Claudia am 21. September 2009 —

September 1994: Über den Computer

Dies ist ein „historischer Text“ aus dem September 1994. Er entstand in einer Welt, in der der „persönliche Computer“ (PC) gerade seinen Siegeszug angetreten hatte und dabei war, die Arbeitswelt zu revolutionieren – auch meine. Vom Internet war noch keine Rede, allenfalls hatte man mal davon gehört. Es gab Mailbox-Systeme und BTX, Spielereien für wenige, die aber noch keine Rolle spielten im Bewusstsein der Vielen.

Zur Veröffentlichung des Textes, den ich in der Tiefe meiner Festplatte fand, hat mich Susanne (SuMuze) inspiriert, die in einem Kommentar darüber reflektierte, wie Menschen unterschiedlicher digitaler Sozialisation mit Computerprogrammen umgehen. Der Text zeigt, wie ich die neue Gerätschaft erlebte und welche Visionen mir dazu einfielen (manche stimmig, manche voll daneben!).

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Der Computer

Ich sitze hier und schreibe auf dem Computer – noch besitzen die Worte nur eingeschränkte Realität, eine kurze Stromschwankung jagt sie aus dem Arbeitsspeicher und nichts bleibt zurück. Der Befehl „Datei speichern“ fordert mich auf, diesem Text einen Namen zu geben – eine originär menschliche Handlung – und versenkt ihn in die vermeintliche Dauerhaftigkeit der Festplatte. Doch bald werde ich mich nicht mehr erinnern, was dieser Name bedeutet hat, und so fällt der Text vielleicht der nächsten Platzbeschaffungsaktion auf der Festplatte zum Opfer, keinerlei Spuren in der ‚Wirklichkeit‘ hinterlassend, wenn man einmal die Wirklichkeit einer codierten Existenz auf einem Datenträger als solche gelten läßt. Nur selten noch gelangt ein Text ‚zum Ausdruck‘ – warum Papier vergeuden, Bäume schlachten, Energie verbrauchen, Chlorbleiche oder Recycling-Aktivitäten in Gang setzen…? Sind das die Worte wert?

Der Computer ist die Abschaffung des Wegs zugunsten des Ziels – aber je weiter wir auf diesem Weg kommen, desto sinnloser wird das Erreichen von Zielen. Irgendwann einmal wird das, was ich mir denke, sofort auf dem Bildschirm erscheinen – daran wird geforscht. Immer offenkundiger wird dabei werden, daß ich meistens Schrott denke. Dieses Faktum interessiert diejenigen nicht, die sich mit immer schnelleren und perfekteren Umsetzungsmöglichkeiten meiner Gedanken in Texte, Bilder, Filme, 3-D-Welten, Cyber-Space-Simulationen oder einer Mischung aus alledem befassen. Und obwohl ich selbst es wohl weiß, ist mein letzter hartnäckiger Konsumwunsch immer wieder der neueste Computer. Meiner nämlich ist schon zwei Jahre alt, ein wahrhafter Methusalem, völlig hinterm Berg!

Am Computer kann man kreativ sein, heißt es. Auf den ersten Blick stimmt das: Meinen Text kann ich in zweihundert verschiedenen Schriften ausdrucken. Oder ich gestalte ihn als kleine Zeitung, dreispaltig, verziere ihn mit Zeichen und Schmuckleisten, binde ein Foto ein, das ich – scheiß auf das Copyright – aus einer Illustrierten einscanne. Ja, jetzt geht es los mit den Fachausdrücken! Wenn mir das Bild nicht gefällt – vielleicht ist es zu dunkel – zieh‘ ich es ins Fotobearbeitungsprogramm, wo mehr Möglichkeiten zur Veränderung bereitstehen, als dem bestausgestattetsten Dunkelkammer-Profi aus prädigitalen Zeiten – damals, als man noch giftige Chemiekalien verwendete und die Welt noch nicht in Einsen und Nullen darstellbar war. Na, und wenn auf dem Bild etwas fehlt – kein Problem! Auch der Himmel über der Fußballweltweisterschaft war nicht ‚wirklich‘ blau – im Fernsehen, nach der Bildbearbeitung dann aber schon.

