Claudia am 08. September 2004 — Kommentare deaktiviert für Von der Lust an der Arbeit

Von der Lust an der Arbeit

Mein Problem mit der Selbstdisziplin, von dem der letzte Beitrag handelte, ist wieder einmal vom Tisch: einfach weggefegt, aufgelöst in der Begeisterung für ein neues Projekt, das mir diesen gewissen „Geschmack von Abenteuer“ bietet, der mich beflügelt. Ein Kurs „Erotisch schreiben“ – hätte mir jemand zum Start meiner Schreibimpulse-Kurse vor einem Jahr prophezeit, dass ich „so etwas“ machen werde, ich hätt’s nicht geglaubt! Wie ich dann doch dazu gekommen bin, steht im Artikel „Erotisch schreiben – vom Spannungsfeld zwischen Lust und Literatur“. Bemerkungen, Tipps, Fragen und Meinungen zu dieser Kurspräsentation sind sehr erwünscht! (auch per Privatmail).

* * *

Wenn ich mein Verhältnis zum Arbeiten insgesamt betrachte, dann sehe ich, dass ich Arbeit als „notgedrungenes Muss“ immer schon gern vermeiden wollte. Lange Zeit glaubte ich, ich sei schlicht „faul“, weil es ja so normal zu sein schien, Dinge zu arbeiten, an denen man nicht das geringste persönliche Interesse hat. Verwaltungskraft in einer Behörde, Mitarbeiterin in einer großen Firma – nichts fand ich abschreckender als so einen „9 to 5-Job“, von denen ich einige während des Studiums aus der Nähe besichtigen konnte.

Also versuchte ich zeitlebens, mit dem Geld zu verdienen, was mir gerade Spaß machte. In den Jahren des Stadtteil-Engagements hatte ich „prekäre Honorarjobs“ auf niedrigem Niveau. Geld und Sicherheiten waren mir egal, ich ging in der Arbeit auf, was wollte ich mehr? Als es mir dann mal gelungen war, einen großen öffentlichen Auftrag für unseren Verein an Land zu ziehen, stellte ich mich selber für ein halbes Jahr an – und ab da kam ich in den Genuss der „originären Arbeitslosenhilfe“: unbefristet wie nirgendwo sonst, im Grunde eine lebenslängliche Rente, in die man bequem „zurückfallen“ konnte, wenn ein befristeter Job zu Ende war. In einer solchen „Lücke“ entdeckte ich dann 1996 das Internet und arbeitete mich begeistert ein. Meine selbst organisierte „Umschulung und Weiterbildung“ zur Webworkerin führte schon bald zu ersten Aufträgen, zudem schrieb ich nebenbei für Printmedien: schlecht bezahlt, aber ich konnte so ziemlich schreiben, was ich wollte: Hauptsache Internet!

Anfang ¨98 konnte ich dem Arbeitsamt ade sagen. Es lief so gut, dass ich nicht einmal das Übergangsgeld in die Selbständigkeit beantragte: Zuviel Papierkrieg für Peanuts! Ein einziger Auftrag brachte mir mehr als die Förderung für ein halbes Jahr ausgemacht hätte, also verzichtete ich dankend. Ich war „auf dem Markt angekommen“ und was ich da erlebte, gefiel mir sehr. Alles lief „wie von selbst“, ich hatte immer wieder neue, interessante Webprojekte, die Kunden fanden sich von alleine ein. 1999 streifte mich sogar der „Net-Hype“: ich verdingte mich als „Art-Directorin“ bei einem kleinen Start-Up-Unternehmen. Als „feste Freie“ verdiente ich ganz kurz soviel wie noch nie zuvor und fühlte mich auf einmal als „besser Verdienende“. Dass ich um das Honorar kämpfen musste, weil mein Auftraggeber von Beginn an an der Pleite entlang schrammte (wer zu spät kommt, den bestraft das Leben), bestätigte allerdings meine Vorurteile: sobald es richtig Geld gibt, beginnt das Hauen & Stechen – dazu hatte ich keine Lust, musste mich schwer überwinden und war dann richtig froh, dass ich den Vertrag kündigen konnte.

Obwohl es nun nicht mehr ganz so locker Aufträge regnete, hatte ich weiterhin mein Auskommen. Doch immer wieder beschäftigte mich die Frage: Soll ich anstreben, zum Geld verdienen „Brotjobs“ zu machen, um daneben dann Zeit zu haben für das, was mir wirklich Spass macht? Oder soll ich versuchen, von dem, was mich am meisten inspiriert und Herzblut kostet, auch zu leben? Beide Vorgehensweisen haben Vor- und Nachteile. Zudem sind sie nicht wirklich zu trennen, solange ich nicht mit einem „Herz-Projekt“ so erfolgreich bin, dass ich nichts Anderes mehr brauche. Doch selbst, wenn das eintritt: Wie lange fasziniert es mich, Monat um Monat dasselbe zu tun? Schnell werde ich zur Angestellten des eigenen Projekts und sehne mich wieder nach „Freiheit“. So richtig „in den Griff“ bekomme ich das Thema Arbeit bisher nicht. Es bleibt ein Spannungsfeld zwischen Lust und Notwendigkeit, auf dem ich mir manchmal vorkomme, wie auf dem Hochseil; insbesondere dann, wenn ich mit Dingen, die es so noch nicht gab, frischfröhlich dem Markt ins kalte Auge sehe (wie jetzt mit dem neuen Kurs).

Harz 4 – der erzwungene „Ruck“

Die unbefristete Arbeitslosenhilfe, die mir einst Zwischenfinanzierung und Starthilfe war, ist nun abgeschafft. Ohne sie hätte ich 1996 meinen befristeten Projektleiter-Job nicht auslaufen lassen, sondern halbtags weiter gemacht. Ich hätte dann eben in der anderen Tageshälfte das Netz erforscht, weniger gemütlich, aber so begeistert, wie ich war, wäre das kein Problem gewesen. Selbst mit Sozialhilfe hätte nichts mich davon abhalten können, meinem Dämon zu folgen…

Ich denke oft an die vielen Menschen, die jetzt genötigt sind, auf die Schnelle etwas zu finden: einen Mini-Job, eine Ich-AG oder was immer. 500.000 sollen es sein, die plötzlich gar keine „Stütze“ mehr bekommen. Diejenigen mit Vermögen und Besitz tun mir weniger leid als diejenigen, die auf einmal vom Einkommen des Partners leben sollen. Was für eine Belastung für die Beziehung, wenn diese bisher keinerlei gegenseitigen Unterhalt umfasst hat! Man hat ja aus guten Gründen nicht geheiratet – und nun das! Ich würde auf jeden Fall lieber auseinander ziehen anstatt zur „Bedarfsgemeinschaft“ zu werden.

