Claudia am 03. Februar 2018 —

Würziger Käse? Deutsche mögen das nicht!

Gestern an einem kleinen Stand mit tiroler Spezialitäten: ich will den „würzigen Bergkäse“ probieren, als mich der sympathische Verkäufer mit dem Genuss-vor-Reue-Körper anspricht. Lieber so ein bisschen würzig oder richtig würzig? fragt er mich sicherheitshalber. Natürlich will ich RICHTIG WÜRZIG – und der Käse ist dann auch ganz grandios! Endlich ein Käse, bei dem man schmeckt, dass er lange lange gereift ist und mit Sorgfalt und Liebe produziert wurde.

Tiroler Bergkäse

Wir plaudern noch ein bisschen über den Käsegeschmack der Deutschen, der „würzig“ nur in einer so milden Version schätzt, dass man es auch gleich anders nennen könnte. Isso! sagt er, und zuckt bedauernd mit den Schultern.

Warum bloß ist das so? Mir war immer schon aufgefallen, dass eigentlich jede Art Käse in Frankreich besser schmeckt als in Deutschland. Hierzulande einen Camembert zu finden, der auch nach Camembert schmeckt, ist wirklich Glücksache. Sogar optisch aufgemotzte und „französisch“ versprechende Verpackungen enthalten oft nur dieses – mal weiche, mal leicht gummihafte – geschmacksneutrale Irgendwas, das von einem echten Camembert meilenweit entfernt ist.

Camembert

Extra Käse für den deutschen Markt

In der ZDF-Reportage „Nelson Müllers Käse-Check“ (noch bis 1.2.2019 in der Mediathek) ist der Part ab Minute 34 dazu sehr sehenswert. Da lässt Nelson auf der Straße einen französischen und einen deutschen Camembert erst von französischen und dann von deutschen Passanten verkosten. Und wie erwartet sagen die Deutschen zur geschmackvollen französischen Variante: „bisschen zu kräftig“, „würde ich zum Frühstück nicht haben wollen“ – wogegen die Franzosen den deutschen Käse als „charakterlos“ brandmarken.

Im weiteren wird dann noch das Käsewerk von Geramont in den Vogesen gezeigt, wo speziell für den deutschen Markt eine entsprechend geschmacklose Geramontversion hergestellt wird: schnittfest, mit makellos weißer Rinde, ein milder Käse, der „nicht zu sehr nach Käse riecht“ und schon binnen 8 Tagen Reifezeit fertig ist. Danach verändert er weder Aussehen noch Aroma. Toll, oder?

Erwachsene, die beim Kindergeschmack stehen bleiben

Nicht nur beim Käse dominiert die deutsche Empfindlichkeit gegen deutlichen Geschmack: Für viele soll ein Fisch bittschön nicht nach Fisch schmecken, und schon gar nicht danach aussehen. Vom Huhn isst man hierzulande am Liebsten nur die Brust, wenns nicht grad der (selten gewordene) Gummiadler vom Grill ist, der immerhin noch nach Huhn aussieht. Innereien wie Herz, Leber, Niere, die noch in meinen Kindertagen auf dem Speiseplan standen, kommen gar nicht mehr vor. Ihr spezieller Geschmack stößt wohl ab, auch erkennt man an diesen Dingen allzu gut, dass sie mal Organe eines Tiers waren.

Ein Geschmack, der dagegen einen waren Siegeszug quer durch viele Lebensmittel angetreten hat, ist Vanille! Nicht nur Pudding, auch Joghurts, Kuchen, Süßspeisen aller Art, sogar Marmelade und Fruchtaufstrich gibts immer öfter mit vanilliger Zutat. In meiner veganen Phase ist mir erstmalig aufgefallen, wie extrem viel Platz milde Milchprodukte aller Art im Supermarkt einnehmen. Neuerdings kamen Smoothie-Fläschchen dazu und sogar Apfelmus gibts jetzt in kleinen weichen Fläschchen zum aufsaugen!

