zahlen am Arbeitsmarkt abgibt: Arbeitslosigkeit und Hartz IV

  8. @Lara: danke für den link! Ich bestreite doch nicht, dass es eine großformatige Wirtschaftskrise ist, die unser Leben verändern wird. Schicksale wie Yonas kenne ich allerdings immer schon und Zeiten mit fast 6 Mio Arbeitslosen sind nicht allzu lange her. DAMALS machte man sich schon viele Gedanken, ob und wie man OHNE diese Orientierung auf das Ökonomische und die „ungebrochene Erwerbsbiografie“ ein gutes Leben führen kann – DIESE Überlegungen vermisse ich heute, aber vielleicht kommt das ja noch…

  9. Schöne Worte. Super passend für Kanzelreden und Freitagabendseminare, echt. Nur: wir können uns Gedanken an den Klimawandel einfach zur Zeit nicht leisten, gute Frau. Die Lage ist zu ernst: die Wirtschaft lahmt, verstehen Sie? Begreifen Sie diesen Umstand, können Sie die Tragweite ermessen? Glauben Sie mir: offenbar nicht – denn dann wüssten Sie, dass wir hier von Arbeitsplätzen reden, gute Dame! Und die sind mit geschminkten Alternativsprüchen und neumodischen Philosophieergüssen nicht zu retten – und schon gar nicht zu ersetzen. Ohne Arbeit kommt das Leben nicht weit – Sie und ich können die Miete nicht zahlen, Zwangsversteigerungen, Suizide, Demütigung, Bandenkriege, Aufstände, Gewalt, Ausnahmezustand, Faustrecht, Steinschleudern, Gosse, Briefbomben, Kalaschnikows, Stalinorgeln, Dieter Bohlen wird Fernsehchef, Merkel seine Visagistin, die ganze Lebenskatastrophe und damit meine ich nicht Hobbyrevoluzzertum, Endzeitfrohlocken und Schickimicki-Sonntagspoetik, sondern Töchterchens angesagte Markenjeans fällt untern Ladentisch, der unerlässliche Zweitwagen für Herr Sohnemanns Firmenrepräsentation geht flöten und den dreifach zertifizierten Familienurlaub auf standesrechtlichem Hierarchieniveau können Sie und ich ebenso vergessen (und die Schwiegermutter sieht es)! Armut hat nix Edles und Erhebendes mehr, meine Dame, glauben Sie mir – Verfall, Erstarrung, Wertearmut, Hass, Kannibalismus, das haben die Neunziger klar aufgezeigt und daran zweifelt unterdessen kein Laienprediger mehr hinter verschlossenen Türen und auch kein Frühlingslüftchenverkünder, selbst marxistisch angehauchte Ökonomieprofessoren nicht: der Trend geht nach jahrzehntelangem goldenem Aufschwung pickelhart in Richtung Besitzstandwahrung, und zwar mit Krallen und Zähnen. Zahn um Zahn, Schlagring um Schlagring… Glauben Sie nicht, dass selbiges ausbleibt, nur weil keiner davon spricht! Nehmen Sie einem Durchschnittsfuzzi Dienstagskrimi und Sportschau weg und Sie wissen wovon ich rede! Die Guten schweigen, meine Dame (und horten im Hinterzimmer die Goldbarren)! Das ist Mathematik, meine gute Frau – dagegen können Sie mit leninistisch gewürzten Nebelkerzen nicht anstinken, weder mittelfristig noch subito, besser Sie vergessen es frühzeitig… Bevor es zu spät ist – für Sie persönlich. Realität geht vor Gefühlsduselei: Sie werden noch an meine Worte denken. Wer hier abfällt, tut es for good – und ahnt den lebenslänglich irreversiblen Verlust erst in Jahren und Jahrzehnten, stammbaumerschütternd und generationentief versenkungsbindend, dann aber ist es zu spät, meine Dame, und man wacht tot in Zeitungspapier gewickelt unter der Brücke auf, während man noch letzthin putzmunter mit fünfstelligem Gehalt den zweiten Eskort-Dirnchen-Service auf die Firmen-Abbuchungsliste einklausulierte: die Letzten werden die Letzten sein, denken Sie daran, gute Frau! Ohne Wachstum geht gar nichts, weil, wenn Wachstum mit einem Fragezeichen versehen würde, gesamtgesellschaftlich und weltanschaulich gesehen, dann könnten wir genauso gut gleich Konsummaximierung und elektrische Überwachungszäune in Frage stellen, und am Ende bezweifeln Sie noch die Notwendigkeit von schnellem, schmutzigem Sex – unter uns, gute Frau, kennen Sie jemand, der nicht an Zaster glaubt? Jetzt einmal ganz im Ernst: wenn der nächste Millionenbonus ins Haus steht (und Sie können die Uhr danach richten, der kommt!) – spurten Sie und ich ruckizucki in Position eh wir innerlich auf 1 gezählt haben, hochkant und mit professioneller Kampfsportmimik, und versuchen einander die letzten Reste der Bratensosse abzujagen auf Teufelkommraus, oder glauben Sie Herr und Frau Nachbar, die morgens immer so nett grüssen, lassen Ihnen den Vortritt? Oder schlimmer noch: unsere Junioren tun es an unser statt, nach Strich und Faden und unser nährendes Blut an den Kiemen – während wir anonym-entmündigt in abgewirtschaftet-menschenverachtenden Pflegeheimen vermodern (von sadistischen Internettanbieterinnen geknebelt, gezüchtigt und zu ihrem Privatvergnügen zwangspubliziert)(in Doggy-Pose)! Mir persönlich graut vor dem Tag, da ich morgens ungeahnt aufwache und mein Nachbar fährt mit halbkaschiertem Siegergrinsen und dem neusten Jaguar vor, während ich meiner Familie die erniedrigende Zwangsversteigerung unseres Abwrack-BMWs plausibel machen muss – fünf Minuten vor der Rieseninflation, die alle Karten neu mischt! Gottlob gibt es noch kleinkalibrige Handfeuerwaffen im Tante-Emma-Laden neben, kann ich da nur einfügen, Abteilung Spezialeffekte, für den diskret-gepflegten Einzelgebrauch, gute Frau – Sie kennen einfach nicht die Psyche von uns Männern, das ist wie wenn ich gute, füllig wogende Brüste mit saftwarmen Teigspitzen an einem jungen Küken sehe: da interessiert mich die dahinterliegende glanzvolle Moralität mit den netten Galeriesprüchen und gebildeten Edeldenkern der Neoneoklassik ein feuchtes Meerschweinfürzchen: ich will kneten und mampfen und sprühen, und zwar vorgestern! Nein nein, gute Frau, noch ist Zeit, noch ist Hoffnung, sag ich Ihnen, noch ist eine Demark eine Demark – und die Trägheit der Obrigkeitsmaschine sorgt für ein solides Weiterso, gerade genug für das eine oder andere Transaktönchen im schnieken Graubereich… Ein wenig Ausdauer und blinde Zuversicht noch, und wir können uns binnen kürzestem zurück auf unsere angestammte Stellung hochhangeln, mit der Zeit, Sie werden sehen, die anderen dezent abdrängelnd, nach und nach, niederkämpfend und ellbogendenkend, eh wir uns versehen, in good old poleposition! Noch sind die letzten Boni nämlich nicht durch die oberste Buchhaltung – und zur Not gibts immer noch den kränkelnden Binnenmarkt der Gegner… Wissen Sie was: wir übersetzen ihren Text gerade einmal vorsorglich ins Französische, oder so, eins zu eins… Können Sie mir folgen? Zweidrei Klicks – und unsere Konkurrenten haben das Geschenk! Amerika ist eh tot, der Dollar so gut wie hinüber und China am Boden noch vor dem ersten Kotau – Ironie der Ironie, das nennt man Streu und Weizen… Glauben Sie mir, wir werden zu den Siegern zählen, langfristig, so oder so, Sie und ich, glauben Sie mir, Sie und ich, nichts ist verloren, nichts ist verloren

