Dies ist ein „historischer Text“ aus dem September 1994. Er entstand in einer Welt, in der der „persönliche Computer“ (PC) gerade seinen Siegeszug angetreten hatte und dabei war, die Arbeitswelt zu revolutionieren – auch meine. Vom Internet war noch keine Rede, allenfalls hatte man mal davon gehört. Es gab Mailbox-Systeme und BTX, Spielereien für wenige, die aber noch keine Rolle spielten im Bewusstsein der Vielen.
Zur Veröffentlichung des Textes, den ich in der Tiefe meiner Festplatte fand, hat mich Susanne (SuMuze) inspiriert, die in einem Kommentar darüber reflektierte, wie Menschen unterschiedlicher digitaler Sozialisation mit Computerprogrammen umgehen. Der Text zeigt, wie ich die neue Gerätschaft erlebte und welche Visionen mir dazu einfielen (manche stimmig, manche voll daneben!).
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Der Computer
Ich sitze hier und schreibe auf dem Computer – noch besitzen die Worte nur eingeschränkte Realität, eine kurze Stromschwankung jagt sie aus dem Arbeitsspeicher und nichts bleibt zurück. Der Befehl „Datei speichern“ fordert mich auf, diesem Text einen Namen zu geben – eine originär menschliche Handlung – und versenkt ihn in die vermeintliche Dauerhaftigkeit der Festplatte. Doch bald werde ich mich nicht mehr erinnern, was dieser Name bedeutet hat, und so fällt der Text vielleicht der nächsten Platzbeschaffungsaktion auf der Festplatte zum Opfer, keinerlei Spuren in der ‚Wirklichkeit‘ hinterlassend, wenn man einmal die Wirklichkeit einer codierten Existenz auf einem Datenträger als solche gelten läßt. Nur selten noch gelangt ein Text ‚zum Ausdruck‘ – warum Papier vergeuden, Bäume schlachten, Energie verbrauchen, Chlorbleiche oder Recycling-Aktivitäten in Gang setzen…? Sind das die Worte wert?
Der Computer ist die Abschaffung des Wegs zugunsten des Ziels – aber je weiter wir auf diesem Weg kommen, desto sinnloser wird das Erreichen von Zielen. Irgendwann einmal wird das, was ich mir denke, sofort auf dem Bildschirm erscheinen – daran wird geforscht. Immer offenkundiger wird dabei werden, daß ich meistens Schrott denke. Dieses Faktum interessiert diejenigen nicht, die sich mit immer schnelleren und perfekteren Umsetzungsmöglichkeiten meiner Gedanken in Texte, Bilder, Filme, 3-D-Welten, Cyber-Space-Simulationen oder einer Mischung aus alledem befassen. Und obwohl ich selbst es wohl weiß, ist mein letzter hartnäckiger Konsumwunsch immer wieder der neueste Computer. Meiner nämlich ist schon zwei Jahre alt, ein wahrhafter Methusalem, völlig hinterm Berg! Weiter → (September 1994: Über den Computer)
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