Allerdings: die meiste ‚Arbeit‘ bei all diesen Vorgängen ist die, herauszufinden, was die Programme können und welche Befehle – kleine kindgerechte Bildchen und Symbole – ich in welcher Reihenfolge mit dem Mauszeiger anklicken muß, damit der gewünschte Erfolg eintritt. Und dann: WARTEN! Das schlimmste Warten, das es gibt, denn es bleibt nichts zu tun, als auf den Bildschirm zu starren und auszuharren, bis das Programm seine Arbeit bewältigt hat.

Hohles Warten, leere Zeit, die stillzustehen scheint. Lange? Eine falsche Frage, denn diese Art Warten ist immer zu lang. Zehn Sekunden braucht mein Computer, um ein Bild von Postkartengröße horizontal zu spiegeln, zehn Sekunden zuviel. Dabei verarbeitet er vier Millionen Nullen und Einsen in der Sekunde, das war vor zwei Jahren der Stand. Ein ‚Neuer‘ würde für dieses Bild vielleicht nur eine halbe Sekunde brauchen und 80 Millionen Bits in der Sekunde verarbeiten…. Na also, denkst du jetzt, was sind schon die 4000,- Mark angesichts dieser idiotischen Warterei! Tja, wenn es nur so wäre! Mit dem ‚Neuen‘ würde ich nicht mehr dasselbe Bild bearbeiten wie heute, mit seinen 35.000 Farben – nein, ich würde (endlich!) TRUE-COLOR-Bilder mit 16 Millionen Farben bearbeiten und mindestens zehn Sekunden, wahrscheinlich sogar länger, warten müssen, bis es endlich gespiegelt ist.
Wieviel Farben ich unterscheiden kann? Wer fragt sich schon so etwas – der HiFi-Fan kennt die Hörschwelle doch auch nur aus der Fachzeitschrift! (Bei Graustufen hab ich’s mal getestet: erst schwarz-weiß, dann immer eine Graustufe dazu – bei 30 war eigentlich schon Schluß.)

Wer ist der Computer? Ein Gegenstand? Eine Intelligenz? Menschlich oder außermenschlich? Man kann die Entwicklung dieses Wesens als Machtergreifung betrachten – erst war der Apparat die Spielerei einiger Elektronikfreaks in Turnschuhen und andrerseits eine hallengroße hochernste Militärangelegenheit. Dann begann ER – in schreibtischfreundlicher Größe – unsere Arbeit zu verrichten. Jetzt erledigt er Arbeiten, die ohne ihn gar nicht möglich wären – toll! Er dient der Wissenschaft und der Unterhaltung, er berät uns und ohne IHN hätten wir keinen Überblick über die Welt – die Welt, in der wir nun mal leben müssen, solange wir noch Körper haben (an einer besseren Lösung wird geforscht). Heute ist der Apparat dabei, das ‚Programm‘ des Menschen aufzunehmen – alle großen Computer sind weltweit vernetzt und teilen sich die Mammut-Aufgabe der GENOM-Verdatung. Im Jahr 2000 sollen sie fertig sein, heißt es. Vielleicht wird es dann bald neue, verbesserte Versionen des Menschen geben: Mensch 2.0, 2.0a…

Was ist der Computer – isolierter Verstand? Konkretisierte Dualität? Könnte man meinen, denn er arbeitet doch streng logisch! Naja, solange er eben läuft, aber: in welchem Büro, an welchem PC vergeht ein Tag ohne Fehler, ohne Absturz, ohne ‚Streik‘, ohne „Schutzverletzung in GDI.EXE Modul 22054A?“ Wir haben Krankheiten, ER hat Viren und Programmierfehler. Und genausowenig, wie unsere Medizin die Ursachen der Krankheiten erkennen kann und nur Symptome kuriert, genausowenig blicken die ‚Fachkräfte‘ durch, woran es nun gelegen hat. Man probiert dies und jenes, installiert das eine oder andere Programm neu – zur Not wird die Festplatte gelöscht und neu formatiert – und irgendwann geht’s wieder. Glück!

