Claudia am 30. Juni 2018 —

Das Jahr, in dem wir den Datenschutz hassen lernten: eine Krankenhaussprechstunde

Neulich in der Charité, Campus Benjamin Franklin in Berlin Steglitz-Zehlendorf. Mein Hausarzt hatte mich überwiesen, als ich ihm mit einer Hinterfragung seines Tuns auf die Nerven ging. Nach einer gefühlten halben Weltreise quer durch die Stadt (1 Stunde) und weiteren 30 Minuten Verirrung im Gebäudekomplex war ich endlich am Ziel.

„Warten Sie hier im Gang, ich bringe Ihnen gleich was zum Ausfüllen“, sagte die sehr kompetent wirkende Fachkraft, die mich empfangen und mein Kärtchen verdatet hatte. (Diese „Gesundheitskarte“, die angeblich mal die Digitalisierung der Medizin bringen sollte, aber auch nach 23 Jahren nicht mehr ist als ein Milliardengrab – auch so ein deprimierendes Thema!).

Ich setze mich und warte. Kurze fünf Minuten später wird mir ein Klemmbrett mit einem Stapel Formulare ausgehändigt: Ein umfangreicher Papierstoß klemmt schon drauf, es ist der ca. 20-seitige Anamnesebogen. Den zweiten, keineswegs kleineren Stapel überreicht sie mir gesondert: Und das ist der Datenschutz!

Wie bitte? Das soll ich jetzt alles ausfüllen, bevor ich dran komme? Ich bin fast alleine auf dem Gang und schätze, es wird nicht lange dauern, bis der Facharzt mich herein ruft.

„Kein Stress!“, beruhigt sie mich. „Füllen Sie einfach in Ruhe aus, soweit Sie eben kommen!“

Ja wie? Entweder ist das alles wichtig und erforderlich – oder doch nicht so, wenn der Patient nur ein Drittel schafft? Seltsam! Egal, ich beeile mich und beginne mit dem zu oberst liegenden Datenschutzstapel. Seite um Seite wird mir da mitgeteilt, was die Uniklinik (sinnvollerweise!) alles mit meinen Daten macht. Mit wem sie sie teilt, zum Beispiel mit anderen Ärzten und Abteilungen, wenn das nötig sein sollte – und welche technischen und verwaltungstechnischen Einheiten damit noch so in Kontakt kommen. Unzählige Listen mit Namen und Angaben, interne Prozesse und mögliche Verwendung in Forschung und Lehre – abgestuft nach verschiedenen Möglichkeiten, die sich da auftun – klar, ist ja eine Uniklinik.

Ich bin allerdings völlig freiwillig und mit Absicht in dieser Uniklinik eingelaufen und zum Teufel, ich will gar nicht wissen, wie sie da im Detail mit meinen Daten umgehen! Jedenfalls nicht all das, was zur allgemein üblichen Abarbeitung der ambulanten Behandlungsfälle gehört. Sowieso bin ich völlig außerstande, zu beurteilen, ob diese und jene Datenverwendung in meinem Fall sinnvoll ist oder nicht. Auch wäre das eine blöde Frage, denn es ist ganz offensichtlich ein Mega-Fragebogen FÜR ALLE, die da reinkommen – egal ob für eine Stunde, für eine OP, für Monate oder zum Sterben. Entsprechend umfassend muss auch die Information ausfallen, damit man als Patient „informiert zustimmen“ kann.

Was für ein Wahnsinn! Ich bin mit allem einverstanden und setze mein Häkchen in zig Felder – nur das mit den Studenten, die vielleicht bei Untersuchungen hinzu gezogen werden könnten, wenn ich es erlaube, lehne ich ab. Rechtfertigt das den ganzen Stapel Papier?

Überhaupt Papier: Wie irre ist das denn in Zeiten der Digitalisierung? Warum nicht ein Tablet mit entsprechender App, die gleich alle Einverständnisse aller Patienten auf einem Uniserver sammelt? Irgendwo müssen sich da riesige Aktenordner-Regale befinden – und wenn jemand wissen will, ob ein Patient sowas ausgefüllt hat, muss händisch gesucht werden!

Den „Datenschutz“ hab‘ ich geschafft, sogar auch noch den Anamnesebogen, der ausführlichste, den ich jemals ausgefüllt habe. Finde ich ja nicht schlecht, aber ob das wirklich jemand liest? Und auch hier gilt: Warum auf Papier? Wäre es nicht 1000 mal besser, ein Arzt könnte am PC abrufen, was ich schon für Krankheiten hatte oder nicht hatte?