  10. „und damit meine ich nicht Hobbyrevoluzzertum, Endzeitfrohlocken und Schickimicki-Sonntagspoetik, sondern Töchterchens angesagte Markenjeans fällt untern Ladentisch, der unerlässliche Zweitwagen für Herr Sohnemanns Firmenrepräsentation geht flöten und den dreifach zertifizierten Familienurlaub auf standesrechtlichem Hierarchieniveau können Sie und ich ebenso vergessen (und die Schwiegermutter sieht es)!“

    Alles klar! Da MUSS es ja zu Ausschreitungen, zum Kampf aller gegen alle und zu „Kannibalismus“ kommen!

  11. Hui, da prallen hier ja doch eine Menge Blickwinkel aufeinander.
     
    Die gelasseneren der Leute aus der 2.Klasse, die schon gerne nach oben und nacht unten schauen. Und die aufgeregteren derjenigen, die es zu lange nach Wildwestromantik gelüstete, als daß sie nicht jeden Hauch einer Chance wahrnehmen werden, diese zumindest der Idee nach sich zu gönnen.
     
    Ich kann die Hoffnung, daß alles nicht so schlimm kommen wird und wir in unseren angenehmen Biotopen bleiben dürfen, gut verstehen und teile sie absolut. Ich kann auch den (stellvertretend empfundenen?) Zorn derjenigen verstehen, die das ganze verhaßte Schiff untergehen sehen. Aber es ist wie immer: Schiffe gehen nicht zuallererst mit der ersten Klasse und der Brücke, sondern mit dem Zwischendeck und dem Maschinenraum unter. Wenn unten (Süden? Osten?) bereits die ersten ersaufen, wird oben (Norden? Westen?) noch das Damasttischtuch sauber glatt gezogen.
     
    Beide Perspektiven sind nicht in der Lage, miteinander zu reden. Heilserwartung kann sich auf den Erhalt des Besessenen wie auf das Erlangen des Ersehnten beziehen und scheidet daher gnadenlos zwischen Besitzenden und Besitzlosen. Und beide sind Gegner, wie mitfühlend, solidarisch und gutmeinend die einen sich auch anstellen und wie gemäßigt und rational die anderen sich auch geben. Immer wird der eine dem anderen Habgier und der andere dem einen Geiz unterstellen – und in der Regel damit wohl auch Recht haben. Zwischen Völlerei und Hunger gibt es eben keinen stetigen Übergang.
     
    Persönlich stehe ich natürlich auf der Seite der Habenden, ob mir das nun paßt oder nicht. Ich lebe, wenn wir uns vergleichend die Weltbevölkerung anschauen, in unglaublichem Luxus. Von Wirtschaftskrisen wird (bisher) maximal mein Email-Account tangiert, meine Lektüre und die Gesprächsthemen am Küchentisch und im Bistro. Ich trenne Müll, ich spare Energie, ich bringe Material zum Recyling, ich plane möglichst alle Verbräuche und gebe sogar ab. Das alles macht mich zur netten Nutznießerin, zu lächelnden Missis aus dem Herrenhaus auf der großen, weltweiten Farm. Es wäre albern und unwürdig, wenn ich mein objektives Lebensinteresse als das jener verkaufen wollte, die im Müll leben, für die Energieverbrauch ein Feiertagserlebnis ist, die nichts haben, um es zu recyclen, die keine Verbräuche planen können, sondern nehmen müssen, was sie eben bekommen können, und denen nur Almosen abgegeben werden.
     
