Nicht mehr nur „Verdachtsfall“, sondern „gesichert rechtsextremistisch“: Endlich ist der Verfassungsschutz zu diesem Ergebnis gekommen, das heute früh veröffentlicht wurde.
„Der Inlandsgeheimdienst teilte mit, der Verdacht, dass die Partei gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen verfolge, habe sich bestätigt und in wesentlichen Teilen zur Gewissheit verdichtet. Zu diesem Schluss sei das BfV nach intensiver und umfassender gutachterlicher Prüfung gekommen.Demnach sei das Agieren der Partei an den zentralen Grundprinzipien der Verfassung gemessen worden: Menschenwürde, Demokratieprinzip und Rechtsstaatsprinzip.“ (NTV)
Das heißt allerdings nicht, dass die AFD jetzt verboten wird, wie die Tagesschau ausführt:
„Mit der Neubewertung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz dürfte die Debatte um ein Verbotsverfahren gegen die AfD neu entfacht werden. Allerdings gibt es keinerlei Automatismus: Die Bewertung als „erwiesen rechtsextremistisch“ ist weder die Voraussetzung dafür, noch ist ein Verbotsverfahren die zwangsläufige Folge. Es ist vielmehr eine politische Entscheidung: Ein Verbotsverfahren können nur Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung auf den Weg bringen, indem sie es beim Bundesverfassungsgericht beantragen, das dann darüber zu entscheiden hat.“
Eine Partei verbieten: Rückblick und Vergleich
Was hindert die genannten Institutionen bisher (und vielleicht auch jetzt noch), diesen Verbotsantrag zu stellen?
Da ist zum einen das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum einst beantragten Verbot der NPD. Zwar hat das Gericht bestätigt, dass die NPD die Beseitigung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung anstrebe, aber:
„Die NPD bekennt sich zwar zu ihren gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichteten Zielen und arbeitet planvoll auf deren Erreichung hin, so dass sich ihr Handeln als qualifizierte Vorbereitung der von ihr angestrebten Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung darstellt. Es fehlt jedoch an konkreten Anhaltspunkten von Gewicht, die eine Durchsetzung der von ihr verfolgten verfassungsfeindlichen Ziele möglich erscheinen lassen“.
Aus den Gründen, warum das nicht möglich sein soll, heißt es dann:
„Im parlamentarischen Bereich verfügt die NPD weder über die Aussicht, bei Wahlen eigene Mehrheiten zu gewinnen, noch über die Option, sich durch die Beteiligung an Koalitionen eigene Gestaltungsspielräume zu verschaffen. Auf überregionaler Ebene ist sie gegenwärtig lediglich mit einem Abgeordneten im Europäischen Parlament vertreten. Die Wahlergebnisse bei Europa- und Bundestagswahlen stagnieren auf niedrigem Niveau…..“
Zumindest diese Begründung lässt sich auf die AFD nun wirklich nicht mehr anwenden! In der Sonntagsfrage von YouGov am 30.4. kam sie auf 26% und lag gleichauf mit der CDU, bei FORSA wurde sie am 29.4.mit 26% gar stärkste Partei (CDU 24%). Im Bundestag sitzen 152 AFDler, 15 sind im EU-Parlament und in allen fünf ostdeutschen Flächenländern ist die AFD stärkste Partei.