Als ich dann dran komme und eine Bemerkung zum Formularwesen mache, nickt der Facharzt und meint: „Tja, wir sind eigentlich kaum mehr ein Krankenhaus, wir sind eine Behörde, neuerdings auch eine Datenschutzbehörde!“

Was wäre wenn…

Nebenbei: Ich sollte natürlich „Befunde mitbringen“. Ein Stapel Ausdrucke von 3 Ärzten, die ich zusammen gesammelt hatte. Der hochbezahlte Facharzt bei der Charité (leitender Oberarzt!) scannte die erstmal ein, was immerhin ein paar Minuten seiner wertvollen Arbeitszeit kostete. Ich gehe selten zum Arzt, weit unter dem Durchschnitt. Viel normaler ist, dass Menschen in meinem Alter schon ganze Ordner von Befunden gesammelt haben – und all das wird immer wieder zu Ärzten gereicht, die es vielleicht scannen oder nur mal drauf gucken, eigene Anamnesebögen ausfüllen lassen, weitere Befunde schreiben und alles abheften.

Wie anders könnte das doch ablaufen, wenn getan würde, was technisch seit Jahrzehnten möglich wäre: Eine digitalisierte Patientenakte auf einem gut geschützten Server im Netz, wo alle Befunde übersichtlich zusammen geführt würden, ebenso wie alle Therapien und Medikamente inkl. der Unversträglichkeiten und natürlich alles, was so in Anamnesebögen steht. Ich als Patientin wäre berechtigt, den jeweiligen Ärzten den Zugang zu erlauben, sowie Lese- und Schreibrechte zu erteilen.

Was da alles an arbeitsaufwändigen Vorgängen entfallen würde, die schließlich alle Geld kosten. Geld, das an anderer Stelle fehlt: beim Patientengespräch, in der Vorsorge, bei der Reha, für Medikamente, die die Kassen nicht zahlen wollen und und und. Aber nein, das geht nicht, weil…. ja warum nicht, etwa wegen Datenschutz?

Der sollte sich m.E. darauf beschränken, Daten zu sichern (Serverschutz gegen Hacker, Backups, keine Klarnamen etc.) und ÜBER DAS ÜBLICHE UND NOTWENDIGE hinaus gehende Nutzungen zu regulieren. Z.B. möchte ich schon gefragt werden, bevor meine Daten an ein Pharma-Unternehmen verkauft werden – aber dass ich sämtliche Prozesse innerhalb einer Klinik (und durchaus auch innerhalb Unternehmen) abnicken muss, die für die Erbringung der Leistung nötig und sinnvoll sind, muss wirklich nicht sein.

Da sind die Datenschützer übers Ziel hinaus geschossen und die Politik sehe ich in der Pflicht, das wieder einzudämmen. Etwa mittels Zertifizierungsinstitutionen, die Label verteilen: Datenschutzklasse A bedeutet eine erfolgte Prüfung mit dem Ergebnis „nutzt Daten im für den Unternehmenszweck allgemein üblichen und nötigen Umfang“. Wenn das Unternehmen dann MEHR ALS DAS mit meinen Daten machen will, muss es mich fragen. Aber eine ganze Menge Formularwust könnte entfallen!

Aber gewiss melden sich dazu wieder jede Menge potenziell Beteiligte und meinen: Geht nicht, weil…

Armes Deutschland, am „geht nicht, weil“ wirst du scheitern. Ein unbeweglicher Mega-Tanker mit hauptsächlich Bedenkenträgern an Bord kriegt sowas wie „Digitalisierung“ einfach nicht hin!

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Diskussion

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3 Kommentare zu „Das Jahr, in dem wir den Datenschutz hassen lernten: eine Krankenhaussprechstunde“.

  1. Es ist leider ein weit verbreiteter Irrtum, dass für jegliche Datenverarbeitung eine Einwilligung vorliegen muss. Die Zustimmung der betroffenen Person ist nur eine Bedingung für die rechtmäßige Datenverarbeitung.

    Wenn es für die Vertragserfüllung notwendig ist, ist es auch rechtmäßig und es bedarf gar keiner Einwilligung.

    https://www.projekt29.de/der-baylfd-zur-eu-dsgvo-teil-3-die-rechtmaessige-weiter-verarbeitung-personenbezogener-daten/

  2. Ganz normaler Vorgang.
    Würd ich nicht weiter drüber nachdenken.
    Passt absolut ins Bild.
    Aber dass „Uns Deutschland“ an diesem „geht nicht, weil“ scheitern wird, glaube ich nicht. Vielleicht wird`s etwas ausgebremst.

    Mich würde eher beunruhigen, dass dein Hausarzt dich überwiesen hat, nachdem deine Hinterfragung seines Tuns ihn zu nerven schien. Einfach deswegen, weil mir gerade zum zweiten Mal binnen kurzer Zeit krasse Fehldiagnosen und FalschBehandlungen im Bekanntenkreis begegneten. Der erste Fall endete tödlich. Der andere wurde mit viel Geld wieder auf die Lebensspur gebracht, indem bekannte Kapazitäten im Heimatland der Erkrankten konsultiert wurden.

    Hoffe, es ist nichts „Ernstes“ bei Dir

    Gruß. Hermann

    Gruß, Hermann

  3. @Hermann: ne, nix Ernstes, nur der Versuch eines Gesprächs darüber, warum man den amerikanischen Empfehlungen für Blutdrucksenkung auf neue Standardwerte folgen sollte…