    Wird es eine Heilung, eine Lösung der Krise geben? Ich hoffe es, weiß es aber nicht zu sagen. Und wenn? Durch Besserung und Einsicht der Besitzenden oder durch einen verzweifelten Aufstand der Besitzlosen? Ich kann das nicht beurteilen. Niemand kann das, scheint mir. Die politischen Wissenschaften des Westens sind aus dem Schatten des Interesses ihrer Finanziers nie ganz heraus getreten, Die Vorhersagequalitäten seiner Sozialwissenschaften haben den Umkreis des Schamanismus und der bezahlten Werbung nie wirklich verlassen. Rationale Selbststeuerung dieser gigantisch reichen, weltumspannend mächtigen und unübersehber komplizierten Gesellschaften findet auf globaler Ebene eben nicht statt. Das kann sich positiv auswirken (weil der Steuermann nicht Mensch ist) oder katastrophal (weil viele Köche den Brei verderben). Auch das kann, soweit ich sehe, niemand beurteilen, sondern es ist eine Glaubenssache.
     
    Ankurbelung der Wirtschaft (durch findige Finanzierngsmodelle) ist das, was in meinen Augen die aktuelle Krise vor allem befördert hat. Und was im Moment als die Krise behandelnde Programme zu sehen ist (plus dem, wovon Hänschen Klein nichts zu hören bekommt) ist für mich nichts anderes als Konkursverschleppung, nämlich der Versuch, nicht mehr leistbare Schuldendienste durch neue Schulden doch noch zu leisten. Was sehr modern ist und jedem von uns Besitzenden nicht unbekannt sein dürfte. Lebe jetzt, zahle später. Kümmere dich nicht um alle Konsequenezen deines Handelns, sondern nur die, die dir unmittelbar auf den Nägeln brennen. Verschiebe den Kassensturz auf die nächste Periode und hoffe, daß es schon irgendwie gut gehen wird. Und vielleicht hast ja nicht du es auszubaden. So leben wir Besitzenden. So haben Vorfahren und Zeitgenossen den Globus weltweit ausgeplündert und sich ihre Empires damit ergaunert, so haben Fachleute ihre Finanzierungen gestrickt und sich mit Schampus, Sushi und Schnee dafür gefeiert. Aber so ist ebenfalls der Wohlstand des Sparkassenangestellten und des Bauarbeiters, des selbstständigen EDV-Spezialisten und des Mediziners, des Lehrers und des Ingenieur um uns herum entstanden, ausgebaut und gesichert worden.
     
    Wer das alles zerschlagen oder zerschlagen sehen möchte, hat sich wirklich etwas vorgenommen. Denn dieser Wohlstand ist nicht nur Wohlstand, sondern auch Lebensgrundlage. Essen und Trinken, Heizen und Wohnen, Gesundheit und Altern gehören dazu. Wer von einer alles erfassenden Revolution träumt, spielt hier mit dem Feuer, wie auch der, der die notwendigen Veränderungen vermeiden um jeden Preis möchte. Ich glaube nicht, daß sich so schnell wieder ein paar Hunderttausend Menschen wie vor zwanzig Jahren in Berlin einfinden werden, um lautstark klar zu machen: Wir sind es, die zählen! Aber wer weiß, was alles passieren wird. In anderen Ländern laufen eine Menge Leute schon auf den Straßen herum. Verzweiflung und Angst reichen hierzulande kaum aus – wenn sie nur mal diesen, nur mal jenen Teil der Menschen treffen -, um diese Menschen ihre Existenz (sei es ihre bürgerliche, sei es ihre physische) aufs Spiel setzen zu lassen. Aber wenn das in einem größeren Maßstab geschieht, wie es einmal in der DDR der materielle und immaterielle Bankrott ihres Wirtschaftens tat, dann schon. Und dann sind es keine Sozialromantiker und Westentaschencowboys vom Schlage eines Andreas Baader, sondern ganz verschiedene und eher alltägliche Leute mit einfachen Alltagssorgen. Und was die dann anschieben und durchsetzen werden kann ebenfalls sehr verschieden sein. Vielleicht dummerweise nicht immer das, was sich manche davon versprechen. Oder gar zum Unglück genau das, was sich manche davon versprechen.
     
    Für mich hat jede Regierung die Aufgabe, die von ihr regierten Menschen zu schützen und ihnen ein Leben zu ermöglichen, daß diese Menschen akzeptieren. Deswegen ist es dumm, den vorhandenen Regierungen vorzuwerfen, daß> sie auf die Schnelle etwas tun. Und es ist utopisch, von einer Regierung eines Staates wie der Bundesrepublik zu erwarten, daß ihre Handlungen irgendeiner Minderheitenmeinung entspräche. Sei es einer unter den gerade würdentragenden Wirtschaftswissenschaftlern, sei es einer unter den einflußreichen Männer (und der Frau) der Wirtschaft. Das Gros der Berater dieser Regierung rekrutiert sich aus denen, die in diese Krise (wie in andere zuvor auch schon) blind mit hinein gesegelt sind und deren Reputation aus gänzlich anderen Quellen gespeist wird als aus der Reichweite und Exaktheit ihrer Prognosen. Aber gibt es Bessere?
     
    Wäre ich Frau Merkel, würde ich kaum anderes tun, als sie tut. Offen gesagt ist mir manches, was sie sagt, lieber als das Geschwätz von allwissenden Untergangspropheten, deren pubertärer Eifer ihre Nachhaltigkeit und Genauigkeit bei weitem in den Schatten stellt. Und auch lieber als das Geseiere mancher Politiker aus allen Lagern, die besser an ihren jeweiligen Stammtischen (oder kalten Buffets) blieben als wie Karlchen-her-mit-dem-Klavier die Klappe aufzureißen. Daß ein Schiff gegen einen Eisberg gefahren wurde, muß nicht seine Konstruktion in Frage stellen. Wohl aber auf jeden Fall die Kommandos, die von der Brücke an die Maschine und den Rudergänger ergingen. Infrage gestellt werden muß sicherlich das leitende Personal auf der Brücke. Vielleicht auch die Gezeitentabellen, nach denen sie navigiert haben. Eventuell auch die Konstruktion der wasserdichten Schots. Und vielleicht sogar die ganze absurde Idee, mit einem Schiff zwischen Eisbergen hindurch schnell vorwärts zu kommen.
     