Druck von außen – ob er dazu führen wird, dass sich mehr Menschen aufs Neue fragen: Was will ich eigentlich wirklich? Was macht mir Freude? Was ist mein UREIGENES Ding, das mich so fasziniert, dass es mehr Spiel als Arbeit ist?

Ein Freund von mir lebt lange schon von Sozialhilfe und hat von Harz4 (erst mal) nichts zu befürchten. Wir sprechen gelegentlich darüber, was das alles für Wirkungen haben wird, aber auch über das Arbeiten ganz allgemein. Er hält sich für faul, doch ich meine, dieselbe „Pseudo-Faulheit“ in ihm zu erkennen, die mich auch selbst überkommt, wenn mich anödet, was ich da tun soll.

Ich glaube, das merke ich in diesen Gesprächen, dass es für jeden Menschen etwas gibt, was er gerne tut. Aber der Schritt, es auch zu suchen und niemals – arbeitend und nicht arbeitend – nachzulassen, kommt vielen gar nicht in den Sinn. Das wundert mich richtig, denn ein solches Leben im ungeliebten Job oder in der „sozialen Hängematte“ kann ich mir nicht vorstellen. Wo würde ich meine „Kicks“ finden, meine Abenteuer erleben, meine Fähigkeiten ausprobieren und weiter entwickeln? Auch auf das Gefühl, an der Gestaltung der Welt mitzuwirken, das eigene „für besser halten“ tätig einzubringen, könnte und wollte ich nicht verzichten. Auch nicht, wenn ich morgen eine Million auf dem Konto hätte: der Kurs „Erotisch schreiben“ würde trotzdem stattfinden!

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Claudia am 25. August 2004 — Kommentare deaktiviert für Das Rätsel der Disziplin

Das Rätsel der Disziplin

Seit zehn Jahren bin ich nun schon selbständig, arbeite in und mit den Netzen und verbringe den Großteil der Tage vor dem Monitor. Arbeitsfelder und Aufträge entstehen entlang an meinen sich verändernden Interessen, niemand sagt mir, was ich falsch oder besonders gut mache und wo es hingehen soll. Zudem lebe ich allein, muss niemanden versorgen und meine materiellen Bedürfnisse sind bescheiden. Meine Wohnung in Berlin Friedrichshain besteht aus einem großen Arbeitszimmer und einem ebenso geräumigen Wohn- und Schlafzimmer -zum Arbeiten muss ich das Haus also gar nicht erst verlassen: paradiesisch, so hab‘ ich es mir immer gewünscht.

Man sollte meinen, dass alle Probleme, die durch diese Arbeitssituation entstehen können, lange bekannt und gelöst sein müssten, aber weit gefehlt! Ja, ich hab‘ das Gefühl, in mancher Hinsicht bisher nur an der Oberfläche gekratzt zu haben und nicht wirklich in die Tiefe der diversen Schwierigkeiten gedrungen zu sein, die mich immer wieder mal heimsuchen.
Nach der kreativen Flaute der letzten Wochen scheint es jetzt, als gelinge ein neuer Einstieg ins Arbeiten, der mir neue Blickwinkel eröffnet. Zum Beispiel den, dass es bei der Selbständigkeit nicht das Problem ist, die eigene Chefin zu sein, sondern die eigene Angestellte. Für mich eine seltsame Erkenntnis, da mein gesamtes bisheriges Arbeitsleben gerade DAS weiträumig zu umschiffen versuchte.

Immer wieder geht’s um „Disziplin“ – ein mir seit den aufmüpfigen Jugendzeiten eher verhasster Begriff. Natürlich bin ich mittlerweile „gereift“, lebe ziemlich ordentlich, kann zum Beispiel Chaos in meiner Wohnung gar nicht mehr tolerieren, Termine halte ich immer schon pünktlichst ein, sogar in den Papieren nimmt die Ordnung zu. Nur wenn es darum geht, allein aus mir heraus alte und neue Arbeitsfelder zu strukturieren und diese dann auch tatsächlich „abzuarbeiten“, dann beginnen die Probleme. Es ist so leicht, sich vom „eigenen Plan“ ablenken zu lassen, da ist ja niemand, der sagt: Hey, du MUSST das aber bis morgen früh geschafft haben! Ich muss es mir selber sagen – und oft glaub ich mir einfach nicht: Wieso „muss“ ich? Wieso bis morgen???

„Was hältst du von der Disziplin als solcher?“ fragte mich ein Diary-Leser in ähnlicher Situation. Dankbar, den Ball mal von jemand anderem zugeworfen zu bekommen, dachte ich ein wenig drüber nach: Disziplin ist ja eine sogenannte „Sekundärtugend“. Sie dient Zwecken, kann nicht selbst Zweck sein. Darin liegt auch ein Teil meines Problems: ich glaube immer, ich müsste erst großartig „das Ziel wählen“, den Weg und die Stationen bestimmen, und dann…. dann könne ich auch ausreichend Disziplin aufbringen, um das Anstehende zu leisten. Das stimmt sogar, nur dass ich das, was ich tue, wenn ein klares Ziel (am besten mit Termin!) in Sicht ist, nicht mehr wirklich „Disziplin“ nennen kann, sondern eben nur: viel arbeiten… Es braucht dann keine Disziplin mehr, weil ich eben „drin“ bin und jeder Schritt sich aus dem vorherigen ergibt, nach und nach Verbindlichkeiten und Termine auftauchen, die eingehalten werden müssen… kein Problem!

Muss ich? Will ich? Und was eigentlich?

Ein klares Ziel ist üblicherweise ein Auftrag oder ein Schreibkurs. Darüber hinaus fällt es mir schwer, eigene „Meta-Ziele“ zu bestimmen, wie etwa: Wieviel will ich im Jahr verdienen? Wie soll sich das auf die Arbeitsbereiche verteilen? Wie soll mein Leben im günstigsten Fall aussehen? Solche Überlegungen gehören zur Grundausstattung des „Existenzgründer-Wissens“, aber erst jetzt, wo ich es mir wirklich für die eigene Situation auszumalen versuche, geht mir die Komplexität der Frage richtig auf.

Da ich allein selbst bestimme, was ich anstrebe, kann ich ja jederzeit umdenken. Mir ist außerdem bewusst, wie sehr meine LUST an einzelnen Arbeitsbereichen schwanken kann – warum sollte ich mich da „disziplinieren“??? Hab‘ ich nicht mein Leben lang dran gearbeitet, mich zu „befreien“, mich nicht festnageln zu lassen auf langweilige Routinen des Immergleichen?

Man kann hier gut beobachten, wie eine jahrzehntelang gepflegte „Eigen-Konditionierung“ bei Erfolg ins Negative umschlagen kann: Irgendwann ist wahrhaftig genug „befreit“! Wenn die disziplin- und planungsfeindliche Grundhaltung dann einfach beibehalten wird, wird sie zu einer Beschränkung des eigenen Potenzials.