Durch den Wegfall dieses Arguments ist allerdings noch immer nicht sicher, dass ein Verbotsantrag die Zustimmung des Bundesverfassungsgerichts sichert, denn:
„Das Parteiverbot erfordert ein „Ausgehen“ auf die Beeinträchtigung oder Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Es ist kein Gesinnungs- oder Weltanschauungsverbot. Vielmehr muss die Partei über das Bekennen ihrer verfassungsfeindlichen Ziele hinaus die Grenze zum Bekämpfen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung überschreiten. Dies setzt voraus, dass sie sich durch aktives und planvolles Handeln für ihre Ziele einsetzt und auf die Beeinträchtigung oder Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung hinwirkt.“
Zwar setzt sich die AFD für ihre Ziele aktiv ein, wehrt sich jedoch auf dem Rechtsweg lange schon gegen die Einstufung als „Verdachtsfall“ und wird auch gegen die jetzige Entscheidung des Verfassungsschutzes klagen. VOR den letztinstanzlichen (!) Gerichtsentscheidungen wird ein Verbotsantrag im neuen Bundestag womöglich keine Mehrheit finden. Das kann sich erfahrungsgemäß über Jahre hinziehen! Immerhin halten 17 Staatsrechtler die AfD für verfassungswidrig, schon ganz ohne das Material des Verfassungsschutzes, sondern aufgrund einer eigenen Materialsammlung:
„Die Partei verfolge eine völkisch-nationalistische Ideologie und knüpfe an die kulturelle Herkunft als unveränderliches Wesensmerkmal und Teil der deutschen Identität an. Sie werte bestimmte Personengruppen ab, weil sie von der Überlegenheit des deutschen Volkes überzeugt sei. ……..
….Die Materialsammlung zeige, dass diese völkisch-nationalistische Ideologie sehr wohl von der Breite der Partei getragen werde, auf Bundes- wie auf Landesebene, heißt es in dem Papier eher knapp zur Zurechnung – einem Punkt, der in einem möglichen Verbotsverfahren sicherlich entscheidend würde. Denn es reicht gerade nicht aus, dass einzelne Mitglieder verfassungsfeindlich agieren, für ein Verbot muss das der gesamten Partei nachgewiesen werden können. Der Bundesvorstand grenze sich weder von der Ideologie noch von den Akteuren ab, heißt es dazu. Die AfD dulde verfassungsfeindliche Positionen in der Partei, wie schon die fehlende Abgrenzung gegenüber dem Thüringischen Fraktionschef Björn Höcke zeige. Sie lasse solche Akteure gewähren und mache sich ihre Positionen damit zu eigen. „
AFD verbieten? Brandmauer halten oder nicht?
Letztendlich ergibt sich aus der Erfolgsgeschichte der AFD die politische Frage: Kann oder soll man eine Partei mit soviel Zuspruch in der Bevölkerung VERBIETEN lassen, bzw. das zumindest versuchen – mit dem Risiko, zu scheitern? Und wenn nicht: Soll man die „Brandmauer“ beibehalten, wenn das womöglich bedeutet, dass bei der nächsten Wahl quasi alle anderen Parteien koalieren müssen, um eine Regierungsbeteiligung der zu verhindern? Soll man sie gar beteiligen, in der Hoffnung, sie werde so „entzaubert“?
Für jetzt sind die beiden letzten Fragen durch die neue Koalition CDU/SPD entschieden, aber eben nur für vier Jahre. Auch erscheint ein AFD-Verbot im Vergleich mit anderen europäischen Ländern bzw. deren Umgang mit den Rechtsextremen zumindest als demokratietheoretisch brisanter Sonderweg. Die BpB (Bundeszentrale für politische Bildung) schreibt zum Thema „Die Radikale Rechte im europäischen Vergleich„:
„Dabei zeigt sich aktuell, dass die jahrzehntelang aufrecht erhaltene „Brandmauer“, der cordon sanitaire, der radikal rechte Parteien lange politisch isoliert hielt, in vielen Ländern nicht mehr wirksam ist oder zunehmend aufweicht.Heute sitzen radikal rechte Parteien in Europa in etlichen nationalen Parlamenten. In sieben EU-Ländern (Niederlande, Italien, Finnland, Slowakei, Ungarn, Kroatien und Tschechien) stellen sie die Regierung oder sind Teil einer Regierungskoalition, zudem tolerieren die radikal rechten Schwedendemokraten in Schweden die dortige Regierung (Stand: Oktober 2024). Auch in Umfragen haben radikal rechte Parteien in vielen Ländern zuletzt an Zustimmung gewonnen: In sieben weiteren EU-Ländern sind sie aktuell entweder die stärkste oder zweitstärkste politische Kraft, so in Deutschland, Frankreich, Estland, Lettland, Belgien, Österreich und Polen (Stand: Oktober 2024).“
Hier kann man sich natürlich auf den Standpunkt stellen: „Es interessiert uns nicht, was andere Länder falsch machen, wir tun das Richtige!“ Ob DAS aber ein Argument ist, das vom Bundesverfassungsgericht geteilt werden kann, ist zumindest fraglich.