    Doch in der Zwischenzeit müssen die Leute ernährt werden. Strom muß laufend geliefert, Müll entsorgt, Krankheiten geheilt und Alte versorgt werden. Selbs wenn das mit halb kaputten Maschinen und falschen Seekarten und inkompetenten Offizieren stattfindet, muß es doch irgendwie geschehen. Und viel mehr passiert in meinen Augen im Moment auch nicht. Das kann kritisiert werden, aber es ist alternativlos. Wenn die Weltwirtschaft ganz anders organisiert werden muß, dann spielen Schuldensummen von heute irgendwann ohnehin keine Rolle mehr. Wenn vorher Ressourcenkriege zwischen ganzen und halben Atommächten ausbrechen, erst Recht nicht. Wenn die Schuldenberge Mechanismen ankurbeln, die sie eines Tages abtragbar machen, dann sind sie sinvoll aufgetürmt. Wenn gar nichts mehr geht, fragen die dennoch Überlebenden sicherlich danach nicht nach den Kontoständen von vorher. Und wenn doch noch was geht, dann verschafft man sich vielleicht gerade die Zeit, die es braucht, um eine globale Adaptionsleistung zu erbringen.

  12. @Su: das ist einer der besten Kommentare zur Krise, die ich je gelesen habe – klasse!!!!

    (Mehr dazu, wenn mehr Zeit….)

  13. Liebe Su, nun hab ichs nochmal gelesen und bin nach wie vor schwer begeistert von diesem Text! Inhaltlich kann ich mich dem voll anschließen, doch war es mir bisher nicht gegeben, das so schön in Worte zu fassen: ja, auch ich finde Merkel ganz ok in ihrer Art, in der Krise zu agieren, denn sie lässt durchaus durchblicken, dass auch sie nicht so recht weiß, was kommen wird. Das ist natürlich schier unerträglich für all jene, die so gerne „Führung“ und mal ein „Basta!“ hören würden, damit da etwas vermeintlich STARKES ist, das man ordentlich angreifen und zerpflücken kann.
    Und was die Untergangspropheten angeht, bin ich ebenfalls ganz bei dir – es nervt mich auch immer, wie viele „Experten“ so tun, als gäbe es vom Moment der Betrachtung bis hin zum katastrophalen Ende einer Entwicklung keine menschliche Beteiligung und Einmischung mehr. (Dabei ist einst auch die Revolution nicht ausgebrochen, weil eben auch die Kapitalisten Marx gelesen haben…) Da ist mir der amerikanische Pragmatismus weit lieber, der eben mal tut, was jetzt geht, anstatt nur gebannt auf die schlimmen möglichen Entwicklungen zu starren. Zudem habe ich oft genug dass Gefühl, dass etliche besonders extreme Autoren den „Untergang“ richtig GERNE sehen würden: sie stellen sich eine Welt im Chaos vor, die weit weniger komplex ist als die jetzige – und in der man mit einem ordentlich geschützten Warenlager inkl. Waffenbunker wieder auf ganz einfache Art JEMAND SEIN kann. Bei anderen ist leicht zu sehen, dass sie aus dem Beschreien katastrophaler Entwicklungen ein einträgliches Geschäft mit Survival-Kits, Konserven, Goldmünzen etc. gemacht haben – ihnen glaub ich eh kein Wort!
    Deine Ausführungen zum Thema Konkursverschleppung unterschreibe ich, was die Analyse angeht, nicht aber die Bewertung. Denn ich sehe einfach keine Alternative: man kann sich ja ausmalen, was passieren würde, würden alle Pleite-Banken von jetzt auf gleich den „Kassensturz“ machen und aus dem Geschäft ausscheiden. Das ist einfach keine sinnvolle Handlungsoption. Es kann m.E. nur darum gehen, den Konkurs so zu „verschleppen“, dass einerseits Zeiten abgewartet werden, in denen klarer wird, wieviel dieser gestückelten und gebündelten Kredite  TATSÄCHLICH nie wieder zurück bezahlt werden (das weiß ja keiner!), und andrerseits die Abschreibungs- und Bewertungsregeln so zu gestalten, dass die Verluste eben NICHT die Insolvenz bedeuten, sondern z.B. über viele Jahre gestreckt werden. Eine dritte Möglichkeit ist die Entwertung durch Inflation – auch da kann ich mir schlimme und weniger schlimme Varianten vorstellen (bin ja gespannt, was dann die Vertreter eines „Schrumpfgeldes“ sagen! :-)
    Ich meine auch, dass die „Täter“ strafrechtlich und zivilrechtlich zur Verantwortung gezogen werden sollten. Das sind für mich nicht alle möglichen „bösen Spekulanten“ (Hedegefonts, Wettende auf fallende Kurse etc.) , sondern konkret diejenigen, die angefangen haben, Leuten Kredite zu geben, die erkennbar keine Aussichten haben, diese ja zurück zu zahlen – weil die Banker die Schulden eben in Gestalt von „Wertpapieren“ weiter verkauften und so AUF JEDEN FALL ihr Geschäft mit den Provisionen machten. Aus meiner Sicht ist das Betrug an den Gläubigern – würde man das auch so verfolgen, wäre der Volkszorn etwas besänftigt.
    Hoffen wir, dass die „globale Adaptionsleistung“ gelingen möge!
     