Wie könnte es auch anders sein: allein an einem heute marktgängigen Textverarbeitungsprogramm arbeiten 600 Leute und bringen Jahr für Jahr neue Versionen auf den Markt – ‚Weiterentwicklungen‘ mit noch mehr Funktionen, mit den Fehlerbereinigungen der letzten Fassung und mit neuen, noch unbekannten Fehlern. Keiner dieser 600 kennt das ganze Programm. Und von dieser Art Programm sind auf einem durchschnittlichen PC fünf bis zehn installiert, daneben viele kleinere – und alle interagieren miteinander. Trotz immer besserer Abschottung der einzelnen Programme und ihrer Teile voneinander ist gegen die auftretenden Fehler offenbar kein Kraut gewachsen. Auch die Chaosforschung – eine Lieblingswissenschaft des Computers – bietet bisher keine Lösung.

Der Apparat ist eitel, genau wie wir. Bis vor einigen Jahren war es üblich, daß Politiker und Wissende jeglicher Coleur sich vor einer Bücherwand ins Bild setzten – heute drängt Kollege Computer sich in den Vordergrund. Wer etwas zu sagen hat, sagt es angesichts eines Monitors, auf den die Kamera schon bald einschwenkt, um der Aussage des Sprechenden die nötige Glaubwürdigkeit zu verschaffen.

Und auch sonst sieht man immer mehr Bildschirme in jeder Art Öffentlichkeit, die ursprünglich ausschließlich von Menschen bevölkert war – Banken, Supermärkte, U-Bahnstationen, Ämter und Behörden… Erstaunlicherweise gibt es in diesem Fall von Mitwesen keine allergischen Reaktionen wie gegen Tiere, Pflanzen und chemische Stoffe. Im Gegenteil, der Apparat erobert jedes Wohnzimmer, wo er als Fernsehgerät – eine seiner Vorformen – bereits steht. Mein Vater besitzt drei Fernsehgeräte, zwei Videorecorder, 2 Hifi-Anlagen, 2 Videoschneidemaschinen, einen Diaprojektor, 1 Videokamera und drei Fotoapparate. Vor einem Jahr hat er sich den Computer gekauft und beginnt zu erkennen, daß alle diese Geräte veraltet sind, denn alle diese Funktionen können über die ‚Aufrüstung‘ des Computer einfacher und effektiver, auch qualitativ immer besser verwirklicht werden. ‚Ich bin zu früh geboren‘, seufzt er, denn er ist über 70 und wird die Ära des EINEN APPARATS nicht mehr voll miterleben.

Ein BEICHT-Programm ist jetzt herausgekommen. Es stellt einfühlsame Fragen und vergibt uns die Sünden.

Unsere menschliche Art, das Leiden zu meiden und nach Freuden zu streben, läßt sich einfach in Null und Eins symbolisieren – wodurch es möglich scheint, die ganze Suche einem Apparat zu überlassen.
Wir brauchen bloß unsere Meßlatte für gut und böse, schädlich und nützlich vorzugeben, den Rest erledigt der Apparat und serviert uns auf dem Tablett das ausgewählte ‚Gute‘. Jedoch: unsere Meßlatte ist veränderlich, was gestern schädlich war, ist heute vielleicht die Rettung – und so hinken unsere Programme uns stets hinterher, erstarrte Verkörperungen der Vergangenheit, die unsere Gegenwart belasten, ja, sogar gefährden. Der Schwarze Börsenmontag im Jahr 1987 kam zustande, indem man das Handeln mit Wertpapieren und Währungen den Apparaten überlassen hatte. Wenn dann in den Computerprogrammen steht, daß ab einem bestimmten Tiefstwert verkauft werden muß, wird bei Erreichen dieses Wertes eine Kettenreaktion ausgelöst, die in ECHTZEIT, also ohne nenneswerten Zeitbedarf, automatisch abläuft. Da in diesem Fall die Weltwirtschaft ‚abzustürzen‘ drohte, hatten einige wenige beherzte Menschen noch den Mut, das Sakrileg zu begehen und das letzte Mittel einzusetzen – den Ausschaltknopf.