Im Moment versuche ich, mich aus dem vor der Sommerpause beschriebenen „kreativen Leerlauf“ heraus zu bewegen, indem ich an drei Punkten ansetze: bei der „Arbeitsstimmung“, bei den „Zielen“, und beim „Durchfluss der Werte“.

Es wird ja immer gern geraten: Stell dir deine Ziele verwirklicht vor, male dir den Idealzustand aus, dann hast du die psychische Energie, die Mühen der Ebene durchzustehen! Dem hab‘ ich mich bisher nach nur kurzer Prüfung verweigert, weil es meinem Selbstbild und der Art, wie ich es gewohnt war, mit mir selber umzugehen, widerspricht. Schließlich bin ich ganz erfolgreich darin, mit dem, was ist, glücklich und zufrieden zu sein. Diesen „Seelenfrieden“ soll ich des schnöden Mammons wegen wieder aufs Spiel setzen? Bewahre! Schließlich hab‘ ich kaum materielle Wünsche, sehne mich nicht nach mehr Konsum – und das ist doch gut so! Oder doch nicht?

Hätte ich nicht immer wieder finanzielle Durststrecken, könnte man ja meinen: ok. Lass‘ alles, wie es ist, klappt doch gut! Da dem NICHT so ist, stimmt zwangsläufig auch etwas am Selbstbild und an den Umgangsweisen mit den Problemen nicht: Zumindest soviel Einkommen sollte sein, dass ich mich auf meine Wunsch-Arbeiten konzentrieren kann und nicht ständig davon abgelenkt werde. Das ist doch ein durchaus materielles Ziel! Und – darauf bin ich erst neuerdings gekommen! – wenn mir nicht genug „Verbesserungswünsche“ für mich persönlich einfallen, dann ist es vielleicht angesagt, endlich die Bauchnabel-Perspektive zu verlassen und an Andere zu denken. Nicht zuvorderst im Sinne des Spendens für soziale oder andere bedürftige Projekte, sondern ganz konkret im Freundeskreis. Ich würde gerne Geld und materielle Gegenstände VERSCHENKEN können – und zwar ohne dass es mir weh tut! Gerne würde ich auch mal teurere Aktivitäten unternehmen, nicht allein, sondern mit Anderen, die sich „so was“ nicht leisten können oder wollen. Und kaum beginne ich, SO zu denken, fallen mir jede Menge Wünsche ein!

Geben & Nehmen

Im Kleinen hab‘ ich schon angefangen, Dinge abzugeben. Gegenstände, die etwas wert sind, die ich selbst aber nicht mehr dringlich benötige. Sie weiter zu geben an Leute, die sie gut brauchen können, ist sehr viel glückbringender als das Verkaufen und Restwert einstecken. Ich bin ja selbst im Lauf des letzten Jahres von verschiedenen Menschen reich beschenkt worden – da will ich auch mal mitmachen können!

Ich spüre, wie mich jeder Akt des Abgebens motiviert, meine Arbeits- und Einkommenssituation zu verbessern – und damit habe ich allen Grund, den „Nehmern“ dankbar zu sein. Das Nehmen fällt nämlich vielen genauso schwer, wenn nicht schwerer, als das Geben. Das hab‘ ich ja selber erst lernen müssen, hab‘ es mir Anfang 2003 regelrecht verordnet wie einem kranken Gaul: Jetzt sagst du mal zu allem „Ja“, was sich dir anbietet, nimmst alles an, was dir geschenkt wird, überwindest endlich dein Misstrauen, eingekauft und eingefangen zu werden!

Die Unfähigkeit, Geschenke anzunehmen, weil man Verstrickungen und Pflichten fürchtet, findet im eigenen Kopf statt – und DA hab‘ doch eigentlich ICH das Sagen!

Die so erreichte Veränderung der inneren Haltung hat dazu geführt, dass ich in der Folgezeit gewaltig beschenkt wurde, man glaubt es kaum! Und nicht nur von einer Person, nicht einmal nur von Nahestehenden. Es wirkte wie eine Art Wunder – und jetzt kann ich nicht nur annehmen, sondern hab‘ auch große Lust, abzugeben. Es ist, als erzeugte ich durch das Abgeben einen Sog, dass wieder etwas herein kommt: Egal wie, unter anderem mittels eigener Arbeit, zu der ich „wie durch Zauberhand“ auf einmal weit besser motiviert bin.

Es muss – um mal einen gesellschaftlichen Bezug herzustellen – nicht JEDER arbeiten, um so „sein Glück zu schmieden“. Es genügt, dass diejenigen, die wie ich GERNE arbeiten, genug verdienen und genug abgeben. Der innere und äußere Reichtum einer Gesellschaft zeigt sich darin, wie viele Nicht-Arbeitende sie sich leisten kann. In anderen Kulturen erhält die arbeitende Bevölkerung zum Beispiel einen hohen Prozentsatz von Nonnen und Mönchen – und zwar mit Freude! Daran sollten wir uns ein Beispiel nehmen und nur versuchen „Arbeitswillige“ in Arbeit zu vermitteln – und nicht sämtliche „Arbeitsfähigen“.

Die Stimmung macht’s…

So richtig „diszipliniert“ bin ich immer noch nicht. Letztlich weiß ich gar nicht, was für ein inneres Potenzial damit eigentlich gemeint ist. Selbst jetzt, wo ich wieder einmal eine neue Art teste, meine Arbeitswoche zu strukturieren, um effektiver zu sein, empfinde ich das nicht als harte Disziplin, weiß gar nicht, wie das geht. Wenn ich zu arbeiten beginne, setze ich mich erst still hin und lausche in mich hinein. Stelle mir die Dinge vor, die jetzt anstehen und betrachte sie eine kleine Weile. In dieser „Kurz-Versenkung“ entfalten die Vorhaben dann eine Eigendynamik, werden farbiger und verlockender, zeigen ihre abenteuerlichen Aspekte – und damit ist der Punkt erreicht, an dem ich loslege.

Ist das Disziplin? Vermutlich nicht. Aber ich muss mit dem leben und arbeiten, was ich kann, nicht mit dem, was ich können sollte.

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Claudia am 30. Juli 2004 — Kommentare deaktiviert für Vom kreativen Leerlauf

Vom kreativen Leerlauf

In meinen Schreibkursen gebe ich manchmal die Aufgabe, den „inneren Kritiker“ zu Wort kommen zu lassen. Es entstehen dann lustige Texte, in denen sich diese „Teilwesenheit“, die nichts im Sinn hat außer Nörgeln und Niedermachen, voll ausleben darf. Besonders für Anfänger ist es eine tolle Übung, sie befreit von der Dominanz dieses Kritikers und zeigt, dass niemand anders als der Autor bzw. die Autorin in den inneren Welten letztlich das Sagen hat. Der Kritiker ist Dienstpersonal, man kann ihn rufen, wenn man ihn braucht, ihm aber auch für eine gewisse Zeit den Mund verbieten.