Weich, weiß, mild, gern vanillig – man kommt kaum an der Erkenntnis vorbei: es ist ein Kindergeschmack, der den Lebensmittelmarkt in Deutschland dominiert. Warum ist das so bzw. warum hat es sich so entwickelt?

Geschmack wird in der Kindheit geprägt. Ich merke das z.B. daran, dass bestimmte Ernährungsweisen, die ich zeitweise zwecks Abnehmen pflegte, irgendwann scheitern: Bei Low Carb vermisse ich auf Dauer die Nudeln allzu sehr, die häufiger Bestandteil der Ernährung im elterlichen Haushalt Ende der 50ger, 60ger und Anfang 70ger waren. Ganz ohne Nudeln fühl‘ ich mich esstechnisch unglücklich. Isso! :-)

Andrerseits gab es zuhause keine Fertiggerichte und es bestand kein Zweifel daran, dass „gegessen wird, was auf den Tisch kommt“. Das klingt harsch, aber schlimme Erlebnisse mit irgendwelchen Schrecklichkeiten, zu denen ich gezwungen worden wäre, erinnere ich nicht. Meine Mutter verstand es, mir Ungeliebtes wie etwa grünen Salat am Anfang schmackhaft zu machen: Sie produzierte einen „Kindersalat“, den sie einfach mehr zuckerte. Klappte gut und schon bald aß ich den normalen grünen Salat ohne Leidensgefühle mit. Das war allerdigs die Ausnahme, normalerweise gab es dasselbe Essen für alle – egal, was es war. Ich mochte sogar das „Herz-Lungen-Gulasch“ und fand es spannend, als – einmalig! – ein ganzer Schweinekopf verkocht wurde. Was für ein Event! Wirklich gut schmeckten uns nur die Backen, weshalb der Versuch auch nicht wiederholt wurde. (Jahre später sah ich in Frankreich in einer Auslage die vordere Scheibe einer Schweineschnautze als eine Art Sülze – gibts!)

Die drastischen Beispiele sollen zeigen: Wir drei Kinder haben nach und nach alles mitgegessen, was die Erwachsenen aßen. Nicht alles fanden wir toll, aber es gab keine Dramen rund ums Essen, weil es so normal war, dass wir alle dasselbe aßen.

Als ich dann mit 19 mein Elternhaus verließ, gab es nur wenige Dinge, die ich nicht mochte: Oliven, Fenchel, Sardellen – alles Sachen, die es zuhause niemals gegeben hatte. Im Lauf der Jahrzehnte lernte ich dann, auch diese Lebensmittel in bestimmten Zusammenstellungen zu mögen (es hat aber gedauert!). Irgendwelche Unverträglichkeiten plagen mich nicht und heute gibt es nichts (außer Original Kambodschanischer Fischsoße), das ich nicht nochmal essen würde.

Verhindert freie Wahl die Geschmacksentwicklung?

Wenn ich jetzt mal wild spekuliere, woher diese Präferenzen für milden Käse, nicht fischigen Fisch und dergleichen wohl herkommen: Vielleicht, weil viele Kinder der 80ger, 90ger und Nuller-Jahre viel mehr Freiheit hatten, nur das zu essen, was ihnen bereits schmeckt? So entwickelte sich ihr Geschmack kaum weiter. Sie blieben länger bei dem, was schon gut mundet und wurden kaum mehr motiviert, auch Dinge zu essen, die nicht gleich Begeisterung hervor rufen.

Weil aber der Geschmack fürs ganze Leben erheblich durch die Ernährung in Kinder- und Teenyjahren geprägt wird, schlägt das dann auch durch auf den „Geschmack der Deutschen“, wie er heute nun mal ist: Mild, weich, sahnig, wenn süß gern vanillig – und bei Tieren lieber wenig Eigengeschmack.

Schade eigentlich, denn so werden viele Genüsse und leicht zu habende Glücksmomente einfach versäumt.

***

Mal geschaut: der „Tiroler Bauernstandl“ ist eine Marke und hat auch einen Shop – hier mein „würziger Bergkäse“, der Preis bezieht sich 400 Gramm.