Der Computer ist dabei, die Welt in seine Speicher zu übernehmen. Angefangen hat es mit rein administrativem Wissen, Kunden- und Lieferantenkarteien wurden zu Datenbanken, Wähler, Berufsgruppen, Bankkonten, demographische Verhältnisse, alle zähl- und schätzbaren Gegenstände der Welt, Pläne und Statistiken aller Art. Dann folgten die Texte, zunächst die Lexika, Atlanten und bestehenden Archive, die Bibliographien und Giftstoffregister, Arzneimittellisten, Gesetzestexte und Gerichtsentscheidungen, zur Zeit ist die Literatur dran – 10 000 Werke der Weltliteratur auf einer CD-ROM-Scheibe nur DM 99.- !

Noch krankt die digitale Nutzung des Geschriebenen der Menschheit daran, daß der altertümliche Leser darauf besteht, ein ‚echtes Buch‘ aus Papier mit ins Bett zu nehmen – aber daran wird geforscht. Und eröffnen sich nicht herrliche Möglichkeiten? Unter dem Stichwort ‚Buddha‘ wird mir der gesamte Kanon buddhistischer Schriften zur Verfügung stehen! Da ich als lebenszeitlich begrenztes Wesen nicht alles durchlesen kann, sucht mir der Apparat heraus, was ich brauche. Zum Beispiel könnte ich das Wort „Frau“ eingeben – und sofort würden mir alle Stellen aussortiert, die dieses Wort enthalten. Wie leicht, nun eine Doktorarbeit zum Thema „Die Frau im Buddhismus“ zu schreiben! Allerdings werde ich gut daran tun, zunächst das Register der Veröffentlichungen anzufragen, was zum Thema „Frau und Buddhismus“ bereits vorliegt – um dann eventuell auf andere Wortkombinationen auszuweichen. – Es ist anzunehmen, daß schon bald nur noch Stichwort-orientiert gelesen wird, zumindest von denjenigen, die mit dem Gelesenen ‚etwas anfangen‘ wollen.

Fortschritt braucht der Mensch und weil die Erde keinen Raum mehr hergibt und der Weltraum wüst und leer und viel zu teuer ist, expandiert man in den Cyberspace. Alles das, was ich durch einen Monitor sehen und steuern kann, hat seinen Ort im Cyberspace. Diese neue Art Raum scheint unendlich, es ist genügend Platz für alle, die informiert, ‚in Form gebracht‘ sind. Fortschritt schreitet also nicht mehr irgendwo hin, sondern tritt hinüber auf eine andere Wirklichkeitsebene. Große Geschäftigkeit bricht aus, denn der neue Raum muß nicht erforscht, sondern geschaffen, gestaltet und möbliert werden. Dazu schauen wir uns um und was in unserer alten Welt geeignet ist, hinüberzugehen, geht ‚rüber.

Das ist eine ganze Menge! Fast alles, was menschliche Kultur und Zivilisation ausmacht, ist potentiell geeignet: die Gutenberg-Galaxis war eine gute Vorbereitung auf die virtuelle Welt. Nur die schnöde Hardware, die einfache Materie, das Körperhafte in seiner Vielgestalt verweigert sich der restlosen Transformation in Null&Eins – noch, daran wird geforscht.