     
     
     

  14. Liebe Claudia
    Warum wird jedem der spürt, dass es so nicht weiter gehen kann, eine gewisse Morbidität unterstellt?
    Wir können uns der Umwelt und Ressourcen zuliebe eine Rückkehr zu dieser Wachstumsorgie gar nicht mehr leisten.
    Schriebst nicht auch Du schon über Deine Fassungslosigkeit gegenüber dem Konsumwahn? Nun soll um jeden Preis das alte System wiederbelebt werden?
    Bloss weil wir Angst davor haben, über eine alternative Möglichkeit nach zu denken? Was ist so weltfremd daran?
    Sollen wir nur aus diesem Grund am Bekannten festhalten?

  15. @ Claudia
    …“Täter” strafrechtlich und zivilrechtlich zur Verantwortung gezogen werden sollten.
    und weiter
    …konkret diejenigen, die angefangen haben, Leuten Kredite zu geben, die erkennbar keine Aussichten haben, diese ja zurück zu zahlen.
    Zitat Ende
    Hm, das wird schwierig, denn hier handelt es sich nicht um einige wenige schwarze Schafe. Das ist einfach im Zuge des ewigen Wachstumswahns ouuups … passiert. Und es war auch bekannt. Schon vor ca. zwei Jahren konnte man darüber lesen. Leider habe ich gerade keine Quellen parat. Falls ich mal etwas Seriöses dazu finde, reiche ich es nach.
    Einen weiteren schönen Punkt zum Thema allgemein machte jüngst
    Peter Sloterdijk indem er sagte:

    Es ist nicht die Gier, die das System antreibt, die Fehlsteuerung geht von den Zwängen des Billigkreditsystems aus: Wenn die Zentralbanken kostenloses Geld ausspucken, wäre es für echte Global Player ruinös, es nicht zu nehmen.

    Es sind tatsächlich diese Zwänge, von denen mensch zunächst profitiert und sich ihnen daher unterwirft. Schließlich machen es ja alle, und zwar genau so lange, bis es dann doch irgendwann an die Wand gefahren ist.

    Dabei ist es doch sooo lange gut gegangen. ooooch, wie umfär

    Irgendwie menschlich, gelt…

    lieben Gruß von Hermann

     
     

  16. @alle:  ich danke Euch für Eure wundervollen Beiträge!!

    @roger: Ich schreibe doch über die Möglichkeiten, sich Neuem anzupassen, ein „Downsizing“ fröhlich willkommen zu heißen und sich einem nachhaltigeren Lebensstil zu öffnen. Dass versucht wird, einen Groß-Crash zu vermeiden, erscheint mir ganz normal – aber vermutlich bin ich nur zu alt, um so einen „Zusammenbruch des Finanzsystems“ mit all seinen Auswirkungen einfach spannend und abenteuerlich zu finden! :-)

    @Hermann: die älteste Bank der Welt (Banca Monte dei Paschi di Siena) hat z.B. kein Problem, da sie die „heißen Spekulationen“ nie mitgemacht hat. Auch Spanien soll seine Banken durch Regelungen davor geschützt haben – es geht also schon, sich rauszuhalten. Aber im Großen und Ganzen geb ich dir Recht: es ist schier unmöglich, sich den Trends im Wirtschaftsgeschehen zu entziehen, denn das bringt ja einen Wettbewerbsnachteil. Dass Betrug aber Betrug bleibt, könnte man ja doch durchsetzen – wenn man will.

  17. Dass Betrug aber Betrug bleibt, könnte man ja doch durchsetzen – wenn man will.

    „Wenn man will“, wirklich sehr schön gesagt, Claudia!
     
    Ich sage dir wann man es wollen wird! Genau dann, wenn es sich nicht mehr rechnet (negativer Fall, also nie) oder aber, wenn es eine Bewegung hin zur Wahrhaftigkeit im menschlichen Bewußtsein geben wird.
     
    Betrug kann dermaßen geschickt verschleiert werden, dass er, etwas überspitzt formuliert, wie ein umfassendes Sozialabkommen erscheint, von dem alle profitieren. Aber das müssen wir jetzt nicht weiter breittreten, das ist eigentlich bekannt. Im Übrigen gehören zum Betrügen immer zwei. Man wird ja in aller Regel nicht gezwungen sich betrügen zu lassen. Will sagen:
     
    Wenn mer bissche uffpasse tut, kann mer sisch scho ganz gut schütze tun.
     
    lieben Gruß von Hermann
     

  18. Liebe Claudia
    Natürlich schreibst Du auf eine sehr erfrischende Art (kann darin keine Anzeichen von Alterung Deineseits erkennen) über neue Möglickeiten.
     
    Meine Fragen beziehen sich auf Deine Aussage, dass uns keine andere Wahl bleibt, als den Konkurs zu verschleppen.
     
    Warum nicht jetzt schon mit einer breit abgestützten Diskussion beginnen?
    Weshalb dieses Feld den Experten überlassen, die uns ja genau in diesen Schlamassel führten?
    Wann wird den Politikern klar gemacht, dass es unser Leben – unser Planet ist und beim bisherigen System nur einige ganz wenige (irgendwie sieht es so aus, als ob es um die Rettung deren Vermögen ginge, denn soviel Vermögen wie zur Zeit reingepumpt wird, haben wir „Normalen“ gar nie besessen) wirklich profitiert haben.
     
    Das hat nichts mit Abenteuer zu tun, sondern ist schlichtes Lernen aus dem was passiert ist.