Diskussion

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20 Kommentare zu „Würziger Käse? Deutsche mögen das nicht!“.

  1. Mein Favorit beim Käse ist seit Jahren „alter“ Appenzeller. Der ist echt würzig und außer mir mag ihn in der Familie keiner. Es ist wirklich komisch und gleichzeitig sowas von gut, dass sich meine Geschmacksnerven seit meiner Kindheit und Jugend so radikal verändert haben. Früher mochte ich kaum etwas, das herb oder würzig gewesen wäre. Ob Gemüse, Käse, Wein oder Bier, meine Vorlieben haben sich seit einigen Jahren stark verändert. Heute liebe ich Rosenkohl, Schwarzwurzeln, manchmal dicke Bohnen. Ich trinke keinen Wein, der nicht trocken ist, selten mach ich mal eine Ausnahme für einen fruchtigen Kerner (beim Grillen z.B.). Ich liebe richtig herbes Bier (Jever, Becks oder so). Schöner Artikel. Ist echt schade, in kulinarischer Hinsicht nicht viel mehr auszuprobieren. Die, die nie was Neues ausprobieren, bedaure ich manchmal ein wenig. Ich kenne von dieser Sorte einige :-)

  2. Ich vermute, „der Deutsche“ isst seinen Käse am liebsten auf einem Salamibrot. Da stört echter Käse dann eher. Ich vermute weiter, dass diese Käse-Wurschtbrot-Vorliebe eine echt deutsche Eigenart ist, die in Frankreich eher selten anzutreffen ist. PS Meine Oma hat immer am liebsten „Butterkäse“ gekauft, der nach exakt gar nichts geschmeckt hat …

  3. Das Problem beim Käse orte ich weniger bei der Käseproduktion als bei der Art der Aufbewahrung bzw. der Art des Reifens. Käse kann man nicht einfach in den Kühlschrank legen, sondern jeder Käse braucht seine richtige Lagertemperatur. Manche Käse muss man einen Tag vor dem Verzehr die Umgebungstemperatur annehmen lassen, manche lasse ich ein paar Tage heraußen reifen. Ich habe durchaus schon Billig-Camembert aus dem Supermarkt durch richtiges Reifen auf ein annehmbares Geschmacksniveau gebracht. Und wenn man ein gutes Stück reifen Emmentalers in einem feuchten Tuch in seinem Kellerabteil des Kühlschranks aufbewahrt, dann wird das ein Genuss! Übrigens ist es ein großes Problem, dass Käse in Supermärkten oft viel zu früh verkauft wird – das Ablaufdatum sollte mindestens eine Woche überschritten sein … ;-)

  4. Ich habe mal gelesen, dass es Käsesorten für Anfänger und Fortgeschrittene gibt. Wobei gilt: Je ekliger, verdorbener, übelriechender das Produkt, desto fortgeschritten. Es gibt Käsesorten, da wäre die einzige noch vorstellbare Steigerung, dass da Maden drin rumkriechen würden.

    Meine Eltern haben früher manchmal einen Käse namens „Harzer“ gegessen, salopp wie treffend „Stinkerkäse“ genannt. Das Zeug stank bestialisch und machte den Rest des Kühlschrankinhalts gefühlt ungenießbar.

    Ist das nicht gesundheitlich bedenklich, sich natürliche Ekelreflexe abzutrainieren? Wenn ich mich dran gewöhne, dergleichen zu essen, verzehre ich womöglich auch bedenkenlos, was wirklich verdorben ist …

  5. Eine echte Herausforderung für uns wäre die schwedische Delikatesse Surströmming, wo man wohl nicht darum herumkommt, zu behaupten, daß es sich um fauligen Fisch handelt.

  6. Was Werner schrieb , gefällt mir.

  7. Herzlichen Dank für Eure Kommentare! Nett, mal über etwas weniger Brisantes zu plaudern!

    @Horst: Appenzeller ist nicht so meins, dafür empfehle ich Gruyère / Greyerzer – ein SEHR wohlschmeckender Rohmilchkäse. Ansonsten entspricht dein „Spätgeschmack“ meinem, der allerdings schon länger ist, wie er ist. Nur Wein mag ich eigentlich gar nicht, wenn ich ihn auch bei Gelegenheit mitgetrunken habe (auch nur Trockenen).