Was soll’s, immerhin erleichtert uns schon jetzt der Apparat per Cyberspace das Hantieren mit dem Groben. Schon ist es an vorderster Front möglich, daß Chirurgen von zu Hause aus via Bildschirm operieren – das ist ja auch viel sauberer. Und kleine Roboter werden entwickelt, die sich ferngesteuert durch unsere verkalkten Adern fräsen können, um dort die Ablagerungen wegzubaggern, die wir uns beim bewegungslosen Sitzen vor den Monitoren geholt haben (in der Gefahr wächst eben das Rettende auch). Der Arzt entfernt sich von der Berührung mit dem konkreten Menschen. Wer hört denn heute noch ab? Der Körper wird in den Computertomographen geschoben, wo sich der Apparat ein Bild vom Menschen macht, wie wir etwa eine Salami aufschneiden und begutachten. Die Querschnittsbilder bedürfen noch ärztlicher Deutung – aber sicher assistiert dabei bald ein Expertenprogramm, daß genau sagen kann, welche Formveränderungen auf welche Krankheiten hindeuten. Schon jetzt kann man in Shareware-Verlagen das Programm PCArzt beziehen und dort selber seine Syptome eintippen und sich die Diagnose mit Therapievorschlägen stellen lassen. Ade volles Wartezimmer!

Echt innovative Nutzungen des CyberSpace ergeben sich für den Sex. Schon ist die Porno-Industrie dabei, ganz groß einzusteigen. CD-Rom-Scheiben bieten endlich die Speicherdichte, um ganze Filme zu verdaten – und gar interaktiv, z.B. als Strip-Poker. Mann klickt mit der Maus die Bluse der Dame an – aber wenn der aufgeregte User nicht die richtigen Karten hat, sagt sie: „Das kannst Du jetzt nicht mit mir machen, Schatz!“ und lächelt böse. So richtig spacig wird es aber erst, wenn man wirklich zur Sache kommen kann: mit dem Cyber-Sex-Set zum Beispiel, einem Paket aus Datenhandschuh, Cyberbrille, entsprechendem Simulationsprogramm und Hüftgürtel mit Vibrationstechnologie. Einen virtuellen Partner wählt man aus der mitgelieferten Bibliothek: Marilyn oder Kennedy, Theresa Orlowsky oder gar Pabst Woytila für die Damen – im Cyberspace ist alles machbar.

Wenn die „Datenautobahnen“ endlich fertig und die Breitbandkabel überall vebuddelt sind, trifft man sich dort mit Partnern aus aller Welt zu einem Quickie in virtueller Umgebung. Aber ‚echte‘ Partner braucht’s im Grunde nicht, es genügen Programme. Zwar hat noch 1994 ein Gericht dem BTX-Dialogsystem untersagt, Programme einzusetzen, um lüsterne Teilnehmerinnen zu simulieren, was allerdings nur daran gelegen haben kann, daß die Programme noch in den Kinderschuhen stecken.

Ach die Musik, sie hab ich fast ganz vergessen, wohl weil in meinem PC noch keine Soundkarte ertönt! Schon jetzt kreieren die Bands ihre Songs und Musikstücke am Computer, schicken sich ihre Beiträge durch die Netze, auf daß der andere sich dazuspiele. Alle Instrumentenklänge dieser Welt stehen dem Kreativen zur Verfügung, sofern er in der Lage ist, sich in der Vielfalt zurechtzufinden. Schon veröffentlichen Popstars auf Daten-CD, einschließlich VideoClip. Und ein paar Freaks haben derletzt damit begonnen, garnicht erst so etwas Materielles wie CDs zu benutzen. Sie schicken ihre Titel ins Internet oder zu Compuserve und legen sie dort als Datei ab, für jeden mit Telefonanschluß per Modem abrufbar. Die Freaks wollen so der Plattenindustrie den Garaus machen – und das wird sicher klappen, sobald ein Zahlungsweg fürs Abrufen bereitsteht. Wieviele Leute wohl im Musikgeschäft arbeiten?