  19. @Herrmann und roger
    Ihr fragtet zwar Claudia, aber ich gebe gerne meinen Senf dabei.
    Das ‚Wir‘, das ihr verwendet (als ‚mer‘, die sich schützen sollten, oder als ‚uns‘, denen der Planet Erde gehöre) gibt es leider nicht. Dieser Planet gehört denen, die ihn ausbeuten.  Etwa mittels Gesellschaften  und Staaten, die ihren Zwecken genügen. Geschützt werden genau jene, nicht alle, schon gar nicht irgend ein Jedermann. Letztere sind stets Geiseln der Ersteren und lassen sich obendrein immer wieder gegeneinander ausspielen, ja tun das sogar mit Fleiß selbst. Und nur in wenigen seltenen Momenten (die als Revolutionen Jahrzehnte später in die Geschichtsbücher einziehen, sei es als glorreiche, als französische, als befreiende oder auch als tragisch gescheiterte, dann aber auf jeden Fall mit einer sehr einseitigen Darstellung der Opfer, die sie mit sich brachten) hat sich ein mehrheitliches ‚Wir‘ gegen ein minderheitliches ‚Ihr‘ erhoben. Die Ersetzung des beinahe bankrotten, menschenverachtenden Systems des realen Sozialismus durch das fast genauso bankrotte, menschenverachtende System des neoliberalen Kapitalismus ist eine der wenigen Umwälzungen, die ohne allzuviele Opfer vor sich ging (Es darf gemutmaßt werden, was das über das Ersetzte und was es über das Ersetzende aussagt).

    Der Punkt, den ich machen würde, ist dieser: die aktuelle Ordnung (anarchische Produktionsweise mit Privatisierung der Gewinne und Sozialisierung der Verluste) ist unter anderem aufgrund ihrer parasitären Verankerung in allen Lebensbereichen nicht ohne unendlich große und womöglich für die bestehenden sozialen Verbände dann letale Opfer zu beseitigen. Vermutlich nur durch eine Folge von nicht mehr zu vermeidenden Umweltkatastrophen und/oder atomar-biologischer Kriege (um Wasser, Öl oder um andere Bodenschätze etwa). Beides wiederum kann durchaus auch Resultat des normalen Funktionierens der aktuellen Ordnung sein.  Eine wahre Zwickmühle ist das, so daß ich nicht zu sagen wage, ob ihre Beseitigung nicht schlimmer wäre als ihre Beibehaltung. Es kommt wir vor wie manche Krebstherapie – gesundes und krankes Gewebe sind derart ineinander verschränkt, daß Heilung kaum mehr von Siechtum zu unterscheiden wäre.

    Als Handlungsmaxime auch für Gutmeinende bliebe (wenn dem so wäre, wie ich es oben umriß) nur ein Verhindern des Schlimmsten, also z.B. ein Hinauszögern eines jähen Endes durch Konkursverschleppung. Wie etwa eine Chemotherapie trotz aller Bedenken doch Zeit gewinnt, an die sich Hoffnung klammern kann. Sei sie auch irrational. Denn wer könnte heute urteilen, was in zehn, zwanzig oder mehr Jahren möglich sein könnte?

    Nur eines würde ich jetzt schon wagen zu urteilen – daß es auch dann kein lern- und handlungsfähiges ‚Wir‘ geben wird, daß blühende Landschaften für alle hinstellte!

  20. @ SuMuze

    Jeder für sich selbst ist potenziell in der Lage sich vor Betrug zu schützen. Du kannst nicht ernsthaft abstreiten, dass unsere Gesetzgebung viel dazu beigetragen hat, auch den kleinen Mann zu schützen. Deine Feststellung, dass der Planet nur denen gehört, welche ihn ausbeuten, während sie den Rest der Menschheit zur Umsetzung ihrer parasitären Vorhaben in Geiselhaft nehmen, hat unbedingt einen wahren Kern aber tönt auch vor abgrundtiefem Zynismus. Schaut man sich die jüngsten Entwicklungen so an, ist besagter Zynismus allerdings verständlich und vielleicht sogar angebracht. Geht nur leider etwas auf die gute Laune ;-))
     

    Dein Abschluß Resümee über das nicht lern- und handlungsfähige `Wir’, zumindest wenn es um blühende Landschaften für alle geht, wird durch die Menschheitsgeschichte bestätigt. Schließlich leben wir ja auch nicht im Paradies, es sei denn wir – im Sinne von jeder für sich selbst bzw. seine Gemeinschaft – schaffen es uns selbst.

  21. @Hermann

    Die vielen seltsamen Zeichen und Anweisungen in Deinem Kommentar können daher rühren, daß Du diesen vielleicht erst in eine Textverarbeitung getippt und dann hierher kopiert hast. Mir ist das auch schon ein paar Male so gegangen. Es hilft nur, den Text aus der Textverarbeitung in ein Editor-Fenster (notepad) zu kopieren und vor da aus dann hierher. Frag mich nicht warum, ist eben EDV!
     
    Zu dem was Du sagst:
    Jeder für sich selbst ist potenziell in der Lage sich vor Betrug zu schützen.“ Nein, das gerade eben nicht. Die wirklich großen Betrügereien all der vielen Einzelnen (als Steuerzahler, als Konsumenten, als Bürger, als Arbeitnehmer usw.) erfolgen i.d.R. ohne deren Wissen, fast immer aber ohne daß sie überhaupt eine Chance haben, dagegen einzuschreiten. Nur wenn den wahren Akteuren einmal etwas mißlingt, wird der angerichtete Dreck nach oben gespült und kommt in die Gazetten, das Fernsehen und auf den Stammtisch (siehe jetzt die Finanzkrise, siehe wenn mal wieder ein Politiker abgeschossen werden soll, siehe wenn eine zu große Firmenkonstruktion in sich zusammen bricht). Der Verbraucherschutz ist (zumindest in Deutschland) übrigens in meinen Augen ein Recht gegen seine erklärten Ziele und sollte eher Gesetzeswerk zum Schutz der Hersteller und des Einzelhandels genannt werden.
     