Für mich ist dieses spezielle „Gespenst“ kein Problem mehr, dafür kann mich eine andere Teilwesenheit aus dem inneren Kosmos zur Weißglut treiben: die „Kreative“. Ich sollte sie vielleicht besser die „Kreativ-Maschine“ nennen, eine, die sich selber einschalten kann und nur mit größter Mühe zum Stoppen zu bringen ist.

Ideen haben, womöglich ganz neue, Konzepte und Projekte entwerfen, die einigermaßen Hand und Fuß haben, all das gilt in der Infogesellschaft als hoher Wert. Ist ja auch schön, wenn einem leicht „was einfällt“, etwas, das tatsächlich „umsetzbar“ erscheint und gleich auch Spass, Spannung, ja sogar Möglichkeiten, Geld zu verdienen in Aussicht stellt.

Was aber, wenn sich solche Ideen und Projekte „am laufenden Band“ ins Bewusstsein drängen? Wie soll ich damit umgehen? Kaum ein lockeres Gespräch, zu zweit oder zu mehreren, in dem meine Ideenmaschine nicht anspringt: man könnte doch auch… wie wäre es denn mit… mal angenommen, man würde… – und schon bin ich mitten drin, im Kopf entsteht ein tolles „Projekt“, fächert sich auf in schillernde, verführerische Möglichkeiten. Je nachdem, wer gerade mein „Kreativpartner“ ist, entwickeln sich in Windeseile ganze Jahresprogramme möglicher Aktivitäten, die sich, wenn ich sie einzeln bedenke, durchaus weiter auffächern in noch mehr „interessante Projekte“. Im Kopf hab‘ ich so schon jede Menge Arbeitsplätze geschaffen – warum zum Teufel wird davon sowenig Wirklichkeit?

Können? Wollen?

Es liegt nicht an mangelnden Fähigkeiten. Ich KANN umsetzen, wenn ich… ja WAS???? Was ist es, das aus Ideen und Plänen Wirklichkeit schafft? Ich beobachte das schon lange, versuche, heraus zu spüren, was es ist, das mich zu Taten treibt oder, wie in den meisten Fällen, einfach zur Tagesordnung übergehen lässt, bis zum nächsten „Anfall“.

Erfolge kann ich bei dieser Beobachtung noch kaum vorweisen. Es ist, als stocherte ich in einer Nebelbank herum, die mir die Sicht vertellt. Wenn ich nichts sehe, kann ich nur denken, nur spekulieren, und das ist ein sehr begrenztes Instrument in Sachen Selbsterkenntnis.

Immer wieder erlebe ich, dass meine Ideen nur wenig später von anderen verwirklicht werden. Klar, es gibt viele kreative Geister und die Themen liegen quasi „in der Luft“. Einerseits fühle ich mich dadurch bestätigt: Ich spinne nicht nur wild herum, meine Ideen sind tatsächlich „machbar“. Andrerseits frag ich mich: Warum machen es Andere, während ich weiter hier herum sitze, meine üblichen Aufgaben abarbeite und zeitweise lieber nicht auf den Kontostand gucke?

Bin ich schlicht zu faul? Was ist Faulheit? Ich gehöre zu denen, die lieber arbeiten als ausspannen, denen der reine Müßiggang nur kurze Zeit Freude macht. Gelegentlich muss ich mich geradezu zwingen, mich vom Computer zu entfernen und mir mal die Beine zu vertreten. Vor dem Monitor bin ich „im Cockpit der Macht“ – aber was MACHE ich wirklich? Jetzt zum Beispiel schreibe ich Diary, zuvor war der morgendliche Mail-Check dran, eine kurze Antwort an jemanden, der vielleicht demnächst seine Website umgebaut haben will. Mehr „Arbeit“ war da fürs erste nicht. Nachher werde ich die Texte meiner Kursteilnehmer kommentieren und neue Schreibaufgaben stellen. Meinen alten PC muss ich heut‘ auch noch verpacken, denn mittags holt ihn ein befreundeter Familienvater ab, der ihn dringlich für seine Kinder braucht. Wie schön: ich kann einer Familie nützen, ein bisschen Stress abbauen helfen mit einem Gerät, das bei mir nur sinnlos Platz wegnimmt.

Und dann? Das ist für heute das „Minimum“. Jeder Tag beinhaltet so ein Minimum absolut zwingender „To-Dos“, die ich auf jeden Fall abarbeite. Jenseits dieser unaufschiebbaren Dinge liegt dann das Feld der „auch noch anstehenden“ Aufgaben: weniger dringliche, aber doch klar definierte Arbeiten: ein Update auf Schreibimpulse.de, ein bisschen Pflege für eine Kunden-Website, ein Brief ans Finanzamt (ihhhh!) – wenn ich länger überlege, kommt da einiges zusammen, teils sind es reine Idiotenarbeiten, teils Dinge, die mich kreativ fordern und auch Freude machen, wenn ich erst mal „drin“ bin. WENN….

Heute ist Freitag, sagt eine innere Stimme. Wochenende! Gönn dir einen frühen Schluss, geh‘ raus und genieße den Sommer! Richtig ranklotzen reicht auch ab Montag noch gut – und wenn’s dir danach ist, kannst du ja auch Samstag mittag oder Sonntag früh was tun, in diesen wunderbar stillen Stunden, in denen niemand aus der Arbeitswelt mit Recht etwas von dir wollen kann!

Je nachdem, wie erfolgreich diese Schluss-für-heut-Stimme ist, komme ich an einem ganz normalen Tag von den unaufschiebbaren Arbeiten zu mehr oder weniger „anstehenden“ Aufgaben. Und dann gelüstet es mich nach „Freizeit“, wobei es mir meistens reicht, mal kurz einkaufen zu gehen, mir was zu kochen oder draußen zu essen. Wenn ich dann nicht verabredet bin, lande ich schon bald wieder vor dem PC, auch mal vor der Glotze, oder ich leg mich mit einem Buch ins Bett. Ah, endlich nicht mehr sitzen!

So sind meine „ganz normalen Tage“.. Sie haben ihre eigene Schwerkraft, ihre beflügelten und eher langweiligen Phasen. Ich schaffe mehr oder weniger, bin entsprechend zufrieden oder unzufrieden mit mir – aber dahinein nun allein aus mir heraus ein neues Projekt zu platzieren, scheint so entlegen, wie zwischendurch mal eben auf den Teufelsberg zu steigen. Ja, der Teufelsberg ist tatsächlich näher, denn er bietet immerhin körperliche Abwechslung.