    Christian: damit triffst du wohl bei einem gewissen Anteil der Bevölkerung ins Schwarze. Wobei verständlich ist, dass würziger Käse unter der würzigen Salami eh nur stören würde…

    @Werner: “ Ich habe durchaus schon Billig-Camembert aus dem Supermarkt durch richtiges Reifen auf ein annehmbares Geschmacksniveau gebracht.“ – Welchen? In der Doku bekam der Billige von Penny immerhin das Votum: bringt den Charakter von Camembert rüber…

    Arnd: Der Harzer kommt mir heute auch milder vor als früher. Ich ess den ab und zu und hab ihn sogar „angemacht“ im Kühlschrank, ohne dass davon etwas auf andere Lebensmittel übergeht. Ekelreflexe bei Käse kenne ich nicht, man sollte halt – insbesondere bei weichem Käse – den richtigen Reifegrad kennen und nicht zu weit überschreiten lassen.

    @Markus: stimmt! Sowas kommt auch in meinem Artikel vor, nämlich die „kambodschanische Fischsoße“: Heißt Prahok, besteht aus winzigen fermentierten Süßwasserfischen aus dem Tongle Sap, und ist selbst in den Nachbarländern Thailand und Vietnam und Miramar verrufen. Ich hab das nur ein einziges Mal probiert – fürchterlich!

    @Gerhard: danke, du sagst ja doch was! Hey, ich hatte schon befürchtet, dich irgendwie vergrätzt zu haben! :-)

  8. @Claudia, ich wüsste nicht, wann Du mich mal vergrätzt haben solltest. Bisher hast Du den besonderen Knopf dafür noch nicht gefunden :-) Obwohl das bei mir eigentlich leicht ist. Ich fühle mich nämlich (gern mal) verletzt.

  9. Der schottische Kochbuchautor Paul Harris schreibt in einem seiner Kochbücher als Einleitung zum Rezept für Haggis:

    „The following recipe is not for the weak of constitution!“

    „Das folgende Rezept ist nichts für schwache Nerven!“[3]

    Die Zubereitung eines Haggis dauert vier bis fünf Stunden.

    Der Magen muss in kaltem Wasser sorgfältig ausgewaschen werden. Dann muss man ihn von innen nach außen drehen und die allerletzten festen Reste der Magensäure und die Magenschleimhaut mit einem Messer abschaben. Um die Magenwand nicht zu verletzen, wird dazu die ungeschliffene Seite der Messerklinge verwendet. Das Herz, die Leber und die Lunge werden in einer leichten Fleischbrühe gar gekocht. Dabei ist darauf zu achten, dass das Ende der Luftröhre, das noch an der Lunge hängt, über den Rand des Kochtopfs gehängt wird und in eine Schüssel abtropfen kann. Wenn das Fleisch gar ist, muss es in kleine Stückchen geschnitten werden. Die Fleischstücke werden mit Salz und Pfeffer gewürzt und mit Muskatnuss, etwas Muskatblüte (Macis), gehackten Zwiebeln, dem Nierenfett und dem Hafermehl vermischt.

    Die Mischung wird in den wieder umgedrehten Magen gefüllt. Er darf nicht ganz gefüllt werden, da das Hafermehl beim Kochen aufquillt und dafür Platz braucht. Der Magen wird mit Küchengarn zugenäht. Dann muss man den Magen mit einer Gabel rundherum einstechen. Macht man das nicht, platzt er beim Kochen, und der Inhalt läuft aus. Der Magen muss mindestens drei Stunden in kochendem Wasser gar werden. Anschließend legt man ihn auf eine Servierplatte und entfernt das Küchengarn. Aufgeschnitten wird der Haggis erst bei Tisch. Der paunch (Bauchansatz) selbst wird nicht gegessen.