Die Arbeitsplätze wandern zu Zigtausenden in den Cyberspace ab – die meisten fallen dabei weg. Alle Arbeit wird Zuarbeit zum Apparat – und nur diese Zuarbeiter werden Zugang zur schönen neuen Welt haben, der Rest verdient ja nichts. Wie das funktionieren soll? Man wird sehen.

Ich sitze am Computer und schreibe. Ganz allein mit meinen Gedanken, der Tastatur und dem Monitor – alles andere versinkt, entschwindet dem Bewußtsein. Es ist gefährlich, mich an den Apparat zu setzen, wenn ich draußen in der Küche etwas auf die Herdplatte gestellt habe. Wie oft reißt mich erst brenzlicher Geruch aus meiner computergestützten Gedankenwelt! Im Haushalt der Zukunft wird der Herd eine Datenleitung zum Computer besitzen und der Fortschritt des Kochvorgangs wird mir auf Wunsch in einem kleinen Diagramm in der rechten oberen Ecke des Bildschirms dargestellt. Mindestens aber erscheint eine Meldung: „Achtung, Kochvorgang in 10 Sekunden beendet“ – dann kann ich eine Taste drücken ohne mich vom Sessel zu rühren und den Herd abschalten.

Diskussion

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14 Kommentare zu „September 1994: Über den Computer“.

  1. Hallo Claudia,

    meinen ersten Computer ( PCs waren noch nicht bekannt ) kaufte ich mir 1983, einen Appel II+ ( 2 x 64 kB Bank-Switching ) mit zwei Laufwerken und einem Epsondrucker FX80. Die Diskette (160 kB ) kostete 6,- DM. Alle bestaunten das Wunder – Bildschirm, bernsteingelb, 25 Zeilen mit je
    40 Zeichen.. AppelDOS mit IntegerBASIC – Floatingpoint Basic kam später und dann die Erweiterungskarte auf 80 Zeichen je Zeile mit dem Betriebssystem CP/M. Es gab Wordstar, VisiCalc ( von dem Multiplan abgekupfert wurde und aus dem, zusammen mit Chart das heutige Excel entstand ) dBase, und PacMan und Konsorten.

    Meine halbwüchsigen Buben erklärten mir ( kaum verbrämt ), daß „computern“ nichts mehr für mich sei, eben wegen „schwindender“ geistiger Fähigkeiten und daß ich das Programmieren in Basic sowieso nicht verstehen können werde.

    Aus Verärgerung kaufte ich mir einen Zweiten – einen Appel-Kompatiblen ( Plantine, Tastatur, Laufwerke – alles Einzelteile ), nur für mich und lernte aus Wut programmieren.

    Heute sind meine Söhne beide hochbezahlte IT-Angestellte – er war damals eine kluge Investition, der Apple II+. Ich besitze ihn übrigens heute noch, zur Erinnerung.

    Gruß Hanskarl

  2. Im Rückblick finde ich das ganze ziemlich lustig und irgendwie auch interessant…wenn man bedenkt, dass das schon ganze 15 Jahre her ist.

  3. @Martin: Es ist 26 Jahre her, nicht 15 !!

  4. hach ja das waren noch zeiten. mein erster eigener rechner war ein c64. alles musste man per hand eintippen, bevor das eigentliche programm oder spiel die arbeit aufnahm. aber früher war es alles viel unklomplizierter irgendwie.

  5. Eine nette Idee für eine Beschreibung der Welt mit Computern, die ich einmal irgendwo aufschnappte und nur ein ganz klein wenig aufgepeppt habe:

    Du sitzt in einem Wagen, der Röhren und Schmierstoffe transportiert. Und bastelst mit Röhren an einer Vorrichtung, welche die Achsen schmieren soll, weil der Wagen nur mühsam fährt, da ein Teil der Kraft des Motors von der Reibung der Lager absorbiert wird. Endlich bist du fertig mit deiner Schmierung und der Wagen nimmt mehr Fahrt auf. Bald glühen die Lager, weil sie für das höhere Tempo nicht ausreichend geschmiert werden. Also verbesserst du deine Vorrichtung, bis sie noch wirksamer funktioniert, woraufhin die Räder noch schneller sich drehen und die Lager erneut zu glühen drohen. Folglich verbesserst du deine Apparatur nochmals, bis sie für die neue Geschwindigkeit wieder ausreichend schmiert. Woraufhin die Räder nochmals viel schneller sich drehen können und die Achsen noch viel heißer werden….