Begeisterung und innere Filter

Für ein neues Projekt brauche ich auch fürs Umsetzen den inneren Kontakt zur Begeisterung, die ich beim „Ausspinnen“ empfinde. Zumindest, um damit zu beginnen. Bin ich mal drin, entfaltet sich die Freude am kreativen Tun von selber, da muss ich mich dann nicht mehr groß kümmern. Aber wie gelange ich dahin, zu diesem ernsthaften „Beginnen“?

In vielen Fällen zeigt mir ein nüchterner Blick auf das neulich noch so begeistert entwickelte Ideen-Werk: Ja, das ist gar nicht schlecht, sogar durchaus realisierbar – aber will ich das? Will ich tatsächlich im Rahmen dieses Vorhabens monatelang arbeiten und Verantwortung tragen? Wird mir das Tun als solches wirklich Freude machen? Will ich die Menschen, die ich dafür treffen muss, wirklich sehen und für sie arbeiten? Es ist eine Sache, eine „Zielgruppe“ ins Auge zu fassen, die vielleicht diese oder jene Dienstleistung gut brauchen könnte – eine andere Frage ist, ob ich mit dieser Zielgruppe persönlich etwas zu tun haben will.

Oder, das kommt auch vor, die Idee führt mich zu weit weg von den Arbeitsfeldern, die ich gut kenne. Luxuswohnungen an reich gewordene Chinesen zu verkaufen ist gewiss eine gute Idee, zum Marketing fällt mir auch jede Menge ein – aber meine Erfahrungen und Kompetenzen als Immobilienhändlerin sind nun wahrlich nicht groß! Klar, ich könnte mit meinen Ideen zu einem Makler gehen, der solche Wohnungen anbietet – aber es ist erst mal eine „Hürde“, ein neues Feld, auf das ich mich innerlich einstellen müsste. Und meistens liegt es dann weit näher, „das Übliche“ zu tun und nicht das Neue.

Der Druck, Geld zu verdienen, motiviert mich nicht dazu, mit neuen Projekten anzufangen, sondern drückt mich eher dahin, die schon vorhandenen Dienstleistungen auszubauen: neue Webdesign-Kunden finden, wenn man eine lange Latte Referenzen zeigen kann, erscheint sehr viel erfolgversprechender als das mit den Chinesen! :-) Endlich die Schreibkurse für den Herbst ins Web stellen liegt weit näher, als einen „Gedicht-Shop“ zu realisieren (nein, nicht einfach Gedichte verkaufen, das läuft nicht – aber…. das verrat ich jetzt nicht, vielleicht mach‘ ich’s ja doch noch mal!).

Träge Sommertage

Entweder, die Ideen scheitern aus solchen Gründen, oder aber – meistens! – versacken sie einfach im Alltag. Sobald ich morgens Mail abrufe, bin ich mitten drin im Business as usual, und damit auch in einem Bewusstseinszustand „wie gewöhnlich“.

Aber im Gewöhnlichen erschafft sich das Neue nicht! Wenn ich das will, muss ich mir nicht nur „einen Ruck geben“, sondern dafür sorgen, mir den Zustand der Begeisterung zu erhalten, bzw. ihn neu zu erzeugen, wenn ich mit der Arbeit beginne.

Einmal hat das schon gut geklappt. Ein lieber Freund hat mich als Coach dazu bewegt, morgens nicht mit „dem Üblichen“ zu beginnen, sondern mit dem Neuen: Frech das eigene, gerade mal als Ideensammlung vorliegende Vorhaben mitten in die Hauptarbeitszeit legen. Das hat es gebracht! So ist im Sommer 2003 das Kursprojekt schreibimpulse.de entstanden, das ich auch tatsächlich als „zweites Bein“ in meiner Arbeitswelt etablieren konnte. Es macht wirklich Freude und ich entwickle es weiter, aber ich kann es zeitlich nicht so verdichten, dass es mehr Einkommen bringt. Mein inneres Potenzial, mit Gruppen zu arbeiten, ist begrenzt, ich kann mich nicht vervielfachen, brauche Pausen und Phasen „ohne Gruppe“.

Also wär‘ eigentlich das nächste Projekt dran. Ein „drittes Bein“ – aber welches? Unermüdlich arbeitet die innere Kreativ-Maschine, nutzt jeden inspirierenden Dialog, um ihre Einfälle in die Welt zu bringen, die dann auf die beschriebene Weise an den persönlichen „Filtern“ scheitern oder im Alltag versacken.

Der Sommer ist eine Zeit allgemeiner Verlangsamung. Das Draußen lockt, viele sind in Urlaub, alles Organisatorische zieht sich länger hin als sonst – es ist, als hätte die Welt auf einmal einen längeren, entspannteren Atem. Eine schöne Zeit! Aber gleich danach, das kenn ich schon gut, folgt eine Phase verstärkter Aktivität. Im frühen Herbst geht es wieder richtig los. Und ja, ich würde gerne mitgehen, zu neuen Ufern aufbrechen, eines meiner Projekte umsetzen – aber WIE überwinde ich nur dieses innere „Hängertum“?

Es beobachten ist das erste, drüber schreiben das zweite. Schon viele Male hat sich dann „etwas ergeben“, als gäbe es eine innere Instanz, die man nur genug in den Hintern treten muss – oder sie anbetteln: Nun mach doch bitte mal!!! Und irgendwann passiert er dann ganz plötzlich: der „Ruck“, der erste Schritt in die Verwirklichung, der die nachfolgenden leicht macht.

Na, ich arbeite dran und hoffe das Beste. Noch ist ja Sommer…

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Claudia am 24. Juli 2004 — 7 Kommentare

Fünfzig

Gestern also mein Geburtstag, wie immer ohne „besondere Aktivitäten“ – im Gegenteil, ich blieb den ganzen Tag allein, hatte nicht viel zu tun, und konnte es mir so richtig gut gehen lassen. FÜNFZIG – beeindruckt mich das? Höchstens im Sinne eines kleinen Staunens: was die nur alle haben, die sich so vor den runden Geburtstagen fürchten!?

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Claudia am 16. Juli 2004 — Kommentare deaktiviert für Zärtliche Entsagung

Zärtliche Entsagung

Vor über 15 Jahren lernte ich meinen „liebsten Freund“ kennen. Diesen Titel hab ich schon bald für ihn erfunden, weil er – genau wie unsere Beziehung – in keine Schublade passte.
Wir waren (und sind) kein Paar, aber auch nicht nur Freunde, vielleicht so etwas wie „Wahlverwandte“, aber das passt auch nicht so recht. Klingt viel zu leidenschaftslos,
zu cool.