  10. @elmar: danke für das erstaunliche Rezept! „Saumagen“ könnte was Ähnliches sein, oder?
    Ich denke mal, geschmacklich ist es keineswegs irgendwie abseitig. Denn ich erinnere Herz-Lungengulasch, Kutteln – schmeckt alles ganz ok. Es ist nur die deutliche Sicht auf Tierteile, die viele abschreckt, vermute ich jedenfalls.

  11. Hallo Frau Klinger, vielen Dank für deinen Besuch an meinem Stand. Ich freue mich sehr, dass dir der würzige Bergkäse geschmeckt hat und danke für diesen interessanten Beitrag.
    Viel Erfolg und bis zum nächsten Mal, der Genuss-vor-Reue-Robert

  12. Ich habe einen ganz einfachen Geschmack: Ich bin immer mit dem Besten zufrieden.
    — Oscar Wilde

    ;-)

  13. Meinen Camembert bzw. Brie esse ich am liebsten mit Erdnussbutter. Egal, ob mit oder ohne Stückchen. Wofür mich manche Leute seltsam finden.

    Und die einzigen intensiveren Käse, die ich mag, sind Esrom und alles mit Edelschimmel.

  14. Hallo zusammen,
    Gibt es irgendeine Adresse im Raum Ruhrgebiet, wo man original frz. Ziegenkäse kaufen kann. Unsere Tochter liebt den innig und verputzt sich den Gerne ohne brot. Für eine Antwort per email wäre ich sehr dankbar

  15. Guten Abend alle zusammen!
    Vor ein paar Jahren kaufte ich auf einem Markt in Limoges einen Käse. Der, neutral formuliert, roch wie Aas, wie tote Maus. Aber nach der dritten Mutprobe :-)) schmeckte er vorzüglich. Weiß jemand von Euch, wie dieser Käse heißt? Ich habe ihn nie wieder gefunden, auch nicht mit Hilfe gestandener Franzosen.
    Vielen Dank für eine kurze Email,
    lG Heino

  16. https://cafebabel.com/de/article/sardiniens-casu-marzu-der-gefahrlichste-kase-der-welt-5ae00c05f723b35a145e82c3/

    war das ein casu marzu ?

    würd ich direkt auch mal ausprobieren:)

    gruss
    inzuallembereitgo

  17. MEINUNG

    „Hühnersuppe ohne Huhn“

    Im Dunstkreis der sich intern selbst flachsend „Lebensmittelmafia“ nennenden großen Massen-Nutritionskünstler nennt man „D“ schlicht nur „Masse statt Klasse“ oder „die schlucken Alles“, Deutschland sei ein „lebender Mülleimer“ etc. Rohmilchkäse gab es ewig nicht, Listerien, wie bis Heute keine nicht pasteurisierte und kaltgefilterte Milch. Zu teuer. „Baguette“ nennt man es, ist aber nur popeliges banales Stangenweißbrot. Schon ewig wurden die Chargen selektiert, da es bei den Massen natürlich Unterschiede gibt. Und, seit wann auch immer, produziert man extra für den „Mülleimer Europas“, denn niemand gibt so wenig für Ernährung aus. Ein franz. Kind kostet zwischen Geburt und 4. Schuljahr etwa zehnmal so viel wie eines der (ohnehin wenigen!) dt. Kindlein. Ernährung beginnt spätestens in der Creche, denn mit Ende des 3.LJ ist die Geschmacksbildung fast komplett. Die Gewinne der Massen-Abfütterungs-kaum-noch-Lebens(!)mittel-Mafia übrigens landen sicherlich dazu kaum im Lande, warum auch?
    Dafür stehen massenhaft deutsche PKW wenige Meter hinter der Grenze bei franz. Supermärkten, wo es ganz sicher frischen, gar lebenden, Fisch gibt, während die dt. Super-Qualität a la „Mordsee“, aus eigener Anschauung, bis jetzt bestenfalls „frisch aufgetaut“ war und die Läden gar noch gar nach Fisch müffeln. Ekelig. dt. Touris werden, in Asien gesehen, im „all inclusive“ dt. Art genau so desolat abgefüttert. Super-„Luxus“ für 29,80 Euro am Tag, all-you-can-schluck?
    Längst verloren dieses Spiel…