    Was daran abgrundtiefer Zynismus ist, auszusprechen, was die Spatzen nachts einander in den Regenrinnen zuraunen, vermag ich nicht einzusehen. Denkst Du, ich amüsierte mich über die Dinge, die ich so benenne, wie ich sie sehe?
     
    Ich mißtraue jedem ‚Wir‘ aufs Heftigste. In der Regel ist es immer durch ein ‚Ihr‘ zu ersetzen, damit seine volle Wahrheit ans Licht kommt. Niemand, der wir sagt, meint wirklich alle, sondern er meint zumeist sich (und ein paar andere) im Gegensatz zu wieder anderen.
    Wir leben nicht im Paradies – diese Aussage gilt für die Mehrheit der Menschen dieser Erde, wenn du ihr Leben mit dem Leben der wenigen wirklichen Nutznießer des gesellschaftlichen Reichtums des Planeten vergleichst.  Oder sie gilt für die Hartz-4-Empfänger in Deutschland, wenn du ihr Leben mit dem Leben der Bewohne der falschen Vorstatdt von Mexico City vergleichst. Oder sie gilt für Leiharbeiter in Wolfsburg, vergleichst du ihr Leben mit dem fest angestellter Näherinnen in Hongkong.
    Hinreichend abstrahiert findet sich immer eine scheinbare Basis für ein allumfassendes Wir-Gefühl (wir Menschen, wir Seiende, wir Kinder Gottes usw.) – das gibt aber niemals eine solide Basis für ein Wir-tschaften mit samt ausreichender Güterproduktion und funktionierender Güterverteilung, mit gerechter Zuteilung von Lebenschancen und anteiliger Partizipation an gesellschaftlicher Macht und Reichtum.
     
    Das blauäugige ‚es liegt alles in unserer Hand‚ klingt mir, sehr direkt gesagt, erheblich zynischer als manch vielleicht zu düster geratenes Resümee, das mit weniger blauen und dafür offeneren Augen gebildet wurde. Nur ein Beispiel: die hiesigen Opel-Werke florieren, wenn man sie nur als Veranstaltung zum Herstellen und Verkaufen von Autos mit Hiofe von Maschinen, Rohstoffen und menschlicher Arbeit betrachtete. Dennoch stehen sie jetzt vor dem Aus. Und da sage einer den Opel-Mitarbeitern noch, wir lebten „ja auch nicht im Paradies, es sei denn wir – im Sinne von jeder für sich selbst bzw. seine Gemeinschaft – schaffen es uns selbst.“ Mag sein, daß diese Leute genau eine solche Aussage heute für ausgesprochen zynisch hielten!

  22. Hi SuMuze,
     
    es kommt immer auf die Perspektive an. Offenbar geht Dein Blick in diesen Kommentaren auf das Große Ganze.
     
    > Die wirklich großen Betrügereien all der vielen Einzelnen (als Steuerzahler, als Konsumenten, als Bürger, als Arbeitnehmer usw.) erfolgen i.d.R. ohne deren Wissen, fast immer aber ohne daß sie überhaupt eine Chance haben, dagegen einzuschreiten.
     
    Da stimme ich vollkommen mit Dir überein. Mein Kommentar bezog sich eher auf die mittelgroßen Schweinereien, kriminelle Energien, denen eine Gesetzgebung gegenüber steht und bei der mensch im allgemeinen noch einen zur Verantwortung ziehbaren Ansprechpartner hat.
    Ob ich mit meinen Einwendungen das Thema verfehlte?
     
    > Was daran abgrundtiefer Zynismus ist, auszusprechen, was die Spatzen nachts einander in den Regenrinnen zuraunen, vermag ich nicht einzusehen. Denkst Du, ich amüsierte mich über die Dinge, die ich so benenne, wie ich sie sehe?
     
    Schöne Frage! Wenn Du mich das gleiche fragen würdest, müßte ich nämlich eindeutig mit Ja antworten (…)
    Nehmen wir als Beispiel den von Dir schon bemühten Verbraucherschutz. Geschätzt, gefühlt, gibt es ihn glaube ich seit rund 30 Jahren. Und es gibt sicher Verbraucher, die auch davon profitiert haben. Natürlich ist er nicht perfekt und mag sogar korrupte Elemente aufweisen, wenn ich Deine Andeutungen richtig verstehe. Aber er ist da und leistet auch etwas für den Verbraucher. Bitte erspare mir die Frage nach Beispielen. – Bis zur Perfektion entwickeln die Dinge sich einfach recht gemütlich, falls sie nicht schon vorher an der Wand zerschellen.
     
    Wenn Du Dir nun aber einmal die Zeitspanne der gesamten menschlichen Evolution anschaust und ihr die rasante Entwicklung der letzten Jahrhunderte gegenüber stellst, wird eine immense Entwicklungsdaynamik sichtbar. Inzwischen ist das Tempo schlicht völlig überdreht und es finden chaotische Verwirbelungen statt. Als Kind dieser Zeit erscheinen einem insofern viele Entwicklungen (Beispiel Verbraucherschutz, s.o.) quälend langsam und oftmals zum Scheitern verurteilt. Von einer zeitloseren Warte aus betrachtet, sind sie aber durchaus im Plan und in ihrer Ausführung nun einmal der menschlichen Natur entsprechend. Korrupt zu sein ist ein sehr stark ausgebildeter Bestandteil der menschlichen Natur. Ich hoffe es wird klar, was ich versuche zum Ausdruck zu bringen.
     
    Danke für Deine Ausführungen. Ich lese Deine Kommentare sehr gern.
     