Leidenschaft? Das übliche „Entbrennen zwischen Mann und Frau“ war es nicht – davon hatte ich gerade genug, als ich mich eines Abends neben ihn setzte. Hochwichtige konfliktreiche Beziehungen lagen hinter mir, eine nach der anderen, seit den Teeny-Jahren. Liebe als Kampf um das Sagen, endlose Streitigkeiten, euphorische und deprimierte Phasen, Liebe, die in Hass umschlägt, innere Leere und Verzweiflung, immer wieder Hoffnung und Enttäuschung, selten eine „Hoch-Zeit“ – halt all das Schöne und Schreckliche, das den gewöhnlichen Geschlechterkrieg ausmacht, zumindest in der ersten Lebenshälfte.

Dann saß ich neben ihm, Abend für Abend. Wir plauderten, philosophierten über Gott und die Welt – ich bewunderte ihn, aber ich verstand ihn nicht. Und gerade das faszinierte mich. Er war mir ein Rätsel.

Ein Mensch, der nichts will und nichts vorhat – gibt es das? Sollte ich das glauben? Dass er von mir nichts wollte, war spürbar, und doch hatte ich den Eindruck, dass er zumindest unsere Gespräche mochte. Sonst saß er immer alleine an einem kleinen Tisch, ein Glas Wein vor sich, und schaute so vom „Rand des Geschehens“ auf all das Getriebe, das in einer
Berliner Kiez-Kneipe die Menschen umtreibt. Unberührt, ohne Verlangen, ganz zufrieden mit dieser Art Rand-Existenz.

Seine Eltern waren früh gestoben und das Erbe versetzte ihn in die Lage, den Verstrickungen aus dem Weg zu gehen, die ein Arbeitsleben mit sich bringt. Er lebte von seinem Bankkonto, kaufte gern mal den Rosenverkäufern den ganzen Strauß ab, spendete Geld, wenn jemand ihn darauf ansprach, aber ansonsten war es ihm egal. Er machte sich auch nie Gedanken, wie er es erhalten oder gar mehren könnte – ich konnte nur den Kopf schütteln über soviel weltfremde
Naivität und Sorglosigkeit. Meine größte Sorge war, er könnte denken, ich sei hinter seinem Geld her – dabei liebte ich ihn doch nur.

Er war mir wie eine kühle Quelle nach einem langen anstrengenden Marsch durch glühende Wüsten und Steppen. Bei ihm konnte ich „einfach da sein“, ohne befürchten zu müssen, von ihm be- oder verurteilt zu werden. Er verlangte nichts, begehrte nichts, allenfalls musste ich aufpassen, ihn nicht durch allzu vieles Reden, durch heftige Emotionen und mein gesamtes damaliges Engagement in 10.000 Dingen und zig Projekten zuzutexten. Ich lernte, auf mein Gegenüber zu achten, lernte zuhören und auch mal zu schweigen. Zusammensitzen und den Rest der Welt beobachten – nie hätte ich gedacht, dass das so angenehm sein könnte!

Ich versuchte mit aller Kraft, das Rätsel zu lösen. Ich forschte, fragte ihn aus, scannte sozusagen sein gesamtes Leben, Denken und Fühlen, immer auf der Suche nach etwas, das er vielleicht doch ersehnte, wenn auch ganz im Geheimen. Aber da war nichts, allenfalls eine leise Melancholie, die ihn umgab wie ein ganz besonderer Blumenduft. Betörend – aber weit weg von der Art Leidenschaft, Liebe und Sex, wie ich sie kennen gelernt hatte. All das war viel zu grob für ihn, zu drastisch, zu handfest und folgenreich. „Wenn man drüber reden muss, ist es eh schon zu spät“ – solche und ähnliche Sätze sagte er oft. Mich trafen sie wie ein eisiger Hauch, denn ich glaubte noch an das Machbare, an den Sinn des Sich-Anstrengens und daran, dass es immer eine Lösung gibt, die allen Seiten gerecht wird. Er dagegen verzichtete von vorneherein, erwartete von sämtlichen „Realisierungen“ nichts Gutes, jede Verwirklichung möglicher Wünsche war ihm nur Weg in die Entzauberung, lieber blieb er am Rand und schaute zu. Ein Blickwechsel unter Fremden – davon konnte er richtig schwärmen. In der Fremdheit läge die größte Wahrheit, sagte er, und alles, was danach komme, alles Bemühen, das Fremde zum Bekannten zu machen, führe in Verstrickung und Leid.

Er hat mich verändert, ohne jedes Wollen mehr beeinflusst als irgendjemand bis dahin. Was er sagte und wie er lebte erschreckte mich, zog mir den gewohnten Boden unter den Füßen weg. Und doch klebte ich an ihm wie eine Klette, hatte ja so sehr die Nase voll von meinem gesamten Wollen und Machen, meinen Engagements, meinen vielen Kämpfchen um dies und das, von all diesen kräftezehrenden, Herz-verletzenden, gierigen und rücksichtlosen Zwischenmenschlichkeiten, die als „normal“ gelten. Er war mein Licht in der Finsternis, in der ich mich verirrt hatte, doch es war ein „schwarzes Licht“: die Wärme musste ich mir oft dazu denken; was es erhellte, war kein Weg, sondern die Leere.

Mein liebster Freund – durch ihn hab‘ ich verstanden, was Zärtlichkeit ist. Eine unendlich sanfte Berührung, die nichts will. Nicht formen, nicht besitzen, nichts erreichen, nichts vermeiden, nichts kritisieren, nichts ändern. Ein seltenes Geschenk.

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Claudia am 09. Juli 2004 — Kommentare deaktiviert für Einstürzende Altbauten: meine Liebe zum Mann

Einstürzende Altbauten: meine Liebe zum Mann

Vor etwa sieben Jahren traf ich einen Mann im „richtigen Leben“, der mir über das gemeinsame Thema „Netzliteratur“ per E-Mail zum Freund geworden war. Zwanglos hatte sich ein Besuch ergeben, er bekochte mich ganz wunderbar, wir plauderten, tranken Wein und gingen auch eine Runde spazieren.

Während ich mit ihm so durch die Stadt wanderte, fiel mir auf, dass er stets darauf achtete, links von mir zu gehen. Das ergab sich nicht „von selber“, denn – das bemerkte ich jetzt erst – ich neigte ganz automatisch dazu, selbst links von ihm gehen zu wollen. Bei jeder Kreuzung, an der wir anhielten, vor jedem Schaufenster, in das wir hinein sahen, beim Überqueren einer Straße – überall, wo ein Seitenwechsel beiläufig möglich war, fand ich mich schnell wieder zu seiner Linken. Was er dann jeweils bei nächster Gelegenheit wieder korrigierte.

Ich wunderte mich und fragte ihn, warum er denn immer links von mir gehen wolle. Es war die reine Höflichkeit, wie sich herausstellte, eine alte Benimm-Regel, für ihn ebenso selbstverständlich wie das Aufhalten der Tür für die Frau an seiner Seite.