    Eine Amerikanerin, verheiratet mit einem Engländer, in Paris lebend (Druckerman?), zitierte staunend selbst Rezepte aus einer franz. Krippe.
    Laut Marktforschung ist man in deutsche Land meist ein sog. „Verpackungskäufer“, in den anderen Ländern aber Inhaltskäufer. Warum wohl? Dies Phänomen würde jeder rein profitorientierte Massenproduzent mit ausl. Sitz sicher weidlich ausnutzen, oder?
    Nicht nur ARD und ZDF hatten dazu dutzende Stücke zur Problematik. Kaum jemand kocht noch, die meisten Lokale/Kantinen/Schulspeisungen sind desolat, laut Studie ist’s oft „ungenießbar“. Wallraffs Beiträge dazu hat niemand gesehen? Ergebnis ist denn ein „Übergewichts- und Fehlernährungseuropameister“ namens Deutschland, Voila.

  18. @Lutece: habe mir erlaubt, doppelte Absätze in deinem Kommentar zu entfernen! Ansonsten stimme ich dir zu: die Qualitätsansprüche an Nahrungsmittel sind hierzulande nicht sehr hoch!
    Es hat auch mit der Schere zwischen Arm und Reich bzw. Besserverdienend zu tun. Es gibt ja durchaus eine Szene, die sich um besseres Kochen bemüht, eher hochwertig einkauft und quasi ein Hobby draus macht. Aber für die meisten muss es schnell gehen, nicht viel Arbeit machen und wenig kosten.
    Dass z.B. das Massentierhaltungsfleisch so schnell und billig produziert wird, dass kaum mehr Geschmack dran ist (mal vom Tierleid abgesehen), ist m.E. auch politisch gewollt: Die gestressten Wenig-Verdiener sollen sich Fleich leisten können, sonst rechnet man mit mehr Ärger rund um Lohn und Arbeit.
    Während dessen gönnen sich Gourmets „fette alte Kuh“ für 60 Euro das Kilo!

  19. Meinst du, das kommt auch von der „Kriegsküche“? Mir fiel bei meiner Mutter auf, und die war noch klassisch in der Hauswirtschaftsschule usw. und konnte eigtl. sehr gut kochen, dass sie gern zu kleinen Helferlein griff (M*ggi, F*ndor und wie sie alle heißen). Ich bin in den 80ern geboren. Ich hatte Schulkameraden, bei denen gabs Nudeln mit Ketchup. Ich hatte aber auch einen Freund Baujahr 70er, der sehr kindisch aß (nur Fertigessen aus der Frischetheke, diese vorgefertigten Frikadellen, und sonst Brot). Jedenfalls, diese Küche von meiner Mutter, es war immer sehr lecker und zweifellos beherrschte sie ihr Handwerk im Rahmen dessen, was sie gelernt hatte, aber es war halt viel Butter und Fett und Zucker.