    Schwer zu sagen, was noch an Röhren und Schmierstoffen vorhanden ist, wenn du ankommst, weil deine Vorrichtung so viele benötigt hat. Und ob du passend wirst bremsen können, weil du so schnell herein kommst da, wo die Straße zu Ende ist…

  6. Nette Geschichte, wie aus einer Traumwelt entnommen…

  7. Ich danke Euch, dass Ihr diesen so gar nicht „fürs Web aufbereiteten“ Text dennoch kommentiert! :-)

    @Hanskarl: diese „Programmwelt“ war grade dabei, zu verschwinden, als ich einstieg (immerhin noch DOS gelernt, auch mal einen halben Tag dbase..).

    @Su: BREMSEN kennt der Apparat nicht…

  8. @Claudia

    Unser hauseigener IT-Fritze erzählte mir gerade von einem kleinen Progrämmchen (namens AT-lahm), daß er vor Jahrhunderten auf schnellen PC’s in einem Schulungsraum installieren mußte, weil ein dort vorhandenes CAD-Programm (was immer das ist, er liebt es, mich computertechnisch partiell im Dunklen zu belassen) sonst auf diesen Maschinen nicht korrekt funktioniert hätte. Dieses Progrämmchen führte lediglich eine Unzahl von NOp’s aus (no-operation-instructions, wie er mir gnädig erläuterte) und bremste damit den zu schnellen Prozessor auf eine mit der veralteten Software kompatible Geschwindigkeit.

  9. jaja die guten alten Zeiten!

  10. hahaha wenn das die Jugend von heute noch wissen würden, aber die kennen ja nur den Komfort von heute!

  11. Zitat aus:

    http://www.liebe-auf-den-ersten-klick.net/intro/

    Intro

    Zwei Sorten Menschen gibt es auf dem Planeten Erde:
    Ganz normale und Computerfreaks. Das fällt allerdings
    erst so richtig auf, wenn man sich einen ersten
    Schritt in Richtung PC-Welt bewegt: Weil man auf
    die elektronische Datenverarbeitung angewiesen
    ist und es vorher nicht war. Oder weil man von
    den Medien überschüttet wurde mit kunterbunten
    Informationen und einen die Neugier gepackt hatte.

    Aber wenn man sich dann damit abgefunden hat,
    dass man sich mehr oder weniger freiwillig
    mit den ‘ganz normalen’ Computern im Alltag
    und privat beschäftigen muss, begibt man
    sich auf die feine Grenze zwischen Überschwang
    und Irrsinn. Der mit Vorkenntnissen unbelastete
    Mensch verwandelt sich übergangslos in einen DAU,
    den Dümmsten Anzunehmenden User, und muss nun
    sehen, wie er ohne allzu großen
    Gesichtsverlust zurechtkommt …

    Zitat ende:)

    Tatsächlich ist es IMHO so, dass es noch den
    ein oder anderen zusätzlichen Typus gibt, der
    sich auf diesem planeten für eine zeitlang
    ein stelldichein gibt im Grunde hat „melody“
    aber recht.

    das Zitat stammt aus einem der -für mich-
    teuersten Taschenbücher das ich je bezahlt habe:
    1.: ich habe meine stadtbücherei gebeten,
    „liebe auf den ersten clic“ in ihr sortiment
    aufzunehmen, da ich zu der zeit nicht genügend
    barmittel zur freien verfügung hatte-, das buecherl
    aber *unbedingt* lesen wollte.
    Die stadtbücherei tat wie gewünscht, ich lieh
    mir wenige tage später das Schmuckstück aus,
    freute mich über den text und -wie so oft-
    vergass das teil rechtzeitig zurückzugeben.