    Gruß von Hermann
     
     

  23. @Su: „Niemand, der wir sagt, meint wirklich alle, sondern er meint zumeist sich (und ein paar andere) im Gegensatz zu wieder anderen.“

    Ich benutze das „wir“ wie manche andere auch dann, wenn ich mich explizit von den Übeltaten, zu denen Menschen im Stande sind, nicht ausnehmen möchte: Gier / Hass / Ignoranz  kenne bzw. kannte ich aus dem eigenen Leben und das typische Beispiel, um das für Deutsche zu verdeutlichen, heißt: wer weiß denn von sich, wie er/sie gehandelt hätte, damals im 1000jährigen Reich? Und ne Nummer kleiner: Korruption basiert auf dem Verlangen, lieber Freunde mit Aufträgen zu begünstigen als irgendwelche Fremden – wer kann sagen, er sei völlig frei von diesem Impuls? Und wer steht auf und weigert sich, in einem guten Job die letzte Arbeitsanweisung zur Verbreitung des neuen Finanzprodukts (versehen mit dollen Prämien) zu vollziehen? Wenn das doch alle machen und ganz normal finden, ja sogar die Regierung das ok findet?

    Schon Marx wusste, dass es nicht darum geht, den Kapitalisten zum „guten Menschen“ zu machen, denn er ist nicht per se ein „Böser“, sondern tut nur, was in seinem Umfeld anliegt und ganz selbstverständlich erscheint (Geld lukrativ anlegen z.B.).

    Meine Erfahrung ist, dass die Trennung „wir“ versus „ihr“ (->Schweinesystem, Bonzen, Bullen, Kapitalisten, böse Banker…) umso leichter fällt, je jünger man ist. Das ist auch ganz ok so, jemand muss ja richtig wütend werden können, sonst bewegt sich nichts. Und dafür BRAUCHT es die Trennung wir/ihr….

    Und hier noch ein Zitat aus dem Leitartikel der Print-ZEIT „Wut ohne Empfänger“:

    „Und selbst die linken Splittergruppen, die in Berlin und Frankfurt am letzten Wochenende vor dem G20-Gipfel aufmarschierten, hatten wenig mehr zu bieten als die brave Steuerbürgerklage: Wir zahlen nicht für eure Krise!

    Tatsächlich zahlen die Bürger schon. Darin liegen die Ohnmacht und der Skandal zugleich: dass der Staat die fallierten Banken und Unternehmen retten muss, aber ein Teil der aufgewendeten Steuergelder als Abfindungen und zugesicherte Boni sogleich in die Taschen jener Manager fließt, die für den Untergang der Firmen verantwortlich sind. Ein schlagenderer Anlass zum Aufstand wäre kaum denkbar. Selbst die Trotzkisten, die immer gesagt haben, für eine Revolution sei es zu früh, weil sich die gesellschaftlichen Widersprüche noch nicht hinreichend zugespitzt hätten, müssten jetzt zugeben, dass die Stunde gekommen ist. Niemals ist der Widerspruch von Kapital und Arbeit eklatanter geworden als in dem Moment, da die Masse der abhängig Beschäftigten den Kapitalismus retten und seinen Profiteuren auch noch ein Handgeld zahlen muss.

    Aber gegen wen sollte sich ihr Aufstand richten? Abfindungen und Prämien waren den Managern vertraglich garantiert, und der Rechtsstaat, der die Erfüllung von Verträgen sichert, ist gewiss nicht der Gegenstand der Empörung. Auch die Führungskräfte selbst, so sehr die Schamlosigkeit ihrer Gier provoziert, sind doch bei nüchterner Betrachtung nichts als Angestellte – keine Kapitalisten, sondern nur die monströs überbezahlten Lakeien des Kapitals. Natürlich können Arbeiter, wie auch schon in Frankreich geschehen, einzelne Mnanager vorübergehend in Geiselhaft nehmen, um bessere Bedingungen für Stellenstreichungen zu erpressen. Aber eine ernsthafte Revolte, wollte sie mehr sein als Folklore, müsste sich ehrlicherweise gegen das System als solches wenden. Das aber scheint niemand zu wollen.

    Und zwar mit guten Gründen. Der empörte Bürger, selbst der arbeitslose oder der um sein Hab und Gut gebrachte Bankkunde, wird sich nicht den Sozialismus wünschen. Er wird vielmehr, wenn er ehrlich ist, zugeben müssen, dass er nur den guten alten Kapitalismus aus der Zeit vor seiner neoliberalen Enthemmung wiederhaben möchte. Und leider, wenn er nicht nur ehrlich, sondern auch informiert ist, wird er wissen, dass die Enthemmung etwas mit dem globalisierten Wettbewerb zu tun hat – keine Frage der Gier alleine, sondern eine des Eintritts neuer Akteure in de Weltmarkt…… Keine nationale Regierung wird er dafür verantwortlich machen können und keinen übernationalen Zusammenschluss, nicht die EU, nicht die G20 und schon gar nicht die Nato….

    Das aber heißt, die Wut läuft ins Leere. Sie hat keinen Empfänger: es sei denn die wirtschaftliche Verfasstheit unserer Welt. Um diese verändern zu wollen – eine veritable Weltrevolution! – brauchte es allerdings eine greifbare Systemalternative. Die letzte, die sich als solche empfehlen konnte, war allerdings ebenjener Sozialismus, der vor unser aller Augen an seiner Untüchtigkeit und Unmenschlichkeit zusammen gebrochen ist: Der Ruin der kommunistischen Staaten- und Gedankenwelt ist die wahre Überlebensgarantie für den angeschlagenen Kapitalismus unserer Tage“.

  24. Vermutlich wird erst der Kollaps den Leidensdruck auf die richtige Höhe treiben.
    Wie Ihr beide sagt, liegt das wahre Problem darin, dass es kein echtes Wir gibt.
    Das war dann wohl auch der Grund, weshalb es so weit kommen konnte.