    Ganz früher aß sie auch mal Rollmops oder Harzer Käse oder machte Leber, die ich als Kind sehr mochte, genau wie Königsberger Klopse mit Kapern, Blutwurst, die ich probierte und mochte, oder Rosenkohl. Ich sehe oft bei Kindern, dass sie viel Weißbrot mitkriegen, mit Leberwurscht, oder gleich Nutella. Aber wir bekamen damals in den Kindergarten jetzt auch keine Schweizer Käseplatte mit Kalbsinnereien mit. Und warum gibt es eigentlich Bärchenwurst? Aber Mortadella gab es früher schon. Mit würzigem Käse tu ich mich schwer, es ist Gewöhnungssache. Ich mag so ein Mittelding. Die Vorliebe für Mozarella, der wie geschmackloser Kaugummi ist, habe ich nie verstanden, und Butterkäse ist langweilig, aber mit richtigem Bergkäse oder Harzer brauchst du mir auch nicht kommen. Ich sehe das Problem gar nicht so sehr im Deutschen. Die Amis z.B. essen ja auch recht unaufgeregt – viel Fett, viel paniert, viel Zucker, aber nicht grade raffiniert. Viel Beiges. Matschiges, beiges. Das mögen wir. Ich verachte diese Quetschies auch ein bisschen. Können Kinder nicht mal in einen Apfel beißen? Doch auch zu meiner frühen Schulzeit gab es schon die Weirdos, die als Teenager noch Al*tegläschen in der Pause löffelten. Meine Oma verkochte jegliches Gemüse zu Brei, mein Vater hasste es. Erst bei meiner Mutter lernte er es zu schätzen, die kochte Nudeln und Gemüse al dente. Ich glaube übrigens, dass es umgekehrt ist. Ich mag es nicht, wie du diese Vorliebe fürs Würzige durchaus als elitär präsentierst, als wäre alles andere Kindergeschmack. ich glaube eher, dass viele natürliche Lebensmittel gar nicht so einen extremen Eigengeschmack haben, viel Obst und Gemüse z.B., klar, das ist auch leider verzüchtet und wässrig, aber viele ballern sich so viel Zucker und künstliche Aromen (in Chips usw und Tütensoßen und Fertignahrung), dass sie die zarten Geschmäcker gar nicht mehr so wahrnehmen. Interessant wäre, ob es mit natürlich gereiften Dingen wie Käse einen schönen Kontrast zu zartem Obst- und Gemüsegeschmack gäbe. Interessant wäre auch die Frage, ob das, was du als Kind gegessen hast (und ich ja auch, siehe die Leber und die Klopse) einfach abartig ist. Sind ewig gereifter Käse und stinkige Sardelle und Tierinnereien WIRKLICH wertvolles Kulturgut, auf das man sich etwas einbilden muss? Gehören auch tausendjährige Eier dazu? Wo ist die Grenze? Ich glaube, viele Leute sind recht aufgeschlossen – siehe die Toleranz vieler dem Gedanken, mal Insekten zu verzehren, gegenüber.

    Am Ende gilt: Über Geschmack lässt sich nicht streiten. Neulich gab es in der Familie meines Verlobten Pansensuppe, die ganzen Familie langte deftig zu und mich würgte es nur vom Geruch alleine. Als Kind war ich bei Freunden, da gab es Knipp. Oder wars Labskaus? Auch hier vom Geruch war mir den ganzen Tag schlecht. Im Traum hätte ich das nicht verzehren können. Gerne experimentiere ich aber mal und esse mal eine Zeit lang recht monoton oder zuckerfrei oder sowas in der Art. Danach schmeckt jedes verarbeitete Nahrungsmittel VIEL zu intensiv. Ich meine, eigentlich würden wir doch Wurzeln ausgaben und Blätter und Kräuter und matschiges Obst futtern? Es gibt Rohköstler, die sich an Tierinnereien versuchen (das reine Muskelfleisch scheint noch schwieriger zu verzehren zu sein), aber würde man WIRKLICH einen Kadaver aufessen wollen? Ich finde das, was Katze mitbringt, sieht nicht so appetitlich aus . Neulich kaufte ich ihr aber als Leckerei Putenherzen, etwas, das ich sonst nie essen würde, und dachte beim Schneiden: EIGENTLICH ist es ja auch nur Muskel. Könnte schon lecker sein.