Horst Schulte schreibt in seinem Blogpost „Zwischen Staat und Sturm: Demokratie im Prüfstand„:
„Die Einordnung der AfD als in Teilen „gesichert rechtsextrem“ durch das BfV ist juristisch gedeckt. Doch politisch ist sie ein Pulverfass. Denn sie liefert der AfD genau das Futter, mit dem sie sich selbst inszenieren kann: als Opfer staatlicher Willkür, als Sprachrohr der Entrechteten, als letzte Bastion der Meinungsfreiheit.“
Nun sind es nicht mehr nur „Teile“, sondern die ganze Partei gilt als gesichert rechtsextrem – zumindest laut Bundesverfassungsschutz, gegen dessen Einstufung die AFD gewiss klagen wird. Macht das den Umgang mit der AFD nun einfacher? Was Horst in einem weiteren Artikel (noch immer VOR der neuen Einstufung) schreibt, gilt womöglich auch weiterhin:
„Die AfD lebt davon, ausgegrenzt zu werden. Ihre Erzählung nährt sich aus dem Opfermythos. Jeder Talkshow-Ausschluss, jeder verweigerte Handschlag wird in ihren Kanälen zum Beweis eines Systems, das „gegen das Volk“ agiert. Wir wissen das natürlich. Aber uns fällt kein Rezept ein, das tatsächlich wirkt. Wer diese Partei und ihre Protagonisten ausblendet, statt zu entlarven, riskiert, dass sie im Schatten stärker wird. Es braucht die Auseinandersetzung – aber nicht auf der Bühne des Populismus, sondern mit Haltung, Klarheit und Mut zur intellektuellen Zumutung. Aber das findet nicht einmal mehr auf der Kabarettbühne statt. Jedenfalls nicht ohne, dass wir uns auch darüber streiten.“
Wie das mit der „intellektuellen Zumutung“ in der Praxis gehen soll, ist mir nicht klar. Sowohl die Funktionäre als auch das Gefolge kann „intellektuelle Zumutungen“ doch einfach ignorieren, ablenken, schlicht lügen, wie es Trump ja in quasi jeder Rede tut.
FAZIT: Ich habe keins außer: die Lage ist vertrackt!
Die AFD-Wähler haben sich durch die Einstufung als „in Teilen rechtsextrem“ nicht abschrecken lassen. Dass sich das jetzt ändern wird, glaube ich nicht. Ein Verbotsverfahren würde sich lange hinziehen, wobei der Erfolg keinesfalls garantiert ist. Noch regiert „die demokratische Mitte“, in der die Vorgabe „wir müssen liefern“, jedoch umstritten ist: Heißt das etwa: liefern, was die Wähler der AFD wollen? Vor der Wahl hat Merz in Teilen so getan, als wäre das möglich, wohl wissend, dass es dafür Grenzen gibt, die der demokratische Rechtsstaat nicht überschreiten darf. Entsprechend steigt die Enttäuschung… das Dilemma bleibt!
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Mehr dazu:
- Rechtswissenschaftliche Stellungnahme zu einem Parteiverbotsverfahren gegen die Alternative für Deutschland (Verfassungsblog)
- Pro und Contra zum AFD-Parteiverbot: Soll man die AfD verbieten? (TAZ, 24.10.24)
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7 Kommentare zu „AFD ist „gesichert rechtsextrem“ – aber was folgt daraus?“.