    die monate gingen ins land, verliefen sich darin
    und eines schönen tages kam die unvermeidliche
    rechnung der stadtbücherei, ich glaube es waren
    so um die 50 dm (ja, das Zahlungsmittel, bei dem
    früher nicht das doppelte wie heute zum gleichen
    inhalt bezahlt wurde).

    ich blieb meinem motto treu:
    zahlen und fröhlich bleiben.

    mitlerweile hat melody die Verlagsrechte an dem
    teil zurückerhalten und das teil zur freien
    lesung ins netz geheftet: die anfangstage
    „internet/BTX“ sind darin für den kundigen in
    erbaulicher form nachzublättern.

  12. http://www.dichtung-digital.de/2000/Simanowski/15-Feb

    und noch was:)
    niemals sollte „man“ den spass, das wirkliche vergnügen
    in den köpfen hinter den flimmernden schirmen, vergessen.

    diese eigentliche motiv allen schreibens im netz der netze
    bleibt erhalten, stirbt es ist es „zu Ende“
    allerdings glaube ich persoenlich nicht daran
    dass dies jemals tatsächlich geschehen könnte.

  13. Was hat man sich im Jahr 1994 noch für Gedanken gemacht! Cyberspace, Cybersex, Entmenschlichung der Arbeit, etc. Aber was niemand vorausgesehen hat: die Bedeutung, die das Internet mal haben wird und welche Möglichkeiten es bietet.

    Noch nicht einmal das lineare Fernsehen kommt bei uns mehr aus dem Kabel oder der Satellitenschüssel, denn wir haben IP-TV (waipu.tv). Das Telefonieren geschieht über Voice-Over-IP, aktuelle Smartphones wären ein feuchter Traum damaliger PC-Nutzers gewesen („so etwas wird es nie geben, never ever, das ist Science Fiction!“), die noch ein Diskettenlaufwerk in ihrem Big-Tower verbaut hatten.

    Das Ganze hat sich in eine Richtung entwickelt, die von den Zukunftsforschern allenfalls angedeutet wurde, die aber ganz anders eingetroffen ist. Der PC ist nicht mehr der Dreh- und Angelpunkt der privaten Datenverarbeitung, es ist vielmehr eine Diversität der Geräte, von denen zweifelsfrei das Wichtigste das Smartphone ist. Viele Jüngere wissen gar nicht mehr, was ein PC ist… Und Cybersex? Datenhandschuhe? Da redet seit vielen Jahren kein Schwein mehr von – eine Utopie, die nie so wirklich Realität wurde.

    Toller Text, hat mir sehr gut gefallen!

  14. @Martin: danke, dass du diesen alten Text gelesen hast! Ja, damals hat man sich über Dinge Gedanken gemacht, die dann bei weitem nicht so gekommen sind…

    Das Internet hab ich 1994 noch nicht besprochen, bin erst 1995 im späten Frühjahr eingestiegen – dann aber 1996 ein „Rundumschlag“:

    Cyberspace – Zwischenbilanz einer Utopie

    Achtung, langer Logread!!! :-) Wie war ich doch damals begeistert und schreiberisch engagiert… :-)

    Die Erfahrung damals war in einer Hinsicht deutlich anders – es waren eben noch nicht „alle“ im Netz:

    „Wer damit anfängt, E-Mail-Kontakte zu knüpfen, wer eine Homepage im Web aufbaut und ein wenig am sozialen Leben im Cyberspace teilnimmt, wundert sich über die betonte Freundlichkeit, die positiv gehaltenen Botschaften, das freigiebig gespendete Lob, das von völlig fremden Menschen über den Newcomer hereinbricht. „