    Es bleibt die Frage: Warum soll es normal sein, dies zu essen, aber nicht jenes? Nur weil es Kultur ist in manchen Ländern, muss es ja nicht erstrebenswert für jeden sein. In Japan ist überall Sojasoße, ich kann sie nicht leiden, weil alles nur noch danach schmeckt. Dann lieber etwas Fischsoße – dabei rollen sich dann anderen die Fußnägel auf. Manche essen gerne sehr sehr scharf und belächeln die, denen schon bei gefüllten Kirschpaprika ein Tränchen über die Wange kullert. Aber warum? Es GIBT ja die Stinkekäse und den anderen Krempel zu erwerben. Ich glaube auch, wie du schon schreibst, es ist auch eine Geldfrage. Wer nicht viel Geld hat, muss sich von Füllern ernähren, Brot, Nudeln, Reis. Schon der Umstieg auf Linsen ist teurer. Mir wäre es das wert, auch mit kleinem Geldbeutel, aber was so ein Käse schon kostet.. oder ein gutes Steak. Oder das Biofleisch im Discounter, das ich gerne immer kaufen würde, aber 10 Euro für 200 Gramm? Man SOLLTE es bezahlen und ansonsten den Konsum einschränken, aber das macht keinen Gourmet aus, oder? Ich lass mich auch gern belächeln, weil ich Muscheln, Schnecken und jegliches Kriechgetier, v.a. aus dem Meer, ablehne und es nicht für charakterbildend halte, mich einmal quer durch die gesamte Tierwelt gefuttert zu haben. Sollen andere Krokodil, Strauß, Eier von jedem Vogel, alle Innereien, Insekten, Fische, Känguru, Wild usw. essen. Ich bin kein Veganer, nicht mal Vegetarier, aber ich verstehe den komischen Stolz mancher, alles zu essen, nicht.

    Das erinnert mich auch an Weintrinker, die sich gerne über andere erheben, v.a. wenn diese anderen gerne süßen Wein trinken und die elitären Weintrinker lieber trockene, alte Weine. Oder diese Whiskeyverköstiger, deren Persönlichkeit ist, Whiskey zu trinken. Ich meine, cool für euch, dass ihr gerne Dinge trinkt, die schmecken wie alter Teppich vom Dachboden, oder ranzig gewordenes Akkordeonleder, oder das Innere einer Blockflöte, aber ich mag lieber Traubensaft und das ist normal, denn Menschen mögen süß von Natur aus, so, wie fast jedes Tier, aber Kaffee, Bier, Wein, Zigarette, Zigarre usw. ist auch alles anerzogen, und das ist alles nicht unbedingt gut für uns, auch wenn man so tut, als wäre es wertvolle Kultur.

    PS: Trüffel schmecken wie die Luft aus einem alten Fahrradschlauch riecht.

  20. @Horst Ziegenleder: Danke für deinen umfangreichen Kommentar und deine Lebensgeschichten in Sachen Nahrungsmittel und Geschmack! Das alles ist nun aber so viel, dass meine Kommentar-Einleitungsfrage „Was sagst du dazu?“ schlicht nicht mehr wirklich beantwortet werden kann, ohne ein Buch zu schreiben! :-)

    Deshalb nur ein bisschen Punktuelles: Meine Erfahrung ist, dass ich mit zunehmendem Alter immer mehr von dem doch gemocht habe, was ich als Teeny und erst recht als Kind nicht zum Essbaren zählte. So z.B. Oliven, Sardellen, „Stinkkäse“ – wobei der Harzer mir erst zu munden begann, als ich das hessische Rezept des angemachten „Handkäs mit Musik“ kennenlernte (in Stücke geschnitten, Essig, Öl, Zwiebeln, evtl. klein geschnittene Gemüsepaprika).
    Mittlerweile mag ich faktisch durchweg alles, was du in deinem Text erwähnst, mit Ausnahme der Insekten, die ich zwar probiert habe, aber mangels echtem Geschmack nicht unbedingt brauche. Ach ja, und kambodschanische Fischsoße find ich zum Kotzen, eine Bewertung, die übrigens auch die umliegenden Landsleute (etwa Thailänder) mit je eigenen, durchaus wohl schmeckenden Fischsoßen teilen! :-)

    Meine Mutter hat schlicht und bodenständig gekocht, was in den 60gern und 70gern noch recht verbreitet war. Als Kind hat sie mich mit gezuckertem Salat dazu verführt, das grüne Zeug nicht komplett abzulehnen. :-)
    Deine Vermutung, dass HERZ richtig gut schmecken könnte, stimmt übrigens. Woher kommt es wohl, dass du trotz so einer Vermutung offenbar bei deiner Ablehnung bleibst?