Natürlich tat ich ihm den Gefallen, lief rechts von ihm, bemerkte aber zu meinem Erstaunen, dass ich mich dabei nicht so recht wohl fühlte. Dieses Empfinden war so subtil, dass es normalerweise gar nicht ins Bewusstsein tritt. Ich fühlte mich unsicher, irgendwie eingeschränkt, unruhig, und zwar ganz unabhängig davon, auf welcher Seite des Gehsteigs ich „rechts von ihm“ zu laufen hatte. (Die Benimm-Regel, in der das Ganze nach seinem Wissen wurzelte, erlaubt nämlich Variationen: der Mann geht immer auf der „Gefahrenseite“, dann ist auch mal „rechts von der Frau“ in Ordnung.)

Solche Dinge hätten mich nur wenige Jahre zuvor allenfalls belustigt, noch früher hätte ich mich darüber aufgeregt: wie kommt bitte irgend jemand dazu, mir als Frau vorschreiben zu wollen, wo und wie ich durch die Straßen zu laufen habe, bloß weil ein Mann an meiner
Seite geht? Die Idee, ich könne mich nicht selber „vor Gefahren schützen“, nicht mal im Straßenverkehr, den ich seit meiner Kindheit ohne Probleme selbständig meistere, kann frau ja wohl nur als patriarchalisch motivierte Anmaßung begreifen!

Glücklicherweise hatte ich sowohl die reflexhafte Ablehnung tradierter Höflichkeitsformen (70ger Jahre!) als auch die grobschlächtige Feministinnen-Brille schon einige Zeit hinter mir gelassen. Mein Freund hatte mich auf etwas aufmerksam gemacht, das mit einem mir unerklärlichen inneren Empfinden korrespondierte und mit solch schlichten Erklärungen nicht abzuhaken war.

Ich schaute also genauer hin, beobachtete mich, wann immer ich mit einem Mann durch die Straßen lief, spürte den Gefühlen nach, und bemerkte nun auch, dass der Mann, mit dem ich zusammenlebte, seinerseits „automatisch“ auf meine rechte Seite strebte und es gar nicht mochte, wenn ich das mal änderte.

Wie eigenartig! Die Verhaltensweisen, die ich da entdeckt hatte, verlaufen üblicherweise gänzlich unbewusst. Niemand denkt darüber nach, es geschieht einfach, und wenn man fragt, weiß der Andere meist selber nicht, warum er die eine oder andere Seite bevorzugt.

Eine Zeit lang beobachtete ich das weiter, wechselte auch mal bewusst die Seite, probierte aus, ob es bei verschiedenen Männern anders war oder immer gleich. Aber egal, wo und mit wem, ich klebte „links von ihm“ und fühlte mich rechts unwohl. Die erste Beobachtung bestätigte sich in jedem Fall.

Stärke zeigen

Was be-deutet mir das? Natürlich dachte ich darüber nach und bildete mir eine Meinung: Ich bin Rechtshänderin, die Rechte ist meine „starke Seite“. Würde ich mich verteidigen müssen, würde ich den rechten Arm schützend vor mich halten, müsste ich gar zuschlagen, käme das erst recht nur „mit Rechts“ in Betracht. Die „Gefahr“, der ich mich unbewusst „stelle“, so folgerte ich, geht nicht vom Straßenverkehr oder draußen vom Walde aus, sondern vom Mann an meiner Seite. Wobei das Wort „Gefahr“ hier aber NICHT hauptsächlich die Gefahr eines Angriffs meint, sondern alles einschließt, was man als „Gefährdung meiner inneren Ruhe“ verstehen kann, zum Beispiel auch „die Gefahr, ihm nicht zu gefallen“.

Der Mann, mit dem ich plaudernd oder schweigend durch die Straßen laufe, ist in diesem Moment das Wichtigste für mich, wichtiger als die Eindrücke aus der Umgebung und wichtiger als mein eigener innerer Monolog. Also fühle ich mich am Besten, wenn ich meine größte Stärke, meine maximale Kompetenz IHM zuwende – das gilt selbst dann, wenn er auf diese oder jene Weise „schwächer“ ist als ich, z.B. weniger „weltmächtig“. Die „Gefahr“, der ich mich mit der rechten Seite zuwende, ist in diesem Fall nicht die eigene innere Unsicherheit, sondern die „Sorge“ um sein Wohlergehen, manchmal auch eine Mischung aus beidem.

Diese kleine Beobachtung beschäftigte mich eine Zeit lang, dann achtete ich nicht weiter darauf. Ich hatte ja nicht vor, durch äußeres Anders-Verhalten irgend etwas zu ändern, das offensichtlich von innen kommt. Warum hätte ich auch etwas ändern sollen? Ich zeigte IHM (= jedem Mann…) meine Stärke und das war doch gut so!

Rechts von IHM

Dass sich im Lauf der folgenden Jahre mein Mit-einem-Mann-Sein drastisch veränderte, bemerkte ich wiederum erst hinterher. Als ich nämlich neben dem geliebten, begehrten und bewunderten „Mann meiner Träume“ durch die Straßen lief: rechts von ihm! Nicht zufällig, sondern weil ich mich dabei wohler fühlte. „Links gehen“ fühlte sich auf einmal gar nicht mehr gut an. Ich hatte nur Augen für ihn, er war im Zentrum meiner Aufmerksamkeit – und doch musste ich ihm deshalb nicht meine aktionsbereite Rechte zuwenden!

Da mir erst mal JEDER Mann, dem ich je intensiv nahe komme, als „Mann meiner Träume“ begegnet, konnte diese Veränderung nicht etwas sein, das speziell von diesem Geliebten gekommen wäre. Eher hatte ich IHN dafür erwählt, es mit ihm zu erleben.

Was? Eine vollständige Öffnung und Hingabe, das Zusammenfallenlassen sämtlicher Mauern, die gegen „den Anderen“, speziell gegen „den Mann“ in meiner Seele standen. Einige Teile dieser inneren Festung waren immer schon da gewesen, andere hatte ich aufgrund schlechter Erfahrungen selbst erbaut. Ein paar äußerst standfeste Abwehranlagen verdankte ich auch der Auseinandersetzung mit Strömungen meiner Zeit, vor allem dem Feminismus. Alles in allem war es eine ordentliche und starke Burg, die mich erfolgreich gegen Verletzungen und allerlei Missbrauch schützte und mir dadurch den nötigen Freiraum gab, aus mir heraus zu leben: zu tun und zu denken, was ICH für richtig hielt, auch wenn ich dem Wort geliebter Männer immer schon größte Bedeutung beimaß.

