Gestern bekam ich eine Anfrage, ob ich denn wüsste, was mit dem Maschinist passiert sei – man mache sich Sorgen. Und wirklich: Das Blog gibt es nicht mehr, einfach so, von jetzt auf gleich – auf https://maschinist.blog/ erscheint nurmehr eine Meldung, die Domain sei „geparkt“.
Immerhin spricht die nun „geparkte“ Domain dafür, dass sie willentlich vom Eigentümer freigegeben wurde. Es handelt sich also wohl nicht um einen krankheitsbedingten Ausfall wie bei Fefe, der ebenfalls plötzlich „verschwunden“ war. Die Frage „Wo ist Fefe?“ mäanderte durch die Blogosphäre bis es endlich ein Lebenszeichen von ihm gab: aus dem Krankenhaus. Ein Hirnschlag hatte ihn getroffen, wodurch er nicht mehr im Stande war, seine täglichen Kurzpostings fortzusetzen.
Ohne Abschied
Dass der Maschinist sich einfach vom Acker gemacht hat, ohne ein Wort des Abschieds, lässt Raum für vielerlei Spekulationen. Einige, die vielleicht auch heute – so oder ähnlich – noch oder wieder gelten, finden sich in einem Diary-Eintrag aus 2017: 5 Thesen, warum der Kiezneurotiker sein Blog gelöscht hat. Auch damals schrieb ich einleitend:
„Seit gestern ist der Kiezneurotiker verschwunden. Der wortgewaltige Zyniker aus dem Borgwürfel, geliebt und gehasst, ist grusslos gegangen. Hat seinen Blog gelöscht, einfach so.“
Jetzt also wieder! Er mag sich gedacht haben: Do it again, Sam – weg damit, ab ins digitale Nirvana! Warum, werden wir wohl genausowenig erfahren wie das letzte Mal. Und genau wie nach dem Verschwinden des Kiezneurotikers betrifft und bewegt mich das! Das Smbolbild der Park-Domain passt: da steht Publikum erwartungsvoll vor der leeren Bühne, aber der Künstler fehlt.
Trotz der vielen Abgesänge, Rants und Tiraden auf (fast) alles mag ich diesen Blogger, der mir erst als Kiezneurotiker und dann als Maschinist begegnet ist – virtuell natürlich nur. (2014 gab es mal einen kurzen, freundlich offenen Mailaustausch, später hat er auch diesen Kontaktweg abgeschafft.‘).
Inhaltlich folgte ich ihm oft nicht, seine Sprache fand ich gelegentlich abstoßend (obwohl er auch das nahezu zur Kunstform entwickelte), aber dazwischen gab es auch immer wieder Perlen: Offene Selbstreflexionen, die Berichte von seiner Therapie-Auszeit (hier mein Blogpost dazu), die Erlebnisse mit dem „pubertierenden Kind“. Irgendwann hat er auch mal erzählt, wie er zu dem wurde, der er ist. „Schwierige Jugend“ wäre krass untertrieben und er stellte es selbst als eine Art Wunder dar, dass er die Kurve gekriegt hat. Hin zu einem immerhin funktionierenden Leben mit Kind, mitten im „neo-woken“ Prenzlauer Berg, immer weiter arbeitend im verhassten „Borgwürfel“.
Selbstbild zerfallend?
Kürzlich schrieb er darüber, dass er sich umgeschaut habe und woanders hätte anfangen können, sogar mit finanziellem Gewinn. Hat er dann doch nicht gemacht! So ist das nun mal im vorgerückten Alter: Das gewohnte, gekonnt navigierbare Elend und der erreichte Status überwiegen den Wunsch nach „woanders neu anfangen“. Aus den vielen Texten im Blog meinte ich immer wieder den Zwiespalt zu spüren: da ist einerseits noch der „Angry young man“, der Punk, der er einmal war, der gerne alles in die Tonne tritt und an nichts ein gutes Haar lässt. Der durfte sich im Blog austoben und alles rauslassen, was im realen Leben eher nicht gepasst hätte. Zwischenrein meldete sich aber auch immer öfter mal der „alte Weise“, der Lebenserfahrene, der verantwortungsbewusste Mensch und Vater, zu dem diese Attitüde einfach nicht mehr passte. Innerlich zerrissen zwischen einer alten und einer neuen Identität, irgendwie steckenbleibend in einer schmerzhaften Häutung, die man nicht wirklich befürworten, gar begrüßen will…ein krasser Zustand!
So ist jedenfalls mein Eindruck vom Maschinist in letzter Zeit. Einen Anspruch auf Wahrheit erhebe ich garnicht erst! Ich hoffe sehr, dass ihm das Löschen des Blogs wenigstens etwas gebracht hat, dass er aus dem was-immer-es-sein-mag wieder heraus findet – und dass er irgendwann wieder auftaucht. Wer so lange schon schreibt, KANN eigentlich nicht anders, als weiter zu schreiben. Ob wir ihn dann aber wiedererkennen würden, ist nicht sicher.
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Und sonst?
Ich hab‘ mal Perplexity über den Maschinist befragt. Es hat noch nicht bemerkt, dass er verschwunden ist.
„Der anonyme Blogger „Maschinist“ aus Berlin-Prenzlauer Berg repräsentiert eine wichtige Stimme in der deutschen Blogosphäre. Sein satirischer Blick auf die Gentrifizierung Berlins, seine kompromisslose Gesellschaftskritik und sein unverwechselbarer Schreibstil machen ihn zu einer einzigartigen Figur in der Berliner Medienlandschaft.
Seine konsequente Anonymität, kombiniert mit seiner langjährigen Aktivität und seiner Vernetzung mit anderen etablierten Bloggern, zeigt die Bedeutung anonymer Stimmen in der digitalen Meinungsbildung. Während viele seiner Zeitgenossen bereits verstummt sind oder ihre Blogs aufgegeben haben, bloggt der Maschinist weiterhin unverblümt und provokativ über das Leben in der deutschen Hauptstadt.
Seine pessimistischen Reflexionen über die Zukunft des Bloggens und die Auswirkungen der KI auf die Blogger-Szene machen ihn zu einem wichtigen Chronisten des digitalen Wandels. Der Maschinist verkörpert damit sowohl die Tradition der anonymen Gesellschaftskritik als auch die Herausforderungen der modernen Bloglandschaft.“
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31 Kommentare zu „Wenn Blogger verschwinden: Der Maschinist ist weg!“.