Mauern, die nicht mehr benötigt und deshalb nicht mehr ausgebessert werden, beginnen zu bröckeln. Auf einmal stehen da nur noch Ruinen herum, deren Überreste der freien Bewegung im Wege sind, fertig zum Abräumen. Wie wunderbar, wenn dann auf einmal ein Frühlingssturm kommt und alles zu Sand zerfallen lässt!

Jetzt erst war ich wirklich frei: nicht mehr bestimmt von den Lasten der Vergangenheit und vom Manipulieren-Wollen der Zukunft, frei von Ideologien und dem, was „man so tut“, ganz allein mit mir selbst und meinem geliebten Gegenüber.

Seither kann ich das leben, was ich immer schon suchte, ohne es zu erkennen: Mich der Liebe hingeben, dem Verlangen nach Verschmelzung und Vereinigung folgen, indem ich „mich“ beiseite lasse; das nörgelnde, Bedenken-tragende, abrenzungsgeile und kontroll-süchtige „Ich“, das mich vom Anderen (von ALLEM!) trennt, zumindest in der Zweisamkeit mit dem Geliebten in den verdienten Urlaub entlassen – wie wunderbar! SEIN Wohlbefinden ist mir oberster Wert (weil mir MEINS kein Problem mehr ist), und auf einmal ist es ein freudiges Abenteuer, seiner Lust zu dienen. Der Krieg der Geschlechter ist für mich zu Ende, ich erkläre dem Mann den Frieden und erhalte ohne konkretes Wollen weit mehr zurück, als ich je als erfolgreiche Kämpferin bei einem Mann erreichen konnte.

Heute gehe ich „rechts vom Mann“, und zwar nicht nur rechts vom „einen Geliebten“. Denn es wäre ein Irrtum, zu meinen, dass ER, der jeweils Meistgeliebte, derjenige sei, der hier als Märchenprinz ein Dornröschen wachgeküsst hätte und nun weiter wach halten müsste. Mein inneres Sein hängt nicht von ihm ab. In Wahrheit gebe ich mich ja nicht IHM hin, jedenfalls nicht der vordergründigen Persönlichkeit, die er im Leben ist; sondern ich benutze ihn nur als „Stellvertreter des Göttlichen“, mit dessen Hilfe ich mich vergessen und ekstatisch im Alles-Was-Ist auflösen kann. Damit werden ALLE Männer zu solch potenziellen „Stellvertretern“ – ich begegne ihnen mit selbstverständlicher Liebe und Ehrerbietung, selbst wenn sich zwischen unseren Persönlichkeiten „nichts Besonderes“ abspielt. (Das bedeutet NICHT, dass ich „immer lieb“ bin!)

WER ist der Geliebte?

Im Blick auf die Vergangenheit und alle früheren Beziehungen erkenne ich heute, dass ich die ganze Zeit im jeweils gewählten Mann das suchte, was ich mir gleichzeitig selbst verbaute: vordergründig wollte ich, dass mir der Mann zu Füßen liegt, in Wahrheit suchte ich einen, vor dem ich endlich den Kopf neigen, bei dem ich den Verstand abgeben könnte – tat aber alles, um genau das unmöglich zu machen.

Männer beklagen oft, dass Frauen ihre Partner nach Kriterien von Macht und Status auswählen. Mir erschien dies lange nur als die Entsprechung zum männlichen Verlangen nach einer Frau mit Sanduhr-Figur: schmale Taille, große Brüste und ein ausladendes Becken signalisieren Fruchtbarkeit – ein gut gefülltes Bankkonto und weltliche Macht sind die dem entsprechenden „Nestbau-Werte“. (Kein Grund also, sich gegenseitig zu verurteilen!)

Das sehe ich immer noch so, doch hat jedes Verhalten auf mehreren, also auch auf „höheren“ Ebenen Bedeutung. Jenseits rein biologischer Fortpflanzungsbedingungen gibt es immer auch psychische und spirituelle Bedürfnisse, die die Wahl des Geliebten mitbestimmen. Um mich im oben erläuterten Sinne selbst aufgeben zu können, muss ER von vornherein MEHR sein als ich: sicherer, selbstbewusster, souverän, mit sich selbst im Reinen in allen Aspekten, die fürs erotische Miteinander von Bedeutung sind. Jemand, der sich in seinem Verlangen selbst ein Problem ist, dessen Selbstzweifel und Selbsthass ich spüre, dem kann ich mich nicht öffnen und hingeben. Allenfalls kann ich da ein bisschen Mutter Theresa spielen, wenn ich ihn mag. Das aber hab‘ ich persönlich aufgegeben, es macht keine Freude und hilft IHM auch nicht. Genau wie ich es erlebte, muss auch er, muss jeder Mann sich selbst befreien, ganz alleine. Was nicht heißt, dass ich wüsste, was mann dazu tun könnte.

Ich hab‘ ja auch nichts „getan“. Es hat sich einfach ereignet, als ich bereit war, zu allem JA zu sagen, was ich gegenüber dem begehrten Mann empfinde, in meinen Träumen UND in der Wirklichkeit. Seither lebe ich in erotischer Hinsicht im Paradies.

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Claudia am 22. Juni 2004 — Kommentare deaktiviert für Sich verstehen – und dann?

Sich verstehen – und dann?

Oft wundere ich mich, wie empfindlich Menschen auf das reagieren, was ein Anderer ihnen schreibt – zum Beispiel auf einem Webboard oder in privater Email. Schon 1996, als ich eine große Mailingliste zum Thema „Webkultur“ moderierte, war ich hauptsächlich damit beschäftigt, die „Stimmung zu balancieren“: alles mitlesen, bemerken, wenn sich jemand auf den Schlips getreten fühlt, selber provoziert, nur noch Albernheiten oder gar Feindseliges postet – und eingreifen, die Wogen glätten, Klarheit und Freundlichkeit verbreiten, soweit eben möglich. Tat ich es nicht, konnte ich zusehen, wie schnell die negativen Gefühle überhand nahmen, und als Listenveranstalterin bekam ich dann auch gleich die Austritte mit, die sich zu solchen Gelegenheiten häuften. Weiter → (Sich verstehen – und dann?)

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Claudia am 14. Juni 2004 — Kommentare deaktiviert für Über Sein und Sollen

Über Sein und Sollen

Braucht es eigentlich eine „Lizenz zum Dasein“? Muss mir erst jemand erlauben, SO zu sein, wie ich gerade bin? Habe ich die Pflicht, mich dafür zu rechtfertigen? Muss ich gar Gründe und Ursachen benennen, wissenschaftliche Forschungen heran ziehen, mein Denken, Fühlen und Verhalten stets mit dem Denken und Meinen anderer abgleichen? Zwingt mich irgend etwas dazu, heute genauso zu sein wie gestern oder vorige Woche? Muss ich „logisch nachvollziehbar“ bzw. „vernünftig“ sein? Oder gar politisch korrekt? Weiter → (Über Sein und Sollen)

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